Dienstag, 25. September 2018

Wir stecken fest


Die Analyse des Ist-Zustands dieser Regierung exakt ein Jahr nach der Bundestagswahl 2017 ist leicht. Sacharbeit, Koalitionsvertrag sauber umsetzen, fleißige Minister – all das reicht eben keineswegs, weil die Stimmung unfassbar mies ist. Dank der drei Parteichefs.

[….] Horst Seehofer ist außer Rand und Band. Angela Merkel guckt nur noch zu. Und Andrea Nahles ist schlicht überfordert. Sie hat erst einen Fehler gemacht - und als sie ihn korrigieren wollte, noch einen. Es reicht jetzt. Diese Regierung ist am Ende. Sie sollte abtreten. [….]

Soweit der entrüstete SPIEGEL-Kolumnist, der meinen Einwand von der zu erwartenden enorm gestärkten AfD vom Tisch wischt.

[….] Also Neuwahlen! Aber der Ruf nach Neuwahlen wird heute mit der Warnung vor der AfD beantwortet. Es heißt, die Partei werde durch Wahlen nur noch stärker. Das ist das traurigste Argument von allen - und das dümmste. Im Jahr 2013 erreichte die AfD 4,7 Prozent und die SPD 25,7. Heute liegt die AfD in Umfragen bei 18 Prozent und die SPD bei 17. Damit wäre die AfD die zweitstärkste deutsche Partei. Wenn die AfD so stark werden konnte, sollte das sogenannte Establishment über die Gründe nachdenken - und nicht einfach weitermachen wie bisher. […..]

Ein trauriges Argument fürwahr, aber nicht dumm, sondern bittere Realität!

In dieser absurden Situation, daß sich ausgerechnet die FDP als Totalverweigerin inszeniert und die Fraktionsvorsitzende der Linken sich persönlich daran macht die Linke zu zerschlagen und aufzuspalten, kann eine völlig inhaltslose AfD, die sich darauf beschränkt xenophobe Stimmungen anzuheizen tatsächlich entspannt zurückgelehnt beobachten, wie Union, SPD und Linke Wahlkampf für sie machen.
Die Nazis sind im Osten bereits Volkspartei.
Man mag sich gar nicht vorstellen wie Thüringer oder Sachsen wählen würden, wenn es dem Land ökonomisch nicht so ausgesprochen glänzend ginge wie jetzt.

[….]  Es lagern keine Migranten in Zelten auf den Straßen wie in Paris, im Kabinett sitzen keine Rechten wie in Italien und das politische Personal ist nicht so planlos wie in London. Wer durch eine deutsche Innenstadt flaniert, muss fürchten, von panischen Arbeitgebern auf der Suche nach Mitarbeitern belästigt zu werden. Sämtliche Plagen der letzten Dekaden, noch meiner Studienjahre sind verschwunden: Niemand fürchtet die Machtübernahme durch die Roten, die Energie wird uns nicht ausgehen, die Arbeitslosigkeit ist gering, viele Krankheiten sind besser zu behandeln und die Gesellschaft ist offener. Jede und jeder können eigentlich treiben, was sie wollen. Und auch die Zahlen sind exzellent. [….]

Es sind die handelnden Personen an der Spitze, die den Frust verursachen.
Heute zeigte sich das deutlicher denn je, als die Unionsfraktion im Bundestag, die normalerweise als devoter Kanzlerwahl fungiert, dem CSU-Chef, der CDU-Chefin und dem CSU-Landesgruppenchef, indem sie Volker Kauder, den großen Hecker&Koch-Waffenlobbyisten und Merkel-Intimus den Mittelfinger zeigte.
Gegen den ausdrücklichen Willen Seehofers und Merkels ist nun also Ralph Brinkhaus, der biedere katholische Steuerberater aus Ostwestfalen neuer starker Mann der CDU/CSU.
Spätestens jetzt wird auch Frau Merkel einsehen, daß es eine verdammt schlechte Idee war 2017 zum vierten mal als Kanzlerkandidatin anzutreten.
Auch sie, die angeblich so nüchterne Analytikerin erlag dem Fehlschluss so vieler Mächtiger, daß sie sich ein Zukunft ohne sich selbst gar nicht mehr vorstellen konnte.
Natürlich könnte Deutschland auch mit einem anderen Kanzler weiterexistieren, aber nach 12 Jahren als Kanzlerin verwuchsen offenbar in Merkels Vorstellung Amt und Person. Sie hielt sich für unersetzbar und muss nun genau das erleben, was die über viele Jahre so unumstritten herrschenden Kohl, Stoiber, Seehofer erlebten: Völlige Erosion der eigenen Autorität.

Allein, diese Erkenntnis nützt ihr heute auch nichts mehr. An wen sollte sie übergeben?
Und welche Partei könnte die Groko platzen lassen, ohne durch den destruktiven Akt erhebliche Nachteile bei Neuwahlen zu verursachen?
Und mit welcher Perspektive sollten neue Wahlkämpfer für sich werben, wenn alle Umfragen ohnehin nur das hergeben, was schon 2017 zur Auswahl stand: Ampel oder Groko. Bestenfalls. Es könnte auch angesichts einer 20%-AfD zur totalen Blockade kommen.
Ich bestreite ausdrücklich, was so viele Kolumnisten heute schreiben: Die Bürger hätten genug von der Groko.
Es wird dabei immer noch fahrlässig geringgeschätzt, daß diese Groko durchaus arbeitet und dabei auch geschätzt wird.
Diese Nase voll hat man hingegen von den Führungs-Flitzpiepen Nahles, Merkel, Seehofer, Dobrindt, Schäuble. Es müssen unbedingt einige dieser seit vielen Jahrzehnten in der ersten Reihe sitzenden Apparatschiks abtreten. Selbst wenn sie etwas völlig richtig machen, nützt es ihnen nichts mehr, weil sie nur noch negativ konnotiert werden. Man muss nur den Namen „Nahles“ erwähnen und schon winken die Menschen entnervt ab.
Das ist partiell ungerecht, weil sie gar keine Chance hat es besser zu machen. Aber es ist auch nicht zu ändern. Ein politisches Reset gibt es nicht durch das Platzenlassen dieser Groko, sondern durch tabula rasa der Führungsebene.

[….] Merkel, Nahles und Scholz finden keine Sprache und keinen Sound, der noch zu vernehmen wäre.
[….] Per Umfrage werden Probleme erkannt, die Schritt für Schritt gelöst werden. Aber das ist für ein großes Land zu wenig. Die am besten ausgebildete, gesündeste und fitteste Bevölkerung, die Deutschland je bewohnte, wird zugleich über- und unterfordert. Einerseits sind die Lasten ungleich verteilt: Deutsche Einheit, Agenda 2010 und die Bankenrettung wurden zum großen Teil von Löhnen und Gehältern bezahlt. Die Wirtschaft gedeiht, aber viele Arbeiter und Angestellten müssen rechnen, um über die Runden zu kommen. Die Löhne sind zwar etwas angestiegen, aber die Kosten umso mehr. In der kühlen Welt der Spiegelstrichaufzählungen sind die Deutschen wohlhabend und sicher, aber sie fühlen sich nicht so. [….]  Längst ist klar, dass der Krieg gegen Drogen verloren ist, aber Justiz, Polizei und Verbraucher werden wegen dieser irren Ideologie unnötig belastet. Die großen Digitalunternehmen bedrohen gleich doppelt unsere offene Gesellschaft: Einerseits, indem sie ein egoistisches Menschenbild nutzen und extremen politischen Stimmen unkontrolliert Einflussmöglichkeiten bieten und andererseits, in dem ihre immensen Gewinne von der Steuer verschont bleiben. Diese Macht zu zivilisieren braucht eben eine andere politische Anstrengung als den Fleiß schrittweiser Verbesserung kleiner Sorgen.
[….] Die Sprache der GroKo ist hermetisch und unfreiwillig komisch geworden. Bei aller Kompetenz gelingt es ihnen nicht mehr, die offensichtlichen persönlichen Konflikte in ihrem Kreis zu benennen oder gar zu lösen. [….]

Ich sehe angesichts der gegenwärtigen Umfragen nur zwei Möglichkeiten:

1.) CDU, CSU und SPD tauschen radikal das Führungspersonal aus, schmeißen möglichst jeden, der länger als zehn Jahre im Bundestag sitzt aus der Regierung und regieren mit ganz neuen Gesichtern weiter.
2.) CDU, CSU und SPD stellen gemeinsam fest, daß sie nicht miteinander regieren wollen, lassen ein konstruktives Misstrauensvotum scheitern und bitten Steinmeier Neuwahlen einzuleiten, bei denen dann aber keiner der Spitzenkandidaten von 2017 mehr antritt. Dann müssen Maas, Spahn, Habeck, Kipping und Nicht-Lindner für ganz andere Koalitionen werben und aufgrund ihrer Frische auf volatilere Umfragen hoffen.

1 Kommentar:

  1. So läuft das nun mal in einer parlamentarischen Demokratie. Wer in die Politik geht und genug Ehrgeiz hat, braucht ein großes Ego und ein biegsames Rückgrat, um am Ende einen Posten ganz oben zu ergattern. Ist das gelungen, wäre das Ego verletzt, wenn es auf seinen Status verzichten müsste. Immerhin steht man nicht nur finanziell auf der Sonnenseite des Lebens; man erhält auch viel Anerkennung und genießt seine Bekanntheit. Warum sollte man das aufgeben? So wird am Ende jeder Mächtige weggebissen. Danach gehen die Verteilungskämpfe los.

    Die Grünen haben das genauso getan. Man hat die Spitzen in aller Ruhe ausgetauscht. Da war aber auch niemand in einer echten Machtposition. Bei den anderen Parteien wäre das nach dem Wahldebakel auch möglich gewesen. Nur gab es da noch keine in Position gebrachte Nachfolger.

    Das ist jetzt anders. AKK steht bei der CDU auf der Matte und Scholz bei der SPD. Eine Veränderung ist da natürlich nicht zu erwarten. Es sind die alten Köpfe, die weichgeschliffen und poliert eben den Murks der Vorgänger fortsetzen. Echte Chancen auf Veränderungen könnte es nur geben, wenn die Basis rebelliert. Aber davon sind beide ehemaligen Volksparteien weit entfernt. Die CDU rebelliert nie, da wird stets geputscht. Und die SPD ist zu zerstritten und nervös, um eine Revolte durchzuziehen. Möglich wäre es, wenn Scholz die Linke erneit verprellt und damit einen Konflikt provoziert. Aber dafür ist der zu abgebrüht. Nein, einen Wandel werden wir nicht erleben.

    Wir erleben stattdessen die weitere Abwanderung der Wähler nach Rechts und Grün. Bald werden sie dann wieder deportieren und Minderheiten kriminalisieren. Wieder werden die Deutschen in der Masse zwar nicht mitmachen, aber auch nicht gegen den Spuk aufstehen. Warum auch sollen sie das ausbaden? Wer ist den Schuld an der Misere? Wer?

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