Und
schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den
Blödmann des Monats zu küren.
Impudenz
des Monats Mai 2015 ist die neue Verehrung Heiner Geißlers.
Ach ja,
eigentlich fühle ich mich zwar körperlich gebrechlich, aber geistig durchaus
noch jung. Ich glaube, ich kann mich auch ganz gut mit Menschen unterhalten,
die halb so alt wie ich sind.
Auffällig
wird mein Gerontentum allerdings immer dann, wenn ich mir völlig gegenwärtige
Dinge erwähne, von denen mein Gesprächspartner noch nie etwas gehört hat, oder die
er meines Erachtens unterkomplex bewertet.
So ist
für heutige Studenten der Name Heiner Geißler durchaus bekannt, aber er wird
eigentlich nur als der lustige Attack-Opa wahrgenommen.
Für sein
Alter von 85 Jahren ist er noch ganz fit und scheint so eine Art CDU-Querulant
zu sein.
Ich
verstehe sogar wieso der Pfälzer Jesuit heute so wirkt.
Als ich
im Teenageralter politisiert wurde, spielten wir immer das heute noch spannende
Spiel „wer ist eigentlich der allerschlimmste von den Rechten?“.
Mal
abgesehen von den Bayern, die in einer ganz anderen Liga stattfinden, wurde
fast immer CDU-General Geißler (1977-1989) genannt. Neben Dregger, Schäuble,
Lummer und später Kanther.
Kohl
hatten wir lange Zeit gar nicht ernst genommen und Roland Koch war noch nicht
auf der Bühne aufgetaucht.
Offensichtlich
ist das für heutige Twens gar nicht mehr vorstellbar was für ein grauenhaft
verlogener Wadenbeißer Geißler war.
Er war
aber nicht nur einer, den man zufällig unsympathisch fand, sondern jemand, vor
dem man sich ernsthaft fürchtete.
„Der
Intrigant“ hieß Reimar Oltmans 1986 erschienenes Buch über ihn, das wir damals
alle gelesen hatten.
Seine Standards fügen
sich kontinuierlich aus "Lügner, Umfaller, Falschspieler, Verbrecher,
Täuschungsmanöver, Vernichtungsfeldzug, Racheakt, Anschlag auf die Verfassung,
Rufmordkampagnen, Moskau-Fraktion und Staatsbankrott" zusammen.
Unter Geißlers Regie
entstand im Jahre 1977 eine Broschüre, in der er viele linke und liberale
Intellektuelle in Deutschland als "Sympathisanten des Terrors"
beschuldigte. Als es im Jahre 1983 um die Stationierung von
US-Mittelstreckenraketen in Europa ging, machte Geißler in der Sozialdemokratie
gar die "Fünfte Kolonne der anderen Seite" aus, womit der Warschauer
Pakt gemeint war. - Brunnenvergiftungen.
[….]
Wie
konnte es passieren, dass aus einem Idealisten "seit Goebbels [….] der
schlimmste Hetzer in diesem Land" (laut SPD-Chef Willy Brandt) wurde?
[….]
Nichts
kennzeichnet den Verlust an Wirklichkeit, die Deformation der eigenen Person,
die Verschiebung politischer Wahrnehmungsebenen deutlicher als das
Politiker-Beispiel Heiner Geißler. Ein Mann, der von sich sagte, in Bonn sei er
schmerzfrei geworden. Ein Jesuitenschüler, der ohne knallharte Konfrontation
nicht mehr leben konnte. Diagnose: Suchtkrank. [….]
Unvergessen
natürlich Geißlers heftige Attacken auf Hildegard Hamm-Brücher, die 1981
nicht mit dem Rest der FDP umkippen will.
Sie
stimmte NICHT für Kohl und begründete in einer bis heute absolut legendären
Rede ihren Schritt mit dem einprägsamen Satz:
Das haben Sie beide nicht verdient, meine Herren. Sie Helmut Schmidt, auf diese Art aus dem Amt zu scheiden und Sie Helmut Kohl auf diese Weise ins Amt zu gelangen. (Aus dem Gedächtnis zitiert).
Das haben Sie beide nicht verdient, meine Herren. Sie Helmut Schmidt, auf diese Art aus dem Amt zu scheiden und Sie Helmut Kohl auf diese Weise ins Amt zu gelangen. (Aus dem Gedächtnis zitiert).
Geißler
rastet daraufhin aus.
Zu einem scharfen
Wortwechsel kommt es bei der Rede der FDP-Abgeordneten Hildegard Hamm-Brücher,
die den Machtwechsel in dieser Form ablehnt, weil er das "Odium des
verletzten demokratischen Anstands" trage. CDU-Generalsekretär Heiner
Geißler bezeichnet diese Äußerung als "Anschlag auf unsere
Verfassung". Helmut Schmidt nimmt die Gegenbemerkung zum Anlass, zu
fragen, ob die FDP-Führung "wirklich mit solcher Illiberalität und
Intoleranz", wie sie sich hier gegenüber der freien Meinungsäußerung einer
Abgeordneten zeige, eine Verbindung eingehen wolle.
(Wissen.de)
Der
SPIEGEL, der in den 1980ern deutlich weniger devot auftrat, sekundierte im selben
Jahr:
Dieser 56jährige mit
dem faltigen Gesicht und der bösen Zunge, der wie kein zweiter die Wähler
aufzuhetzen vermag und polarisieren kann, hat den Wendewahlsieg '83
organisiert. Ihm ist Kohl verpflichtet, auch weil Geißler in letzter Minute den
niedersächsischen Landtagswahlkampf im Juni herumgerissen und damit die CDU in
Land und Bund vor dem Absturz bewahrt hat.
[….]
Er
sei der "geschäftsführende Parteivorsitzende", pflegt er schon seit
einiger Zeit Kohl zu ärgern und dabei
leicht abgewandelt das CDU-Statut zu zitieren: "Der Generalsekretär führt
die Geschäfte der Partei." Den Zusatz "im Einvernehmen mit dem
Vorsitzenden", wie es in Paragraph 37 heißt, läßt er gerne weg. [….]
Der CDU-General, ein
gefährlicher Mann von und für Kohl, hat sich vorgenommen, "so richtig
zuzuschlagen". Noch sind in der Parteizentrale, dem Adenauer-Haus, die
Offensivpläne nicht abgeschlossen, aber sicher - "die treffenden Sottisen
fallen uns noch ein". Die Grundlinie steht: härteste Konfrontation nach
Geißlers Art.
[….]
Da
wird der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, der frühere
Verteidigungs-Staatssekretär Andreas von Bülow zu einer "Gefahr für unsere
Freiheit und für unsere Sicherheit", Johannes Rau zu einem Kandidaten,
dessen "Durcheinander im Kopf" dem sozialdemokratischen "Chaos
in der Energiepolitik" entspricht, die SPD insgesamt zu einer Partei, die
"wie Korken auf den Wellen einer Stimmungsdemokratie" schwimmt.
Schon ein irrer Typ,
dieser Heiner Geißler. Seit Franz Josef Strauß und Herbert Wehner hat keiner
mehr in der Bonner Szene so viel Feindschaft bis hin zu offenem Haß und fast
zeitgleich so viel Anerkennung auf sich gezogen - dies zuweilen bei denselben
Leuten. Die einen sehen in ihm den abstoßenden verbalen Gewalttäter, einen
politischen Sittenstrolch. [….]
Geißler
hat, wie keiner seiner Vorgänger, Gräben aufgerissen zwischen den beiden großen
Volksparteien, Freund-Feind-Kategorien in den politischen Alltag eingebracht.
Die Sozialdemokraten suchten ihn schon als Unperson zu ächten, verweigerten den
Gruß, boykottierten seinetwegen Ausschußsitzungen des Bundestags. [….]
Das Schwergewicht aber
legt der General in seiner Wahlkampfplanung, an dessen Ende die CDU trotz Kohl
gewählt werden soll, auf hemmungslose Konfrontation. Davon versteht er etwas,
da ist ihm jeder Hammer recht.
"Unanständig und
unmoralisch" hat er die SPD schon genannt, sie als "fünfte
Kolonne" Moskaus denunziert, ihr "fast hysterischen
Anti-Amerikanismus" vorgehalten. Die Friedensbewegung und ihre Anhänger
hat er besonders niederträchtig herabzusetzen versucht: "Der Pazifismus
der 30er Jahre, der sich in seiner
gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der
Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus
der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht."
[….]
Die
Sozialdemokraten bekamen schon einen Vorgeschmack, was der christliche
Propagandachef jetzt gegen Rote und Grüne auf der Pfanne hat. Die Grünen seien
der "Volkssturm der SPD". Und er rückte die potentiellen Verbündeten
der Genossen unbekümmert in die Nähe von Kindermördern. Mit ihrer Forderung
nach Aufhebung des Paragraphen 218 wollten die Grünen, so Geißler,
"Abtreibung bis zum achten Monat" möglich machen. Am vorigen
Dienstag, Wahlkampfparole, diffamierte Geißler die SPD als "Partei des
Werteneutralismus, die nicht mehr die Kraft und auch nicht mehr die geistige
Klarheit besitzt, dem deutschen Volk zu sagen, welche Werte wir haben, worin
sich unsere Werte von denen der kommunistischen Diktaturen unterscheiden,
welche Werte wir verteidigen und wer unsere Freunde sind". Und diese
Entwicklung sei "von einem großen Teil der Sozialdemokratischen Partei
auch beabsichtigt".
[….]
Als
er im Juli in der Bonner Universität auf einem Strategiekongreß des Rings
Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) redete, rückte er Nazis, Kommunisten
und Sozialisten in eine Ecke: Alle mißachten die Menschenrechte. Die Marxisten
machten den Menschen zum Objekt des Klassenkampfes, die Nationalsozialisten
hätten ihn ihrer Rassenideologie untergeordnet. "Der Sozialismus
will", so Geißler, "den entwurzelten Menschen, dann kann er ihn
besser manipulieren."
[….]
In
Mittelamerika wollen die Sozialisten auch nur Übles. Die Völker in Nicaragua
oder El Salvador "haben leiden müssen, weil die Sozialistische
Internationale eben nicht Demokraten, sondern Antidemokraten unterstützt
hat".[….]
(„Kohls gefährlicher Gehilfe“ 29.09.1986)
Und das
ist noch euphemistisch und mild ausgedrückt im Vergleich zu dem was ich damals
über Geißler dachte.
1989
allerdings scheiterte Kohls General daran, daß er drohte den Stern seines Chefs
zu überstrahlen.
Kohl, mit Sicherheit weniger intelligent als Geißler, spielte dann seinen größten Trumpf aus; seinen unerreichten Machtinstinkt.
Kohl, mit Sicherheit weniger intelligent als Geißler, spielte dann seinen größten Trumpf aus; seinen unerreichten Machtinstinkt.
Er sägte
den Parteisekretär ab und beerdigte dessen politische Ambitionen für immer.
Der
Kaltgestellte bekam erst 1999/2000 wieder Oberwasser, als Kohl im Spendensumpf
versank und sein alter Rivale nach Herzenslust nachtreten konnte.
Die
beiden Männer werden in dieser und den nächsten drei Welten keine Freunde mehr.
Seiner
CDU und seiner Kirche blieb Heiner Geißler bis heute treu.
Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015 |
Aber Linientreue
ist seine Sache nicht mehr.
Mein
Onkel, der Geißler viele Dekaden leidenschaftlich verachtet hatte, rief mich
während der Stuttgart21-Schlichtung 2010/2011 an beichtete mir fassungslos, er säße ständig vorm Fernseher und erwische
sich dabei Geißler richtig gut zu finden; auch sein Gesicht sei im Alter so
ausdrucksstark geworden.
So weit,
öffentlich „ich mag Geißler“ zu sagen, gehe ich nicht.
Aber ich
gebe doch zu, daß mich seine Interviews gelegentlich sehr amüsieren.
Da haut
er mal eben so raus, daß er mehrfach (unwissentlich) für Südtiroler
Separatisten Dynamit transportiert hatte, um Strommasten zu sprengen.
Oder was
er über Berliner Denkmäler denkt:
"Die Siegessäule
in Berlin würde ich sofort sprengen. Dieses Denkmal beleidigt meinen
Intellekt", so der 85-Jährige, der von 1982 bis 1985 Familienminister war.
Und er geht noch weiter: "Die Goldelse oben drauf ist eine
unproportionierte saublöde Figur."
[….]
Für
ihn sei das Denkmal historisch gesehen überholt. "Und in der Säule sind
Kanonenrohre eingelassen aus den Kriegen der Preußen gegen die Württemberger,
Österreicher und Franzosen. Unten auf dem Relief schlitzt ein preußischer Ulan
einem französischen Kurassier mit dem Bajonett den Bauch auf, die Gedärme
quellen raus, und die Umstehenden lachen", beschreibt der ehemalige
CDU-Generalsekretär im Interview mit dem SZ-Magazin. "Das steht mitten in
Berlin, und kein Mensch ist in der Lage, das zu beseitigen." [….]
(Zitiert nach Berliner Zeitung 29.05.2015)
Primitive
Luther-Epigonen wie Bizarra Käßmann ärgern Heiner Geißler.
Im
aktuellen SZ-Magazin stellt er einiges klar.
Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015 |
Lokführer
und KITA-Mitarbeiter unterstützt er.
Heiner Geißler im SZ-Magazin 29.05.2015 |
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