Montag, 18. April 2016

Eierei



Daß einem unter Stress stehenden Bundesminister, der 24 Stunden am Tag unter Beobachtung steht, gelegentlich auch mal ein richtig blöder Satz rausrutscht, kann ich verzeihen.
Das kann man entweder jovial-pampig wie einst FJ Strauß wegwischen – was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern? – oder aber man versucht es als intellektuellen Weiterbildungsprozess zu kaschieren – auch ich war nicht immer so klug wie jetzt, auch ich lerne dazu.

Ein Verballapsus kann auch im Handumdrehen mit einem Nebensatz getilgt werden; entschuldigen Sie bitte meine gestrige Bemerkung; da habe ich Unsinn geredet.
Auch das wäre souverän.

Mir ist unklar wieso Merkel sich aufgrund ihres eigenen Fehlers, nämlich der Bewertung des Böhmermann-Textes als „bewußt verletzend“, über zwei Wochen hartnäckig weiter in den Sumpf reitet, statt einfach ihren ZDF-Seibert erklären zu lassen „die Bundeskanzlerin räumt ein versehentlich eine Vorverurteilung vorgenommen zu haben, so daß nun leider Ermittlungen nach § 103 StGB nicht mehr möglich sind.“

       

Aber nein, sie will nicht zugeben sich auch irren zu können und so wird sie nun zum Gespött der internationalen Presse, muß sich abertausende Karikaturen gefallen lassen, die sie beim Kriechen vor Erdogan zeigen.
Durch ihr elendes Geiere bietet sie hundert mal so viel Angriffsfläche als es das schlichte Zugeben eines Fehlers geboten hätte.








Der König des Rumeierns ist aber Sigmar Gabriel.

Nach den Koalitionsverhandlungen des Herbstes 2013 verkündete er der skeptischen SPD-Basis er habe sich in allen Punkten durchgesetzt.
Ich erinnere mich, wie er stolz die neuralgischen Punkte Doppelpass und Homoehe als Erfolg verbuchte.
Als Homos dann feststellten, daß sie immer noch nicht richtig heiraten und immer noch nicht Kinder adoptieren können, als Ausländer (wie ich) feststellten, daß zwar für wenige junge Ausländer die Optionspflicht wegfällt, daß aber den meisten Doppelstaatsbürgerschaft doch blockiert bleibt (ich kann noch nicht mal Deutscher werden!), wollte Gabriel partout nicht als Trickser dastehen.
Nein, er hätte nicht übertrieben, der größte Schritt sei ja gemacht, für den Rest sei es nur noch eine Frage der Zeit.
Gabriel, das nervt!
Ich hätte es gut verstanden, wenn die SPD sachlich erklärt hätte, daß man aufgrund der Mehrheitsverhältnisse leider nur einen Anfang machen konnte, aber die eigentliche Homoehe und der eigentliche Doppelpass am Widerstand von CDU und CSU gescheitert sei. Die Union hat nun einmal fast doppelt so viele Sitze wie die SPD; da begreift es jeder Depp, daß das Regierungsprogramm nicht völlig kongruent mit dem SPD-Wahlprogramm ist.
Was ich nicht verstehe ist allerdings wieso sich die SPD-Spitze rühmt etwas durchgesetzt zu haben, das de facto eben nicht durchgesetzt ist.
Es gibt keine deutsche Staatsbürgerschaft für Tammox.

TTIP passt da bestens ins Bild.
Zunächst war Gabriel wie Merkel und Obama ein großer Befürworter des Abkommens – und zwar während unter größter Geheimhaltung verhandelt wurde, was offenbar kein Journalist und kein Bürger erfahren dürfen.
Nachdem der Widerstand in seiner eigenen Partei anschwoll, war Gabriel angeblich auch einer der Kritiker, der Sonderrechte für Konzerne und geheime Klagemöglichkeiten verhindern wollte.
Das war wieder nicht sehr glaubwürdig. Wie soll man drauf vertrauen, daß nicht solche Dinge ausgeheckt werden, wenn die Vertragstexte so hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden?
Wie eierte sich der Wirtschaftsminister aus der Affäre, indem er verkündete selbst für Transparenz zu sorgen. Er ließ den jetzt schon legendären „Leseraum“ in seinem Ministerium einrichten. Ein echter Schildbürgerstreich, denn wer ihn einmal betreten hat, darf überhaupt nicht mehr über TTIP reden, noch nicht einmal über das was er schon vorher wußte.
Nun glaubt niemand mehr dem Vizekanzler.
Wieso hat er sich in diese Situation geeiert, statt einfach zuzugeben, daß er keine volle Transparenz durchsetzen konnte und dann zu benennen wer genau eigentlich die Geheimhaltung verlangt.
Angeblich „die Amerikaner“ – allerdings höre ich aus Amerika, daß sie genauso skeptisch sind und sich über die verstockten Europäer ärgern.

Gestern gab es wieder einen typischen Gabriel.
Er befindet sich auf einem großen Nord-Afrika-Trip, konferierte mit dem ägyptischen Präsidenten Sisi.
 So weit, so richtig. Sisi ist wichtig, es ist elementar notwendig mit Kairo im Gespräch zu sein.
Menschlich völlig verständlich wie der mächtige Vizekanzler es genießt im Ausland hofiert zu werden, wenn ihn zu Hause niemand mehr leiden kann.
Im Überschwang erklärte er Sisi zu einem „beeindruckenden Präsidenten“.
Das, allerdings, war überflüssig.

General Abd al-Fattah as-Sisi (*1954) hatte sich 2013 gegen die demokratisch gewählte Regierung Mursi an die Macht geputscht und ist nicht gerade ein Menschenrechtsaktivist.
Zunächst ließ er sich selbst zum Feldmarschall befördern und begann dann radikal politische Gegner auszuschalten.
Hunderte Demonstranten in Kairo und Gizeh wurden einfach erschossen, gegen 500 weitere verhängte Präsident Sisi Todesurteile. Er schaltete alle Medien gleich, setzte Freiheitsrechte aus und verfolgt jeden Kritiker als Terrorist.

Nicht sehr verwunderlich, daß Gabriels Einschätzung der Mann sein „beeindruckend“ verwundert.

Grünen-Chef Cem Özdemir hat Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) für seinen Umgang mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi gerügt. "Ich weiß nicht, was Herrn Gabriel beeindruckt hat an Präsident Sisi - ist es die Folter, ist es die Unterdrückung, ist es die Zensur, ist es der Umgang mit deutschen Stiftungen?", sagte Özdemir am Montag im ARD-"Morgenmagazin".
Gabriel hatte bei einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo am Sonntag gesagt: "Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten."
Die Bundesregierung habe ein Problem beim Umgang mit autoritären Herrschern, sagte Özdemir. Das sei auch am Verhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sichtbar. Es brauche keine Unterwerfungsgesten, sondern Kritik. "Ein starkes Ägypten gibt es nur als demokratisches Ägypten", sagte Özdemir. […..]

Özdemir hat leicht reden von seiner Oppositionsbank aus.
Nicht überall herrschen demokratische Verhältnisse nach westeuropäischem Vorbild und aussuchen kann man sich nicht mit wem man spricht.
Gabriel sollte bei so einem brutalen Machthaber wie el-Sisi aber auch nicht unbedingt in Schwärmerei verfallen; insbesondere wenn es 48 h nachdem die Kanzlerin vor Erdogan kroch, geschieht.

Statt aber zu erklären, daß die Gäule in dem Moment ein bißchen mit ihm durchgegangen wären und er das Lob „beeindruckender Präsident“ zurücknähme, eiert Gabriel natürlich wieder rum.

Nein, so wie es jeder verstanden habe, wäre es gar nicht gemeint gewesen.

 […..] Wirtschaftsminister Gabriel, zurzeit auf Delegationsreise in Ägypten, war am Sonntag mit Sisi zusammengetroffen. […..] Der Gast aus Berlin war offenbar so angetan von der Offenheit, in der Sisi über diese Themen sprach, dass er am Ende seiner Äußerungen sagte: "Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten."
[…..] Aber so ist das mit der freien Rede, insbesondere bei einem Schnellredner und -denker wie Gabriel: Sein Satz ging mächtig daneben.
[…..] Dabei hatte der Wirtschaftsminister schon vor seinem Besuch in Ägypten die schlechte Menschenrechtslage dort kritisiert und Verbesserungen für Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschafter, Presse und ausländische Stiftungen angesprochen; […..] Auch in der Vergangenheit hatte der SPD-Politiker bei Besuchen in autoritären Ländern mitunter Menschenrechtsverletzungen so offen angesprochen, dass man im Auswärtigen Amt schlucken musste. Unter anderem deshalb hält Gabriel die aktuelle Kritik für unangemessen. "Es soll gelegentlich vorkommen, dass Zitate, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, Anlass zu Missverständnissen geben", sagte Gabriels Ministeriumssprecher. […..]

Herr Gabriel, Sie müssen doch nicht unfehlbar sein wie der Papst.
Jeder haut mal einen dummen Satz raus. Dann bittet man um Entschuldigung und korrigiert sich.
Das ist menschlich, macht womöglich sogar sympathisch.
Großer Mist ist es aber öffentlich Fehler zu machen und anschließend hartnäckig darauf zu bestehen, man sei nur missverstanden worden, alle anderen hätten also den Fehler gemacht. Womöglich gar zu schmollen und andere deswegen zu beschimpfen.
Das kommt nicht gut an bei der Sozi-Basis.