Sonntag, 18. Mai 2014

Aufdröselei



Das ist alles so ein Durcheinander in den Zeitungen, verdammt.
Gerne hätte ich wieder gute überregionale Zeitungen mit der Unterteilung in Nachrichten, Meinung und Feuilleton.
Tatsächlich sind die Kommentare aber oft regelrecht eingemerkelt und kommen über ein beherztes „sowohl als auch“ nicht hinaus. Im Nachrichtenteil, der eigentlich reine Fakten liefern sollte, werden immer mehr Geschichten schon mit einem Richtungs-Spin versehen und die Feuilletonisten trauen sich gar nicht mehr den Leser zu intellektuell zu fordern.

Tatsächlich erfordert es aber ständige Selbstkontrolle aus der eigenen subjektiven Sicht auf die Dinge ein objektives Gerüst freizulegen.
Die Beeinflussung beginnt schon mit dem Überbringer der Nachrichten.
Lese ich einen Artikel in der SZ neige ich dazu alles zu glauben. Stünde Dasselbe in der WELT, wäre ich höchst skeptisch.
Ich vertraue eher Linken und Atheisten als Rechten oder Religiösen.
Ich mag depressive Melancholiker lieber als fröhliches Partyvolk.
Aber auch Rechte sagen mal Richtiges, auch Psychos können Arschlöcher sein und Linke neigen durchaus dazu echten Unsinn zu verbreiten.

Heute soll es um das von Linken, bzw insbesondere Piraten so heißgeliebte Schlagwort „Mainstreammedien“ gehen.
Man schicke einem Piraten einen kritischen Artikel über seine Partei aus der „ZEIT“. Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird dann ein überhebliches „und Du glaubst noch den Mainstreammedien?“ zurückkommen.

Der Ukrainische Bürgerkrieg befeuert die Skepsis gegenüber „den Mainstreammedien“, weil die Mehrheit der kriegsunlustigen Deutschen mit gewichtigen Stimmen wie zum Beispiel zwei Exkanzlern, die sich besonders gut mit Russland auskennen, eine Einheit bilden, während 95% der Medien auf härteste Russlandsanktionen drängen und gegen „Russland-Versteher“ Front machen.
Tatsächlich geht die gegenwärtige politische Klasse genau wie die große Masse der Medien erstaunlich mild mit Amerika um, während Russland kontinuierlich kritisiert wird.
Da stimmt doch was nicht! (?)

Nicht auszudenken wie übel Russland im publizistischen Licht dastünde, wenn es auch nur annähernd so abscheuliche Methoden wie die von Merkel und Gauck so heißgeliebte USA anwendete:

USA:
Hinrichtungen. Hinrichtungen von Geisteskranken. Hinrichtungen unter bestialischen Umständen. Hinrichtungen von Minderjährigen. Hinrichtungen von Unschuldigen.
Russland tut das nicht.

USA:
Regelmäßige Drohnenangriffe auf souveräne Staaten bei denen regelmäßig unschuldige Zivilisten getötet werden.
Russland tut das nicht.

USA:
Zwei illegale Angriffskriege während einer Präsidentschaft mit vermutlich über einer Millionen Toten.
Russland tut das nicht.

USA:
Geheime und nicht geheime extraterritoriale Folterlager, in denen Menschenrechte nicht gelten.
Russland tut das nicht.

USA:
Wikileaksskandal – ungeniert schreiben US-Botschaften weltweit auf für was für Idioten sie die Politiker ihres Gastlandes halten.
Russland tut das entweder nicht oder ist wenigstens nicht dumm genug sich dabei erwischen zu lassen.

USA:
NSA-Skandal. Billionenfaches Ausforschen privater Daten im Ausland, Anzapfen des Internets, generalstabsmäßige Wirtschaftsspionage, Verwanzen der EU-Büros, Abhören der Telefone Europäischer Verbündeter. Sich nicht dafür entschuldigen.
Russland tut das entweder nicht oder ist wenigstens nicht dumm genug sich dabei erwischen zu lassen.

USA:
Europa-Abteilungsleiterin im US-Außenministerium, Victoria Nuland: „Fuck the EU.“ Merkel is pissed.
Russland tut das entweder nicht oder ist wenigstens nicht dumm genug sich dabei erwischen zu lassen.

Man stelle sich vor Russland hätte Deutschland auch nur 1/10 so viel gedemütigt, wie es die USA tut!

Die Journaille verschärft aber derzeit noch einmal erheblich den Ton gegen Russland, während die deutsche Regierung die Hosen vor Obama so voll hat, daß sie den aussagewilligen Snowden noch nicht einmal anhören will – aus lauter Angst Washington könnte das nicht gefallen.

Ich beobachte eine erstaunliche Zurückhaltung fast aller Journalisten, wenn „aus dem Westen“ martialische bellizistische Töne gespuckt werden.
Die Nato ist stark, davon ist Ursula von der Leyen überzeugt - zumindest in der Öffentlichkeit. Das Bündnis sei im Angesicht der Ukraine-Krise "hervorragend aufgestellt" und könne "auf jede Entwicklung angemessen reagieren". [….]
"Für die westliche Allianz wird die Diskussion über die eigenen militärischen Kapazitäten ebenso unausweichlich werden wie die entsprechende Unterstützung unserer östlichen und südöstlichen Nato-Partner", ist sich der CDU-Außenexperte Karl-Georg Wellmann sicher. "Die Zeit sinkender Verteidigungshaushalte wird vorerst vorbei sein." Russland habe seine Interessen neu definiert, argumentiert Wellmann. "Es hält die Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen für richtig. Dieses Vorgehen hat das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit russischen Regierungshandelns nachhaltig erschüttert."
Mit anderen Worten: Die Bedrohung durch Wladimir Putins Russland ist real, die Nato muss abwehrbereit sein. Wellmann ist der Ukraine-Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. […]  Vor allem die Staaten in der Nachbarschaft Russlands machen Druck. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski forderte im SPIEGEL mehr Militärpräsenz der Nato in seinem Land: "Es gibt Basen in Großbritannien, Spanien, Deutschland, Italien und der Türkei. Das sind sichere Plätze. Doch da, wo Basen wirklich nötig wären, gibt es sie nicht."

Ist es schon wieder ganz normal Außenpolitik als Kriegsspiel zu denken?
Glaubt ernsthaft jemand, die NATO werde bald angegriffen und wir könnten unsere Haut nur noch durch massive und schnelle Aufrüstung sichern? Der Ivan steht wieder vor der Tür?
In 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm?
Die Mainstreammedien versagen – möchte man jetzt ausrufen.

Ganz so einfach ist es aber nicht.
Dies zeigt ein lauter Zwischenruf des MONITOR-Moderators, der heute veröffentlicht wurde.

Gleichgeschaltete Medien? Kriegt Euch wieder ein!
Für nichts gibt es im Netz mehr Applaus als für die Behauptung, wir wären von „gleichgeschalteten Medien“ manipuliert und fremdgesteuert. Als sei Goebbels wieder auferstanden und die deutsche Medienlandschaft unter der Kontrolle von finsteren Mächten, seien es multinationale Konzerne, Spin-Doktoren oder militärische Geheimbünde. Ob Ukraine-Konflikt, Finanzmarktkrise oder Rentenpolitik: Immer sind es die nützlichen Idioten der Medien, die das Volk belügen, einlullen und hinter die Fichte führen.
Was die Debatte so gefährlich macht? Dass sie kritischen Journalismus zum gesellschaftlichen Nullum erklärt und letztendlich den Vereinfachern den Weg ebnet, die hinter ihren ideologischen Scheuklappen jegliche Differenzierung verhindern. Letztendlich machen diese Kritiker des Mainstreams den gleichen Fehler wie die von ihnen Kritisierten: Sie blenden aus, sie vereinfachen, sie manipulieren.
[…]

Restles Rage ist zu verstehen, denn MONITOR gehört neben ZAPP und PANORAMA zu den wenigen tatsächlich kritischen Magazinen, die auch Medienjournalismus betreiben und gründlich recherchieren.

Ich halte es auch für absurd in Verschwörungstheorien zu verfallen und anzunehmen irgendwelche dunklen Kräfte könnten „der Presse“ befehlen was sie zu schreiben haben.
Friede Springer wird nicht dem ganzen Tag am Telefon sitzen und ihren Redakteuren befehlen was sie zu schreiben haben.
Es gibt sie ja, die unabhängigen Informationen und die investigativen Wühler-Journalisten, die sich wirklich um differenzierte Bilder bemühen.

Problematisch sind aber drei andere Aspekte:

1.)        Das Phlegma des Konsumenten, der ausführlich recherchierte Berichte nicht würdigt, zu faul dazu ist sie zu lesen und schon gar nicht dafür bezahlen will. (Hallo Piraten!!!)
2.)        Das Phlegma der Journalisten, die unter Zeit- und Kostendruck stehen. Deren Dokumentationsabteilungen geschlossen wurden, die stattdessen lieber bei Wikipedia nachgucken sollen, weil auch großen Zeitungen inzwischen die Ressourcen fehlen, um gründliche Faktenchecks zu machen.
3.)        Den vorauseilenden Gehorsam, der in Kombination mit der Angst um den Job für die Schere im Kopf sorgt. Da muß es keinen externen Zensor und keine schriftlich festgehaltene Meinungslinie des Blattes geben (wie bei Springer). Journalisten schreiben gerne gefällig, um nicht anzuecken. Das macht das Leben einfacher. Man wird zu den richtigen Hintergrundrunden eingeladen, bekommt Spalten freigeräumt, kann in der Redaktion aufsteigen.

Vorgestern erschien bei Telepolis eine kritische Analyse von Stefan Korinth  über die fahrlässige Ukraine-Berichterstattung und die Erfindung des Schlagwortes „prorussisch“.
Ein Text, den ich als Gegenpol zu Georg Restles Stellungnahme dringend zu lesen empfehle.
Es lohnt sich insbesondere die 31 Fußnoten und ebenso vielen Links zu studieren.

Seit Beginn des Ukraine-Konflikts zeigen die deutschen Medien mit dem Finger auf Moskau. Innerukrainische Erklärungen für den Konflikt spielen hingegen kaum eine Rolle. Als nützlichste Medien-Erfindung erweisen sich dabei die "Pro-Russen"
Die Konfliktparteien in der Ukraine als "pro-russisch" und "pro-westlich" zu bezeichnen, hatte sich seit Beginn der Auseinandersetzung medial eingebürgert. Jedoch beschreiben solche Begriffe die beiden Lager mit all ihren Ausprägungen und inneren Widersprüche nur ungenügend und zum Teil auch falsch. So war Janukowitschs Politik lange positiv auf die EU ausgerichtet und Brüssel galt er als legitimer Verhandlungspartner. Wohingegen die Partei Swoboda und andere rechtsradikale Gruppen lieber eine national-souveräne als eine europäisch-integrierte Ukraine wollen. Schon im Dezember 2013 konnten diese Dinge jedem Journalisten mit ein wenig Recherche klar sein.
Statt "pro-russisch" und "pro-westlich" haben sich in der Ukraine denn auch ganz andere Bezeichnungen für die Konfliktparteien etabliert: Euro-Maidan und Anti-Maidan. Diese Begriffe nutzen hiesigen Medien jedoch kaum, hätten sie doch zur Folge, sich genauer mit den Gruppen beschäftigen zu müssen.
[…] Tendenziöses Argumentieren leicht gemacht
In deutschen Medien heißt es nicht Euro-Maidan gegen Anti-Maidan, sondern Ukraine gegen Russland. Das geht zwar an der Realität vorbei, denn der Konflikt ist zuallererst ein innerukrainischer, doch hat ein Duell Kiew gegen Moskau für parteiische deutsche Journalisten viele Vorteile:

Mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Spannungen innerhalb der Ukraine brauchen sie sich nun erst recht nicht auseinanderzusetzen. Handlungen der neuen Regierung wie etwa die Entlassung tausender Staatsangestellter, die Wiedereinführung der gerade abgeschafften Wehrpflicht oder die Erhöhung der Energiepreise für Privathaushalte müssen nicht näher besprochen werden.

Die Ukraine können sie als eigentlich geeintes Land darstellen, das letztlich nur von außen destabilisiert wird. Das wertet gleichzeitig die Maidan-Bewegung als "vom ganzen Volk getragen" auf und nimmt die privaten bewaffneten Regierungsunterstützer aus dem Blick.

Den "Westen" (EU, USA) können deutsche Journalisten als Partei mit Ambitionen und als in der Ukraine tätigen Akteur völlig heraushalten. Noch besser: Die verbündeten Regierungen des transatlantischen Raums werden als "die internationale Gemeinschaft"8 – mithin als überparteiischer, besorgter Beobachter mit legitimen Eingriffsrechten präsentiert.

Medial kann nun Wladimir Putin für alle Aktionen der Pro-Russen direkt verantwortlich gemacht und alle Widersprüche zwischen beiden als Verlogenheit Putins charakterisiert werden.

Und schließlich können Journalisten ihren moralischen Kompass durch die Erfindung der Pro-Russen ganz neu einstellen. Die Übergangsregierung hat nun selbstverständlich das Recht, sich mit militärischer Gewalt zu verteidigen, sie wird ja – anders als Janukowitsch – von außen attackiert. Sie setzt ihre Armee und die sogenannte Nationalgarde eben nicht gegen Ukrainer ein, sondern gegen (Pro-)Russen, die das Land spalten wollen. Diese zu töten gilt dann als akzeptabel. […]

Die gute Nachricht ist:
Ja, es gibt differenzierte Informationen; man hat durchaus die Möglichkeit sich ein realistisches Bild der Lage zu machen – auch wenn man dann möglicherweise so wie ich von eifrigen Putin-Bashern wie Jörn Buhde aus SPD-Diskussionsgruppen verbannt wird.

Die schlechte Nachricht ist:
In fünf Minuten findet man das nicht. Es kostet schon etwas mehr Mühe.

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