Mittwoch, 4. März 2015

Psychopolitik

Der arme Bibi Netanjahu leidet offenbar an einem Nero-Komplex. Er ist ein mehrfach überführter Lügner, der zudem auch noch über eine wahrlich abstoßende Persönlichkeit verfügt.
Wenn man aber seinen zweitägigen Washington-Besuch beobachtet hat, scheint er eine ganz neue Dimension des Irrsinns erreicht zu haben.
Bibi, der Molch und Herr Boehner drehen jetzt völlig frei, oder?
Inzwischen wird Weltpolitik, ja sogar der Frieden, den persönlichen Machtinteressen skrupellos untergeordnet.
In den letzten 70 Jahren hatte Israel nirgends auf der Welt so treue und 
so wichtige Freunde wie im Weißen Haus. 
Und Bibi schafft es der gesamten US-Administration so vor das Schienbein zu treten, daß alle Minister und der Präsident sowieso schreiend weglaufen, wenn er in Washington ist. Niemand will mehr mit ihm gesehen werden.
Wenn Netanjahu im Oval Office auf Obamas Schreibtisch geschissen hätte, wäre das auch kein größerer außenpolitischer Eklat, als das was er tatsächlich anstellte.

Eine Rede, gespickt mit vom eigenen Geheimdienst Mossad längst widerlegten Lügen und Übertreibungen. Und eine Rede voller Anwürfe gegen die USA, immerhin seit der Gründung Israels vor fast 70 Jahren der wichtigste Verbündete des Landes. Nancy Pelosi, demokratische Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus und bislang wahrlich nicht als Kritikerin der israelischen Politik aufgefallen, empfand die Rede als „so selbstgefällig und beleidigend“, dass sie „mit den Tränen gekämpft“ habe.
Netanjahus Auftritt habe sie „an Dr Strangelove erinnert“, meinte die bekannteste Politikjournalistin der USA, Christiane Amanpour in Anspielung auf Stanley Kubricks berühmte Kalte-Kriegs-Satire. Darin löst ein paranoider, von sowjetischen Angriffsabsichten überzeugter US-General beinahe  einen Atomkrieg aus.

Und der Grund für Bibis rasenden Hass auf Obama ist lediglich der, daß in Washington gelegentlich Vernunft einkehrt.
Offenbar hat man dort die Lage im Nahen Osten analysiert und ist zu verschiedenen Schlüssen gekommen:

1.) Das größte Hindernis auf  dem „Weg zum Frieden“ ist Israels Siedlungspolitik mit der daraus folgenden Katastrophe für das palästinensische Volk. Obama und Kerry haben das auch öffentlich gesagt, Israel darum gebeten sich beim Siedlungsbau zurück zu halten.
Natanjahu platzte vor Wut.

2.) Die totale Konfrontation mit dem Iran, die seit 2001 besonders von den USA ausgeht, hat zu nichts geführt. Dieses tote Pferd sollte man nicht weiter reichen und stattdessen lieber versuchen auf Augenhöhe mit Teheran zu sprechen.

Nicht, daß mich noch irgendetwas Irres an Gingrich oder McCain verwundern könnte, aber es ist schon ein starkes Stück, daß sie aus purem Hass auf ihre eigene Regierung lieber einen Krieg im Pulverfass Nahost provozieren, als dem verhassten Präsidenten Obama diesen außenpolitischen Erfolg zu gönnen!
Schon jetzt stellen sie klar ein Abkommen mit Teheran bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember 2016 nicht zu ratifizieren. Dabei gibt es nichts wichtigeres als mit seinen „Feinden“ zu sprechen.

[…]   US-Präsident Barack Obama verfolgt eine chancen-, aber auch risikoreiche Strategie um Umgang mit Amerikas Erzfeinden Iran und Kuba.
    Im Verhältnis zu Teheran möchte er zunächst den Konflikt um das Atomprogramm aus dem Weg schaffen, dabei aber auch Zeit für den Notfall gewinnen.
 […]  Die Annäherung an zwei Erzfeinde ist für Obama chancen- und risikoreich. Sollte die Entspannung gelingen, böten sich den USA neue Möglichkeiten in Lateinamerika und im Mittleren Osten. Misslingt sie, sähe Obama aus wie ein Naivling, der sich von autoritären Regimes vorführen ließ; ein Rückschlag für seinen Ansatz, mit Gegnern zu reden. "Die Vorstellung, dass wir Länder bestrafen, indem wir sie anschweigen, ist lächerlich", sagte er einmal.
Im Verhältnis zu Teheran möchte Obama zunächst den Konflikt aus dem Weg schaffen, der das Verhältnis Irans zum Westen seit mehr als einem Jahrzehnt belastet: das Atomprogramm, das Iran bis 2003 heimlich betrieb. Teheran beteuert, es reichere Uran in Gas-Ultrazentrifugen nur deshalb an, weil es Treibstoff für Atomkraftwerke benötige. […]  
Hier offenbart sich die gemeinsame Logik einer Entspannung gegenüber Kuba und Iran: Obama hält es für unsinnig, stur an den immer gleichen Methoden festzuhalten, obwohl sie immer aufs Neue versagen. Jahrzehntelang haben die USA Kuba boykottiert und das Regime doch nicht gestürzt. Im Falle Irans war der Erfolg der internationalen Sanktionen ähnlich bescheiden. "Anfangs betrieb Iran bloß ein paar Hundert Zentrifugen, aber jetzt, nach einem Jahrzehnt der Sanktionen, sind es Zehntausende Zentrifugen", sagt Obama. […]

Wenn ich die verschiedenen amerikanischen Analysen der Netanyahu-Rede vor dem US-Kongress betrachte – CNN hat eine Menge davon dokumentiert – fällt mir auf, wie einig man sich von links bis rechts immer noch darin ist, Iran prinzipiell zu verdammen. Das Land wird nach wie vor von allen amerikanischen Analysten als das pure Böse betrachtet, etwas, das man niederringen muß, das niemals Massenvernichtungswaffen bekommen darf.

Die grundsätzliche Frage ist: Wieso dürfen eigentlich die ABC-Macht Israel und die ABC-Macht Amerika einem großen und bedeutenden Land wie dem Iran aufoktroyieren niemals zur ABC-Macht zu werden.
Was Jerusalem und Washington ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen; nämlich über ein modernes Atomwaffenarsenal zu verfügen; sollen andere niemals dürfen.
Im Gegenteil; wenn sie nur daran denken sich ansatzweise das anzueignen was Israel und Amerika schon lange haben, ist das ein Beweis für deren Bösartigkeit, ja sogar ein Grund für einen Angriffskrieg.
Dabei erscheint es Kongress-Republikanern und Israelis noch nicht einmal zu lächerlich zu sein seit 15 Jahren dringend davor zu warnen, daß der Iran nun aber wirklich unmittelbar davor stünde eine Atombombe zu bauen; innerhalb von weniger als einem Jahr wäre Teheran so weit.

Jacque Chirac sagte einmal sinngemäß als er noch im Amt war; na und, was würde es schon ausmachen, wenn Teheran wirklich eine Atombombe hätte? Er könne die ja ohnehin nicht einsetzen, da noch bevor die irgendwo einschlüge, Israel von seinen überall verteilten U-Booten aus hundert Atombomben auf den Iran abschießen würde. Der Einsatz einer Atomwaffe gegen Israel bedeute die absolut sichere Auslöschung des gesamten Staates Iran. Und so irre sei niemand, das zu riskieren.

Bei außenpolitischen Konflikten ist der Schlüssel zur Entspannung immer der, sich in die Position des anderen hinein zu versetzen und zu verstehen was er fürchtet, was er erreichen möchte.

In unserer zunehmend manichäisch geprägten Berichterstattung ist das aber geradezu verpönt.
Wer auch nur versucht darüber nachzudenken, was aus Sicht des Kremls bedrohlich wirkt, wird sofort zumindest als „Russlandversteher“ verhöhnt.

Die Sicht des Irans auf seine Nachbarn scheint mir allerdings recht leicht zu deuten zu sein. Er war als rein schiitischer Staat lange Zeit nur von Feinden umzingeln. In diesem Pulverfass mit dem extrem reichen und hochgerüsteten Gegenspieler Saudi-Arabien in Reichweite, spielen Sicherheitsaspekte eine große Rolle. Zu oft ist man schon bombardiert worden, zu grauenvoll waren die Erfahrungen mit dem maßgeblich von den USA angezettelten Irak-Iran-Krieg 1980-1988, bei dem Donald Rumsfeld persönlich nach Bagdad zum Shakehands mit Saddam Hussein reiste, um den Irak so aufzurüsten, daß der Iran eine Million Tote zu beklagen hatte.
Was passiert, wenn einem die USA auf dem Kieker haben – und das ist man als Teil der Washingtoner „Achse des Bösen“ ja offensichtlich  - konnte Teheran 2001 bei seinem direkten östlichen Nachbarn Afghanistan und 2003 bei seinem direkten westlichen Nachbarn Irak erleben: Man wird angegriffen und vom US-Militär viele Jahre lang platt gemacht.
Irak und Afghanistan passierte das, weil sie eben KEINE MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN hatten und sich nicht wehren konnten.
Das einzige Land der „Achse des Bösen“, das tatsächlich über Massenvernichtungswaffen, nämlich vermutlich zwei bis fünf Atomsprengköpfe,  verfügt ist Nordkorea und wurde genau deswegen NICHT von den USA angegriffen. Pyönyang ist sicher.

Was liegt also näher für Teheran, als sich möglichst auch die Dinger anzuschaffen – zumal beide Erzfeinde, USA und Israel, Atomwaffen haben und immer wieder bewiesen, daß sie durchaus andere Länder militärisch angreifen.

Was für eine Anmaßung der Washingtoner Sesselpuper Irans Wunsch nach friedlicher Atomtechnologie als Rechtfertigung für einen Angriffsplan auf ein 70-Millionenvolk zu nehmen.


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