Montag, 3. August 2020

Trump tiktokt nicht richtig

Vor ein paar Monaten fragte ich einen Bekannten, der halb so alt ist wie ich, was es eigentlich mit diesem Tiktok auf sich habe.
Zuvor hatte ich auch Youtube einen Zusammenschnitt der populärsten amerikanischen Tiktoker gesehen, die dadurch alle samt Multimillionäre sind und gewaltige Followerzahlen aufweisen.
Der Sinn oder gar der Witz an diesen Minivideos erschloss sich mir nicht. Und wieso braucht man zum Hochladen kurzer Videos überhaupt eine chinesische App statt einfach Youtube zu nutzen?
‚Keine Sorge, das musst du nicht verstehen‘, antwortete mein Twen-Freund, und fuhrt fort ‚das ist wirklich nur für Kinder; ich begreife den Humor auch nicht‘.
Das beruhigte mich zu hören; muss ich doch in meinem Alter mit meiner Zeit haushalten und begrüße daher alle neuen Themen, die für mich irrelevant sind daher keine weitere Aufmerksamkeit verdienen.

Das nächste mal lief mir das Tiktok am 20.06.20 im Zusammenhang mit dem Trump-Fiasko von Tulsa über den Weg. Eine positive Überraschung. Jugendliche Socialmedia-Typen schaden #45 politisch; sehr gut.

Das dritte mal schwappte Tiktok in meine Blase, als es um die zweite Corona-Welle der USA ging.
Superstar Larray, knapp 13 Millionen Follower, erreichte das in seiner Welt offenbar methusalemsche Alter von 22 Jahren, bekam von seiner mütterlichen Freundin Nikita Dragun, im biblischen Alter von 24 mit sechs Millionen Followern eine große Party geschmissen, zu der auch die Internet-Senioren James Charles, 21, mit 21 Millionen TikTk-Followern, sowie 20,6 Mio Youtube-Abonnenten und Tana Mongeau, 22, mit 5.4 Mio Abonnenten auf Instagram, 3,5 Mio auf Tiktok, sowie 5,5 Mio auf Youtube erschienen.
In KALIFORNIEN - Hotspot der Covid-Seuche - treffen sich Mega-Influencer demonstrativ ohne Mundschutz und ohne social distancing zur großen Covid-Party.

[…..] Yesterday was […..] TikToker Larray’s 22nd birthday. Despite the global pandemic, he decided to throw a massive 70-guest birthday party the night before. The influencer invited many of his celebrity friends to his birthday dinner at BOA Steakhouse in West Hollywood. Paparazzi spotted his fellow influencers Tana Mongeau, James Charles, Charli and Dixie D’Amelio, Nikita Dragun, Emma Chamberlain, and more attending the party. While some influencers wore masks when they arrived at the party, others had no face coverings. In the next couple of hours, the influencers ate, drank, and partied in a small, closed environment.
One Twitter user later reposted influencers’ Instagram stories, featuring a sneak peek of the thrilling party. In the videos, the influencers had fun hanging out, dancing, and drinking with each other. Due to the crowded nature of the party, there was no social distancing, and since the influencers were drinking, they had no face coverings on. […..] Meanwhile, “hundreds of people” were waiting to get in. […..]

Larray befindet sich nun in Quarantäne, aber grundsätzlich muss man sich bei dieser Art Jugendvorbild nicht über die paradiesischen Verhältnisse für Sars-CoV-II wundern.
Es hagelte zwar Kritik, aber bei addierten hundert Millionen Teenager-Fans, die ihren Idolen nacheifern, braucht es keinen Trump mehr, um die Pandemie in den USA anzufachen.


Die Namen und Followerzahlen habe ich recherchiert, aber weswegen diese Leute so berühmt sind, kann ich leider nicht erklären.

Einen Zusammenschnitt des besten Larray-Contens musste ich nach 40 Sekunden abbrechen. Dafür bin ich zu alt. 


Was soll sowas? No hope for the human race.
Aber diese Plattform, diese Superstars sind ein Fakt. Man kann sie noch so lächerlich finden, aber sie können die US-Präsidentschaftswahlen beeinflussen (Tulsa!) oder eine Pandemie befeuern.

IQ45 polterte am Wochenende an Bord der Air Force One, er werde Tiktok in den USA mitsamt der 100 Millionen User abschalten lassen.
Dafür gibt es zwar keine rationalen, aber doch zwei gute Trumtionalen Gründe:

1.) Rache für Tulsa
2.) Anfachen des Handelskrieges mit China, um von seinem universellen ökonomischen und pandemischen Versagen abzulenken.

Die herbeifantasierte Begründung von der chinesischen Ausspionierung der Amerikaner und des Datenmissbrauchs sind zwar nicht vollkommen haltlos, aber es handelt sich bei Tiktok immerhin um eine Privatfirma, die erstens nicht dem chinesischen Staat gehört, deren US-Ableger zweiten unabhängig von China agiert.
Zudem betrifft der Generalverdacht des Datenmissbrauchs natürlich auf alle sozialen Medien zu – auch auf alle Amerikanischen.
Ein grotesker Twist, wenn nun Trumps oberster Testikel-Lecker Lindsey Graham nun angesichts der theoretischen Übernahme von Tiktok-USA durch Microsoft, eine der größten Datenkraken des Planeten von einer winwin-Situation spricht.

[…..] Die laut US-Politikern angeblich so problematische App aus China könnte in den USA also bald vom Windows-Konzern verantwortet werden, übrigens dem einzigen Unternehmen der berühmten "Big Five" der Techwelt (Microsoft, Apple, Facebook, Google, Amazon), das vergangene Woche nicht zu einer Kongressanhörung zur Marktmacht der Digitalkonzerne vorgeladen war. Dabei war Microsoft schon um die Jahrtausendwende herum nur knapp einer Zerschlagung entgangen.
Für Microsoft böte der Zukauf die Chance, TikToks wachsendes Anzeigengeschäft zu übernehmen sowie junge Menschen zu erreichen, vor allem auch junge Frauen. […..]

Und die Tiktoker selbst, deren Millioneneinkünfte möglicherweise bald webrechen?
Wäre es nicht begrüßenswert, wenn sich Twitter-König Trump nun den Massenhaften Zorn der U25- (Jahre) und U90- (IQ) Mega-Influencer zuzöge?
In einem Handstreich hatten die ihm immerhin schon sein Rally-Comeback von Tulsa zerstört. Wie toxisch könnten Larray, Mongeau, Charles und Dragun erst für die GOP werden, wenn sie ernsthaft sauer werden, weil sie vom eigenen Präsidenten deplattformt wurden?
Reichweite, um Schaden anzurichten, hätten sie natürlich noch durch ihre Kanäle bei Youtube, Facebook, Twitter, Twitch, Instagram und Co.
Aber dafür müssten sie erst einmal aufhören sich ausschließlich mit twerken, Schminke und Frisuren zu beschäftigen.

[…..] As of now The Hype House, The Sway House, and The Clubhouse have not released official statements on their plans if the app is banned from the US. Sway House member Griffin Johnson made a TikTok on his personal account showing the things he was thankful for from the app – his girlfriend, Dixie Damelio, his friends, and even his car were included. […..]

Offenbar gibt es keine Pläne sich zu wehren. Man ist nur traurig, werde nach einem Bann der App aber doch bloß auf andere Kanäle ausweichen.

[….] TikTok users across the US began livestreaming and posting videos in tribute to what they feared was the end of TikTok, the short-form video app they've come to love and depend on.
"Everyone is live right now," said Ehi Omigie, who has about 25,000 followers on TikTok, in a livestream on the app Friday night after news broke of a possible US ban. "Everyone is going cray cray ... If it does happen, follow me on Instagram." [….]. "Do not panic, do not panic," one user repeated several times in a video. "Do not panic yet. Do not panic right now."
[….] Many creators went live or created videos telling their fans to follow them on other social platforms, including Instagram, YouTube, Twitter and short-form video app Triller.
"I hope that we get to stay with TikTok," said TikTok user Emma Tovey, who has 120,000 followers, in a livestream. "I just wanted to just go ahead and make sure that you guys were aware of my social media accounts... I have those linked in my profile." […..]

Amüsant sind die Reaktionen aus China. Obwohl Tiktok angeblich unabhängig vom Staat ist, mischt sich dieser ein und beklagt dann angesichts der möglichen Deaktivierung einer chinesischen App in den USA den Abbau der Meinungs- und Pressefreiheit in den USA unter Trump.
Das ist zwar einerseits sachlich richtig, aber andererseits nach der Abschaltung sämtlicher großer amerikanischen Socialmedia-Apps in China  der extremste Fall von Glashaussitzerei, den ich je gehört habe.

[……] US-Präsident Donald Trump sagt: Die populäre Videoapp Tiktok wird vom chinesischen Staat kontrolliert. Das Unternehmen selbst sagt: Wir sind längst eine amerikanische Firma. Und die chinesische Regierung? Sie beschwert sich, dass einem Konzern aus China in den Vereinigten Staaten Steine in den Weg gelegt werden und deutet Vergeltung an. Dümmlicher kann man kaum argumentieren, wenn man eigentlich belegen möchte, dass Tiktok ein vom Staat unabhängiges Unternehmen ist.
[……] Statt zu googeln, suchen Chinesen mit Baidu. Weil Facebook verboten ist, tauschen sie sich per Wechat mit ihren Freunden aus. Und der vom US-Präsident so geschätzte Kurznachrichtendienst Twitter ist ebenfalls gesperrt, die vom Staat überwachte Alternative heißt Weibo. [……]

Offenbar ist China nach den wechselseitigen Botschaftsschließungen not amused, daß Trump beständig Öl in das chinesisch-amerikanische Feuer gießt.

[…..] Trump erhöht Druck für Verkauf von TikTok an Microsoft
Nächste Runde im Milliarden-Poker um TikTok: Ein großes Unternehmen solle die US-Aktivitäten der chinesischen Video-App kaufen, so Trump - und die US-Regierung müsse mitverdienen. Sonst wolle er das Portal "dichtmachen". […..]

Trump liebt die Strategie des maximalen Drucks, aber unterschätzt sicherlich wie viele Giftpfeile Peking bisher noch ungenutzt im diplomatisch-ökonomischen Waffenschrank hortet. Da ist noch viel Eskalationspotential nach oben.

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