Samstag, 8. April 2017

Spielball Menschenrechte.



Das finde ich schon gut und richtig; die SPD setzt sich jetzt nachdrücklich in der GroKo für die rechtliche Gleichstellung Schwuler und Lesben ein.
Ist ja auch vollkommen absurd, daß Deutschland nicht nur in Europa weit hinterherhinkt, daß stramm katholische Länder wie Malta, Brasilien, Argentinien, Irland und Spanien seit Jahren voran gehen, daß sogar Trumps Amerika Homorechte garantiert, von denen Merkel nichts wissen will.

Nicht ganz so gut und richtig ist allerdings wann der SPD dieser Einsatz für rechtliche Gleichstellung einfällt: Im Wahljahr, wenn nichts anderes mehr auf der Agenda steht und die Koalitionsverhandlungen, in die so eine Forderung hereingehört hätte, dreieinhalb Jahre zurückliegen.

SPD will die Ehe für alle noch vor der Bundestagswahl
Die SPD will die Union beim Koalitionsgipfel davon überzeugen, die Ehe für Schwule und Lesben zu öffnen. Doch die hält die eingetragene Lebenspartnerschaft für genug. […..]

Es ist wie mit meiner Doppelstaatsbürgerschaft – die SPD hält diese Themen offenbar für minderwichtig; opfert sie auf dem Koalitionsaltar.
Wiedervorlage im nächsten Wahlkampf.

Noch dringlicher wäre ein sozialdemokratisches Eintreten für Schwule in der Außenpolitik.
In Ramsan Kadyrows nordkaukasischem Reich wurden mehrere hundert mutmaßlich homosexuelle Männer verschleppt, gefoltert und ermordet.

[….] Unter den Homosexuellen herrscht Panik. Viele Nutzer sozialer Netzwerke löschen Beiträge, die Hinweise auf ihre sexuelle Orientierung geben könnten, oder ziehen sich aus geheimen Gruppen zum Austausch zurück. Nowaya Gaseta zitiert aus einer anonymen Nachricht im Facebook-Klon Vkontakte, die mehrere Seiten weiterverbreitet haben: "Sie haben nicht nur junge Leute getötet, sondern auch erwachsene Männer bis zu 50 Jahren. Unter ihnen sind auch berühmte Persönlichkeiten Tschetscheniens. [...] Der Jüngste ist 16 Jahre alt. Er kommt aus unserem Dorf. In diesen Tagen haben sie ihn völlig zusammengeschlagen hergebracht, er war nur ein Sack voller Knochen. Sie haben ihn vor die Tür geworfen und gesagt, man möge ihn töten. Er soll noch immer nicht ganz bei sich sein." […..]

Moskau fühlt sich nicht zuständig. Schließlich ist Tschetschenien eine autonome Republik. Und Kadyrows Regierung selbst reagiert zynisch, aber nicht mit der lustigen Art des Zynismus:

[…..] Offizielle Stellen dementierten die Festnahmen. Sie seien auch gar nicht nötig, sagte Alwi Karimow der Nachrichtenagentur Interfax. Der Sprecher des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow sprach von "Lügen" und "Desinformation". Und fügte hinzu: "Man kann niemanden verhaften oder unterdrücken, den es in der Republik gar nicht gibt." Sollten solche Leute in Tschetschenien existieren, "müssten sich die Sicherheitsbehörden keine Sorgen um sie machen, denn ihre Verwandten würden sie schon an einen Ort geschickt haben, von dem sie nie wiederkehren könnten." […..]

Könnte Putin da nicht etwas unternehmen; oder hat er keinen Einfluss auf Grosny?

Der ehemalige SPON-Autor Stephan Orth bereiste letztes Jahr Tschetschenien und beschreibt es in seinem grandiosen und empfehlenswerten Buch „Couchsurfing Rusland“.

Tschetschenien ist nicht mehr der zerbombte Höllenpfuhl, den vermutlich viele Deutsche noch vor ihrem geistigen Auge haben. Das Land wurde mit einer unfassbaren Geldflut aus Moskau wieder aufgebaut. Bei Herrn Kadyrow sieht es aus wie geleckt, er entfaltet Pracht und Luxus.
Das ist der Preis für die Ruhe im Kaukasus.
Zugleich ist es eine subtile Drohung aus Moskau: Wenn du nicht so willst wie wir, drehen wir den Geldhahn auch wieder zu.
Autonome Republik? Vielleicht ja, aber de facto besteht eine totale Abhängigkeit von Russland.

Außenminister Gabriel dürfte es schwer haben in dieser Gemengelage ein direktes Eingreifen Putins zu Gunsten der Schwulen in Grosny zu erreichen.

Man muß es klar sagen: Das Leben von „ein paar Tunten“ ist kein hochrangiges Kriterium für die deutsche Außenpolitik. Anderenfalls könnten Kanzlerin, Außenminister, Verteidigungsministerin und Wirtschaftsminister auch nicht fröhlich immer wieder in Riad einschweben und mit dem dortigen Regime, welches Blogger foltert, Frauen steinigt und Schwule köpft milliardenschwere Wirtschaftsdeals einfädeln.

Deutsche Rüstungsexporte haben allemal Vorrang vor Frauen, die nach einer Vergewaltigung auch noch zu Tode gesteinigt werden und vor Männern, die getötet werden, weil sie einen Mann lieben.

Wir verhalten uns also extrem zynisch und amoralisch.
Dennoch bleibt die Frage, ob es wirklich den Opfern der saudischen und tschetschenischen Diktatur hülfe, wenn Berlin diese Länder boykottierte.
Würde im 21. Jahrhundert ein Boykott überhaupt treffen, wenn weniger skrupulöse Staaten wie China als Handelspartner bereitstünden?
Eine weitere, leider berechtigte Frage ist, ob man nicht viel mehr für die Opfer dieser Regime erreicht, wenn man sich gut mit den Regierungen stellt.
Nach dieser nicht von der Hand zu weisenden Theorie darf man König Salman nicht zu sehr auf den Sack gehen, weil dieser dann bockig wird.
Besser ist es, die Beziehungen zwischen Russen, Deutschen und Saudis so zu intensivieren, daß die westliche Toleranz mit der Zeit von allein auf die arabische und russische Gesellschaft abfärbt.

Dieser Ansatz erfordert also gerade kein Zerschneiden der diplomatischen Kanäle, keine öffentlichen Attacken.
Das könnte aber nur dann funktionieren, wenn Berlin nicht gleichzeitig in erbärmlicher Merkelei duckmäusert und wie in den Fällen NSA/Selektorenliste/Snowden/Kanzlerinnenhandy/Erdoğan devot alles hinnimmt, was andere Staaten sich herausnehmen.

Kanzlerin und Außenminister müßten schon klar für ihre Europäischen Werte eintreten. Sie müßten die freiheitlichen Prinzipien im eigenen Laden durchsetzen und sich nicht von neodiktarorischen Regimen in Warschau und Budapest auf der Nase tanzen lassen.

Selbstverständlich gehörte auch dazu Schwulen aus kaukasischen Teilrepubliken und arabischen Monarchien uneingeschränkt und unkompliziert sofortiges Asyl zu gewähren.

Für so eine Politik müßte die Bundesregierung auch vor ihrer eigenen Tür kehren.
Es ist indiskutabel weiterhin in Deutschland für die Beschränkung von Homorechten einzutreten.
So kann man jedenfalls kein leuchtendes Vorbild sein, wenn Riad und Grosny zur Homo-Hatz blasen.

Shame on you, Wolfgang Schäuble.

[….] Bei der Frage des Adoptionsrechts will ich mir kein pauschales Urteil erlauben. Es geht also vor allem um den Begriff "Ehe". Ich frage mich schon, ob dieser Begriff, der seit biblischen Zeiten als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau angelegt war, unbedingt auch auf andere Formen der Partnerschaft angewandt werden soll. [….]

Shame on you, Volker Kauder.

[…..] CDU blockt ab
Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), hatte demgegenüber erklärt: "Die Ehe besteht aus Mann und Frau. Davon geht auch das Grundgesetz aus." Kurz vor dem Ende der Wahlperiode werde seine Partei das Thema nicht aufgreifen. [….]

Die Bundesregierung sollte vielmehr an der Seite der Demonstranten für die Tschetschenischen Opfer stehen.