Demokratie
ist ja schön und gut, aber sie setzt theoretisch voraus, daß alle Wähler
aufgeklärt und interessiert sind, daß sie kompetent entscheiden.
In der
Praxis ist das aber nicht so. Im Gegenteil, es herrscht gewaltige Apathie, Desinformation
und Stimmungsmache.
Man wählt Rajoy
statt Zapatero, George W. Bush statt Gore, immer wieder Berlusconi und 16 Jahre
Kohl.
Amerikanische
Volksabstimmungen über Waffenrecht, Drogenkonsum und Homoehe waren in der
Vergangenheit fast immer von Vorurteilen und nicht von Fakten beeinflusst.
Der Westen
propagiert Demokratie, aber nur vor der Kamera.
Eigentlich hat
man lieber eine schöne Diktatur mit einem verlässlichen
Diktator/König/Papst/Führer, der alles im Griff hat.
So wie es vor
der Arabellion war.
Oder Palästina.
Jeder lobt Israel, als die „einzige Demokratie des Nahen Ostens“.
Als die
Palästinenser auch wählten, fand man das dann nicht mehr so toll.
Insbesondere
nicht mehr, nachdem 2006 die Hamas die Wahl gewann; also die sunnitische
Befreiungsorganisation Palästinas, die sich quasi als Tochter der
Muslimbruderschaft gegründet hatte.
Ähnlich sah es
in Ägypten aus, nachdem die Hamas-Mutter „Muslimbrüderschaft“ die
Präsidentenwahl gewonnen hatte und ihr Mann Mursi das tat, was er versprochen
hatte.
Das gefiel
Merkel und Obama überhaupt nicht und sie begrüßten den höchst
antidemokratischen Regierungsumsturz, der nichts anderes als ein Militärputsch
war und nun zu einer Gewaltorgie geführt hat.
Deswegen ist
der Westen übrigens so unbeliebt in Nordafrika und im Nahen Osten: Die
Glaubwürdigkeit der Nato-Staaten, die von Demokratie und Frieden reden, aber
dann die Diktatoren bevorzugen und die Gegend mit Waffenexporten überziehen,
ist nicht mehr messbar.
Der
19-Jährige analphabetische adipöse Zimmertemperatur-IQ-Sachse ohne
Schulabschluß mit Alkoholproblem und eingepisster Jogginghose, der vor einer
Flüchtlingsunterkunft Obszönitäten grölt, hat bei der Bundestagswahl genauso
viel Einfluss wie ein 60-jähriger Bildungsbürger mit drei Doktortitel und lebenslangen
ZEIT-Abo.
Aus
diesem Grund plädiere ich auch bei jeder Gelegenheit gegen die Auswüchse der
plebiszitären Demokratie. Bloß keine Volksbefragungen und Bürgerbegehren. Das
ist die Diktatur der Inkompetenz.
So kommt
es zum Brexit.
Überlasst
die wichtigen Entscheidungen den Profis in den Parlamenten.
Wir
haben aus gutem Grunde eine repräsentative Demokratie und sollten unseren
gewählten Repräsentanten dementsprechend auch keine Kompetenzen entziehen.
Das
Problem ist nur, daß man die Volksvertreter irgendwann auch mal wählen muß und
dann ist wieder der gewöhnliche Urnenpöbel am Zug, der Alexander Gauland, Björn
Höcke und Frauke Petry seine Vertreter aussucht.
Ich sympathisiere
sehr mit der Idee eines Losverfahrens, wie sie der belgische Historiker David van Reybrouck im aktuellen SPIEGEL vorschlägt.
Wir töten die
Demokratie, wenn wir sie auf diese archaischen Verfahren reduzieren.
Schauen Sie sich den
Brexit an. In dieser Entscheidung bündelt sich alles. Was an unserem
demokratischen System nicht stimmt.
Das Referendum gab es
überhaupt nur, wie les ein Wahlversprechen David Camerons war – der insgeheim
davon ausging. Die Briten würden mit Nein stimmen. Dann hat Boris Johnson das
Referendum gekapert. In der Hoffnung, sich so in Stellung für die nächste Wahl
zum Premierminister zu bringen. Auch er ging davon aus, die Briten würden mit
Nein stimmen.
Und dann haben sie mit
Ja gestimmt.
Dabei war das Thema
denkbar komplex: Wie stellen wir uns die zukünftigen Beziehungen zur EU vor?
Aber es gab nur zwei mögliche Antworten: Ja oder Nein. Remain oder Leave. Zwei
Wahlen, ein Referendum, persönliche Eitelkeiten. Medien, die nicht gut genug
informiert haben – kein Wunder, daß alles schiefgegangen ist.
(Van
Reybrouck, der SPIEGEL, 31/2016 s.116f)
Statt
des Brexit-Volksentscheids, bei dem ¾ der Wähler unter 30 erst gar nicht zur
Wahl gingen und der Rest durch eine massive Desinformationskampagne der rechten
Medien verwirrt wurde, hätte man lieber 1.000 Briten ausgelost, die für ein
halbes Jahr zusammen in ein Hotel gesteckt worden wären, um dort das Thema
ausführlich zu diskutieren, Experten zu hören, Informationen zu sammeln, sich
gegenseitig zuhören.
Das
Thema hätte es eigentlich erfordert so vorzugehen.
Die Bürger werden wie
in Stichproben aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen ausgelost, um ein
breites Spektrum abzubilden. Sie nehmen ihre Aufgabe meist sehr ernst, arbeiten
sich gründlich ein, erarbeiten differenzierte, ausgewogene Ideen. Das Problem:
weil sie ausgelost sind, gelten sie als nicht legitimiert, also wird
anschließend per Referendum über ihren Vorschlag abgestimmt. Und da passiert
dann oft, was Reybrouck mit der Redensart "If you don’t know, say no"
zusammenfasst: Die kluge Arbeit der Bürgergremien landet durch eine Augenblicksentscheidung
der Masse im Papierkorb.
Eine
schöne Idee, wie ich finde.
Aber ich
sehe keinerlei Möglichkeit, daß so etwas in absehbarer Zeit in Deutschland oder
den USA etabliert werden könnte.
Also
müssen wir mit unserer Form der repräsentativen Demokratie, die solche Gefahren
wie Trump, Le Pen, Wilders und Petry beinhaltet, weiterleben.
Alle
Rechtsradikalen leben von der Angst der Bürger.
Umfragen
zeigen ganz klar, daß die AfD-Anhänger alle die Hosen voll haben. Keine anderen
Parteigänger fürchten sich so sehr vor allem, wie sie.
In den
USA ist es genauso. Trump-Fans fürchten sich vor Muslimen, dem Terror, den
Atheisten, den Liberalen. Sie glauben festdaran, ihnen würde etwas weggenommen,
ihre Waffen, ihre exklusiv heterosexuellen Ehen, ihr Land, ihre Sprache.
Trump,
AfD, FN oder PVV tun daher alles, um Ängste zu schüren, Terrorgefahren hochzujazzen,
Menschen zu Feinden und Gefahrenquellen zu machen.
Nun sind
Terroristen in Europa und Amerika immer noch eine recht kleine Gefahr.
In den
USA ist die Wahrscheinlichkeit versehentlich von einem Kleinkind erschossen zu werden
größer, als Opfer eines islamistischen Anschlags zu werden. Aber
Donald Trump verlangt deswegen nicht alle Toddler auszuweisen, sondern konzentriert
seinen Hass auf Muslime.
You’re more likely to be
fatally crushed by furniture than killed by a terrorist
Consider, for instance, that
since the attacks of Sept. 11, 2001, Americans have been no more likely to die
at the hands of terrorists than being crushed to death by
unstable televisions and furniture. Meanwhile, in the time it has taken you to
read until this point, at least one American has died from a heart attack. Within the hour, a fellow
citizen will have died from skin cancer. Roughly five minutes after
that, a military veteran will
commit suicide. And by the time you turn the lights off to
sleep this evening, somewhere around 100
Americans will have died throughout the day in vehicular accidents – the equivalent of “a plane
full of people crashing, killing everyone on board, every single day.”
People are getting shot by
toddlers on a weekly basis this year
Da wir
nicht von den ausgelosten 1000er Gruppen bestimmt werden, sondern zum Beispiel von
FOX-News glotzenden verblendeten Evangelikalen, werden die realen Gefahren
radikal falsch eingeschätzt.
Zu
meinem Erstaunen wendet sich SPON-Kolumnist Sascha Lobo in seinem letzten
Artikel scharf gegen die besserwisserische Aufklärung mit Statistiken und
bricht eine Lanze für gefühlte Gefahren.
[….]
Der erstarkende Neonationalismus etwa
arbeitet erfolgreich mit Untergangsszenarien. Zugleich provoziert dieser
Eindruck auch Gegenreden, in denen es heißt, die Welt sei so großartig dran wie
nie zuvor, gestützt von allerlei Statistiken.
In solchen positiv
gemeinten Aussagen finden sich Spuren des Zynismus: Ja, die Welt mag schlimm
sein, aber weniger schlimm als vor 30, 50 oder 400 Jahren. Herzlichen
Glückwunsch, vor 100 Millionen Jahren wurden sogar null Menschen im Jahr ermordet.
Aber zum Ersten geht
es auch um Empfindungen, weil Gefühle Handlungen auslösen können. Zum Zweiten
lassen sich ebenso Statistiken finden, die das Gegenteil zu belegen scheinen.
Und zum Dritten lässt sich mit dieser Argumentation jedes aktuelle Ereignis
schönreden. Eine Verbesserung von einem katastrophalen Ausgangspunkt aus
betrachtet ist nicht automatisch ein Grund zum Feiern: nur 1000 ertrunkene
Flüchtlinge, nur 100 Opfer islamistischen Terrors, weniger als im Vorjahr,
hurra, lasst uns ein rauschendes Fest geben.
Die dahinterstehende
Haltung zeugt von einer überrationalen Sichtweise auf die Welt. Da hat jemand
offensichtlich Angst, und als vermeintliches Gegenmittel wird ein Bündel
Statistiken willkürlich aufeinandergestapelt und erklärt, die Angst sei ja
rational gar nicht berechtigt. […]
Ich
schätze Herrn Lobo, aber angesichts unserer völlig hysterischen Reaktionen auf
so ziemlich alles – Gluten, Erdstrahlen, Spinnen, muslimische Überfremdung –
ist „Überrationalität“ das geringste Problem der deutschen.
Im
Gegenteil.
Es
sollte mit Nachdruck und andauernd darüber aufgeklärt werden, welche realen
Gefahren es gibt und wie groß sie einzuschätzen sind.
Wir
sollten uns durchaus klarmachen, daß es Billigflugreisen und aus Südafrika importierte
Erdbeeren sind, die unsere Atmosphäre ruinieren und das Klima verändern.
Es ist
unsere Agrarpolitik, die tötet.
Es ist
unsere Waffenexportpolitik, die Kriege ermöglicht.
Das
bedeutet selbstverständlich nicht, daß man irgendetwas verschweigen oder
verniedlichen soll.
Natürlich
gibt es eine reale Gefahr in Europa Opfer eines Islamistischen Anschlages zu
werden.
Es gibt
aber keinen Knopf, mit dem man diese Gefahr einfach abschalten kann.
Wir
können aber der Hysterie entgegen wirken und damit etwas dafür tun, daß Le Pen
und Trump und Gauland nicht noch stärker werden.
Anders
als Lobo intendiert, spricht man niemand sein Recht auf Angst ab, indem man sie
in ein Verhältnis setzt.
Angst
ist Angst, ob nun rational berechtigt oder nicht.
Hypochondrie
ist ein Problem, das eben nicht durch Überrationalität beseitigt werden kann.
Aber
Rationalität sollte doch dazu beitragen, daß nicht immer mehr Menschen zu
Terrorchondrikern werden.
Insofern
sage ich zu den Meldungen zu offenen Feuerstellen ja.
Nimmt
man die Anzahl der Todesopfer als Kriterium für eine Gefahr, steht Terror recht
weit hinten auf der Liste, generiert aber gigantische öffentliche
Aufmerksamkeit.
Mücken
und offene Herdfeuer hingegen stehen ganz vorn, aber es interessiert sich kaum
jemand dafür.
Die Luftverschmutzung
durch primitive Kochstellen tötet weltweit mehr Menschen als Malaria - das ist
das erschreckende Ergebnis einer aktuellen Studie. Demnach sterben jedes Jahr
fast zwei Millionen Menschen, weil sie verrauchte Luft in den eigenen vier
Wänden einatmen.
Die Malaria tötet nach
Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich etwa eine Million
Menschen. Doch eine andere Gesundheitsgefahr, die ebenfalls vor allem arme
Länder betrifft, hat noch schlimmere Auswirkungen: Rauch in Häusern. Fast zwei
Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Krankheiten, die durch verrauchte Luft
ausgelöst werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der US-amerikanischen
National Institutes of Health.
Von den Folgen des
Rauches besonders betroffen seien Frauen und Kinder in extremer Armut,
schreiben Studienleiter William Martin und seine Kollegen im
Wissenschaftsmagazin "Science". Seit Jahrzehnten werde an dem Thema
gearbeitet - allerdings nur mit begrenztem Erfolg.
Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt in einem neuen Report,
dass im Jahr 2012 weltweit mehr als 7 Millionen Menschen - das wäre ein Achtel
aller Todesfälle - an den Folgen der Luftverschmutzung gestorben sind.
Etwa
drei Milliarden Menschen – drei Milliarden! – kochen und heizen in ihren
Häusern oder Hütten noch immer mit Festbrennstoffen wie Kohle, Holz,
Viehdung und Ernteabfällen. Mehr als vier Millionen jährlich sterben
an Krankheiten, die auf verschmutzte Innenraumluft zurückgehen: Atemwegserkrankungen,
Schlaganfälle, Herzkrankheiten. Vier Millionen: Das sind fast viermal
so viele, wie heute pro Jahr an Aids versterben. Es sind über hundertmal
mehr Opfer als 2014 bei Terrorakten ihr Leben ließen.
Nimm
das, Lobo.
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