Gerade rauscht es vernehmlich im deutschen Blätterwald.
Später als alle anderen Parteien haben sich Söder und Laschet auf so eine Art Wahlprogramm geeinigt.
„Wahlprogramm der Union“ ist quasi ein Widerspruch in sich; ein Oxymoron.
CDU und CDU waren nie Programmparteien, ihre Wähler sind Inkarnationen des „Weiter so!“, „keine Experimente!“ oder „die Karawane zieht weiter!“.
Wer programmatisch denkt, wählt ohnehin nicht die Union.
Anhänger des ewigen Kohl oder der ewigen Merkel wünschen sich nichts sehnlicher, als daß alles so bleiben möge, wie es immer war.
Daher werden sie auch so garstig, wenn ausgerechnet unter CDU-Herrschaft alte Gewohnheiten abgeschafft werden: Wehrpflicht, Atomausstieg und Homo-Toleranz haben die Basis-CDUler bis heute nicht verkraftet. Sie verteufeln das als ähnlich historisch dramatisch-schlimme Umwälzungen wie die Benutzung eines Gendersterns.
Eins konnte nicht überraschen: In Laschets Wahlprogramm befindet sich nicht die geringste Überraschung.
Es wäre allerdings ehrlicher und souveräner gewesen, weiterhin völlig auf inhaltliche Aussagen zu verzichten. Genau mit der Methode kamen die letzten beiden CDU-Kanzler zu ihren 16-jährigen Amtszeiten.
[….] Klingt wie: fünfte Amtszeit für Merkel! Der Ort hip, die Inszenierung lässig – doch das Programm bleibt bieder: CDU-Chef Armin Laschet vermeidet auf dem Weg ins Kanzleramt jedes Risiko. […..]
(Florian Gathmann, 21.06.2021)
Zu den in 16 Jahren aufgetürmten Mega-Reformstaus – Klima, Digitalisierung verschlafen, marodes Bildungssystem, Agrarwende, Immobilienwahn, drastisch ungerechte Lastenverteilung, Rechtsextremismus – weiß niemand in der CDUCSU etwas zu sagen.
Alles andere wäre auch wirklich extrem überraschend. Hätte irgendeiner in der Union Ideen für die Zukunft und/oder Tatkraft, um so etwas umzusetzen, hätte das längst passieren können. Schließlich saß man mit beachtlichen Mehrheiten 16 Jahre an den Hebeln der Macht.
Es war immer das Markenzeichen der CDU-Minister in ihren Häusern bloß nichts anzufassen und die Regierungspolitik vollständig der Koalitionspartei zu überlassen. So dämmern Seehofer, Karliczek, Bär, Klöckner und AKK matt dem Ende der Legislatur entgegen, während sich die Sozis abstrampeln.
Die Taktik funktioniert. Während die Linken und Sozis nicht nur ständig nach Veränderungen lechzen, sondern diese, wenn sie denn mal kommen, mit ihrer chronischen Unzufriedenheit kritisieren, müssen die Unionisten keine Basiskritik fürchten, so lange sie fest schlafen und jede Regierungsarbeit verweigern.
[…..] Valium fürs Volk! Das Wahlprogramm der Union grenzt an Arbeitsverweigerung. Derart ideenlos kann man kein Land regieren – die Bundestagswahl gewinnen aber schon. […..]
(Anna Clauß, SPON, 21.06.2021)
Überhaupt ein Programm vorzulegen, ist also riskant für die CDUCSU.
Auch wenn es maximal schwammig und ideenarm bleibt, sind die beiden genannten Punkte – Steuersenkungen für die Superreichen, Schuldenbremse einhalten – schon grundsätzlich hanebüchener Unsinn.
Wenn man ein fettes Minus in der Kasse hat, sich aber Schulden verweigert und gleichzeitig auch noch viel weniger einnehmen will, weil man den reichsten 10% Deutschlands die Soli-Zahlungen erlässt und dann auch noch Steuererhöhungen ausschließt, kann das nur in Schilda funktionieren, wenn Mathematik nicht existiert.
[…..] Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Carsten Schneider hat das Programm der Union für die Bundestagswahl kritisiert. »Die Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Konzerne gefährden den Zusammenhalt unseres Landes und sind auch ökonomisch völlig aus der Zeit gefallen«, sagte Schneider dem SPIEGEL. […..] Schneider sagte weiter: »Die vielen leeren Versprechen in dem hastig zusammengeklöppelten Wahlprogramm zeigen deutlich, dass CDU und CSU in die Opposition müssen.« […..] Auch der Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, hat das Wahlprogramm kritisiert. »Das, was die Union vorlegt, ist ein Programm, bei dem auf den Vorstandsetagen die Sektkorken knallen«, sagte Klingbeil bei RTL. Für die Erzieherin oder die Pflegekraft – »also für all die Menschen, für die wir auf den Balkonen standen während der Pandemie« – passiere nichts. Stattdessen sollten Steuern für Unternehmen gesenkt und der Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener abgeschafft werden. […..] Ähnlich äußerte sich Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen: »Union wählen muss man sich leisten können«, schrieb sie auf Twitter. »Die Weigerung der Union, eine solide Finanzpolitik zu machen, gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.« Lang warf CDU und CSU vor, die soziale Ungleichheit im Land aktiv voranzutreiben. […..] Die Grundidee der Union sei die Umverteilung »von unten nach oben in der Hoffnung, dass Spitzenverdiener und Unternehmen dieses zusätzliche Geld klug investieren, damit Innovation gefördert, gute Arbeitsplätze gesichert und Fortschritt beim Klimawandel gemacht wird«, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). »Die letzten 30 Jahre des Neoliberalismus haben jedoch überall in der Welt gezeigt, dass dieses Modell gescheitert ist.« […..]
Natürlich sind die Vorwürfe politisch richtig.
Laschets Wahlchancen werden mit diesem nichtssagenden Murxprogramm zu Gunsten der Superreichen aber steigen, weil er niemanden verschreckt.
Diesen Fehler machte Angela Merkel im Jahr 2005 einmal, als sie getrieben von Friedrich Merz eine ganze Reihe klarer Reformschritte ankündigte. Damals stand ihre CDUCSU in Umfragen kurz vor der absoluten Mehrheit und so dachte sich die CDU-Chefin, sie könne etwas wagen.
Ihre marktradikalen von Paul Kirchhof entwickelten Ideen wurden enorm effektiv von Gerd Schröder im Wahlkampf zerpflückt. Sie CDU-Werte sackten weg. Statt absoluter Mehrheit, landete sie nur ganz knapp vor der SPD, so daß es nicht mal für Schwarzgelb reichte.Immerhin; Merkel lernte daraus und gab nie wieder konkrete politische Ansichten bekannt. So wurde sie zur Regierungschefin mit den kaum jemals dagewesenen Zufriedenheitswerten. Die Groko dämmert dahin, hat die Arbeit auf CDUCSU-Seite vollständig eingestellt und der Urnenpöbel liebt es.
Die Groko sonnt sich 2020 in der Gewissheit von der Bevölkerung die besten Bewertungen aller Regierungen seit 20 Jahren zu erhalten und die Kanzlerin sonnt sich in unfassbaren Zustimmungsraten von 80%!
Armin Laschet begreift diesen Zusammenhang und orientiert sich an der Erfolgsstrategie. Bloß nicht die scheuen Wahlrehe aufschrecken.
Unverständlich ist nur, wie gestandene Journalisten (beispielsweise Antje Hönig) auf die hanebüchene Idee verfallen, der gemeine CDU-Wähler interessiere sich für das Wahlprogramm oder würde es gar lesen.
So ein Unsinn.
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