Mittwoch, 10. Februar 2016

Chapeau, Gabriel



Dieses TTIP scheint eine tolle Sache zu sein.

Donnerwetter, Sigmar Gabriel!
Weshalb Sie sich plötzlich so vehement für das Freihandelsabkommen TTIP einsetzen, erklärten Sie in der Bild: »Es gibt viele Barrieren gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Zölle und Doppelregulierungen machen den Handel unnötig teuer. Allein die deutsche Autoindustrie muß jedes Jahr eine Milliarde Euro ausgeben, um Autos aus Deutschland in die USA exportieren zu können.« Das schwere Schicksal des Autos exportierenden Kleinunternehmers hat also Ihr sozialdemokratisches Herz erweicht! Wäre es da nicht glaubhafter gewesen, Sie hätten einfach bekannt, daß Sie gerne Genmais, Chlorhühnchen und geklonte Rinder fressen?
Stating the obvious:

Gegen TTIP kann man nichts sagen. Jedenfalls nichts Begründetes, da niemand wissen darf was TTIP eigentlich ist.
Wir müssen da schon auf den zuständigen Wirtschaftsminister vertrauen.

Nachdem Sigmar Gabriel seiner Partei Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen gelobt hatte, ließ er doch einige Bundestagsabgeordnete Einblick nehmen.
Er richtete den jetzt schon legendären hochgeheimen Leseraum ein.
Spielt die Bundesregierung nun etwa mit offenen Karten?

[…] Keine Kopien, keine Fotos - Handys müssen abgegeben werden. Die Rede ist vom neu eingerichteten TTIP-Leseraum im Bundeswirtschaftsministerium. Die Zutrittsbedingungen sind ziemlich umstritten - aber warum sind sie überhaupt so?
[…] Es war Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der sich dafür eingesetzt hatte, dass es einen Leseraum für die Bundestagsabgeordneten geben soll, nachdem viel Kritik an der Geheimhaltung der TTIP-Verhandlungen laut geworden war. Auch Gabriel passten die Bedingungen nicht, wie er zu verstehen gegeben hatte. Er sprach jedoch von "einem Schritt hin zu mehr Transparenz".
Doch auch mit der Eröffnung des Raums und der Einsicht in Dokumente reißt die Kritik nicht ab. Vertreter der Linkspartei bemängelten, dass der Zugang zu den Dokumenten "derart begrenzt sei, dass von Transparenz und parlamentarischer Kontrolle weiterhin keine Rede sein könne". […] Der Leseraum im Bundeswirtschaftsministerium besteht aus acht Arbeitsplätzen mit Computern, an denen die Abgeordneten Verhandlungsdokumente einsehen können. Dabei handelt es sich um Dokumente, die sowohl die Position der EU als auch der USA wiedergeben. In der Ecke des Raums steht ein Wachmann, der dafür sorgen soll, dass die strengen Regeln auch eingehalten werden. […]

[…] Angemeldet haben sich für den maximal zweistündigen Besuch seitdem 83 ParlamentarierInnen.
Doch welche das sind, darüber gibt es keine Auskunft. „Wir richten uns da nach den Wünschen der Abgeordneten und wollen nicht vorgreifen“, sagt Andreas Audretsch, Sprecher im Wirtschaftsministerium. Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig hat beim Vorsitzenden des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, dem CSU-Abgeordneten Peter Ramsauer, schriftlich um eine Klärung gebeten, wie mit Presseanfragen umgegangen werden soll – bisher aber offenbar ohne Ergebnis. Die Pressestelle des Bundestags teilt mit, die Namen würden „aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben“.
Dass die Namen der Abgeordneten nicht genannt werden, lässt sich damit vielleicht tatsächlich begründen – schließlich könnte das als unzulässige Kontrolle ihrer Arbeit ausgelegt werden. Doch Ministerium und Bundestag geben auf Anfrage nicht einmal die Parteizugehörigkeit der bisherigen NutzerInnen des Leseraums bekannt. Und das hat vermutlich wenig mit Datenschutz zu tun – und viel damit, eine Blamage für die Regierung zu verhindern.   Denn bisher nutzt offenbar fast nur die Opposition die Möglichkeit, Einblick zu nehmen. […]

Gabriel, der Fuchs hat hier ein Husarenstück abgeliefert.
Vordergründig hielt er sein Versprechen ein, für Transparenz zu sorgen, gab sich öffentlich geknickt darüber nicht mehr offenbaren zu können – das läge an den Amerikanern.
In Wirklichkeit hat er aber durch die umfassenden Geheimhaltungsverpflichtungen derjenigen Abgeordneten, die einiges einsehen durften, nun dafür gesorgt, daß überhaupt keine Informationen mehr an die Öffentlichkeit gelangen.
Denn nachdem sie einmal in Sigis Leseraum waren, dürfen die Parlamentarier gar nichts mehr sagen – noch nicht mal das, was sie schon davor über TTIP wußten.

Der Grüne Fraktionschef Hofreiter, nicht eben als Schnelldenker bekannt, offenbarte soeben unfreiwillig wie er dem Vizekanzler in die Falle gegangen ist.


[…] Seit einer Woche dürfen Abgeordnete Unterlagen zum Handelsabkommen mit den USA einsehen. Wer sich die Dokumente anschaut, begibt sich in ein Dilemma: Denn über das Gesehene reden darf man nicht.
[…] Vorige Woche hat der Grünen-Fraktionschef das Video ins Netz gestellt, darin erzählen er und seine Fraktionskollegin Katharina Dröge von ihrem Besuch im TTIP-Leseraum im Wirtschaftsministerium. […] Seither hagelt es Hohn und Kritik. Hunderte Kommentare gibt es mittlerweile zu dem Video, die meisten geißeln die Geheimhaltung. "Zeigen Sie Zivilcourage und reden Sie!", schreibt einer, und der ist noch von der freundlichen Sorte. "Wieso lasst ihr euch das gefallen?", will ein anderer wissen. Der schüchterne Verweis der Grünen auf Paragraf 353 des Strafgesetzbuches kann die wenigsten beruhigen: Seit wann muss ein Parlamentarier drei Jahre Haft fürchten, wenn er die Wahrheit sagt? Plötzlich sitzt in der Falle, wer sich die Dokumente angeschaut hat. 
[…][…]  Jeweils acht Abgeordnete dürfen nun gleichzeitig in Raum B 0.010 des Ministeriums, wo sie an Computern für zwei Stunden Kapitel studieren dürfen. Handys müssen sie in einem Spind wegsperren, Stifte und Papier stellt das Ministerium. Vor allem aber muss jeder Abgeordnete den Regeln zustimmen: "Mit Ihrer Unterschrift im Logbuch verpflichten Sie sich (. . .) zum Schutz dieser Schriftstücke und der darin enthaltenen Informationen." Andernfalls drohten "disziplinarische und/oder rechtliche Maßnahmen".
Das Ergebnis ist paradox: Denn wer im Lesesaal war, darf nicht mal mehr über Dinge reden, die er dort zwar bestätigt fand, aber vorher schon wusste.  […][…]
 (Michael Bauchmüller SZ vom 10.02.2016)


Nachtrag – immerhin Jürgen Trittin zeigte seine TTIP-Notizen:




"Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Heute war ich im #TTIP-Lesesaal und habe die geheimen Verhandlungsdokumente für das Handelsabkommen zwischen EU und USA eingesehen. Meine Notizen darf ich nicht veröffentlichen. Nur so viel: die Skepsis von uns Grünen gegenüber TTIP ist gerechtfertigt.“