Dienstag, 27. Oktober 2015

Bizarre Entwicklungen


Rund um das Jahr 2002 lachte man über „Bushs Pudel“ Tony Blair.
Britische Labor-Wähler rieben sich die Augen, ob der Kriegsbegeisterung ihres Premiers. Wie konnte der sich nur so derartig von der intellektuellen Witzfigur George W. Bush einwickeln lassen?
Wie konnte Blair, die Ikone des „New Labors“, der fast im Alleingang die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament bestückte, sich so extrem gegen Deutschland, Frankreich, Belgien und Russland  - und auch gegen seine eigene Bevölkerung stellen, nur weil Washington das wollte? Wie konnte er sich nur so von seiner aus der USA-Exklusivpartnerschaft gespeisten Eitelkeit leiten lassen?

Ich halte das für eine falsche Deutung.
Anthony „Tony“ Charles Lynton Blair ist in Wahrheit viel intelligenter als Bush und hatte im Jahr 2001 auch schon vier Jahre mehr Erfahrung als Regierungschef als das Greenhorn GWB.
Blair war schon vor seiner politischen Karriere regelmäßig in Frankreich, wo er in intellektuellen Kreisen verkehrte und in geschliffenem Französisch über komplexe Kulturelle Themen diskutierte.
Ganz anders als Bush, der offensichtlich gar keine intellektuelle Ader und keine kulturellen Interessen hat, ist Blairs Horizont recht weit.
Unterschätzt wird auch Blairs Religiosität, die bei ihm echte messianische Ausmaße erreicht. Er ist ein glühender Katholik, der sich schon heimlich im Jahr 2003 von Papst Johannes Paul II segnen ließ, obwohl er als britischer Regierungschef der anglikanischen Kirche angehören mußte. Nach seinem Rücktritt 2007 konvertierte er zum römisch-katholischen Glauben und offenbarte wie außerordentlich streng katholisch er seine vier Kinder erzogen hatte.
GWB hingegen ist als wiedergeborener Christ jemand, der Religion als Methode nutzte, um seine nicht-präsidentielle Vergangenheit als Kokser und Säufer zu vertuschen.
Der Blair’sche Messiaskomplex wird auch in seiner innenpolitischen Tatkraft deutlich. Während GWB gar keine politischen Interessen hatte, lediglich den Lobbyisten nachgab und auch in seiner Partei keine Rolle spielte – schon gar keine konzeptionelle – warf Blair schon mit seinem Amtsantritt als Parteivorsitzender 1994 mit gerade mal 41 Jahren die Programmatik völlig um.
Noch heftiger wirkte sich sein Tatendrang als Regierungschef (1997-2007) aus.
 Gegen die Bush's poodle–Theorie spricht auch, daß Blair gleich nach seiner Demission als Premierminister im Juni 2007 zum Sondergesandten des Nahost-Quartetts ernannt wurde uns bis heute politisch rund um den Irak involviert ist.
Der Mann ist immer noch umtriebig, verdient viele Millionen als Bankberater und Autor, während GWB seiner geistigen Faulheit entsprechend tumb auf seiner Ranch hockt und fürchterliche Ölbilder malt.

Das alles macht Blairs Politik nicht viel besser als die seines amerikanischen Kollegen, aber er handelte sicher bewußter und aus eigenem Antrieb.

Heute hört man erstaunliches von Blair.
Selbstkritik. Sogar Entschuldigungen. Auch das wäre von GWB niemals zu hören.
Aber der Brite erkennt immerhin, daß der von ihm maßgeblich mit angezettelte und durchkämpfte Irakkrieg katastrophale Folgen hatte.

[….] Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair sieht eine Mitschuld der US-geführten Invasion im Irak an der Entstehung der Terrormiliz Islamischer Staat. Es gebe "Elemente der Wahrheit" in der Behauptung, dass der Irakkrieg den Aufstieg des IS verursacht habe, sagte Blair dem Fernsehsender CNN. "Natürlich kann man nicht sagen, dass diejenigen von uns, die Saddam (Hussein) 2003 entfernt haben, keine Verantwortung für die Situation 2015 tragen", sagte er. Der Arabische Frühling habe aber auch eine Rolle gespielt. […]

Kurioserweise befand sich die glühendste Unterstützerin des Blair-Bush’schen Kriegskurses 2003 in der Berliner Opposition.

[….] Den Irakkrieg der Amerikaner hat Angela Merkel verteidigt. „Man hatte einen Punkt erreicht, an dem Krieg unvermeidbar geworden war“, sagte sie, „bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer gewesen.“ Außerdem veröffentlichte sie unter der Überschrift „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“ einen Gastbeitrag in der „Washington Post“, in dem sie das kategorische Nein der rot-grünen Bundesregierung hart kritisierte. Diese Haltung war falsch. Das dürfte heute unstrittig sein, obwohl die Union das nie wirklich aufgearbeitet hat. [….]
(Malte Lehming 23.08.2015)

Jene Merkel ist heute bekanntlich deutsche Regierungschefin und löffelt die Suppe mit aus, die der von ihr damals bewunderte GWB eingebrockt hatte.

Vermutlich über eine Million Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet und Afghanistan (und anderen Ländern) kommen 2015 nach Deutschland – dem Land, das 2003 am heftigsten der Politik, die das Chaos überhaupt verursacht hat, widersprach.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich glaube immer noch, daß sich die neuen Zuwanderer als Segen für Deutschland erweisen werden.

Herr Cameron, konservativer Kollege Merkels in London, spielt eine extrem schändliche Rolle in dieser Angelegenheit.
Kein Wort zur Verantwortung gerade seines Landes für die Zustände im Irak hört man von ihm.
Er zieht die Zugbrücken zu seiner Insel hoch und liefert Grenzschutzanlagen nach Calais, damit die Franzosen bloß keinen einzige Asylbewerber durch den Tunnel nach England lassen.
Erbärmlich.

Erst auf massiven Druck der EU gab Cameron nach und willigte ein 4.000 Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Jahr nach England zu lassen.
Zum Vergleich: Allein die Stadt Hamburg nimmt dieses Jahr 40.000 Flüchtlinge auf.

Noch schlimmer verhält sich allerdings Obama, der im riesigen Amerika (320 Millionen Menschen; 30-fache Fläche Deutschlands), das die Hauptverantwortung für das Nahost-Chaos trägt, auf Tauchstation geht.

[….] Ein Land versteckt sich bislang, ist aber ebenso gefragt wie Deutschland, wie Großbritannien oder Frankreich: die USA. Wenn die Zahlen stimmen, die in diesen Tagen der englische "Guardian" veröffentlichte, dann haben die Vereinigten Staaten seit 2011 lediglich 1500 syrische Flüchtlinge aufgenommen. 1500! Das ist ein Witz für ein klassisches Einwanderungsland. [….]

Noch mehr Verantwortung als Obama, der gegen den Irakkrieg gestimmt hatte, tragen zweifellos die Kriegslüsternen Republikaner.
Was haben die zum Thema beizutragen?

[….] Das Einwanderungsland USA will nur wenige Tausend Syrer aufnehmen. Aber den Republikanern, allen voran Donald Trump, ist selbst das zu viel.
[….] Seit Präsident Obama auf Druck der unter einer beispiellosen Flüchtlingswelle leidenden Europäischen Union angekündigt hat, im nächsten Jahr die überschaubare Menge von 10.000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland aufzunehmen, regt sich Widerstand, dessen Tonlage den radikalen Populismus der Pegida-Bewegung in Deutschland teilweise noch übertrifft. "Ich kann keine Politik unterstützen, die eine dschihadistische Pipeline in die USA legt", sagt der Kongressabgeordnete Michael McCaul.
Was der texanische Vorsitzende des Ausschusses für Heimatschutz verklausuliert umschreibt, hat der in Meinungsumfragen führende republikanische Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2016, Donald Trump, in krassere Worte gefasst. Aus seiner Sicht ist es "unverantwortlich, Tausende junge, starke Männer aus Syrien einreisen zu lassen." Trumps Begründung ist: Es könnte sich um Terroristen des Netzwerks "Islamischer Staat" handeln. Trump: "Das ist vielleicht das größte Trojanische Pferd aller Zeiten." Im Fall seiner Wahl will der Bauunternehmer rigoros durchgreifen: "Ich schicke sie zurück."
[….] Mit Senator Ted Cruz, Gouverneur Bobby Jindal, dem früheren Gehirnchirurgen Ben Carson und Gouverneur Chris Christie haben sich weitere Möchtegern-Präsidentschaftskandidaten offensiv gegen die humanitäre Aufnahme von syrischen Flüchtlingen gestellt. Christie: "Die Leute können wirklich gefährlich sein."
[….] Bevor grünes Licht gegeben wird, schauen weitere Sicherheitsbehörden intensiv auf den Fall und gleichen alle Informationen mit Antiterrordatenbanken ab. Die Prozedur dauert heute bei Flüchtlingen aus Syrien 18 bis 24 Monate. Erst danach winkt die Einreise in die USA. "Wer als Terrorist zu uns kommen will, ist schlecht beraten, es über den offiziellen Weg als Flüchtling zu versuchen", sagen Mitarbeiter der Grenzkontrollbehörde hinter vorgehaltener Hand. Derzeit stecken über 10.000 Syrer aus früheren Jahren in der Warteschleife.
[….] Während die Türkei über zwei Millionen und Deutschland Hunderttausende Menschen aus Syrien aufgenommen hat, ließen die Vereinigten Staaten seit dem Kriegsbeginn in Syrien im Jahr 2011 insgesamt nur 1900 Menschen einreisen, die dem Assad-Regime den Rücken gekehrt haben.

Obama, der Friedensnobelpreisträger….