Sonntag, 7. Juni 2015

Grün, olivgrün, lilagrün.


Als ich in der Schule Politikunterricht bekam, erstmals in der 9. oder 10. Klasse, war die deutsche politische Welt klar manichäisch aufgeteilt: Hier die breite JU-Fraktion unserer Schule, die einem „dann geh doch nach drüben“ entgegenbrüllte, wenn man die NATO-Rüstung kritisierte und da die Sozialdemokraten.
Es fiel mir nicht schwer mich für eine Seite zu entscheiden.

Später entwickelte sich dann eine Gruppe, die für die Grünen sympathisierte.
Von der JU wurden die gar nicht erst ernst genommen. Helmut Kohl beklagte sich mit seinem berühmten Augenaufschlag in der ersten Bundestagssitzung mit Grünen Parlamentariern, diese hätten „viel Hass“ ins hohe Haus gebracht.

Schon damals dachte ich ziemlich strategisch und befürchtete mit dem Aufkommen der Grünen würden viele Jahre CDU-Herrschaft garantiert, da das Volk für lange Zeit keine rotgrünen Koalitionen akzeptieren werden und durch das Fehlen der Machtperspektive erst recht die Wahlerfolge ausblieben.

Einen ähnlichen Effekt erlebten wir 2013, als Steinbrück keine realistische Option hatte jenseits der CDU eine stabile Kanzlermehrheit zusammen zu bekommen.
Dann bleiben die Leute gleich zu Hause.

Auch phänotypisch missfielen mir die Grünen.
Vollbärtige Waldschrat-Männer in Strickpullis mit schulterlangen Haaren werden in der öffentlichen Wahrnehmung nicht im erforderlichen Maße ernst genommen.
Das mag man beklagen, aber es ist so.
Ich glaube sogar, daß das bis heute gilt. Hätte Anton Hofreiter kurze Haare und glattrasierte Wangen, würde man ihn thematisch auch mehr wahrnehmen.

Während meiner Schulzeit bekamen die Grünen den Spitznamen „Müslis“ und das war ganz schlecht, weil man dann mit diesen stets nach Schweiß riechenden Ökofreaks assoziiert wurde.
Ich sage das als jemand, der ausgesprochen gerne Müsli isst und in den 80ern links von der SPD, also nahe bei den Grünen stand.

Keineswegs predigte ich damals oder heute die totale Anpassung; man muß kein Klon der grauen CDU-Anzugträger sein, um ernst genommen zu werden.
Aber wenn man beim TV-Zuschauer stets die Assoziation erweckt erst einmal in die Badewanne und gründlich abgeschrubbt zu gehören, ist es für das politische Anliegen kontraproduktiv.

Die gesamten 80er Jahre machten sich die Grünen  während ihres langen Lernprozesses auch selbst das Leben schwer, indem sie überflüssigerweise darüber stritten, ob sie eigentlich überhaupt jemals in die Regierung wollten, oder indem sie auf dem völlig untauglichen Rotationsprinzip bestanden.
1990 dann der Schock; die (West-)Grünen brachen auf 3,8% ein und blieben dem ersten gesamtdeutschen Bundestag fern. Nur acht Ostgrüne um Werner Schulz, Gerd Poppe, Christina Schenk (heute als Christian Schenk bei der Linken), Wolfgang Ullmann und die inzwischen rechte CDU-Frau Vera Lengsfeld (damals Wollenberger) hielten die Stellung.

Die Armen gingen natürlich unter.
Joschka Fischer aber war nicht untätig und brillierte sowohl als Redner als auch als Strippenzieher seit seiner Rückkehr in den Bundestag von 1994.
Zu dieser Zeit genoss ich die Grünen in Bonn.
Die 49 Mitglieder der Fraktionen waren immer noch bunt gemischt, aber unter ihnen fanden sich jede Menge intelligenter integrer Menschen, die sich voll ins Zeug legten, um die dahinsiechende Kohl-Merkel-Regierung sturmreif zu schießen.
Bundestagsübertragungen im Fernsehen wurden ein echtes Vergnügen. Vor allem Dank grüner parlamentarischer Experten wie Angelika Beer (schade, daß sie an die Piraten verloren ging, sie war die erste echte VerteidigungsexpertIN der Grünen) Annelie Buntenbach (schade, daß sie an die Linke verloren ging), Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer, Joschka Fischer, Gerald Häfner (mein damaliger Lieblingsredner!) Kristin Heyne (eine der besten Parlamentarierinnen aller Zeiten! Gott ist scheiße, daß er sie so früh sterben lassen hat!), Michaele Hustedt, Steffi Lemke, Oswald Metzger (schade, daß er an die CDU verloren ging), Kerstin Müller, Cem Özdemir, Gerd Poppe, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Rezzo Schlauch, Waltraud Schoppe, Antje Vollmer, Ludger Volmer und Margareta Wolf.

Die hatten es echt drauf und hätten allein ein Bundeskabinett füllen können.
Ich rechne es den Grünen auch hoch an, daß sie sich 1998 der Problematik Kosovo und Bosnien so mutig und offen stellten, statt sich einen schlanken Fuß zu machen und zu sagen „ist uns egal, wenn weiterhin Myriaden massakriert werden – wir sagen niemals ja zu einem Waffeneinsatz.“
Mit Trittin, Fischer und Künast stellten die Grünen auch drei der stärksten Minister in Schröders Regierung.
Ich halte insbesondere Jürgen Trittin für einen der meistunterschätzten Politiker Deutschlands. Vermutlich hat seine Amtszeit so viele hochwertige Arbeitsplätze generiert wie keine andere. Inzwischen arbeiten in der Hightech-Ökobranche weit mehr Menschen als in der deutschen Automobilindustrie – dank der Trittinschen Weichenstellungen.

Natürlich waren die Grünen ab 1998 auch phänotypisch angepasst. Joschka Fischer betrachtete seinen außenministerlichen Dreiteiler richtigerweise als „Arbeitskleidung“, Jürgen Trittin rasierte endlich den albernen Stalin-Bart ab und Künast läßt sich ihre unförmigen Hosenanzüge sogar von derselben Schneiderin wie Merkel anfertigen.

Die richtige und notwendige Professionalisierung generierte allerdings Fliehkräfte.
Querdenker verschwanden und die radikaleren Ideen wurden mit dem wachsenden Wohlstand der Grünen-Wähler über Bord geworfen.

Mehr und mehr strenggläubige Christen enterten die Partei.
Waren früher die fromme Christa Nickels und die Theologin Antje Vollmer noch Ausnahmen, strebten mit Kathrin Göring-Kirchentag immer mehr schwere Religioten in die grünen Fraktionen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Christen ist heute mächtig. Diejenigen, die wie Trittin und Fischer noch ohne Gottesformel den Amtseid leisteten und für eine Trennung von Staat und Kirche plädierten, sind in die Minderheit gedrängt worden.

Es gibt Fälle, in denen christlicher Glaube ein klares Nein erfordert – z. B. bei Kriegsvorbereitungen oder Präimplantationsmedizin (PID) – oder ein ebenso klares Ja zu lebens- und entwicklungsfördernden Perspektiven. In Jesu Hinwendung zu den Armen und seinem gleichwertigen Verhalten zu Frau und Mann; in seinem Ausbrechen aus den Kreisläufen von Gewalt und Gegengewalt, von Hass und Missgunst, auch in der Einstellung '"Gott mehr zu gehorchen als den Menschen" finden wir Motive für ein Handeln in Nächstenliebe und dem Streben nach Gerechtigkeit.
Da die Religion wichtiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses ist, diskutieren wir in der Partei der Grünen die religiös fundierten Werte unserer Kultur im Rahmen einer postsäkularen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft und entwickeln sie im Hinblick auf die neuen gesellschaftlichen Bedürfnisse weiter. Dies gilt umso mehr, als die tradierten christlichen und humanistischen Grundwerte den Grundpfeilern grüner Politik sehr nahe stehen: ökologisches, basisdemokratisches, soziales und des gewaltfreies Handeln als ethischer Imperativ, zusammengehalten durch das Prinzip der Wahrung der Menschenwürde. – Christliche Ethik als Leitlinie alltäglichen, verantwortlichen Handelns gebietet es geradezu, sich an den Maximen grüner Politik zu orientieren.

Erbärmlich. Grüne unterwerfen sich freiwillig einer konservativen, partiell menschenfeindlichen Ideologie.
Kein Wunder, daß Koalitionen mit der CDU immer häufiger werden.

Sven Giegold, Volker Beck, Bettina Jarasch, Sigrid Beer, Josef Winkler, Winfried Kretschmann, Silvia Löhrmann oder eben Katrin Göring-Eckardt heißen die strenggläubigen Grünen.

Mit ihnen ist die rechtlich, moralisch und sozial gebotene Trennung zwischen Kirche und Staat nicht zu machen.
Grüne stehen nun wieder hinter dem kirchlichen Arbeitsrecht, das Schwulen oder Juden den Mittelfinger zeigt.

Erbärmlich.

Der heute in Stuttgart endende evangelische Kirchentag ist kaum noch von einem Grünen-Parteitag zu unterscheiden.

Religionssoziologen der Universität Leipzig haben vor einigen Tagen eine Studie vorgestellt. Bei Umfragen unter mehreren Tausend Kirchentagsbesuchern der vergangenen Jahre fanden sie bestätigt, dass viele sehr gern über politische Themen diskutieren, am liebsten über Umweltpolitik. Es gebe eine starke Verbindung zum sozialökologischen Milieu, so das Urteil der Wissenschaftler; die politischen Präferenzen seien ganz eindeutig: „Etwa die Hälfte der Kirchentagsbesucher würde die Partei der Grünen wählen.“ Kein Thema des Kirchentags, das nicht auch bei einem Grünen-Parteitag auf der Agenda stehen könnte. [….] Der Kirchentag von Stuttgart macht deutlich, wie tief die Grünen im Zuge ihrer Verbürgerlichung in das protestantische Buß- und Bettagsmilieu vorgedrungen sind. […]
Nur noch wenige Grüne fordern eine klarere Trennung von Staat und Kirche. Die Privilegien, die die beiden großen christlichen Konfessionen etwa beim Arbeitsrecht genießen, werden nicht ernstlich infrage gestellt. Es gibt auch kaum noch einen prominenten Grünen, der sich gegen das Tanzverbot an stillen Feiertagen wie etwa Karfreitag ausspricht. Und die Abschaffung des sogenannten Gotteslästerungsparagrafen 166 im Strafgesetzbuch hat auch schon lange kein Spitzengrüner mehr gefordert. Göring-Eckardt ist dafür, das Blasphemieverbot erst einmal beizubehalten. Mitte Januar veranstalteten die Grünen in Düsseldorf den ersten religionspolitischen Kongress in ihrer Parteigeschichte und kamen zu einem klaren Votum: Kirche und Staat gehören zusammen. Die Partei hat ihren Frieden mit der christlichen Werteordnung gemacht. „Wir sind uns einig darüber, dass wir kein laizistisches Modell wie in Frankreich fordern“, so der Chef des grünen NRW-Landesverbands Sven Lehmann.
(DER SPIEGEL 06.06.2015 s.40f)

Somit sind die Grünen für mich endgültig unwählbar geworden.




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