Mittwoch, 8. November 2017

Ganz kleine Hoffnung


Erinnert sich noch jemand an die nette Hamburger Pop-Rock-Band Jeremy Days aus den 1980ern?
Der Deutschamerikaner Dirk Darmstädter, der später das Hamburger Label „Tapete Records“ gründete, versuchte es nach dem Ende der Jeremy Days noch beispielsweise unter dem Namen „Me and Cassity“, aber der kommerzielle Erfolg stellte sich nie ein. Schade, ich habe die damals öfter live gesehen und eigentlich waren alle Zutaten für eine Karriere da. (Vielleicht war es auch nur Solidarität für gleichaltrige Hamburger Deutschamerikaner, daß ich die Jungs ganz gern hörte damals.)
Aber außer „Brand New Toy“ und „Julie Thru The Blinds“ von 1989 hatten sie nie einen Hit.
Mein Lieblingssong von dem Album ist natürlich „Virginia.“


Immer wenn auf CNN der Staat Virginia genannt wird, muss ich an die Textzeilen des Darmstädter-Songs denken.

[….] I see you while you're sleeping
Drum my fingers
To the beat she's keeping
The soft parade, flowing
Drugged and tired
Thru that open door, yeah
Out of slavery
Out from the pouring rain [….]

Darmstädter lebte als Kind in New Jersey, was ja nur ein kleines Stückchen nördlich von Virginia liegt; also kennt er den Staat vermutlich ganz gut.

Was für eine Einleitung.
Virginia, auch Mother of the Presidents genannt, gilt als unerschöpfliche Politikerquelle der USA. Der überwiegend weiße Staat gehörte im amerikanischen Bürgerkrieg zur Konföderation und blieb seit der Niederlage meist konservativ. Der „red state“ stimmte bei den Präsidentschaftswahlen seit 70 Jahren nur viermal demokratisch, jeweils ganz knapp für Lyndon B. Johnson (1964), Barack Obama (2008, 2012) und Hillary Clinton (2016), mutmaßlich weil ihr VP Tim Kaine  2006–2010 Gouverneur von Virginia war.

In Virginia bekam Trump gestern ein Arschvoll. Sein ihn imitierender Gouverneurskandidat unterlag überraschend deutlich dem Demokraten.
Neben der Wiederwahl des NYer Bürgermeisters de Blasio und dem erwarteten Durchmarsch in New Jersey war es nach langer Zeit mal ein fröhlicher Abend für die immer noch in Schockstarre verharrende Partei Hillary Clintons.

[….] Auch den Bundesstaat Virginia hatte Hillary Clinton vor einem Jahr gewonnen, dennoch war hier die trumpistische Versuchung besonders groß.
Die drei Siege verschaffen gleichwohl eine gewisse Erleichterung, weil die Wähler nicht nur über Verkehrsstaus und lokale Steuern abgestimmt haben, sondern auch über einen politischen Stil. In New Jersey, traditionell ein eher liberaler Staat, war der Demokrat Phil Murphy explizit mit einer weltoffenen und immigrationsfreundlichen Agenda angetreten. Sein Sieg stand nie wirklich in Frage, weil der Wählerzorn auf seinen republikanischen Vorgänger Chris Christie überwältigend war. In Virginia wurde der Republikaner Ed Gillespie dafür bestraft, dass er als billige Trump-Kopie mit rassistischen Vorurteilen spielte. Der neue Gouverneur Ralph Northam zementiert nun eine demokratische Wende in einer einstmals republikanischen Bastion. Wer will, kann die Bundestaats-Wahlen also auch als Votum gegen den Präsidenten werten. […..]

Endlich.
Natürlich hängen viele Journalisten die GOP-Klatsche niedriger, weil es sich ganz klar um regionale Entscheidungen handelte.
Aber immerhin, der kontinuierliche Trump-Durchmarsch ist gestoppt.

Mit 54 zu 45% setzte sich Demokrat Northam sogar deutlich gegen den Republikaner durch.

„Mr. Northam was propelled by liberal and moderate voters who were eager to send a message to President Trump in a state that rejected him in 2016 and where he is deeply unpopular.”

Ein bundespolitischer Einfluss ist nicht zu bestreiten.

[….] Outgoing Virginia Democratic Gov. Terry McAuliffe, a former DNC Chair himself, said the race would bring donors, candidates, and activists off the bench and re-energize the party at a time when it needed it most.
"Everyone was looking to Virginia and boy, this was not a lift, this was a jet takeoff," he told reporters.
Half of Virginia voters said Trump was a factor in their vote, and those who did said they oppose the president by a 2-to-1 margin, according to exit polls. In addition, turnout was way up over McAulliffe's election in 2013, showing enthusiasm among party voters.
"The strength of 'The Resistance' is at tidal wave proportions," said Adam Green, the co-founder of the Progressive Change Campaign Committee. [….]

Der radikale Rassismus, Schwulenhass und die Xenophobie sind keine Wahlerfolgsgaratie, wie auch die Klatsche für Bob Marshall zeigt.
Der 73-Jährige selbst ernannte oberste Schwulenhasser - has called himself the state’s “chief homophobe” – und vermutlich tatsächlich the most anti-LGBTQ politician in America saß seit 23 Jahren im Parlament und wurde nun ausgerechnet von einer transsexuellen Demokratin mit 12 Prozent Abstand geschlagen.

[…..]  Danica Roem sitzt künftig für die Demokraten im ­Parlament von Virginia. Ihr Gegner, der Republikaner Bob Marshall, hatte sich als "oberster Schwulenhasser" bezeichnet. […..]  Erstmals in der Geschichte der USA ist eine offen als Transgender lebende Person in das Parlament eines Bundesstaats gewählt worden. Die Demokratin und Transfrau Danica Roem besiegte in der Wahl für das Abgeordnetenhaus von Virginia den republikanischen Amtsinhaber Bob Marshall.   Marshall war seit 1992 Abgeordneter in Virginia und galt als einer der konservativsten Vertreter seiner Partei in dem US-Bundesstaat. Unter anderem hatte er ein Gesetz angeschoben, um Transgendern die freie Wahl zu nehmen, ob sie nun öffentliche Herren- oder Damentoiletten benutzen. Auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe hatte er sich stark gemacht.
Die Lobbygruppe Gay & Lesbian Victory Fund lobte die Entscheidung der Wähler, "eine kluge, lösungsorientierte Trans-Führerin einem spaltenden Anti-LGBT-Demagogen" vorgezogen zu haben. Dies sei eine "starke Botschaft an Anti-Trans-Gesetzgeber im ganzen Land". Marshall hatte sich selbst vor einiger Zeit als Virginias "obersten Schwulenhasser" bezeichnet. [….]
(ZEIT online, 08.11.17)

Vielleicht wachsen die Bannonschen Hassbäume doch nicht in den Himmel.

Vielleicht können die noch viel konservativeren Extrem-Trumper, die jetzt ohnehin schon konservativen Politiker wie Corker und Flake ersetzen, sich doch nicht gegen die Demokraten durchsetzen.
Möglich ist auch, daß die jetzigen republikanischen Amtsinhaber so sehr um ihre Wiederwahlchancen fürchten, daß doch noch einige wagen gegen Trump aufzumucken.

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