Montag, 27. Mai 2019

Was schief geht im Willy-Brandt-Haus


Wie ich schon gestern darlegte, wird es bei der SPD offensichtlich gar keine Veränderungen geben, weil alle strategischen Alternativen noch schlechter sind und sich auch bei den personellen Alternativen zu Frau Nahles niemand anbietet.
Heute lese ich außer Schwesig noch die Namen Weil und Dreyer.
Beide sind integre, freundliche Ministerpräsidenten. Aber beide sind auch völlig Charisma-befreite Provinzpolitiker, die auf der nationalen und erst recht auf der internationalen Bühne nichts verloren haben. Ausgeschlossen, daß sie die SPD wiederbeleben könnten.

2,1 Millionen Stimmen ließ die SPD im Vergleich zur Europawahl vom 25.05.2014 liegen (bei deutlich gestiegener Wahlbeteiligung); die kommen nicht sofort zurück, wenn statt der proletigen Pfälzerin Nahles, die pragmatischere Pfälzerin Dreyer der Partei vorsitzt.

SPD-Stimmen Europawahl.
07.06.2009: 5.472.566 = 20,8%
25.05.2014: 8.003.628 = 27,3%
26.05.2019: 5.914.953 = 15,8%

Es gibt keinen schnellen Ausweg aus der SPD-Superkrise.
Die Grünen zeigen aber, wie man Politik frischer verpacken und sympathischer kommunizieren kann. Die Grünen, die immerhin entschieden und enthusiastisch die Agenda-Politik mittrugen und durchsetzten und nun der U30-Generation als moralisch makellos erscheinen.
Offenbar kann man also mit den richtigen Personen und wirksamen Methoden das Image einer unhippen Verbotspartei, die mit Veggiday und hohen Spritpreisen droht, grundsätzlich zum Positiven wandeln.
Den Grünen fällt dieser Wahrnehmungswandel leichter, weil sie in der Opposition sind. Aber wieso fängt die SPD nicht endlich damit an a) ihre Erfolge in der Groko zu kommunizieren und b) der Union den Schwarzen Peter zu zuschieben?
Wieso lässt sich das Willy-Brandt-Haus ohne Gegenwehr für alle Schweinereien in Haftung nehmen, die sich die CDU auf Kosten der „kleinen Leute“ und der Umwelt leistet?
Weshalb lassen sich die Hobbystrategen des WBH mit dem Slogan „raus aus der Groko“ so sehr ins Bockshorn jagen?

Das ist unnötig.
Man kann sehr einfach erklären, weshalb alle Alternativen zur Groko schlechter für das SPD-Klientel sind und man kann grundsätzlich erklären, daß man als 20%-Partei eben nicht 100% der Regierungspolitik bestimmt.
Koalitionen sind vernünftig und bedeuten leider immer, daß man ein paar Schweinereien der anderen mittragen muss, die man ablehnt.
Man kann das aber rechtfertigen, wenn man mehr bekommt, als man gibt. Wenn also die politischen Gegner in der Koalition mehr Kröten schlucken müssen als man selbst.
Das ist in den Merkel-Grokos leicht, da man nur das Gejammere der CDU darüber, daß „reine SPD-Politik umgesetzt“ würde, aufschreiben muss.
Insbesondere in der Groko Merkel II von 2013 bis 2017 stöhnten Unionsparlamentarier, da die SPD-Minister in Windeseile ihre Projekte durchsetzten, während die CDU-Ressorts kaum wahrnehmbar waren. „Die Sozialdemokratisierung der CDU“ wurde zum Kampfbegriff, der gegen Merkel verwendet wurde.
Wieso schlachtete das WBH das nicht als ihren Erfolg aus?
In der gegenwärtigen Groko ist das relative Ungleichgewicht sogar noch günstiger für die SPD, weil die Sozen die deutlich wichtigeren Ressorts besetzen (die CDU hat sich immer noch nicht von dem Schock erholt das mächtige Finanzressort gegen das schwache Wirtschaftsministerium getauscht zu haben) und zudem auch die Unionsministerien personell extrem schwach sind.
Klöckner, Seehofer, von der Leyen, Karliczek und Altmaier sind allesamt Totalausfälle. Spahn ist außerordentlich umtriebig, aber auch ebenso unbeliebt. Das Netteste, das man über Kanzleramtsminister Braun sagen kann, ist daß er vollkommen unbekannt ist.
Die sechs Sozen arbeiten devot ihre Projekte ab und hoffen still und leise, man möge sie irgendwann dafür mögen.
Bis auf Frau Schulze haben sich alle SPD-Minister als Stützen des Kabinetts gezeigt.
Das WBH muss nicht nur mit dem Pfund wuchern, sondern sollte dringend damit anfangen angesichts der dramatischen demoskopischen Lage Klöckner, Spahn, Seehofer, von der Leyen, Karliczek und Altmaier unter Feuer zu nehmen.
Es wäre ja schön, wenn geräuschlose, funktionierende Regierungsarbeit honoriert würde. Das ist aber nicht so; daher muss der SPD-General kontinuierlich auf CDU und CSU schießen, um auch dem letzten potentiellen Wähler einzuhämmern, daß CDU/CSU und SPD eben nicht „irgendwie das Gleiche“ sind, wie es Rezo so primitiv vereinfachend darstellte.

Erinnert sich noch jemand wie während der Schröder/Fischer-Regierung (1998-2005) wegen der Verpackungsverordnung und des Trittinschen Dosenpfands gegen die SPD gehetzt wurde?

2004 waren 33,7% der Verpackungen Einweg und 66,3% Mehrweg.
Dann kam Merkel.

2016 wurden in Deutschland 34 Plastikkaffeebecher pro Person verbraucht. 2,8 Milliarden Wegwerfplastikbecher plus 1,3 Milliarden zusätzlicher Kunststoffdeckel. Insgesamt 28.000 Tonnen Plastikgetränkeverpackungen.

Unter CDU-Ägide drehte die Bundesrepublik das Rad zurück. Im Lichte der Meeresvermüllung und Klimakatastrophe wurde Deutschland schlimmer als je zuvor.
Das sind knackige Zahlen, für die man sich in Grund und Boden schämen sollte.
Umweltministerin Schulze sollte nicht mit Starbucksfilialen sprechen, sondern ein radikales Gesetz einbringen, während das WBH ununterbrochen die Lobbyisten-hörigen Klöckner und Altmaier und attackiert und jedem einzelnen Wähler klar macht, welche Folgen die CDU-Politik hat.

Ein weiteres Beispiel, das für das Megathema Klima besonders relevant ist: Der Benzinverbrauch.
Schon vor dem Antritt der Schröder-Regierung gab es dazu auf rotgrüner Seite drastische Vorschläge („Fünf Mark der Liter Benzin“); Umweltminister Trittin machte gewaltigen Druck und setzte auf Betreiben Gerd Schröders die ökologische Steuerreform durch, um hohen Energhieverbrauch zu sanktionieren.
Genau der richtige Ansatz. Genauso hätten wir heute auch die deutschen Klimaziele erreicht.
Soweit kam es aber nicht, weil die Deutschen schon nach wenigen Monaten Rotgrün im Januar 1999 den Bundesrat wieder auf Schwarzgelb drehten und Merkel jedes zustimmungspflichtige Gesetz blockierte. Wir reißen alle Klimaziele, weil seit 2005 die CDU im Kanzleramt sitzt.
Man kann das sehr eindrucksvoll belegen – sogar auf Video, so daß es auch Rezo verstehen müsste.

[…..]  Das für die Union peinlichste Social-Media-Video der vergangenen Woche ist nur 37 Sekunden lang. Es handelt vom Thema Klimaschutz.
Es geht darin um die Frage, ob in Deutschland endlich eine CO2-Steuer eingeführt wird. Der Umweltsachverständigenrat hat eine vorgeschlagen, damit das Land seine Klimaschutzziele erreicht. Angela Merkel will keine. Sie wird mit den Worten zitiert, sie sei zuversichtlich, dass die Automobilindustrie demnächst das "Drei-Liter-Auto" auf den Markt bringen werde. Die Firmen wüssten ja, "dass ansonsten härtere Maßnahmen auf sie zukämen".
Der Clip stammt aus der "Tagesschau" vom 2. April 1998. Jetzt kursiert er auf Twitter, als Zeugnis eines historischen Irrwegs.
Merkel war damals Bundesumweltministerin. Drei-Liter-Auto kam exakt eins, aber das wollte kaum jemand haben. Warum auch, der Sprit war ja weiterhin schön billig. Bis heute hat sich folgerichtig eher das Modell Vorstadtpanzer durchgesetzt auf Deutschlands Straßen. Als bereiteten sich all die Pendler unbewusst schon mal auf eine postapokalyptische "Mad Max"-Zukunft vor, aber bitte mit allen Annehmlichkeiten, die die Extraliste so hergibt.
Am 6. Mai 2019, gut 21 Jahre nach dem zitierten "Tagesschau"-Bericht, twitterte Nico Lange, Vertrauter und Chefstratege der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, zum Thema #CO2Steuer: "Wir wollen nicht vorschnell zu einem scheinbar einfachen Mittel greifen."
"Vorschnell". "Scheinbar". Langes Tweet ist nur eines von zahllosen Beispielen, in denen Unionspolitiker jetzt, im Jahr 2019, so tun, als sei das Thema Klimawandel gerade erst aufgetaucht. Als sei jetzt erst mal in Ruhe zu überlegen, was da zu tun sei. […..]

Hallo Nahles und Klingbeil, Ihr Schlafmützen! Wieso ist das Video nicht im Europawahlkampf in Endlosschleife gelaufen?

Mai 2019

Wieso wird nicht täglich auf die Quandtschen Großspenden an die CDU verwiesen, die engsten Merkel-Mitarbeiter, die nun wie von Klaeden Autolobbyisten sind?
Wieso prangert die SPD nicht jeden Tag Matthias Wissmann, CDU-Großzampano und Minister im Kabinett Kohl/Merkel, der jetzt Europas mächtigster Agitator gegen die Drosselung von klimaschädlichen Gasen ist?

(….) Gut möglich, daß sich die international inzwischen technisch abgehängte deutsche Autoindustrie nicht mehr erholt.

Möglich wurde das durch eine beispiellose Verflechtung von Merkel-Regierung und PKW-Lobby.

Matthias Wissmann, CDU, Bundesverkehrsminister 1993-1998 und Kabinettskollege Merkels wurde 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie.
Eckart van Klaeden, CDU, Merkels Kanzleramts-Staatsminister von 2009-2013 wurde nachdem er zu Gunsten Daimlers und BMWs in Brüssel gegen CO2-Abgaben intervenierte, sofort 2013 als Daimler-Cheflobbyist eingestellt.
Thomas Steg, SPD-Berater, 2002-2009 Merkels Vizeregierungssprecher dient seit 2012 als VW-Cheflobbyist.
Martin Jäger, Staatssekretär bei CDU-Vizeministerpräsident, CDU-Vizebundesvorsitzender und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl, wurde nach Stationen im Bundeskanzleramt und Außenministerium von 2008 – 2013: Daimler AG/Mercedes Benz, Leiter „Global External Affairs and Public Policy”, wechselte 2014 – 2016 Bundesministerium der Finanzen, Leiter des Leitungsstabs und Sprecher Schäubles.
Michael Jansen, CDU, 2006-2009 Merkels Büroleiter im Konrad-Adenauer-Haus, fungiert seit 2015 als Chef der Berliner VW-Vertretung.
Maximilian Schröberl, CSU, 1992-1998 Pressesprecher der Christsozialen amtiert seit 2006 als BMW-Cheflobbyist.
Joachim Koschnicke, CDU, 2005-2011 Planungschef der CDU, arbeitete von 2013-2017 als Politik-Vizepräsident bei Opel, wurde aber soeben von Merkel als CDU-Wahlkampfmanager zurückgeholt. (…..)

Vom Willy-Brandt-Haus erwarte ich, daß solche Fakten dem Volk eingehämmert werden. Die klimaschädliche Politik Deutschlands ist umso erbärmlicher, weil wir vor 20 Jahren unter einer SPD-Kanzlerschaft schon mal viel weiter waren.
Die Wähler – und da insbesondere die apathischen Nichtwähler aus Rezos Generation – haben aber dafür gesorgt, daß die CDU ins Kanzleramt kam.

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