Kaum
einer war so gut auf eine Wahl vorbereitet wie Joschka Fischer 1998.
Systematisch
hatte er sich über Jahre in die Details der Außenpolitik vergraben, ein Buch
darüber geschrieben, sich als Oppositionsführer mit brillanten Reden profiliert
und zudem auch noch mit einer radikalen Abmagerungskur äußerlich alles dafür
getan oberster Diplomat Deutschlands zu werden.
Es
klappte. Er wurde für sieben Jahre Außenminister und Vizekanzler mit
gigantischen Zustimmungswerten und Anerkennung in aller Welt. Elf Jahre später
zeigte ein an Außenpolitik desinteressierter und vorbereitungsfauler Westerwelle
wie man mit denselben Ämtern eine gewaltige Bruchlandung hinlegt.
Westerwelle
war zuvor nur Krawattenmann des Jahres 2001 gewesen und zu mehr fehlte ihm Zeit
Lebens die Qualifikation.
Vorbereitung
ist alles.
Wie man
hört, unterzog sich Sigmar Gabriel vor zwei Wochen einer Magenband-OP. Nachdem
er 1999-2003 dicker Ministerpräsident in Hannover, 2005-2009 dicker
Bundesumweltminister und seit 2013 dicker Vizekanzler ist, scheint er also als
Kanzlerkandidat 2017 rank und schlank antreten zu wollen.
Viele
Spitzenpolitiker sind dick; das liegt in der Natur der Sache. Endlose
Sitzungen, ständig Stress, extrem unregelmäßige Tagesabläufe, ungesunde
Lebensweise. Da erfordert es schon besonders strapazierfähige Gene oder extreme
Disziplin, wenn man so rank und schlank wie beispielsweise Obama bleibt.
Üblicher
ist eigentlich die klassische Lachs-Figur à la Trump.
Viele
Jahrzehnte störte sich auch niemand an adipösen Regierenden; im Gegenteil, die
Superfettsäcke Erhardt, Strauß und Kohl strahlten Macht und Stärke aus.
Inzwischen
hat sich das etwas verändert. Man assoziiert bei prallen Typen wie Altmaier
Schwäche, unterstellt ihnen sich gehen zu lassen.
Wer
nicht mit Witz, Charme oder Können überzeugt, versucht zumindest fit
auszusehen.
Die
pfälzische Wuchtbrumme Julia Klöckner hungerte sich 2013 fast 20 Kilo runter,
um Ministerpräsidentin zu werden.
Während
also der SPD-Parteichef seit der letzten Bundestagswahl offensichtlich unfähig
ist das kontinuierliche demoskopische Abschmelzen seiner Partei mit
inhaltlichen Positionierungen zu stoppen, versucht er sich nun auf anderem Wege
neu zu erfinden.
Sollte
es mit der Traumfigur klappen und Gabriel stünde im Herbst so dünn und perfekt
angezogen wie Heiko Maas in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes, könnte
ihm das womöglich entscheidend helfen.
Man darf
die Doofheit des Urnenpöbels nicht unterschätzen. Gut möglich, daß ihm für eine
physische Metamorphose Respekt gezollt wird.
Mit
Gewichtsproblemen können sich viele identifizieren.
Ich bin vielleicht
ein bißchen altmodisch, aber eigentlich ist mir Gabriels Figur egal. Ich will
schließlich nicht mit ihm ins Bett gehen.
Überzeugende
Politik und ein gutes Wahlprogramm wären mir schon irgendwie wichtiger.
Aber in der
Realpolitik kommt es immer auch auf taktische Fähigkeiten an. Das ist eben der
Mist bei der SPD. Taktisch versagt sie sowieso immer.
Insbesondere
in Wahljahren gibt sie sich die größte Mühe jeden Fettnapf mitzunehmen.
2013 war
das Management selbst für SPD-Verhältnisse extraschlecht, weil die fromme
Nahles den Wahlkampf organisieren sollte. Selbstredend missglückte ihr das in
jeder erdenklichen Hinsicht. Die Kür des Kanzlerkandidaten (die Personalie
Steinbrück sickerte Monate früher durch), das Wahlprogramm (nicht zum
Kandidaten passend), der Wahlkampfslogan (von einer ausbeuterischen
Leiharbeitsfirma geklaut) – kurzum; alles was Nahles anfasste, endete wie immer
im Desaster.
Aber
auch vor dem Wahljahr 2017 steuern Barley und Gabriel mit sicherem Instinkt in
Richtung Klo.
Aber
wie immer, wenn es um Macht geht, hat die Partei die Hosen voll und verfällt
daher in den bekannten Hühnerhaufen-Modus.
[….]
Alle vier Jahre widmet sich die
SPD-Spitze einem sonderbaren Ritual. Zunächst versichern die obersten Genossen,
sich in der Frage der Kanzlerkandidatur von nichts und niemandem unter Druck
setzen zu lassen, sondern zu gegebener Zeit eine Entscheidung zu treffen. Es
steigen dann allmählich Druck und Nervosität, bis am Ende alle Zeitpläne über
den Haufen geworfen werden und es zur Sturzgeburt eines Kandidaten kommt. So
war es vor den Wahlen 2009 und 2013. Und so könnte es nun wieder kommen.
[….][Die
SPD sollte] mindestens den November
abzuwarten, in dem Angela Merkel erklären könnte, ob sie noch einmal antritt.
Stünde der SPD-Kandidat vorher fest, wäre er ein Herausforderer, der noch gar
nicht endgültig weiß, wen er herausfordert. Doch die SPD tut gerade alles
dafür, diesen von der politischen Vernunft vorgegebenen Zeitplan hinfällig zu machen.
Keine Woche vergeht
derzeit, ohne dass Klagen über die Fehler und Schwächen eines möglichen
Kandidaten Gabriel nach außen dringen. [….] Wenn das
noch zwei, drei Wochen so weitergeht, dann hat die SPD einen beschädigten
Vorsitzenden, der schon deshalb nicht mehr als Kandidat infrage kommt, weil
endgültig hinterlegt ist, dass ihm nicht einmal die eigenen Leute vertrauen.
Was wäre in dem Fall eigentlich, wenn Martin Schulz zwischenzeitlich zu dem
Schluss kommen sollte, doch lieber in Brüssel zu bleiben? [….]
Der
gelegentlich so kluge Mäandertaler Sigmar Gabriel, der sich
einfach nicht entscheiden kann, wird es vermutlich auch dieses mal
versaubeuteln. (…..)
Erstaunlich,
immerhin haben es die Präsidiumskasper geschafft bis zur offiziellen
Nominierung Merkels dicht zu halten.
Hannelore
Kraft allerdings tat mit ihrem Geraune, sie wisse sowieso schon wer es werde,
alles dafür, um ihre Partei zu blamieren.
Es macht die SPD; mittlerweile in Umfragen wieder aus blamable 20% weggesackt;
sympathisch, daß sie kein Kanzlerwahlverein ist, der ohne zu murren alles
schluckt, was der Parteichef vorgibt.
Mir
gefällt der sozi-immanente anarchische Impuls. Die Mädels und Jungs sind nicht
auf den Mund gefallen. Unvorstellbar, daß sie wie ein CDU-Parteitag nach einer
ultralahmen Rede einer Vorsitzenden, deren Kurs ohnehin alle ablehnen, dennoch
15 Minuten Standing Ovations mit Messer in der Tasche folgen könnten.
So ganz
ohne Disziplin geht es allerdings auch nicht. Aus Angst vor dem Wahl-Tod im
Herbst 2017 den eigenen Vorsitzenden in den Suizid zu treiben, ohne daß eine
Alternative ins Sicht ist, sollte man nicht tun, wenn man irgendwann mal wieder
eine Bundesregierung führen will.
Am liebsten ist es der
SPD, wenn sie nicht regiert. Also tut sie alles, um Gabriel als
Kanzler-Kandidaten zu demontieren.
Wer an die Macht will,
muss die Macht wollen. Die deutschen Sozialdemokraten wollen sie eindeutig
nicht. Jedenfalls nicht auf der nationalen Ebene, denn hier ist die
Oppositionsrolle traditionell ihre optimale politische Daseinsform. Hier fühlen
sie sich wohl, hier sind sie zu Hause. Grundsätzlich gilt das zwar für alle
organisierten linken Bewegungen. Aber keine von ihnen hat eine derart
gründliche oppositionelle Sozialisation hinter sich wie die SPD. […..]
Und weil die CDU,
deren Gründung mit der Geburt der Bundesrepublik im Jahr 1949 zusammenfällt,
von Anfang an den Anspruch erhob, dass nur sie fähig, wenn nicht sogar
legitimiert sei, in Bonn beziehungsweise Berlin zu regieren, fiel es den
Genossen auch besonders leicht, nach dem Krieg genau dort weiterzumachen, wo
sie 1933 hatten aufhören müssen: in der Opposition.
Wobei die
Oppositionsrolle von keiner zweiten Partei so großzügig interpretiert wird wie
von der SPD. Die Juniorpartnerrolle in einer großen Koalition, in die sich die
SPD von 1966 bis 1969, von 2005 bis 2009 und jetzt wieder seit 2013 spielend
leicht einfand, ist aus Sicht vieler Genossen die ideale Variante der
Opposition. Denn hier kann man an der Machtausübung mit allen ihren Privilegien
partizipieren, ohne sich vor den Augen der staunenden Öffentlichkeit selbst
zerlegen zu müssen.
[…..]
Ähnlich ergeht es jetzt Gabriel. Anders
als seine beiden Vorgänger in der Kandidatenrolle will er tatsächlich ins
Kanzleramt. […..] Nein, der Mann ist
für viele Genossen erledigt, seit er sie wissen ließ, dass er nicht nur
Vorsitzender zu bleiben, sondern auch ins Kanzleramt einzuziehen gedenkt. Dabei
können sie sich eigentlich ziemlich sicher sein, dass ihr Vorsitzender sein
Ziel so oder so nicht erreichen wird: Die politische Mitte, einst von Willy
Brandt entdeckt und jetzt von Sigmar Gabriel erneut ins Visier genommen, ist
längst durch die CDU besetzt.
Um aber ganz
sicherzugehen, rollen die innerparteilichen Gegner ihrem Vorsitzenden einen
Stein nach dem anderen in den Weg, sie ermutigen zum Beispiel Martin Schulz,
seinen Hut in den Ring zu werfen. […..]
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