Montag, 15. August 2016

Ich bin dicker als Marco Koch.



Zu den zivilisatorischen Errungenschaften gehört es, daß wir Menschen nicht mehr aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung abwerten.
Wir behandeln Menschen mit dunkler Hautfarbe respektvoll, wir machen uns nicht über kleine Busen oder dicke Bäuche lustig, wir werfen nicht mit Steinen auf das Kind, das humpelt, wir schlagen keine Behinderten, wir gehen mit dem Mädchen aus, das diese dicken Brillengläser hat, wir kriminalisieren niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung und wir lassen sogar Menschen an Bundestagswahlen teilnehmen, die gar keinen Penis haben.
Die längste Zeit war das alles nicht selbstverständlich. Diese gelebte Akzeptanz mußte über Jahrhunderte gegen den erbitterten Widerstand der organsierten Christen durchgekämpft werden.

Es gibt wenige Ausnahmen, die es erlauben explizit auf angeborene  Eigenschaften in diskreditierender Weise hinzuweisen.

Wenn ein sehr fettleibiger Pastor mit ewiger Höllenstrafe für die Todsünde der Unzucht droht, darf man ihn öffentlich daran erinnern, daß sein Gott auch Völlerei als Todsünde ansieht.

Man darf eine konservative Klemmschwester, die öffentlich homophob auftritt, outen.

Bei dem Verkäufer für Haarwuchsmittel ist es angebracht darauf zu verweisen, daß er eine Perücke trägt, wenn er eine Glatze hat.

Und dann sind da noch die deutschen Schwimm-Olympioniken, die mit Null Medaillen die Wettkämpfe von Rio beendeten und nun laut beklagen, ihre Siegprämien wären viel zu schmal bemessen.

Das sagt Markus Deibler. Deibler? Mußte ich googeln. Der Typ sieht sympathisch aus, ist 26 Jahre alt, lebt in Hamburg und betreibt hier zwei Eisdielen.
Klingt für mich alles gut. Er war (ist?) außerdem ein international erfolgreicher Schwimmer und kennt sich aus mit dem Sportförderungssystem.

[….] In einem Land, in dem ein Olympiasieger 20.000€ Prämie bekommt und ein Dschungelkönig 150.000€ sollte sich niemand über fehlende Medaillen wundern.
Deutschland hat eine schlechte Förderung und sehr gute Dopingkontrollen. Damit können wir nicht mit Ländern konkurrieren, die sehr viel fördern und beim Thema Doping nicht so genau hinsehen oder es sogar betreiben. [….]

In derselben Zeitung, in der ich Deiblers Statement zum ersten Mal las, war auch ein großes Bild Marco Kochs.
Koch, 26, geboren in Darmstadt, Brustschwimmer, brachte es im Finale auf Platz sieben.





Als jemand, der wirklich nichts von Schwimmsport versteht, wage ich aber doch angesichts des Kochschen Hüftgoldes zu bezweifeln, ob es nur an der mangelnden finanziellen Motivation lag, daß er US-Typen mit Figuren wie Michael Phelps hinterher schwamm.


Man macht sich nicht über die Figur anderer Menschen lustig, aber wenn ein Mann mit Speckrollen beklagt aufgrund des knappen Geldes nicht gewonnen zu haben, muß ich leider doch diesen Punkt ansprechen.

Deiblers Vergleich mit dem Dschungelcamp zeugt von einer eigenartigen Selbstwahrnehmung.
So ein Marco Koch ist ca zwei Minuten unter Wasser zu sehen; da hält sich der Unterhaltungswert außerordentlich in Grenzen.
Sollten Deibler oder Koch außer ihrer Fähigkeit zu schwimmen noch Entertainmentqualitäten entwickeln, können sie wie ihr Kollege Thomas Rupprath im Jahr 2011 auch beim RTL-Dschungelcamp mitmachen und entsprechend bezahlt werden.

RTL bietet mit seinem Dschungelcamp 17 Tage durchgehend Unterhaltung, die offensichtlich viele Millionen Leute interessiert und die ausschließlich privat von einem Konzern finanziert wird.
Der Staat gibt keinen Cent dazu.
Für die Übertragungsrechte an den Olympischen Spielen von 2016 haben ARD und ZDF 130 Millionen Euro quasi aus Steuermitteln gezahlt.
Allein die Sportförderung des Bundesinnenministeriums beträgt mehrere Hundert Millionen Euro.
Hinzu kommt eine vielfache Summe aus Länder- und Gemeindehaushalten, aus der Wirtschaft, von der Bundeswehr, von der Polizei, aus Stiftungen.
Deibler und Koch schwimmen freiwillig. Niemand hat sie dazu gezwungen.
Dennoch müssen sie weder den Trainer, noch ihre Badehose, weder die Flüge, noch die Unterkünften in den Trainingslagern der Südsee selbst bezahlen.
Ich finde, Schwimmsportler haben es sehr gut getroffen, daß sie auf Kosten anderer Menschen in der Welt umhergeflogen und bewundert werden.
Natürlich verdienen andere Sportler noch mehr Geld, aber wenn es darum geht, steht Herrn Deibler doch offen Boxer oder Fußballer zu werden.
Es sei denn, er ist nicht begabt genug, um als Golfer oder Formel1-Pilot zig Millionen im Jahr zu verdienen.
Das ist zwar bedauerlich; aber willkommen im Club. So geht es 99,999% der Deutschen, die sich auch nicht darüber beklagen, daß sie keine sechsstelligen Euro-Prämien bekommen.

In einem Punkt will ich allerdings Herr Deibler gern unterstützen.
Die deutschen Sportfunktionäre machen gerade einen erbärmlichen Job.
Dabei klammere ich mal die Doping-freundliche Agenda des Putin-Liebchen Thomas Bach aus.

Ernsthaft bedenklich finde ich aber, daß sie in Punkto Ästhetik und Humor bei Leni Riefenstahl stehengeblieben sind.
Da gibt es einen Christoph Harting (auch 26, offensichtlich sind alle deutschen Olympioniken 26), der irgendwas geworfen hat und dafür einen dieser Gold-Taler bekam.
Bei der obligatorischen Siegerehrung zur deutschen Nationalhymne brachte es Harting aber nicht fertig mit stählernem Blick zu salutieren oder den Hitlergr.., sondern er gab sich auf dem Podest betont locker und grinste.
Das ist der Hamburger Morgenpost heute die gesamten ersten vier Seiten der Ausgabe wert. Harting habe sich nicht heldenhaft genug verhalten.
Michael Vesper, einst grüner Bauminister in NRW, inzwischen zum nationalen Großfunktionär gewandelt, rügte als „Chef de Mission“ sofort, daß Harting nicht zackig-militärisch genug aufgetreten wäre.
Andere Sportler, wie die CSU-Wählerin Maria Höfl-Riesch twitterten empört:

Besser Silber mit Stil als Gold ohne Stil... @AngeliqueKerber #Harting #Rio2016

Man staunt.


Nun, er hat olympisches Gold geholt - und diesen Triumph nicht so gefeiert, wie es 80 Millionen Besserleber für angemessen erachten. [….] Wir sehnen uns nach Typen. Aber wir halten sie im Grunde genommen nicht aus. Lautstark verlangen wir permanent nach Leuten mit Ecken, Kanten und erfrischender Persönlichkeit. Wir wollen Zlatan - aber haben gerade mal die Nerven für Reus. Zu schnell haben wir die Finger am Hashtag, um noch eben kundzutun, dass "DAS ja mal gar nicht ging!" Und wer denkt da mal eigentlich an die Kinder! [….]

Noch absurder der schlimme, schlimme Fall der Zwillinge Lisa und Anna Hahner, die beim olympischen Marathon Platz 81 und 82 erreichten.
Nicht der zeitliche Rückstand gereichte zur nationalen Schaden und einem pangermanischen Shitstorm, sondern daß die zwei verlotterten Hippies es wagten Hand in Hand über die Ziellinie zu laufen.
Die deutschen Funktionäre mutierten sofort zur Stahlhelmfraktion des Sports.

In ungewöhnlicher Schärfe hat der Deutsche Leichtathletik-Verband den Marathon-Auftritt der Hand ins Hand über die Ziellinie gelaufenen Zwillinge Lisa und Anna Hahner bei den Olympischen Spielen kritisiert. "Einen olympischen Lorbeer haben sich die Hahner-Zwillinge mit ihrem Auftritt und ihren Leistungen nicht verdient", schimpfte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen in Rio de Janeiro. "Hand in Hand geht man spazieren, aber nicht über eine olympische Marathon-Distanz."
[….] "Es wirkte so, als absolvierten sie einen Volkslauf und nicht die olympische Entscheidung", wetterte Kurschilgen.

Diese Hahner-Hühner und der unzivilisierte Harting gehören ins Zuchthaus; denen muß man Anstand eingeprügelt werden.
In solchen Fällen ist eigentlich die GSG9 gefordert und diese Luschen zu disziplinieren.
Heil, Sportminister de Maizière.


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