Mittwoch, 14. Mai 2014

Dankbahr


In meiner früheren Wohnung hing ein Zeitungsausschnitt in der Küche, der mit „Dank Bahr“ überschrieben war.
Hintergrund waren heftige Anwürfe aus der CDU und CSU, daß Egon Bahr als Sonderbeauftragter der Bundesregierung und als Bundesminister intensiv mit den Kommunisten in der Sowjetunion zusammen gearbeitet hätte.
Es war die Hochzeit von Peter Hintzes (leider erfolgreichen) „Roter Socken Kampagne“, als jeder Politiker, der es auch nur wagte mit einem PDS-Politiker zu sprechen zur Persona Non Grata erklärt wurde. Man witterte überall böse IMs und wollte die „Kommunisten aus der DDR“ mit strikter Missachtung aus dem Parlament vertreiben. Genauso hatte es ja schon mit den schlimmen Grünen 1983 geklappt.
Kohl und die Seinen wollten die Geschichte klittern. Sie stellten den Zusammenbruch des Warschauer Paktes als Folge ihres strikt antikommunistischen Kurses dar und versuchten noch einmal a posteriori Brandt und Bahr als vaterlandslose Gesellen zu diffamieren.
Aus Sicht der Konservativen ist man ein guter Außenpolitiker, wenn man Konfrontation sucht und andere Nationen vor den Kopf stößt (außer natürlich die USA, die sich alles erlauben darf).
Die Union biegt sich dabei nicht nur die Fakten zurecht, sondern sie behauptet das diametrale Gegenteil der Wahrheit.
Darum ging es in dem „Dankbahr“-Artikel, den ich extra aufgehängt hatte:
Die DDR fiel nicht TROTZ der Bahrschen Ostpolitik, sondern WEGEN ihr.
Das legendäre und bahnbrechende Konzept des „Wandels durch Annäherung“ war ebenso genial wie erfolgreich.
Deutschland hat allen Grund sich tagtäglich vor Egon Bahr zu verneigen.
Immer nur mit den Regierungen zu sprechen, mit denen man ohnehin einer Meinung ist, war schon vor einem halben Jahrhundert, als Bahr seine neue Ostpolitik erdachte, genauso falsch, wie 40 Jahre später unter George W. Bush.

Bahrs Entspannungsbeziehungen mit den sozialistischen Ländern lösten jedenfalls die »Lieber tot als rot«-Atombombeneinsatzpolitik in Bonn ab, sie sicherten zeitweilig Frieden in Europa und hatten zugleich beachtlichen Anteil an der Zerstörung der DDR und der anderen sozialistischen Länder. In Bahrs Worten: »Wir können eine Linie ziehen vom Moskauer Vertrag über Helsinki und zur Solidarnosc.« Einer, der besonders davon profitierte, Joachim Gauck, hat sie – intellektuell stets auf der Höhe – als feige »Appeasementpolitik« bezeichnet, also mit der Haltung der Westalliierten in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gegenüber Hitler gleichgesetzt. Nun bekommt Egon Bahr den Gauck an seinem 90. Geburtstag als Bundespräsidenten. Etwas Strafe muß sein, aber so einen übersteht ein Bahr mit Leichtigkeit.

Die Kalten Krieger in Washington waren schon vor 50 Jahren ähnlich borniert wie die CDU heute noch.

Das zeigt eine Tonbandaufnahme, die nun das US-Außenministerium veröffentlicht hat. Es geht um ein Gespräch am 3. Februar 1973. Brandt litt an einer Stimmbandentzündung und hatte eine Geschwulst entfernen lassen.

Nixon: Wie sieht es mit Brandts Kehle aus?
Kissinger: Leider ist sie (die Geschwulst – Red.) nicht bösartig. Es ist schrecklich, so etwas zu sagen …
Nixon: Ich weiß, was Sie meinen …
Kissinger: Ich meine …
Nixon: Sie meinen, dass er unglücklicherweise bei sehr guter Gesundheit ist.
Kissinger: Leider wird er uns erhalten bleiben, yeah.
Nixon: Er ist ein Trottel.
Kissinger: Er ist ein Trottel …
Nixon: Er ist ein Trottel …
Kissinger: … und er ist gefährlich.
Nixon: Tja, leider ist er gefährlich.

Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts – um noch einmal Egon Bahr zu zitieren.
Die Kunst der Diplomatie besteht darin sich mit den Typen an einen Tisch zu setzen, die man eben nicht gern auch privat zu einem gemütlichen feuchtfröhlichen Abend treffen würde.
Joschka Fischer kann eindrucksvoll davon erzählen wie er immer wieder zu Slobodan Milosevic reiste und mit Engelszungen (letztendlich erfolglos) auf ihn einredete, um ein Blutvergießen auf dem Balkan zu verhindern.
Das ist das ureigene Geschäft eines Diplomaten.

Man ist heute vollkommen auf dem Holzweg, wenn man meint Wladimir Putin durch Gesprächstopps und Ausladungen, durch Ächten und Ignorieren zur Raison bringen zu können.

Die deutsche Diplomatie steht Kopf, wenn man Mißfelder und Schröder dafür kritisiert Gespräche mit dem russischen Präsidenten zu führen, während man selbst stolz die Tür des G8-Gipfels vor Moskau zugeschlagen hat und nunmehr als G7 weitermachen will.

Unglücklicherweise scheint diese maximal dumme Politik nun auch bei dem sogenannten „runden Tisch“ in Kiew bevorzugt zu werden.
Der deutsche Spitzendiplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger soll es richten.
Er holt die Freunde der faschistisch unterstützten Übergangsregierung an einen Tisch und bittet zu konstruktiven Gesprächen.
Diejenigen, die aus Kiews Sicht Ärger machen, die separatistisch veranlagten Gruppen der Ostukraine dürfen allerdings nicht mitreden.

"Ein Runder Tisch ist nur dann sinnvoll, wenn sich alle daran versammeln, die miteinander im Konflikt sind. Selbstgespräche sind unnötig“, kommentiert Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss, die Einberufung eines ‚Runden Tisches der nationalen Einheit‘ in Kiew durch die dortige Übergangsregierung unter Ausschluss  prorussischer Aktivisten aus der Ostukraine. "Zu einem Ergebnis, dass alle anerkennen, kommt man nicht, wenn die, die anderer Meinung sind, ausgeschlossen werden." Liebich weiter:
"Wir sind weiterhin der Ansicht, dass die OSZE in der Lösung des Konflikts in der Ukraine eine entscheidende Rolle spielen soll. Umstrittene Altpolitiker wie den Expräsidenten Leonid Kutschma und diverse Oligarchen an den Tisch zu laden zeugt eher vom Gegenteil. Es schwächt die OSZE statt sie zu stärken.  Mit einem Ende des Militäreinsatzes im Osten des Landes und der Zulassung von Parlamentswahlen könnte Kiew zeigen, dass ein Friede und eine politische Lösung auch tatsächlich gewollt sind.“
(Pressemitteilung Die LINKE 14.05.14)

Es erinnert ein wenig an den Runden Tisch zum Missbrauch in der katholischen Kirche, den im Jahr 2010 Kristina Schröder, die fromme Annette Schavan und die phlegmatische Leutheusser-Schnarrenberger ins Leben riefen. Hier diskutierten Vertreter der Täterorganisation RKK mit katholischen Politikern. Nur die Opfer mußten draußen bleiben und wurden bis heute nicht gehört.

Ischingers triumphal vorgetragene Aussage „wir haben das Völkerrecht nicht gebrochen“, die offenbar Russland den alleinigen Schwarzen Peter zu schieben soll, irritiert außerordentlich.
So kann er nicht als neutraler Mittler fungieren.
Erfreulicherweise sagte er heute auch Richtiges.
"Wir werden keinen Sieg erringen, wenn wir glauben, wir ringen jetzt Russland nieder", so der Diplomat. Eine glückliche Hand beweist die Merkel-Regierung allerdings wirklich nicht.

Bei ihren Bemühungen zur Stabilisierung des Kiewer Umsturzregimes intensiviert die Bundesregierung ihre Kontakte zu den ukrainischen Oligarchen. Bereits am Dienstag ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit mit dem Multimilliardär Rinat Achmetow zusammengetroffen. Ziel ist es, die Regimegegner im Osten des Landes zu bezwingen und so die südöstliche Industrieregion Donbass wieder unter Kontrolle zu bekommen. Eine wichtige Rolle dabei spielt der Milliardär Ihor Kolomojskij, der mit seiner "Privatbank", der größten Geschäftsbank des Landes, sowie der "Privat Group" zu den
einflussreichsten Ukrainern gehört. Kolomojskij, dem außerordentliche
Aggressivität nachgesagt wird, ist vom Kiewer Umsturzregime bereits im
März zum Gouverneur von Dnipropetrowsk ernannt worden; von dort aus
unterstützt er Milizen, die im äußersten Osten der Ukraine gegen die
Regimegegner kämpfen, darunter ein Freikorps, das vom faschistischen
"Prawij Sektor" ("Rechter Sektor") gegründet wurde. Die Bemühungen
Berlins und Washingtons, die Ukraine an den Westen zu binden, führen damit nicht nur zur Konsolidierung der im Land weithin verhassten Oligarchen, sondern auch zur Stärkung paramilitärischer Freikorpsverbände - und womöglich in den Beginn eines Bürgerkriegs. […..]

Daß nun ausgerechnet der pöbelnde CSU-Prolet Ferber Herrn Steinmeiner vorwirft nicht effektiv zu sein, weil Steinmeiner ein bißchen zu sehr Außenpolitik à la Union betreibt, ist ein guter Witz.

Ferber hatte gegenüber SPIEGEL ONLINE die diplomatischen Bemühungen Steinmeiers in der Ukraine-Krise kritisiert: "Außer Spesen nichts gewesen", schimpft der CSU-Mann über Steinmeiers jüngste Ukraine-Reise.
Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel wies Ferbers Kritik zurück: "Noch nie hat eine Partei im Wahlkampf derart verantwortungslos den Bemühungen um den Frieden einen Dolchstoß versetzt." Die CSU falle damit nicht nur Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Rücken, sondern ganz Deutschland und Europa. Seehofer solle sich von diesem brandgefährlichen Spiel distanzieren. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, sprach von der "untersten Schublade, die man im Wahlkampf finden kann".

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