Freitag, 4. Mai 2018

Es wird immer schlimmer

John Ronald Reuel Tolkien, 1892-1973, begann vor knapp einhundert Jahren seinen Kindern Geschichten aus „Mittelerde“ zu erzählen.
Bekanntlich wurde daraus eine der erfolgreichsten Romanreihen aller Zeiten.
Ich las mit 14 Jahren das erste Mal das ganze Tolkien-Werk am Stück durch und war – wie so viele – total in den Bann dieser Welt gezogen. Mich begeisterte der abenteuerliche Plot, während ich die vielen Gedichte, Balladen und Lieder zunächst ignorierte. Für den teilweise extremen Rassismus Tolkiens fehlten mir damals noch die Antennen.
Ich las den „Herrn der Ringe“ noch viele Male und verlagerte dabei mein Interesse kontinuierlich in den sprachlichen und lyrischen Bereich; verglich Übersetzungen, sah ins Original und lernte sogar Passagen einiger Balladen auswendig.
Emotional faszinierte mich am meisten das „Weitblicken“ der hochgestellten Persönlichkeiten, der Reinrassigen, Uralten und Adeligen, der Mächtigen.
Sie richteten ihren Blick auf weit entfernte Ländereien, schauten anderen Lebewesen tief ins Herz. Sie konnten auf geheimnisvolle Weise konzentriert auf Geschehnisse in 1000 Meilen Entfernung sehen und ohne ihre Paläste zu verlassen die Welt erkennen und analysieren.
Auch das Böse schlechthin, Sauron, konnte das. Sein Symbol war nicht von ungefähr ein lidloses feuriges Auge.
Die hohen Herren verwendeten übrigens auch Hilfsmittel, die Palantiri.

 [….] Die Palantíri wurden im Zeitalter der Bäume von Feanor geschaffen und ermöglichten es, über größere Entfernungen miteinander zu kommunizieren. Elendil brachte sieben dieser Steine mit nach Mittelerde. Der Meisterstein, der alle Steine sehen konnte, befand sich im Turm von Avallóne auf der Insel Tol Eressea. So hielten die unsterblichen Lande Kontakt mit Mittelerde. Nur einer der Steine in Mittelerde, der im Elostirion auf den Turmbergen, war nach Westen gerichtet und hielt dadurch den Kontakt mit den Elben. [….] Die Palantíri waren vollkommene Kugeln, die im Ruhezustand von tiefschwarzer Farbe waren und so aussahen als bestünden sie aus massivem Glas oder Kristall. Die kleinsten hatten einen Durchmesser von etwa einem Fuß (~30cm), doch einige, vor allem die Steine von Osgiliath und Amon Sûl, waren viel größer und konnten von einem Mann allein nicht mehr hoch gehoben werden. [….][….]Kundige "Geister" konnten auch bestimmte Bereiche im Stein durch Konzentration ausblenden oder vergrößern, sodass z. B. zu erkennen war, ob ein Mensch einen Ring an der Hand trug. Diese Konzentration war aber sehr ermüdend und führte oft zur Erschöpfung, sodass sie nur selten verwendet wurde, wenn Informationen dringend benötigt wurden. [….] [….]

Durchaus faszinierend, daß ein Autor in den 1920er Jahren Sattelitenkommunikation und Smartphones in seine Romane einbaute.

Als Teeni stellte ich mir vor wie es wäre mit so einem durch meinen Willen gesteuerten Palantir den Dingen überall in der Welt auf den Grund zu sehen.
Nie hätte ich mir träumen lassen eines Tages etwas Vergleichbares – nämlich Laptop und Internet auf dem Schreibtisch stehen zu haben und damit tatsächlich meinen Blick nach meinem Belieben in die Welt richten zu können.

Tatsächlich ist es erschöpfend und tatsächlich richtet man den Blick wie von einer bösen Sauron-Macht manipuliert immer wieder auf dieselben grauenhaften Vorgänge:
Trump, die katholische Kirche, die CSU, die die AfD kopiert. Auf die Bundesregierung, in das Willy-Brandt-Haus. Nach Syrien, nach Osteuropa.
Und man wird wie einst Herr Peregrin Tuk anschließend von schweren Kopfschmerzen geplagt, fällt in Ohnmacht.

Wenn man es aber mal schafft auch in eine andere Ecke der Welt zu sehen, stellt man fest, daß es auch dort von Vollidioten wimmelt, daß die Bürger mit sicherem Griff ins Klo die schlimmstmöglichen Regierungen zusammenwählen und ihre Regierungschefs ganz gewaltige Peinlichkeiten sind.

Beispiel England. In den letzten Wochen hatte ich durch meine Fixierung auf Berlin und Washington fast schon vergessen wie unfassbar unfähig Theresa May durch ihre Regierungszeit debakuliert.

Gewählt dafür Großbritanniens Niedergang durch den EU-Austritt zu besiegeln, hatte May geschlagene anderthalb Jahre nur tumb verkündet „Brexit ist Brexit“, statt auch nur die geringste Idee zu entwickeln, wie sie das eigentlich bewältigen will.

Die Briten sind wirklich in besonderer Weise geschlagen mit ihrer Regierung.

Inzwischen verkündete May, sie wolle sich eben doch die Rosinen herauspicken – also England alle Vorteile der EU zukünftig auskosten lassen, ohne jedoch irgendwas zu bezahlen oder Lasten zu übernehmen. Ein Land glaubt 27 Ländern Vorschriften machen zu können.
Vollkommen irre, die Frau.

[….] Peinlicher geht es kaum für May
In fünf Monaten sollen die Verhandlungen um den Brexit abgeschlossen sein, in etwa 330 Tagen will Großbritannien die EU verlassen. Doch der Vorschlag der Premierministerin, wie das gehen könnte, wird als "Desaster" bezeichnet - von der eigenen Partei.
[….] Michel Barnier, der Chef-Unterhändler der EU, hatte den Vorschlag, mit dem Theresa May in ihre jüngste Kabinettssitzung ging, zwar sowieso schon für unbrauchbar erklärt. Aber es war der einzige, den sie hatte; also klammerte sie sich bis zuletzt daran. Nun hat sie gar keinen mehr.
Denn eine Mehrheit ihrer Minister hat den ziemlich komplizierten Plan einer "Zollpartnerschaft" abgelehnt, mit dem die Briten künftig für die EU Importzölle einsammeln und diese an Brüssel weiterleiten wollten. Sie haben der Premierministerin gesagt, sie solle erst wiederkommen, wenn sie eine bessere Idee habe. Worte wie "Desaster" und "kretinös" sollen gefallen sein. Alle Varianten, mit denen Grenzanlagen in Irland vermieden werden können, sind jetzt zur Überarbeitung an die Fachleute zurückverwiesen worden. Peinlicher geht es kaum.
Es war der letzte von einem Dutzend Rückschlägen, die May in den vergangenen Wochen erfahren hat. Die Frage, wann sie zurücktritt, steht wieder im Raum. Schlimmer noch: Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum und ein Jahr nach Beginn der Austrittsverhandlungen gibt es keinen klaren Plan, wie die Handelsbeziehungen mit der EU aussehen sollen. Oder, womit Zollunion und Binnenmarkt ersetzt werden könnten. [….] Damit bleibt die Irland-Frage weiter ungelöst. Und die Briten staunen einmal mehr darüber, dass ihre Regierung noch immer konzeptionslos und zerstritten in einen Brexit stolpert, dessen Ausformung und Ausführung nach wie vor in den Sternen stehen. […..]

PS:
Ich bin übrigens stolz nie einen Tolkien-Film gesehen zu haben und meine „Herr-der-Ringe“-Kenntnis allein auf meiner eigenen Lektüre und nicht irgendwelchen Hollywood-Kitschbildern basiert.

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