Samstag, 12. Juli 2014

Überlegene Stärke nutzen.



Früher war alles einfacher.
Da gab es die sowjetische und die amerikanische Einflusszone in der Welt.
Man muckte nicht auf, sondern tat das was der jeweilige große Bruder befahl.
Wer nicht direkt zu den Blöcken gehörte, weil er ökonomisch nicht interessant oder weit weg war (Südamerika, Afrika), sollte in der Regel eine proamerikanische Regierung haben. Gelang dies nicht, wurde eben von der CIA ein Oppositioneller groß gemacht und/oder der amerikakritische Präsident ermordet.
Daß heute nicht nur USA-begeisterte Regierungschefs in Südamerika hocken, hängt auch damit zusammen, daß die CIA legendär unfähig ist.
Die CIA ist der Mr. Bean unter den Geheimdiensten.
Die wirklich wichtigen Ereignisse verschlafen sie grundsätzlich. Völlig überrascht wurde das Weiße Haus von den Putschen gegen Gorbatschow und Jelzin, von den Krisen in Georgien und der Ukraine. Sie bemerkten weder die Arabellion noch den Mauerfall und hatten selbstredend trotz zahlreicher Hinweise auch keine Ahnung von bin Ladens Aktivitäten bevor die Twin-Towers als Staub am Boden lagen.
Fidel Castro ist fast 90 und noch immer hat keiner der Dutzenden CIA-Tötungsversuche auf ihn funktioniert.
Manchmal habe ich den Eindruck die amerikanischen Geheimdienste haben ihre eigentlich Funktion als Vorlage für spannenden Hollywood-Blockbuster oder zugegebenermaßen gut gemachte Serien à la „Homeland.“
Wenn der CIA auch nur halb so effektiv wie der Mossad, die Stasi oder gar der KGB arbeitete, wäre inzwischen die ganze Welt amerikanisch.
Daß die amerikanischen Dienste so tölpelhaft arbeiten, hängt mit dem typischen Desinteresse an anderen Nationen zusammen.
Ihnen ist es unmöglich zu begreifen, daß jemand Amerika nicht grenzenlos bewundert. Sie können sich so ein Verhalten nur durch pure Bosheit erklären.
Aber so manichäisch ist die echte Welt nun einmal nicht.
In der letzten SPIEGEL-Titelgeschichte wurden die russische und die amerikanische Botschaft in Berlin beschrieben. Die Unterschiede sind metaphorisch vielsagend.

Auf den zweiten Blick erblickt man in dem Haus am Pariser Platz 2 eine Festung, gesichert mit Pollern, Überwachungskameras und Panzerglas. [US-] Botschafter Emerson residiert im vieren Stock. Wer ihn besucht, muss schon an der Pforte sein Handy abgeben. Dann geht es durch drei Sicherheitsschleusen, ganz oben, auf der Ebene des Botschafters, muss selbst Emersons Pressesprecherin ihr Mobiltelefon in einer  kleinen Holzbox deponieren. Emersons Büro ist mit einer Tür aus Stahl gesichert, und das Glas, durch das man auf den  Tiergarten und das Brandenburger Tor blickt, ist so dick, dass es wahrscheinlich einem nuklearen Erstschlag widerstehen würde. Emersons strahlende Freundlichkeit steht in merkwürdigem Kontrast zu der Sicherheitsparanoia, die ihn umgibt. Er ist ein jovialer ehemaliger Rechtsanwalt und Investmentbanker aus Chicago, der für Obamas Wahlkämpfe Millionen Dollar einsammelte und nun, am Ende seiner Karriere, einen schönen Botschafterposten in Europa bekommen hat. Er spricht, wie viele seiner Vorgänger, kaum ein Wort Deutsch. [….]
WENN BOTSCHAFTEN etwas über die Seelenlage von Nationen erzählen, dann zeigt die russische Vertretung eine Seele voller Sehnsucht. [….] Ein Sicherheitsbedürfnis hat sie nicht. Wer in der russischen Botschaft für einen Termin angemeldet ist, braucht nur auf den Klingelknopf zu drücken und seinen Namen zu nennen. Dann summt das Türschloss, und der Gast darf eintreten. Es gibt keine Ausweiskontrolle, keine Sicherheitsschleuse, keinen Handtaschen-check. Handy, Aufnahmegerät, Taschenmesser – nichts muss abgegeben werden. Sicherheitskontrollen könnten als Ausweis des Misstrauens gegen die Besucher erscheinen. Das wäre unhöflich. [….] Botschafter Wladimir Michailowitsch Grinin kommt seinen Gästen durch den gigantischen Bankettsaal entgegen. Die Räume sind mit erlesenen Hölzern, schweren Stoffen und prunkvollen Leuchtern ausgestattet, altmodisch, aber geschmackvoll. Grinin bittet in den Salon, Tee und Pralinen stehen bereit, dazu Zitronen in hauchdünn geschnittenen Scheiben und Kandiszucker. Grinin begrüßt seine Gäste in geschliffenem Deutsch, nur der leichte russische Akzent verrät, dass er kein Muttersprachler ist. Er verkörpert die Nähe zwischen Deutschland und Russland…[….]
(DER SPIEGEL 28 / 2014 s 21 ff.)

Im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf gab es einen republikanischen Bewerber, der ernsthaft alle außenpolitischen Fragen mit „Chuck Norris“ beantwortete.
Sollte heißen: „Im Zweifelsfall ordentlich draufhauen!“
Michael Moore forderte einst ein Gesetz, welches es den Amerikanern verböte Länder militärisch anzugreifen, die sie nicht auf der Landkarte finden könnten.
Völlig verblüfft stellten die Amerikaner beispielsweise 2008 fest, daß es außer dem richtigen Georgia, also dem südöstlichen Bilblebelt-US-Staat zwischen Alabama und South-Carolina offenbar noch ein zweites „Georgia“ irgendwo in Osteuropa gab.
Der Präsident Micheil Saakaschwili war ein frommer Mann, der nur durch einen eigenartig geschriebenen amerikanischen Vornamen auffiel und ansonsten tapfer gegen die bösen Russen kämpfte.
Sofort begeisterten sich die US-Medien für dieses Georgia 2.0 und unterstützten seine russophoben Aktionen voller Inbrunst.
Ich bin sicher, daß die Saakaschwilis Mordaufträge und Korruptionen bis heute in Amerika unbekannt sind. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß er es war, der den Südossetien-Konflikt anzettelte.

Aber wie soll auch Außenpolitik und Diplomatie funktionieren, wenn man sich nicht für den Rest der Welt interessiert?
„Fuck the EU!“

Es ist ein merkwürdiger Spagat zwischen dem US-amerikanischen Anspruch als globo cop die Welt beherrschen und beeinflussen zu wollen. Aber andererseits kein Interesse an anderen Kulturen entwickeln zu können.

Wer erwartet hatte die arrogante Außenpolitik der G.W. Bush-Administration würde sich entscheidend unter dem nächsten Präsidenten verbessern, muß heute mindestens als naiv gelten.
Klar, der Umgangston verbesserte sich, aber auch Obama empfindet andere Nationen als natürliche Untergebene. Selbst engste Verbündete werden ausspioniert und gedemütigt und wer wie einige linksliberale Südamerikanische Regierungen aufmuckt, wird mit groben Desinteresse gestraft.
Wenig verwunderlich, daß andere Große in das Vakuum vorwagen.

Moskaus Einfluss in Lateinamerika nimmt in dem Maße zu, in dem sich Washington immer weniger in seinem einstigen Hinterhof engagiert. So sind derzeit in zehn Ländern der Region keine amerikanischen Botschafter tätig, weil Präsident Barack Obama entweder keine Kandidaten für vakante Posten benannt hat oder weil die Bestätigung von Nominierungen von der republikanischen Opposition im Senat verhindert wird.

Anders als die EU und die USA erkennen insbesondere die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) in der Außenpolitik Chancen und nicht bloß Probleme.
Sie engagieren sich teilweise sehr stark ökonomisch in Afrika und Südamerika, reichen die Hand und intensivieren die Kontakte.

Haiko Maas und andere Bundesminister diagnostizieren richtig, daß die Vereinigten Staaten zwar der wichtigste Partner Deutschlands sind, daß Washington derzeit aber alles unternehme, um den Antiamerikanismus in Deutschland zu stärken.
Damit stehen wir nicht allein da.
Mit welcher unverschämten Großkotzigkeit Amerika ganze Länder auspresst, erfährt Präsidentin Kirchner derzeit am eigenen Leib. Sie muß sich bei stoischem Desinteresse des Weißen Hauses vor einem amerikanischen Hedgefonds nackt ausziehen und darum betteln Argentinien vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Daß ein ganzes Land mit 41 Millionen Einwohnern a) ruiniert und b) in den Antiamerikanismus getrieben wird, scheint Obama vollkommen egal zu sein.

 […] Was der Hedgefonds Elliott Management gemeinsam mit der US-Justiz mit dem Staat Argentinien angestellt hat, ist ein Stück aus dem Tollhaus des internationalen Finanzkapitalismus.
Was für ein Geschäft! 1608 Prozent Gewinn! In sechs Jahren! Ein solcher Profit dürfte auch Paul Singer nicht oft gelingen. Vor einigen Jahren kaufte der Chef des Hedgefonds Elliott Management für 48,7 Millionen Dollar einen Haufen argentinischer Staatsanleihen. Die Papiere hatten Schrottwert. […] Paul Singer […] verklagte den Staat Argentinien. Weil die Staatsanleihen auf Dollar lauteten und nach US-amerikanischem Recht begeben wurden, landete der Fall vor einem Gericht in New York. Singer bekam recht. Bis in die oberste Instanz. Jetzt schuldet Argentinien ihm 832 Millionen Dollar.
Ein irrer Fall: ein New Yorker Spekulant und ein mittlerweile 84-jähriger Richter am Bezirksgericht Manhattan haben gemeinsam die Macht, einen Staat mit 40 Millionen Menschen in die Knie zu zwingen. So ist das amerikanische Rechtssystem und so sind die internationalen Verhältnisse, die sich diesem Rechtssystem beugen müssen.
[…] Weigert sich die Regierung von Präsidentin Kirchner, ist Argentinien faktisch insolvent. Der Ruf des Landes am Kapitalmarkt wäre erneut verbrannt.
Sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise sendet die US-Justiz ein verheerendes Signal: die Finanz-Geier sollen ruhig weiterhin mit dem Schicksal von Staaten und Millionen von Menschen spielen. […]

Amerikanische Gier, bzw eine “mir kann keiner was”-Attitüde, richten exorbitanten außenpolitischen Schaden an, den man als amerikafreundlicher Mensch nur beklagen kann.


Man kann auch ganz anders mit kleineren und schwächeren Ländern umgehen, die sich bei einem „großen Bruder“ exorbitant verschuldet haben.


Russland, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zeitweise im ökonomischen Chaos versank, ist inzwischen wieder zu einer ökonomischen Supermacht herangewachsen.
Die postgorbatschowske Phase der totalen Demokratie war für die meisten Russen extrem unerfreulich.
„Tried it once, didn’t like it“ könnte man eine verbreitete Stimmung zu der russischen Demokratie der 90er Jahre zusammenfassen.

Natürlich muß man Putin nicht gerade als Vorkämpfer der Menschenrechte feiern.
Aber er ist reich und verlässlich.
Deutschland, welches vollständig von Gasimporten aus Russland abhängig ist, hat in Putin einen Partner, der Sicherheit bietet.
 Noch nie kam Russland seine  Lieferverpflichtungen nicht pünktlich nach und nie wurde ein unfairer Preis verlangt.
Bedenkt man, daß sich das größte Land des Planeten noch vor 20 Jahren in Auflösung befand, daß sich Hungersnöte breit machten, während sich die später euphemistisch „Oligarchen“ genannten Großverbrecher Milliardenwerte unter den Nagel rissen, daß Zig Millionen Menschen monatelang keinen Lohn erhielten, daß die Kriminalität explodierte, kann man nur von einem Wunder sprechen, wie das Land heute prosperiert.
Putin hat dabei keine demokratischen Spielregeln befolgt, wie man sie Schweden oder Belgien einhält. Aber wenn er das getan hätte, wäre er sicher längst nicht mehr am Ruder, womöglich gar ermordet (in der russischen Politik wird mit harten Bandagen gespielt) und es ist unwahrscheinlich, daß es den Russen dann besser ginge.
Man erinnere sich nur an den korrupten stets volltrunkenen Boris Jelzin, der seine Meinung dreimal am Tag änderte und nach drei Flaschen Vodka mit dem Nuklear-Koffer rumspielte.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit wäre es ohne so eine „harte Hand“ längst zum Bürgerkrieg gekommen und die Ex-UdSSR wäre weiter ausgefranst.
Es hätte aber auch personell viel schlimmer kommen können. Man denke nur an die Wahlerfolge des geisteskranken und kriegslüsternen Wladimir Schirinowski.
Der Juden- und Schwulenhasser ist zu allem fähig und beeindruckt bis heute mit Gaga-Vorschlägen.

Mit Sex nur einmal pro Quartal will der prominente russische Politiker Wladimir Schirinowski (67) Moral und Disziplin in der Gesellschaft verbessern.
„Viermal im Jahr ist genug“, schreibt der Chef der ultranationalistischen Parlamentspartei LDPR in einem Leitfaden, wie der Internetsender Doschd am Dienstag berichtete.

Bedenkt man wie kurz es erst freie Wahlen in Russland gibt, ist die Liberalität sogar schon recht weit fortgeschritten in dem Land, welches seit tausend Jahren nur Diktatoren-Regime kennt.

Man hätte mal die Deutschen 20 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur nach ihrer Meinung zur Homoehe fragen sollen.
Wie hätten wohl Briten oder Österreicher zu vordemokratischen Zeiten auf sich küssende Männer reagiert?

Inzwischen herrscht in Russland vielleicht nicht genau die Demokratie, die in westeuropäischen EU-Staaten praktiziert wird, aber es sind eher die Vereinigten Staaten von Amerika, die menschenrechtlich mittelalterlich handeln, während Putin am Pranger steht.
Wie Merkel und Gauck befindet sich auch Putin auf einer Reise zum WM-Endspiel in Rio.
Im Gegensatz zu den popularitätserheischenden deutschen Staatsspitzen hat er allen Grund die Reise anzutreten, denn es findet dort auch ein BRICS-Gipfeltreffen statt und außerdem muß er als nächster Fußball-WM-Gastgeber den Staffelstab übernehmen. Auf dem Weg guckte er in Havanna rein. Das früher komplett von der Sowjetunion abhängige Kuba wurde aufgrund der russischen Schwierigkeiten 15 Jahre stark vernachlässigt. Das soll jetzt geändert werden.

Über den Gastgebern seiner ersten Station wird Putin in Havanna das Füllhorn russischer Großzügigkeit ausschütten. Nach jahrelangen Verhandlungen beschloss die Duma in Moskau jüngst, Kuba faktisch alle Altschulden aus den Zeiten der Sowjetunion zu erlassen. 90 Prozent der umgerechnet rund 26 Milliarden Euro werden sofort gestrichen. Die restlichen zehn Prozent kann Kuba in den kommenden zehn Jahren abstottern, wobei das von Havanna an Moskau überwiesene Geld in vollem Umfang von Russland auf Kuba wieder investiert wird.

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