Samstag, 7. September 2019

Festgelogen


Bei meiner deutschen Oma gab es zum Frühstück ein „Rundstück“; so nennt man Brötchen in Hamburg. Damals waren es natürlich noch durch Handarbeit hergestellte Backwaren, die so ausgezeichnet schmeckten, daß man sich immer darauf freute und keine aus China importieren Tiefkühlteiglinge, die kurz über eine industrielle Backstraße gewandert waren.
Frau Sommer, die Haushälterin hatte die Rundstücke schon in der Küche der Länge nach mit zwei sauberen Schnitten in drei Teile portioniert. Am Frühstückstisch hatten wir nämlich nur Buttermesser. Bei der Besteckverwendung herrschten strenge Regeln – „nie eine Kartoffel mit dem Messer schneiden!“
Der begehrteste Part des Rundstücks war das weiche Mittelstück. Das ich üblicherweise bekam, weil ich ein Kind und der Lieblingsenkel war. Meine Oma aß gern das obere Drittel, weil es leicht kross war.
Einige bevorzugten aber auch das kräftigere Unterteil.
Gern erzählte Oma die Geschichte eines glücklichen Ehepaars am Tag der goldenen Hochzeit. Die Frau hatte ihm jeden Tag das Mittelstück überlassen und nach einem halben Jahrhundert nahm er sich das Herz ihr zu gestehen, wie wenig er den wabbeligen Part mochte und er auch mal die knusprige Brötchenkruste haben wolle.
Die Frau fiel aus allen Wolken, weil sie die Kruste nicht ausstehen konnte und 50 Jahre aus Liebe zu ihm nur Ober- und Unterteil des Rundstücks gegessen hatte – in dem Glauben, er möge das Mittelteil am Liebsten.

Diese Geschichte gibt es in unzähligen Varianten.
Da ist die Ehefrau, die auf dem Sterbebett gesteht, wie sehr sie sich all die Jahrzehnte quälte ihrem geliebten Gatten freitags Fisch zu kochen, aber es aus Liebe zu ihm gern getan hätte. Er bricht weinend zusammen, weil er Fisch schon immer hasste, ihn all die Zeit nur aus Höflichkeit aß, in der Annahme, seine Frau koche den so gern.
Meine Großtante war Paartherapeutin und trug aus ihrer Praxis weitere Varianten dieser über Dekaden anhaltenden Missverständnisse aus dem Schlafzimmer bei, die ich hier aus Gründen des Taktes nicht aufschreiben kann.

Man kann sich aber mit etwas Phantasie ausdenken, wie aus Zuneigung, Unsicherheit und mit ein paar kleinen Lügen aus Höflichkeit die groteskesten Missverständnisse im Laufe eines Paar- oder Familienlebens entstehen.

Wenn jemand, den man sehr liebt den ganzen Tag in der Küche steht, sich große Mühe gibt und dann irgendetwas Scheußliches fabriziert, sagt man der Person natürlich üblicherweise nicht ins Gesicht, wenn es einem gar nicht schmeckt.

(Glücklicherweise kam ich nie in die Verlegenheit, weil ich Single bin. Als Jugendlicher hatte ich das Problem schon gar nicht, da meine Mutter eine sensationelle Köchin war, die besser abschmecken konnte als jeder andere. Noch heute staune ich bei einigen einfachen Rezepten, die ich genau kenne, daß ich nicht den besonderen Geschmack hinbekomme, den meine Mutter hineinzauberte. Möglicherweise spielt auch Psychologie eine kleine Rolle.)

Höflichkeitslügen gehören zu einem friedlichen Zusammenleben dazu.
Wenn der Arbeitskollege oder die Käseverkäuferin einen dicken Pickel auf der Stirn hat, deutet man nicht drauf und sagt „Ih, der Pickel ist aber ekelig!“, auch wenn man es natürlich denkt.
Man lobt die neue Frisur etwas überschwänglicher als notwendig, freut sich offensichtlich über einen eher langweiligen Blumenstrauß und übertreibt ein wenig die Talente des anderen.

Diese kleinen Alltagslügen sind absolut notwendig, sollten aber einigermaßen austariert bleiben. Man erlebt das bei Castingshows, wenn vollkommen talentlose Teenager ohne Rhythmusgefühl einer Jury vorsingen, der nach wenigen Takten die Ohren bluten. In der Regel sind in solchen Fällen die Eltern Schuld, die ihr Kind kontinuierlich so übertrieben lobten, daß es am Ende selbst glaubt ein Jahrhunderttalent zu sein.

Außerdem sind kleine Lügen hervorragend geeignet, um Geld zu verdienen. Die Boutique-Besitzerin lobt natürlich die Kundin in dem drei Nummern zu kleinen grotesken Kleid, das sie aussehen lässt wie eine Presswurst, wenn sie dringend Kleider verkaufen muss, um ihre Miete zu bezahlen.
Schönheitschirurgen preisten den natürlichen Look ihrer Patienten, wenn diese schon längst als Zombi-Memes durchs Internet kursieren.
Erste Grundregel für alle Prostituierten ist es dem Freier glaubhaft zu versichern, er habe einen wirklich außergewöhnlich großen Penis und wäre besser als alle anderen, die sie sonst im Bett habe.
Warum auch nicht; das gehört zu dem Geschäft dazu.

In längeren Beziehungen können sich die höflichen Lügen allerdings auch verselbstständigen bis am Ende niemand mehr weiß wie sie entstanden sind und alle nur noch leiden.
Das kann schwierig werden, da aus einigen kleinen Lügen in der Summe eine ganz große Lüge wurde. Man hat sich festgelogen und kommt nicht mehr los davon; jedenfalls nicht nach der langen Zeit.
Geht es nur um das Rundstück-Oberteil, kann man sich mit Humor befreien.
Aber was ist, wenn man nicht nur das Brötchen-Drittel in Wahrheit nicht mag, sondern eigentlich den Partner nicht ausstehen kann?
Wie erklärt man das? Erklärt das der Umwelt, den Kindern?

Monika Gruber sagt in einer ihrer Bühnenprogramme „jede Frau kommt in ihrem Leben zu dem Punkt, an dem man mit seinem Mann auf der Couch sitzt, zu ihm rüber blickt und plötzlich weiß ‚scheiße, ich bin mit einem Deppen verheiratet‘!“

Ich glaube der republikanischen Partei, oder zumindest den winzigen Rudimenten, die noch mit Restanstand behaftet sind, wird es mit Donald Trump ähnlich gegangen sein.
Klar, das war 2016 ein Windei, der ordentlich übertrieb, gelegentlich flunkerte, aber als er schließlich die anderen GOPer ausgestochen hatte, musste man ihn ja unterstützen. Es durfte ja nicht Hillary Clinton gewinnen. Als erste Amtshandlung kam zwar diese reichlich dicke Crowd-Size-Lüge, aber das war eben der Lackmustest, an dem sich zeigte, daß die Konservativen geschlossen zusammenstehen müssen, wenn die liberale Presse sich echauffiert.
Es ist ja schließlich der Anfang der Präsidentschaft, wir wollen endlich die Steuern für die Unternehmer senken und einen Rechten auf den vakanten Supreme-Court-Sitz setzen; da hält man Trump bei Laune und fällt ihm nicht gleich als Erstes in den Rücken.
OK; es ist nicht gerade elegant Kinder und Schwiegerkinder auf die Topppositionen im Weißen Haus zu setzen, aber Donald ist nun mal kein Profi-Politiker, sondern Maverick, ein Outsider; dem muss man etwas Spielraum geben.
So gewöhnte man sich langsam daran die Augen zuzudrücken, wegzuhören, wenn rassistische Seitenhiebe kamen, entwickelte Routine darin mal Fünfe gerade sein zu lassen.

Allerdings blieb es nicht dabei, daß Trump das Mittelteil des Rundstücks wollte, das man ihm aus Liebe zur Partei und zur Regentschaft gern gab.
Er log immer dreister, immer schneller und immer gefährlicher.
So trieben sich Medien und Republikaner derartig tief in den moralischen Abgrund, daß sie nun nicht mehr ausstiegen können, ohne ihre dramatische Mitschuld zu gestehen.

Nach 12.000 belegten Lügen –

[….] President Trump has made 12,019 false or misleading claims over 928 days [….]

…..stellt sich Kayleigh McEnany, die schon vor drei Jahren log und hetzte, daß sich die Balken bogen und dafür mittlerweile zu Trumps Wiederwahlkampagnen-Managerin 2020 aufstieg, dem fassungslosen Chris Cuomo auf CNN und behauptet immer wieder NO, I DON’T BELIEVE THE PRESIDENT HAS EVER LIED!


Wie soll man von dem Baum wieder runterkommen?
Wenn man nach drei Jahren so weit ist einen Präsidenten zu lobpreisen, der sich wie ein hysterisches Kleinkind verhält, kann man schlecht noch einen Ausstieg finden.


Nach 12.000 Lügen ist Trump soweit, daß er sich nicht mehr die geringste Mühe beim Lügen gibt, sondern sich dummdreist für jedermann sichtbar einfach mit einem schwarzen Filzmarker die Welt zurechtmalt.


Die GOP, Trumps White-House-Aides, seine Medienleute, seine evangelikalen Claqueure haben sich derartig festgelogen, daß sie nun nicht mehr zurück können, ohne völlig das Gesicht zu verlieren.
Wann wäre ein passender Lügen-Ausstieg gewesen? Nach dem offensichtlichen Unsinn, Mexico zahle für die Grenzmauer? Nach dem Pussy-Tape? Nach der Crowd-Size-Lüge? Das wären Stationen gewesen, um sich von Trump abzusetzen.
Aber nach 1000 Lügen? Nach 10.000 Lügen, wie Herr Scaramucci?







1 Kommentar:

  1. Das mit Sturm Dorian ist für Trump nicht ideal gelaufen. Er hätte North Carolina einfach in Alabama umbenennen können, wenn die Schweden dem Kauf zugestimmt hätten. Haben sie aber ja nicht. :D

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