Mittwoch, 7. Juni 2017

Lutherdekade.



Bund und Länder geben zig Millionen als Zuschüsse für die große Selbstbeweihräucherung der Protestanten, die selbst so reich sind, daß sie mit mindestens 129 Milliarden Euro mehr Umsatz als die gesamte deutsche Autoindustrie machen.

Die ARD mit allen ihren Mitgliedsanstalten feiert eine Themenwoche „Woran glaubst du?“ mit frommen Sendungen rund um die Uhr in elf Sendern.

Der Höhepunkt der Lutherdekade war vermutlich der gewaltige evangelische Kirchentag 2017 zum 500. Jubiläum des Thesenanschlages; natürlich in der Hauptstadt Berlin.
Prominenter besetzt denn je. Das gesamte Bundeskabinett, die Kanzlerin, der Bundespräsident und sogar Barack Obama pilgerten zu Käßmann und Bedford-Strohm.

Das hätte Luther gefallen: Staat, Obrigkeit und das große Geld tun sich zusammen.
Aber wie schon vor 500 Jahren dachten die Großkopferten weniger an den normalen Menschen und die normalen Menschen interessierten sich daher auch nicht für den Mega-Aufwand, der in Berlin betrieben wurde.

[….] Wenn man manche Medien las oder die Hauptnachrichten im Fernsehen verfolgte, hätte der Eindruck entstehen können, dass die Berliner den Kirchentag in ihrer Stadt freudig begrüßt haben. Tatsache ist jedoch, dass sie ihn ignorierten oder sich über dessen Besucher lustig machten.
Erwartet wurden rund 140.000 Dauergäste für die rund 2.500 Veranstaltungen, die sich im Messezentrum am Rande der Stadt konzentrierten – gekommen waren rund 40.000 weniger. Abgesehen von der einen großen Werbeveranstaltung der CDU, bei der der ehemalige US-Präsident Obama sich neben Kanzlerin Merkel der Masse zeigte, waren in der Innenstadt eher wenige orange Schals zu sehen. Auch eine Beflaggung, wie sie am Messegelände einsam im Wind wehte, fehlte in der City vollständig.
Am Abend des Pokalendspiels war die Berliner Innenstadt schwarz-gelb und schwarz-weiß-rot; auf dem Alexanderplatz trafen sich am späten Abend mehr Frankfurt-Fans als es tagsüber Kirchentagsbesucher waren. Selbst bei Veranstaltungen mit den Größen aus Politik und Kirche verloren sich die wenigen Interessierten in der Menge der üblichen Berlin-Touristen. Als Frau Käßmann über – ja, worüber eigentlich? – über Urlaubserinnerungen sprach, strömten die Touristen durch die kaum besetzten Bankreihen; auf dem Weg vom Geldautomaten zum Billigkaufhaus auf der anderen Seite des Platzes. [….]

Zum Abschlussgottesdienst in Wittenberge hatte der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) ursprünglich mit 300.000 Besuchern gerechnet.
Zerknirscht sprach man anschließend angesichts der leeren Flächen von 120.000 Teilnehmern.
Aber auch das ist offensichtlich eine fromme Lüge.

Ungeachtet der schnöden Realität, die ein eklatantes Desinteresse an der Kirche zeigt, versuchen Medien und Politiker mit allen Mitteln für die Frommen zu werben.
In der Pfingstausgabe des Hamburger Abendblattes erschienen drei volle Zeitungsseiten unter dem Titel „Nicht ohne meine Kirche“.
Funke-Autor Peter Wenig hatte sich auch eine Reise zu den 44 Kirchen sowie rund 50 Gemeindehäusern und Pastoraten des Kirchenkreises Hamburg-Ost gemacht, die geschlossen werden.
Ein Drittel ihrer knapp 300 Gebäude muß die evangelische Kirche in Hamburg Ost innerhalb der nächsten acht Jahre aufgeben, weil sich einfach niemand mehr für ihre Gottesdienste interessiert.

[….] Jedes Jahr verliert der Kirchenkreis 5500 Mitglieder, binnen 25 Jahren ist ihre Zahl von rund 658.000 auf 433.000 gesunken. [….]
(Abendblatt, 03./04./05.06.2017)

Interessanterweise macht sich die Kirchenführung, die immer noch auf einem Milliardenvermögen sitzt, doppelt unbeliebt, indem sie systematisch die ärmsten und schwächsten Gemeinden streben läßt.

Kirchen in den reichen Stadtteilen stehen nicht zur Disposition.

[…..] Monatelang bewerteten Experten jedes kirchliche Gebäude, vom Michel bis zum kleinsten Pastorat in den Vier- und Marschlanden. Ausschlaggebend waren vor allem Lage, architektonische Qualität, Zustand des Gebäudes sowie Größe der Gemeinde. Wer dann das Prädikat "C" erhielt, wusste: Es gibt künftig kein Geld mehr vom Kirchenkreis, wenn die Heizung streiken sollte oder gar der Turm für einen sechsstelligen Betrag saniert werden muss. Und so verbirgt sich unter dem Stempel "nicht förderfähig" das wahrscheinliche Sterben auf Raten. [….]
(Abendblatt, 03./04./05.06.2017)

Abendblatt-Autor Wenig bringt viel Mitleid auf für die Pastoren, denen von ihrer Kirchenleitung der blaue Brief mit dem „Kategorie C“-Diktum ins Haus flattert.

Viele fromme Kirchen-affine Journalisten beklagen das Sterben der Kirchen, zählen die immer gleichen Gründe auf.
Immer herrscht ein larmoyanter Ton.

Nur das einzig Naheliegende liest man nie: „Die Kirchen schrumpfen – das ist ein Grund zur Freude!“

Die Kirche in Hamburg ist so gut wie tot – und das ist auch gut so.

In Hamburg ist die Kirche marginalisiert.
Katholiken finden traditionell ohnehin kaum statt.
Gut so, denn abgesehen davon, daß niemand mehr die Predigten der hanseatischen Pfaffen hören will, sind sie auch noch unangenehm. (….)
So viel Geld und so viel Werbung für die Kirchen und dennoch laufen die Mitglieder zu Hunderttausenden davon.

Zwei Kardinalfehler der evangelischen Kirche werden nie erwähnt; auch in Peter Wenigs endlosen Artikel kein Wort davon:

Der protestantische Held Martin Luther war ein besonders widerliches antisemitisches, frauenfeindliches, obrigkeitshöriges Arschloch.
Dieser mittelalterliche Hassprediger wird nun ausgerechnet von Typen wie Käßmann und Bedford-Strohm verteidigt, die selbst den kirchenfreundlichsten Journalisten auf die Nerven gehen mit ihrer grenzenlosen Naivität, ihrer stupiden Selbstbeweihräucherung und eklatanten Umgehung der Wahrheit.

Aber selbst wenn die EKD sich von Luther löste und halbwegs intelligente Führungsfiguren hätte, bliebe das Problem ihres Produktes, welches nun einmal Mist ist.

[…..] Ich glaube nicht, dass die wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, schwerer zu verstehen sind als die seltsamen Geschichten, die uns von religiöser Seite nahegebracht werden. Ich frage Sie: Was ist schwerer zu verstehen? Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass wir Teil eines evolutionären Prozesses sind, der aus einfachen einzelligen Lebensformen allmählich komplexere Organismen hervorbrachte? Oder der Glaube an einen Gott mit multipler Persönlichkeitsstörung (Dreifaltigkeit), dessen erster Teil (Gottvater) sich mit seinen Geschöpfen verkrachte, worauf er den zweiten Teil seiner selbst (Heiliger Geist) aussandte, um eine Jungfrau auf nichtsexuelle Weise zu schwängern, wodurch der dritte Teil seiner selbst (Jesus Christus) als aufrechtgehender Trockennasenaffe geboren wurde, um von einer historischen Besatzungsmacht hingerichtet zu werden und – ätsch – am dritten Tag wieder von den Toten aufzuerstehen? Man muss sich doch mal überlegen, welche intellektuellen Verrenkungen solche Glaubensinhalte den Menschen abverlangen. [….]

Die Menschen, zumindest in den deutschen Großstädten, werden zu klug für den religiösen Unsinn.
Es gab in den letzten Dekaden weltweit Studien über den Einfluß von Religion auf die Menschen.
Die Wissenschaftler Jordan Silberman, Miron Zuckerman und Judith A. Hall von der University of Rochester werteten dieses Jahr 63 Studien aus und konnten klar zeigen, daß ungläubige Menschen tatsächlich intelligenter sind als Religiöse.
Das ist auch erwartbar und in sich logisch, da es Intelligenz erfordert nachzufragen und Zweifel anzustellen, statt einfach zu glauben was behauptet wird.

[…..] Realistischerweise sollten wir davon ausgehen, dass sich hinter dem Auf und Ab der Evolution kein göttlicher Heilsplan verbirgt, sondern nur das blinde Walten von Zufall und Notwendigkeit. Wenn der Mensch tatsächlich von Anfang an von Gott als “Krone der Schöpfung” geplant gewesen wäre, wie der Papst meint, so müsste man sich doch fragen, warum “Gott” zum Erreichen dieses Ziels einen so verrückten Weg eingeschlagen hat: Warum, bitteschön, erschuf er zunächst a.) eine unglaubliche Vielfalt an Dinosauriern, die über Jahrmillionen die Erde beherrschten, dann b.) einen Riesen-Asteroiden, den er vor 65 Millionen Jahren auf der Erde einschlagen ließ, damit c.) die Dinosaurier wieder aussterben, um so d.) einigen rattengroßen Säugetieren Platz zu machen, aus denen sich e.) einige Millionen Jahre später die aufrecht gehende Affenart Homo sapiens entwickeln konnte? Ein Gott, der sich so seltsam verhalten würde, würde eher einem intergalaktischen Mister Bean gleichen als einem allmächtigen, allwissenden, allgütigen Wesen. Kein Unternehmen dieser Welt würde einen Designer mit einer solch verheerenden Kosten-Nutzen-Bilanz einstellen. [….]

Es gibt eine einzige Kategorie-C-Kirche in meiner Umgebung und ich kann es gar nicht erwarten bis sie schließt. Ich gehöre nämlich einerseits zu den 99,5% der Hamburger, die nicht sonntags in einen Gottesdienst gehen und dennoch von dem unerträglichen Glockengeläut geweckt werden. Was für eine UNVERSCHÄMTHEIT der Kirchen immer wieder die Masse der Nichtgläubigen aus dem Bett zu jagen. So macht man sich unbeliebt.
Außerdem fehlt es mir an Doofheit, um mich über das Verschwinden der Kirchen zu grämen. Je mehr sich die Religionen zurückziehen, desto besser für die Gesellschaft.

Atheisten sind klüger als Christen, sie sind mitfühlender, lehnen Rache und Folter stärker ab. Kinder von nichtreligiösen Eltern teilen eher als Christen und erwärmen sich weniger für drakonische Strafen.
Religiöse Menschen schlagen ihre Kinder häufiger, während Atheisten generell friedlicher sind und auch niemals Terroranschläge verüben. Christen wählen weit überdurchschnittlich Trump.
Atheisten diskriminieren keine Schwulen und Frauen mit einem speziellen Arbeitsrecht, sie greifen keine dubiosen Staatsleistungen in Höhe von 600 Millionen Euro jährlich von den Bundesländern ab, sie belästigen ihre Nachbarn nicht mit Kirchenglocken oder Muezzin-Rufen. Atheisten sind aufgeschlossener gegenüber Minderheiten; sie verdienen mehr, sind besser gebildet.
Atheisten sind grundsätzlich toleranter als Christen; auch das ist in sich logisch, da Religionen prinzipiell exkludierende Ideologien sind. Jede Religion verhält sich zu anderen Religionen, Atheisten und Agnostikern nach dem Prinzip „Wir sind besser als die!“
Humanisten hingegen ist diese hierarchische und potentiell antagonistische Weltsicht fremd.
Humanisten würden die Aufnahme von Flüchtlingen nicht an Bedingungen knüpfen – wie es konservativen Christen leicht über die Lippen kommt: „Christliche Flüchtlinge sollten bevorzugt werden.“

Man muß also gar nicht die offensichtlichen kirchlichen Fehlleistungen – Sexskandale, Missbrauch, Prügel, Geldverschwendung, Protzsucht – in Betracht ziehen. Schon aus rein grundsätzlichen Überlegungen ist es absolut zu begrüßen, wenn die Kirchen schrumpfen; Mitglieder und Einfluss verlieren.