Donnerstag, 8. Oktober 2015

Lagerdenken

Gestern trat Merkel bei Anne Will auf und erklärte „Wir schaffen das!“
Wie das gehen soll, sagte sie zwar nicht, aber immerhin Spon-Kommentator Stefan Kuzmany liegt ihr nun zu Füßen, nennt sie zärtlich „meine Kanzlerin“ und bekundet das bisher Unvorstellbare sei für ihn nun wahr geworden – er werde Merkel wählen! Andere Linke bejubeln ebenfalls die Kanzlerin.
Unterdessen schlagen sich die hochrangigen SPD-Politiker Gabriel, Oppermann und Dreyer auf die Seite der CSU, machen Stimmungen gegen Flüchtlinge und setzen auf die bisher eindrucksvoll gescheiterten Methoden Ausgrenzung, Abschottung und Abschreckung.
Angeblich gilt Merkel inzwischen als haushohe Favoritin für den morgigen Friedensnobelpreis; Heiner Geißler jubiliert schon mal, die Kanzlerin habe ihn wirklich verdient.

Dabei „tut“ Merkel immer noch das offensichtlich Falsche:

Deutsche Flüchtlingspolitik: Reine Schikane
Der Sommer der Solidarität ist vorbei. Die Bundesregierung setzt in der Flüchtlingskrise wieder auf Abschreckung und Abschottung. Dabei ist diese Strategie längst gescheitert.

Auf meiner Facebookseite hinterließ gestern jemand den Kommentar, Merkel übernehme nun den SPD-Vorsitz, während TTIP-Gabriel zum CDU-Chef avanciere. So gäbe eine einen Regierungswechsel ohne Wahlen und ohne neues Personal – welch ökonomische Methode für eine Demokratie!

So abwegig ist das übrigens gar nicht.
Silvio Berlusconi glaubt mit nunmehr 79 Jahren scheinbar selbst nicht mehr daran ein fünftes mal (nach 1994–1995, 2001–2005, 2005–2006 und 2008–2011) Regierungschef Italiens zu werden. Zu seinem Unglück stellt sich auch Amtsinhaber Matteo Renzi erstaunlich gut an. Der junge Mann könnte ganz untypisch für Italien länger regieren und einige grundsätzliche Reformen bewirken. Das merken auch Berlusconis ehemalige Getreue der Forza Italia.
In der Partei werden sie nicht mehr an die Macht kommen und so wechseln sie einfach die Partei, laufen zu denen über, die Oberwasser haben.

Bereits nach der Hälfte der Legislaturperiode haben über 300 italienische Parlamentarier beider Kammern die Partei gewechselt.
Die italienische Abgeordnetenkammer hat 630 Abgeordnete, weitere 315 Volksvertreter sitzen im  Senat der Republik. Berlusconis Forza Italia kehrten in zweieinhalb Jahren bereits 83 Mitglieder den Rücken.
Kein Problem in Italien – man wendet sich den Fleischtöpfen zu – nachdem Il Cavaliere offenbar keine Pöstchen mehr verschaffen kann.

[….] Denis Verdini, 64 Jahre alt, gelernter Metzger aus Florenz, später Bankdirektor und nun Senator der Republik, ist plötzlich sehr mitteilungsbedürftig. [….] Verdini hat bereits zwölf Senatoren und elf Abgeordnete von Berlusconis Partei Forza Italia überzeugen können, den jungen Premier aus dem anderen politischen Lager beim Reformieren des Landes zu helfen. Mit ihren Stimmen im Parlament. Bald sollen es noch mehr werden. Verdini lädt die Absprungwilligen einzeln in sein Büro ein und sagt zu jedem: "Willst du an der Macht bleiben? Ich bin das Taxi - ich bringe dich in zehn Minuten von Berlusconi zu Renzi." Er sieht sich als Vehikel der Macht. Fahrer erscheint ihm als Rolle wohl zu subaltern.
[….] Viel deutet darauf hin, dass sich der Aderlass fortsetzt. Verdinis Manöver aber, so hat es wenigstens den Anschein, ist mehr als eine Anekdote: Es verändert die gegenwärtige Machtkonstellation. [….] Stefano Folli, der politische Chefanalyst der Zeitung La Repubblica, schreibt dazu: "Viele Bürgerliche sind reif für den Renzismus." Sie sind es vor allem deshalb, weil ihr früherer Anführer, Silvio Berlusconi, im Herbst seiner Karriere sie zu Heimatlosen macht: Er scheint selber nicht mehr an sein Comeback zu glauben und schaut machtlos zu, wie ihm die Leute davonlaufen. [….]
(Oliver Meiler, SZ, 07.10.2015)

Italien ist irgendwie ein seltsames Land. Endlich löst sich der politische Betrieb von der Superkrake Berlusconi, weil er trotz seiner zahlreichen Schönheits-OPs als alt und schwach wahrgenommen wird.
Gleichzeitig wächst aber der ohnehin sagenhafte ökonomische Einfluß der Sippe kontinuierlich weiter an.

[….] In Italien gehört bald alles der Familie Berlusconi: [….]
Neun Monate wurde verhandelt, begleitet von Autorenprotesten, Gerüchten und Indiskretionen. Jetzt aber ist es beschlossen: Der italienische Medienkonzern Mondadori kauft seinen unmittelbaren Rivalen, die RCS Mediagroup (Rizzoli). Der Preis beträgt 127,5 Millionen Euro. Damit entsteht ein Unternehmen, das etwa vierzig Prozent des italienischen Marktes für Belletristik und Sachbücher beherrscht und etwa dreißig Prozent des Marktes für Lehr- und Schulbücher. Ferner werden etliche Zeitungen - die Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera zum Beispiel - und Zeitschriften zu diesem Konzern gehören.
Weder in Amerika noch in anderen europäischen Staaten gibt es ein Unternehmen, das eine solche Macht auf dem jeweiligen Buchmarkt repräsentierte. [….] Die drohende Übernahme der Gruppe RCS hatte im Frühjahr zu einem Protest von fast fünfzig Autoren des zu RCS gehörenden Verlages Bompiani geführt, darunter Umberto Eco und Susanna Tamaro, Mario Fortunato und Sandro Veronesi. [….]