Samstag, 2. August 2014

Nichts Wichtiges


Samstag und politisch ist alles sowieso großer Mist; wie immer.

Gelegenheit mal eben schnell etwas aufzuschreiben, das mir schon lange an den Nerven nagt:
Das Wetter.
Also nicht das Wetter an sich. OK, das geht mir natürlich auch seit Wochen auf die Nerven, ist aber nicht so ohne weiteres zu ändern.
Ich meine speziell dem Umgang der Boulevardzeitungen und des Fernsehens mit hohen Temperaturen.
Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit in Hamburg-Lokstedt beim NDR das Tagesschau-Studio zu besichtigen. Der Raum ist fensterlos und von Klimaanlagen stark runtergekühlt.
Da steht es sich als Moderator (alle stehen jetzt am Pult – außer Claus-Erich Boetzkes. Der ist so groß, daß er sitzen darf) leicht, während einem die Worte von den erfreulich heißen Sommertagen über die Lippen kommen.
Hitze und insbesondere die seit vielen Wochen in Norddeutschland herrschende Dauerhitze mit Nächten, die in der Stadt nie kühler als 21°C werden, ist aber nun einmal nicht für jeden erfreulich.
Die Boulevardzeitungen wie die „Hamburger Morgenpost“ beschreiben die Wetterlage aber ausschließlich aus der Perspektive von jungen, gesunden, sehr schlanken Menschen, die offenbar auch nie arbeiten müssen, sondern den ganzen Tag im Adamskostüm im Freibad zubringen.
Die typischen Überschriften lauten dann „Sommer, Sonne, Hamburg - so genießen Sie das Traumwetter“ oder „Hurra! Noch zwei Wochen Tropenwetter in Hamburg“ oder „So genießen die Hamburger das Wetter“ oder „das Traumwetter“ oder „Die nächsten Tagen werden einfach traumhaft: Die Sonne scheint“ oder „After Work in der Strandperle: Bei schönem Wetter ist die Aussicht unschlagbar“ oder „Der Sommer gibt noch mal alles: Diese Woche bekommen wir herrliches Badewetter“ oder „Endlich wieder strahlend blauer Himmel!“ oder „Super-Sommer im Norden und kein Ende in Sicht. Bei 30 Grad und strahlend blauem Himmel fühlt es sich selbst in Norddeutschland gerade ein wenig an wie am Mittelmeer. Und vorerst wird sich daran wohl auch nichts ändern.“
Es folgen die typischen Bildstrecken von knapp bekleideten „Studentinnen“ und ähnlichen Brathirnen, die rund um die Uhr in Parks, am Elbstrand oder in den Freibädern rumliegen.

Das ist schön für die jungen Frischen und darf auch berichtet werden. Aber es könnte auch 10% des Zeitungsplatzes für die Temperatur-Jubelarien für diejenigen freigeräumt werden, für die so ein Wetter tödlich ist. Und das meine ich nicht metaphorisch.

Ich kenne die meisten Kardiologien in Hamburg ganz gut.
 Da werden die Temperaturen zum Killer, da nur die OPs klimatisiert sind. Die beiden Intensivstationen des UHZs (Universitäres Herzzentrum, erbaut 2006!) haben zwar angeblich eine Klimaanlage, aber die ist so schwach, daß nur im Eingangsflur der herzchirurgischen Intensivstation ein leichter Effekt bemerkbar ist. Die Patientenzimmer sind ebenso wie die gesamte kardiologische Intensivstation bruttig aufgeheizt. Die Monitoringstation für die postoperativen Patienten ist genauso wie die normalen Kardiologischen Stationen mit keinerlei Klimaanlage ausgestattet. Hinzu kommt, daß auf der gesamten Monitoringstation und den Isolierzimmern der Normalstationen generell keine Fenster zu öffnen sind. Man liegt dort vor glühend heißen Fensterfronten.
Auch in der Notaufnahme, der größten der 1,8 Millionenstadt Hamburg, in der laufend kollabierende Pflegepatienten ankommen, herrschen 33°C. Eine einzige Tortur für die Herz-Kreislaufpatienten.
Dabei müßten die vielen alten Menschen mit schwerer Exsikkose gar nicht erst in Notaufnahme, wenn sie in ihren Pflege- und Altenheimen wenigstens genug zu trinken bekämen. Aber dafür fehlt Deutschland bekanntlich das Geld.
Myriaden Menschen in Deutschland liegen in Heimen und verdursten während die Mopo den „Supersommer“ bejubelt.
Das Problem der Exsikkose in Altenheimen wurde durch das Hoch „Michaela“ im Jahr 2003 europaweit diskutiert.
Hilflose und pflegebedürftige Menschen trinken fast nie von allein genug Wasser und es reicht nicht ihnen einfach irgendwo ein Glas hinzustellen; es braucht eine pflegende Person, die ihnen das Wasser auch einflößt.
Auf dieses Weise starben 2003 mindestens 40.000 Menschen über 75 Jahren in Westeuropa.

Der 11. und der 12. August waren aufgrund der Windstille besonders belastend. Die Wirkung der Hitzewelle wurde durch die sehr erhöhten Nachttemperaturen verstärkt, die fehlende Luftbewegung verursachte einen steilen Anstieg der Stickoxide, die sich bei der Entstehung des Ozons ansammelten. Die Leichenhallen waren sehr schnell voll belegt, da man die Leichen wegen der beträchtlichen Hitze nicht in ungekühlten Räumen lagern konnte. Ein gekühlter Hangar der Halles des Pariser Vororts Rungis, das Logistikzentrum der Transporte für den Handel mit Lebensmitteln, wurde zur Verfügung gestellt, damit dort die Leichen vorläufig abgelegt werden konnten. Am 24. August gab es immer noch 300 Leichen in Paris, für die sich keine Angehörigen gemeldet hatten und die in Rungis und in Kühllastern in Ivry-sur-Seine ihrer Beisetzung harrten.

Wenn in Deutschland ein alter Mensch in einem Heim zu vertrocknen droht, muß man 112 rufen und ihn schnellstens in Krankenhaus bringen lassen. Dort bekommt er dann zwei bis drei Tage lang intravenös Ringerlösung oder NaCl-Lösung. Das kostet ungefähr 2000 Euro inklusive der Krankenwageneinsätze und ist absolut alltäglich in den Kliniken bei einem Wetter wie heute.
Natürlich könnte man auch stattdessen für einen Bruchteil des Geldes etwas mehr Pflegepersonal in den Heimen einstellen, so daß die alten Menschen a priori genug zu trinken bekommen und gar nicht erst in Lebensgefahr geraten.
Die Absurdität ist bekannt* und wurde in vielen Büchern (Stichwort Claus Fussek) beschrieben. Aber die 2000 Euro für den Krankenhausaufenthalt kommen aus einem anderen Topf, dem der Krankenkasse und nicht dem der Pflegekasse. Merkel und Co kümmern sich aber nicht darum, weil es auch keinerlei Druck auf sie in dieser Angelegenheit gibt. Die Presse versagt hier vollkommen bei ihrer einseitigen Sommerbejubelung. Sie verweigert ihren Job auch auf die Missstände hinzuweisen.
Es ist ein bißchen ähnlich bei der leidigen Diskussion Auto versus Fahrrad, die vermutlich in allen deutschen Großstädten läuft. Die Straßen sind ursprünglich für Autos geplant worden, da aber heute glücklicherweise mehr Menschen Rad fahren verlangen sie überall Fahrradwege, die auf Kosten der Auto-Straßen abgezwackt werden.
Zumindest die Hamburger Lokalpresse steht ausnahmslos auf der Seite der Radfahrer und brandmarkt genau wie fast alle Parteien die sturen Autofahrer, die weiter auch in der Innenstadt fahren wollen. Dadurch haben die Radfahrer so starkes Oberwasser, daß sie zunehmend aggressiv werden. Tatsächlich muß man sein (Auto-)Fahrverhalten ändern. Beim Rechtsabbiegen genügt kein kurzer Schulterblick mehr; nein man muß sich einmal komplett umdrehen, weil auf Fußwegen, Fahrradwegen und Straßen bei grün UND rot jederzeit irgendein Irrer auf seinem 4000-Euro-Mountainbike einem vor die Kühlerhaube rasen kann.
Natürlich ist es aus ökologischen Erwägungen unstrittig, daß der Umstieg möglichst vieler PKW-Nutzer auf das Rad zu wünschen ist.
Aber die Presse hätte verdammt noch mal auch die Pflicht an diejenigen zu denken, für die das nicht möglich ist.
 Ist gibt jede Menge Alte, Pflegefälle, Herzkranke, Behinderte, oder einfach junge Leute mit Mitralklappeninsuffizienz, die nicht die Puste zum Strampeln haben, also die schlicht und ergreifend nicht in der Lage sind Rad zu fahren.
Es wäre ganz nett zu berücksichtigen, daß auch diese Menschen Zugang zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben müssen.

Verblüffenderweise gibt es immerhin gelegentlich für die nichthumane Natur Mitleid, obwohl jeder immer nur den Sommer bejubelt.

Die Natur leidet. Dazu muß ich nur aus dem Fenster sehen – alle Büsche und Gräser sind braun und vertrocknet. Natürlich trifft es auch die Fauna.

Hitzewelle löst Fischsterben in der Elbe aus
Fischer sprechen von einer Katastrophe. Bisher schon 100 Tonnen Kadaver. Einer der Gründe: die verstärkte Algenblüte.

Die Hamburger Umweltbehörde warnt vor dem Kontakt mit giftigen Blaualgen in der Binnen-und Außenalster. Vor allem in Höhe Lombards- und Kennedy-Brücke haben sich dort in den vergangenen Tagen ganze Algenteppiche gebildet.

Und ja, falls jemand fragt, ich bin persönlich in vielerlei Hinsicht betroffen.
Ich breite hier nicht meinen Gesundheitszustand aus, aber meine Wohnung ist nicht isoliert und da ich ein vorbildlich ökologisch denkender Mensch bin auch ohne Klimaanlage. Seit Wochen ist in meinem Schlafzimmer auch nachts niemals unter 29 oder 30°C, so daß an Schlaf nicht zu denken ist.
Und ja, das NERVT, da bekommt man GANZ GANZ SCHELCHTE LAUNE, wenn einem die Radiomoderatoren vorsäuseln wie glücklich wir uns schätzen können, daß es dauerhaft heiß bleibt.



*Constanze Kleis
Sterben Sie bloß nicht im Sommer
Dumont, 224 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-8321-9657-8


 *Die ganze Abartigkeit dieser Zustände wird noch dadurch getoppt, daß dies alles seit vielen Jahren bekannt ist. Herr Fussek hat darüber viele Bücher geschrieben, trat oft in Talkshows auf und das Thema wird immer wieder von den relevanten Periodika und TV-Magazinen aufgegriffen.
Aber ¾ der Deutschen sind begeistert von der Kanzlerin, die dieses Millionenfache Foltersystem in Deutschland geschehen läßt.

Claus Fussek und der Gottlob Schober sprechen in der AZ über menschenunwürdige Bedingungen in der Altenpflege – und einen Skandal, der keinen interessiert, bis er selbst betroffen ist

AZ: Herr Fussek, Herr Schober, vor fünf Jahren haben sie schon einmal ein Buch über den Zustand der Pflege in Deutschland geschrieben: „Im Netz der Pflegemafia“. Was hat sich seitdem geändert?

GOTTLOB SCHOBER: Wir dachten eigentlich, wir hätten alles aufgedeckt. Fünf Jahre später müssen wir feststellen: Es hat sich nichts überhaupt geändert. Es kann doch nicht sein, dass sich bei diesen Missständen gar nichts tut.

CLAUS FUSSEK: Völlig zu Recht haben die Flüchtlinge am Rindermarkt so viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich würde mir die gleiche Aufmerksamkeit wünschen für unsere alten Menschen, die täglich nichts zu essen und zu trinken bekommen. Die nie an die frische Luft kommen.

S: Bilder von gefesselten Alten – das weckt in den Leuten keine Empörung mehr.

F: Die Politik hat sich daran gewöhnt, die Medien auch. Für pflegebedürftige Menschen bedeutet das gesellschaftliche Desinteresse menschenunwürdige Bedingungen.

S: Wenn Sie sich die Kriterien von Folter anschauen – Fixierung, Freiheitsberaubung etwa – für uns ist das Folter, und der einzige legitime Bereich dafür sind die Pflegeheime.

F: Alle wissen Bescheid, von der Putzfrau bis zum Bestatter. Das ist eine Allianz des Schweigens. Und wie das funktionieren kann in unserer Gesellschaft, ist mir schleierhaft.

Diese Solidarisierung mit den Hochwasser-Opfern – so etwas brauchen wir für die pflegebedürftigen Menschen. […]   Es gibt so viel Unvorstellbares. Das glaubt man nicht, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Menschen kommen tagelang nicht aus dem Bett, werden mit Psychopharmaka ruhig gestellt, dämmern nur vor sich hin. Bekommen aus Zeitmangel nichts zu essen und zu trinken. Sie kommen nicht zum Klo und müssen ihre Notdurft in Windeln verrichten. […]

S: Ich war schon in Heimen, da hat nie ein Angehöriger vorbeigeschaut. Sie müssen sich kümmern. Ihre Anwesenheit erzeugt Druck. […] Was wir fordern ist kein Luxus, sondern absolute Mindeststandards. Grundrechte. Menschen müssen zu Essen und zu Trinken bekommen. Auf die Toilette dürfen. Selbst im Knast haben die Insassen Hofgang. Das ist doch absurd, dass man das überhaupt einfordern muss.

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