In den
1990ern wurde Deutschland unter der Kohl-Merkel-Regierung als „Europas kranker
Mann“ angesehen, weil die Bundesrepublik in der Tat durchreguliert war und hohe Steuern verlangte, ohne daß der Staat als mutiger und strategischer
Investor agierte.
Das
inzwischen extrem negativ konnotierte Wort „neoliberal“ klang damals noch
verheißend. Wäre es nicht toll, wenn man auch einen Telefonapparat privat
kaufen könnte, statt gezwungen zu sein wie in der DDR das Einheitsmodel von der
Deutschen Post zu nehmen?
Meine Tante, damals Mitte 80, brachte zu der Zeit mal ein flaches schwarzes Telefon aus Amerika mit. Illegal!
Meine Tante, damals Mitte 80, brachte zu der Zeit mal ein flaches schwarzes Telefon aus Amerika mit. Illegal!
Sie
besorgte sich kleine Schraubenzieher und schaffte es das Gerät allein zu Hause
anzuschließen. Ein eigenes privates Telefon! Das führte zu allgemeiner
Besorgnis, da man gar nicht an den Post-eigenen Dosen rumschrauben durfte.
Was
würde passieren, wenn einer das illegale Telefon entdeckt? Schaltet die
Post dann den Telefonanschluss endgültig ab?
In Deutschland
wurde kaum noch investiert, immer weniger Patente angemeldet.
Unternehmen
wie Microsoft könnten gar nicht in Deutschland entstehen, weil man nie eine
Genehmigung bekommen würde in einer Garage zu arbeiten – so stand es damals in
jedem zweiten Zeitungsartikel.
Wenn die
Unternehmer aber keine Gewinne mehr machen und zudem jede Investition vom Staat
durch einen Wust von Verboten und behördlichen Vorgaben zunichte gemacht wird,
muss es ja wirtschaftlich bergab gehen.
Das
leuchtete auch Sozialdemokraten ein; und zwar nicht nur Schröder und Blair beim
Papiere-Verfassen.
Die USA
wirkten ökonomisch wie ein Freiheitsparadies. Da konnte man noch nach 18.00 Uhr
seine Milch kaufen gehen und sich aussuchen von wem man Strom und Telefon
beziehen will.
Reaganomics
und Thatcherismus galten als überfälliger Schritt. Allerdings würde man unter
der Führung von Labour (Blair) oder SPD (Schröder) nicht den manischen Hass auf
Gewerkschaften ausleben und die Sozialsysteme erhalten; sogar stärken.
Die
deutsche Antwort war in Gestalt der Agenda 2010 daher auch keine primitive
Steuersenkung bei den Superreichen bei gleichzeitigen radikalen Einschnitten
aller staatlichen Ausgaben.
Daß in
den USA und England unter radikal neoliberaler Wirtschaftspolitik das Bildungssystem
geschwächt und die gesamte Infrastruktur des Landes marodierte, wußten Schröder
und die Seinen.
Es kam
für sie nie in Frage auch in Deutschland Armut an fehlenden Zähnen erkennbar zu
machen, Millionen Menschen hungern zu lassen, Massenobdachlosigkeit zu
generieren. Allgemeine Krankenversicherung und eine finanzielle
Grundversorgungen standen nie zur Debatte; im Gegenteil, Schröders Bestreben
galt dem Erhalt deutscher Errungenschaften wie der Arbeitnehmer-Mitbestimmung,
kostenloser Schulen und Sozialleistungen.
Die
radikale Form des Neoliberalismus – alles erlauben; den Unternehmen überhaupt
keine Grenzen setzen, Umweltschutzaspekte ignorieren und gewaltige
Steuersenkungen – war unter dem Namen „Trickle Down“ umgesetzt worden. Ohne
Sozialleistungen würden die Ärmsten gezwungen zu arbeiten um selbst für sich
zu sorgen. Die reichsten Unternehmen würden mit ihren gewaltigen Gewinnen
wieder investieren und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze generieren. Der
Erfolg der Erfolgreichsten würde kontinuierlich nach unten durchsickern. Wenn sich
der Bewohner eines Eine-Million-Dollar-Penthouses mit fünf Zimmer eine
zehn-Millionen-Villa mit neun Schlafzimmern und Pool bauen lässt, gibt er
vielen Handwerkern Arbeit. In sein freiwerdendes Fünf-Zimmer-Penthouse könnte
dann ein Bauunternehmer ziehen, der vorher in einer halb so großen
Dreizimmer-Wohnung lebte. Und dessen Wohnung stünde dann für den vor
arbeitslosen Bauarbeiter zur Verfügung, der zuvor noch bei seiner Mama lebte.
Eine
schöne Theorie.
Eine
Theorie, die leider von der Praxis widerlegt wurde.
(….)
Daß Trickle Down nicht funktioniert wurde seit Jahrzehnten eindrucksvoll
bewiesen.
Gegenwärtig
haben Unternehmen sogar ein diametral entgegengesetztes Problem.
Sie
haben derartig viele Gewinne, die sie dank freundlicher Steuergesetze und Steueroasen
auch nicht schmälern müssen, daß sie diese schon verzweifelt in Billionenhöhe
parken müssen, weil sie keine Ahnung haben was sie damit anfangen sollten.
Wohin bloß mit all dem Geld?
Es
wird wohl nicht bei den ehemaligen Stahlarbeitern im Rustbelt landen.
So kauft die deutsche
Bayer AG für 66 Milliarden Dollar den umstrittenen Saatgutkonzern
Monsanto. […] Ein Gewinner steht schon fest: Monsanto-Boss
Hugh Grant hat sich eine sogenannte Change-of-Control-Klausel in den Vertrag
schreiben lassen. Er kann sich nach der Übernahme mit 135 Millionen Dollar
verabschieden.
[…] Gleichzeitig wissen die Unternehmen
mit dem vielen Geld, das sie in der globalen Wirtschaft verdienen, nichts
Produktives anzufangen. Warum sonst sollten sie es in Steueroasen
bunkern oder für den Rückkauf eigener Aktien ausgeben (was deren Kurs
treibt und somit den Vermögenden zugutekommt), statt es zu investieren?
Auch das spricht dafür, dass der Wettbewerb im globalen und digitalen
Zeitalter nicht wirklich funktioniert.
(DER
SPIEGEL, 46/2016, s. 57)
Von
wegen Investitionen in Arbeitsplätze.
Allein
30 große US-Konzerne (darunter Apple, Pfizer, Microsoft, Google und IBM) haben
derzeit 1.650 Milliarden Dollar in Niedrigsteuerländern wie Panama oder den
Bermudas geparkt, weil sie vor lauter Geld gar nicht mehr wissen was sie damit
tun sollen.
American
Fortune 500 corporations are avoiding up to $695 billion in U.S. federal income
taxes by holding $2.4 trillion of “permanently reinvested” profits offshore. In
their latest annual financial reports, 27 of these corporations reveal that
they have paid an income tax rate of 10 percent or less in countries where
these profits are officially held, indicating that most of these monies are
likely in offshore tax havens. [….]
Wenn
besorgte und Wutbürger glauben mit der Wahl von antisozialen, antisolidarischen
und stramm nationalistischen Steuersenkungskonzepten dagegen anzugehen,
erreichen sie das Gegenteil. (…..)
Natürlich
lag die Schröder-Fischer-Regierung richtig damit viele überflüssige Regularien
zu lockern.
Tatsächlich
zog auch die deutsche Wirtschaft in Folge der Agenda-Politik an.
Aber mit
dem Gießkannenprinzip nach oben umzuverteilen ohne irgendwelche Vorgaben und
Einschränkungen zu machen, führt eben nicht automatisch zu mehr Investitionen. Nichts spricht gegen Luxus und Reichtum.
Superreiche
und internationale Konzerne nehmen aber nicht immer von allein Rücksicht auf
Umwelt und Mitarbeiter. Sie denken auch nicht angesichts ihrer gewaltigen
Gewinne automatisch an die Zukunft und planen langfristig. Im Gegenteil. Die
Shareholder-Value-Ideologie führt dazu, daß wichtiges Kapital immer wieder aus
gesunden Unternehmen abgezogen und in dubiosen Steueroasen geparkt wird.
[….]
Rund 15 Jahre später kann von
Gewinnmangel wahrlich keine Rede mehr sein. Der Befund scheint ein ganz
anderer: Deutschlands Unternehmen nehmen heute stetig mehr ein, als sie
ausgeben. So viel wie nie zuvor sogar. Nur dass sie deshalb nicht ebenso
rekordverdächtig mehr investieren - anders als einst versprochen. Der Verdacht
drängt sich sogar auf, dass so hohe Gewinne eher Symptom dafür sind, dass etwas
schiefläuft, was dringend zu korrigieren ist. Auftrag an Jamaika.
Das Phänomen hat etwas
so Umwerfendes, dass sich Deutschlands Wirtschaftsforschungsinstitute im
jüngsten Herbstgutachten extra damit beschäftigten. Befund: Noch Ende der
Neunzigerjahre gaben die Unternehmen im Land durchschnittlich mehr aus als sie
einnahmen - im Schnitt in Höhe von zwei bis vier Prozent der
Wirtschaftsleistung. Nach Start der Agenda-Arbeiten 2003 kamen erstmals
durchschnittlich wieder Überschüsse heraus, die 2010 zwei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts übertrafen - und seither auf enorme fast vier Prozent des
BIP gewachsen sind.
Mehr noch: Der Anteil
dieses verdienten Geldes, der wieder ausgeschüttet wird, nimmt seit Jahren
stark ab. Ein großer Teil kommt sozusagen unters Kopfkissen. Oder in die
Badewanne, wie bei Dagobert Duck.
[….]
Hurra,
die Unternehmen haben wieder Geld wie Heu.
Aber
Trickle Down funktioniert trotzdem nicht. Der Wohlstand sickert eben nicht von
oben nach unten durch.
Im
Gegenteil; durch die gänzlich deregulierte Geldgier der Superreichen, werden
die Ärmsten immer ärmer und die Verhältnisse prekärer.
(…..)
Andere Superreiche denken stattdessen lieber an ihr eigenes Wohl und spenden
für Konservative.
Für
ihr intensives Däumchendrehen und konzentriertes Chillen wuchs beispielweise
das Vermögen der Susanne Klatten, geborene Quandt, im vergangenen Jahr um zwei
Milliarden Euro.
Susanne Klatten
gewinnt zwei Milliarden Dollar hinzu
[….]
Schwer genervt ist Susanne Klatten, 54,
wenn sie immer nur als die reichste Frau Deutschlands tituliert wird. "Das
beschreibt den Menschen nicht, das beschreibt nur einen Status", klagte
die Multimilliardärin im vergangenen Sommer in der Zeit. [….] Umso besser läuft es bei BMW. Gemeinsam sind
die Geschwister - ihre Mutter Johanna ist vor zwei Jahren gestorben -
Großaktionär. Die Dividende wird erneut angehoben, und die Quandt-Erben
bekommen alleine etwas mehr als eine Milliarde Euro ausgeschüttet. Auch viele
andere Beteiligungen laufen gut, zur Freude Klattens. Gerade wurde wieder die
Liste der reichsten Menschen der Welt veröffentlicht, berechnet von dem auf die
Superreichen spezialisierten US-Magazin Forbes. Für Susanne Klatten reicht es
in der Hitliste auf Platz 38, ihr Vermögen wird jetzt auf 20,4 Milliarden
Dollar taxiert, immerhin knapp zwei Milliarden Dollar mehr als 2016. Der
jüngere Bruder Stefan Quandt liegt mit 18,3 Milliarden Dollar auf Platz 47. [….]
Ich
bin übrigens gar kein Linksradikaler, der Frau Klatten und Herrn Quandt alles
wegnehmen will. Reichtum an sich stört mich nicht. Ich halte es durchaus für
möglich, daß anständige Menschen, die sozial denken mit moralisch akzeptablen
Methoden sehr reich werden.
Meinetwegen
kann Frau Klatten gern Milliardärin bleiben.
Es
stört mich nur, wenn Superreiche steuerlich besser gestellt werden als
Normalverdiener, daß es offensichtlich möglich ist mit einem Heer von Anwälten
und Steuerberatern die Abgabenlast gen Null zu drücken.
Für
Einkommens-Multimillionäre sollte eine staatlich festgelegte Mindeststeuerquote
gelten, von der nichts abziehbar ist.
(Stichwort „Buffett-Steuer“)
Einfach
das Geld nach oben zu schaufeln, nützt
nichts.
[….]
Wenn die Unternehmen alles in allem schätzungsweise
110 Milliarden Euro mehr einnehmen als sie ausgeben, wie das derzeit jährlich
der Fall ist, muss es (andere) Leute geben, die alles in allem 110 Milliarden
weniger einnehmen als sie ausgeben (mal angenommen, das Geld kommt nicht vom
Mars, was nach aktuellem Stand der Forschung nicht der Fall zu sein scheint).
Heißt: die entsprechend viel Schulden machen. Anders geht's nicht. Dann muss
entweder der Staat mehr ausgeben als einnehmen - was er bekanntlich in
Schäubleland nicht mehr so gern tut. Oder wir Otto Normalbürger. Dazu käm's
noch. Also auch nicht. [….]
Erstaunlich
ist nicht nur, daß die FDP noch 2009, NACH der Mega-Finanzkrise, die das
Nichtfunktionieren und die tödliche Gefahr der unkontrollierten Finanzströme
eindrucksvoll bewiesen war, vom deutschen Urnenpöbel mit 15% in die Regierung
geschickt wurde.
Sofort
machten sich Rösler, Lindner, Westerwelle und Co daran Milliardenwohltaten an
ihre Spender aus der Pharmaindustrie, den Versicherungskonzernen und
Hotelbesitzer zu verteilen.
Das
hatte Folgen für Deutschland. Bröckelnde Infrastruktur, Dritte-Welt-Internet
und eine deutliches Aufklaffen der sozialen Schere.
Erstaunlich,
daß 30 Jahre nach den katastrophalen Reaganomics auch die US-Republikaner immer
noch an der Trickle-Down-Ideologie kleben.
Oder
auch nicht. Wer Trump als Kandidaten aufstellt, ist zu allem fähig.
Jetzt
heißt es wieder das Geld einseitig an Billionaires und das Militär zu
verteilen. Auf der Strecke bleiben Umwelt, Klima, Arme, Schwache, Kranke,
Bildung und Wissenschaft.
[….] Paul
Ryan konnte sein Glück kaum fassen, als er, umringt von eigens einbestellten
Claqueuren, im Kapitol vor die Mikrofone trat. "Ihr seid es, um die es
hier geht", jauchzte der Sprecher des Repräsentantenhauses, die
"amerikanische Mittelklasse verdient einen Kurswechsel." Seit 40
Jahren träumen die Republikaner davon, es ihrer Lichtgestalt Ronald Reagan
nachzutun und die Steuern umfassend zu senken. Nun, nach monatelangem Gezerre,
liegt tatsächlich ein Konzept auf dem Tisch. [….] Der Körperschaftsteuersatz sinkt von 35 auf 20 Prozent. Inhabergeführte
Firmen, die das Gros der US-Wirtschaft ausmachen und heute bis zu 39,6 Prozent
Einkommensteuer zahlen, brauchen einen Teil ihres Gewinns künftig nur noch mit
einem neuen Spezialsatz von 25 Prozent versteuern. Dies könnte firmeninternen
Gewinnverschiebungen Tür und Tor öffnen. [….] mit der Erbschaft- und der Mindeststeuer zwei reine Reichensteuern
entfallen sollen. Die Erbschaftsteuer etwa kommt heute erst bei einem Nachlass
von mehr als 5,6 Millionen Dollar zum Tragen, sie soll nun bis 2024 auslaufen.
Man wird den Verdacht nicht los, dass der Präsident Trump bei der Abschaffung
auch an den Unternehmer Trump gedacht hat, der sein Firmenimperium eines Tages
in die Hände seiner fünf Kinder legen will - gerne steuerfrei. Das gleiche gilt
für den Wegfall der Mindeststeuer, die verhindern soll, dass Ultrareiche ihre
Abgabenlast durch die Nutzung von Schlupflöchern auf null reduzieren. [….]
Die USA
sind leider verrückt geworden.
Allgemein
grassierender Wahnsinn brachte den GOPern Mehrheiten im House, im Senat, unter
den Gouverneuren und im Weißen Haus.
Aber was
ist unsere Entschuldigung in Deutschland?
Wie
konnte denn 10% für Christian Lindner passieren?
Wer war so irre die FDP wieder in die Bundesregierung zu schicken?
Wer war so irre die FDP wieder in die Bundesregierung zu schicken?
[….]
Noch gefährlicher wäre aber, die
Dagobert-Duckonomie fortzuschreiben. Oder Unternehmen auch noch zu entlasten,
weil sie angeblich zu viel Steuern zahlen und daher (immer noch) nicht genug
Geld haben. Das ist gaga, liebe Freunde von der FDP. Deutschlands Wirtschaft
verdient so viel wie nie - und investiert trotzdem nicht ansatzweise so
beeindruckend. Da werden auch noch so viele Steuergeschenke nicht viel helfen.
[….]
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