Freitag, 31. August 2012

Teure Pflege.





Daß da was mit der Pflegeversicherung gewaltig im Argen liegt, ist keine besonders neue Erkenntnis. 
Pflegeeinrichtungen sind personell katastrophal mangelhaft aufgestellt.
Seit Jahr und Tag sitzen Menschen wie der „Pflege-Papst“ Claus Fussek in Talkshows und Kommissionen und berichten von der Pflegemafia und den unhaltbaren Zuständen. 


Aber wir haben eben einen FDP-Minister in der Verantwortung und daher gibt es natürlich keine Verbesserungen und die Bundesregierung unter Frau Merkel sitzt das Thema einfach aus. 
Eine „Pflegereform“ soll schon seit vielen Jahren kommen, aber sie ist mal wieder auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 verschoben.

Pflegebedürftige haben für die Bundesregierung aus lauter christlichen Politikern einen enormen Vorteil - im Gegensatz zu  Bankern, der Pharma- oder Energie-Lobby, sind sie immer still und hocken zu Hause, ohne sich zu beschweren.
Sie sind im doppelten Sinne zu schwach, um nach Berlin zu fahren und eine Großdemo vor dem Kanzleramt durchzuführen.
Hilfe von Merkel kann man also vergessen.

Im März dieses Jahres war mein Vater für drei Wochen in einer kardiologisch-geriatrischen Reha im Norden Hamburgs. 
Ein CHRISTLICHES Haus, welches von einer Freikirche betrieben wurde.

Vielleicht kann sich der ein oder andere Leser vorstellen wie begeistert ich war ausgerechnet eine KIRCHLICHE Einrichtung zu akzeptieren. Aber es war der einzige GERIATRISCHE Platz in einer Kardio-Reha. 

(Meine Empfehlung: Es ist viel besser reich zu sein und eine private Einrichtung bezahlen zu können. Zumindest sollte man Privatpatient sein.)
Normale Kuren sind für Menschen mit Pflegeeinstufungen ausgeschlossen, da sie eher einer Vorform der Olympischen Spiele gleichen. Körperliche Aktivität und Agilität wird vorausgesetzt.
Nur dort, wo die Geronten in Vierbettzimmern (!!) verwahrt werden, kann man auf etwas mehr Personal hoffen.
Aber wie das eben so ist in Rehas: 
Als erstes haben sie meinen Vater unangezogen so lange in einem eiskalten Raum abgelegt, bis er eine Lungenentzündung hatte. 
Die erste Physiotherapeutin erschien nach fünf Tagen - allerdings nur um zu sagen, daß sie leider total unterbesetzt wären und Einzeltherapie daher derzeit nicht möglich sei. 
Es gäbe aber zwei Mal in der Woche eine Gruppen-Physiotherapie und im Übrigen sei jede Art von Bewegung als postoperative Herz-Therapie geeignet.
 Er solle doch am besten versuchen Treppen zu gehen.

Eine tolle Idee. 
Wenn mein Vater Treppen gehen könnte, wäre eine Reha nach zwei Herzoperationen gar nicht nötig gewesen.

Innerhalb von drei Wochen wurde immerhin willkürlich ca 3 - 4 mal die Blutkoagulation bestimmt. 
Wie bei allen Postoperativen, insbesondere die mit Vorhofflimmern- und Flattern, war eine Blutverdünnungstherapie obligatorisch. Sonst können sich leicht Thromben bilden, die dann irgendwelche Gefäße verstopfen - so daß es zum Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt. 
Allein eine Millionen Menschen in Deutschland nehmen regelmäßig Marcumar.
Nur die christlichen Kardiologen der Reha waren damit überfordert und schicken nach drei Wochen meinen Vater mit katastrophal verdicktem Blut nach Hause.

Ich erfuhr das allerdings erst durch den Arztbrief bei der Entlassung. 
Während der Reha sah ich, DASS er Warfarin bekommt und war naiverweise davon ausgegangen, daß die Herren in den weißen Kitteln schon wissen, wie man das dosiert. 
Aber weit gefehlt. Hätte ich das doch geahnt! Denn ich hatte mir längst vorher ein Coagu-Check-Gerät (Preis: 800 bis 1000 Euro!) auf eigene Kosten angeschafft, da ich zu Hause ohnehin selbst die Dosierung übernehme. 
Die günstigsten Teststreifen, die man für jede einzelne Messung braucht, kosten € 175,50 für 48 Stück! Da ärgert man sich richtig über jede Messung, die schief geht, weil die Blutmenge nicht ausreichte, oder sonst ein Fehler auftrat. Hinzu kommen noch je eine sterile Lanzette pro Messung (100 Stück ca 17 Euro)

Pflegebedürftige Angehörige sind zeitaufwändig. 
Das liegt in der Natur der Sache. 

Unverständlich ist mir aber, daß nach wie vor die Bürokratie nahezu undurchschaubar ist.

(Übrigens ein Tipp - falls jemand Rat braucht: Man gehe am besten als erstes zu einem Pflegedienst in der Nachbarschaft, erfrage ob die überhaupt Zeit haben und lasse die dann schon mal anfangen. Die Pflegedienste selbst wissen am besten, wie man mit Amtsärzten, Pflegekasse, Krankenkasse und behandelnden Ärzten konferiert)

Wie man überhaupt eine Pflegeeinstufung und einen Pflegedient bekommt, ist den meisten Menschen ein Rätsel. Und die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst kann Erstaunliches hervorbringen.
Eine Freundin von mir, 90 Jahre alt, bettlägerig, diverse Krebserkrankungen und einer vollständig abgerissenen Mitralklappe, so daß das Herz nur maximal 20% leisten konnte wurde genau ZEHN TAGE vor ihrem Tod im November 2011 als GAR NICHT pflegebedürftig eingeschätzt. 
Mein Widerspruch gegen diese Entscheidung konnte nicht mehr bearbeitet werden, da sie verstorben war, bevor der Medizinische Dienst erneut einen Termin ansetzen konnte.

Mein Vater bekam glücklicherweise schon vor Jahren Pflegestufe I bewilligt. 
Das bedeutet, daß ich im Monat die ungeheuerliche Summe von € 235 zur Verfügung gestellt bekomme. (Just gab es eine Erhöhung. Bis Ende 2011 waren es € 220).

Jetzt darf jeder mal selbst nachrechnen wie weit man wohl mit € 235 Euro kommt, wenn man damit zum Beispiel zwei Besuche eines Pflegedienstes am Tag finanzieren möchte.

Mein Pflegedienst berechnet pro Besuch eine „Betreuungspauschale“ von 25 Euro, wobei es die Möglichkeit gibt einen Kurzbesuch (Medikamentengabe ohne Körperpflege) als ½ zu berechnen (= 12,50 Euro).

Man kann also dem Pflegedienst beim besten Willen nicht vorwerfen exorbitant teuer zu sein. 

Immerhin bedeutet „1/2 mal Betreuungspauschale“, daß eine examinierte Pflegerin mit dem Auto kommt, all die Treppen hochsteigt und sich dann um den Patienten kümmert. 
Ein Klempner oder Elektriker würde sich totlachen, wenn man ihm vorschlüge für 12,50 Euro zu kommen.
Die Pflegekräfte verdienen hier in der Gegend rund 1000 Euro im Monat. 

Die Miete in einem durchschnittlichen Wohnung in der Hamburger Innenstadt kann aber selbst für ein Nachkriegshaus mit dünnen Pappwänden an die 20 Euro pro Quadratmeter betragen.

Wenn eine Altenpflegerin also eine 50 qm-Wohnung bezöge, wäre damit ihr gesamter Lohn aufgebraucht.

Irgendwas stimmt da mit der Verhältnismäßigkeit nicht.

Wenn sich Angehörige nicht um einen Pflegefall kümmern können und ihm die eingangs von mir erwähnten zwei Kurzbesuche täglich vom Pflegedienst bezahlen wollen, sind das 50 Euro am Tag. Einmal morgens, einmal abends kurz was zu essen vorsetzen und/oder ein Toilettengang beispielsweise. Eine Minimalversorgung, wie ich meine.
Das macht, wenn mich meine Rechenkünste nicht täuschen, rund 1500 Euro im Monat
Die Summe steht im krassen Missverhältnis zu dem Pflegesatz von € 235!

Gerade ist mir der Satz aber um 50% reduziert worden, weil ich logischerweise NICHT immer den Pflegedienst bezahlen kann. Dadurch wurde aber der alle sechs Monate fällige „Beratungsbesuch“ versäumt, mit dem nachgewiesen werden soll, daß die Pflege tatsächlich erbracht wird und nicht ein Angehöriger die üppigen 235 Euro versäuft. 
Eine Maßnahme, die ich sogar verstehe, aber man vergisst natürlich leicht alle sechs Monate eine erneute offizielle Begutachtung zu beantragen. 
Also bekomme ich derzeit nur noch grandiose 117,50 Euro im Monat von der Pflegekasse.



(Meine Darstellung ist aus Gründen der Verständlichkeit stark vereinfacht. Man kann statt Geld - auch „Sachleistungen“ oder „gemischte Formen“ von der Pflegekasse beantragen. Es gibt ärztliche „Med-Gabe-Verordnungen“, die von den Krankenkassen und nicht den Pflegekassen bezahlt werden, etc, pp)

Überflüssig zu erwähnen, daß von allen Pflegerinnen, die ich bisher erlebte maximal 10% Deutsche waren und daß die Betreiberin des Pflegedienstes wie alle ihre Kolleginnen händeringend nach Personal sucht. Aber mit 1000 Euro im Monat ist man schon im Aufstockerbereich.
Da kommen Hartz-IV-Bezieher möglicherweise besser weg, weil sie zusätzlich noch Wohngeld bekommen.
Von 1000 Euro auch noch Miete und Versicherungen zu bezahlen ist zumindest in den teureren Städten wie Frankfurt, Düsseldorf oder München unmöglich.
Die Gehälter müßten erheblich aufgestockt werden, um mehr Leute in den Beruf zu ziehen. 
Aber wie sollte ein Pflegedienst das schaffen?

Ich bin kein Kaufmann, aber wenn ich sehe, daß der Pflegedinest, mit dem ich zusammen arbeite eine Flotte von sechs Kleinwagen, sowie ein großes Ladengeschäft und zwei Bürokräfte für den Papierkrieg unterhält, ist es mir ein Rätsel, wie sich das bei den mickrigen Betreuungspauschalen überhaupt rechnen kann.

Die Frage ist: 
Wo bleibt eigentlich das ganze Geld, das wir für die Pflegeversicherung ausgeben?
Es ist ja nicht so, daß wir kein Geld für Gesundheit und Pflege ausgeben!
Aber offenbar landet es nicht bei den kleinen Pflegediensten oder gar den Altenpflegern.


Es gibt aber Patienten, die richtig Geld bringen. Wer dauerhaft beatmet werden muß, kostet die Pflegekasse zwischen € 7.000 und € 20.000 IM MONAT.

Wer in der Pflegebranche was verdienen will, muß sich solche Fälle abgreifen.
 Und genau das geschieht auch.

Intensiv-Patienten mit Vollzeitpflege sind beste Rendite-Objekte und werden den Pflegemultis von kleineren Diensten, die ihre Patienten schon in den Krankenhäuser „requirieren“ für rund € 50.000 Euro verkauft! 

Der Begriff „Pflegemafia“, den Fussek prägte, scheint ziemlich euphemistisch zu sein.


 Nach Informationen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ werden Intensivpflegepatienten im häuslichen Bereich  in einer Preisspanne von 40 bis 60.000 Euro zwischen Pflegediensten gehandelt. In einem verdeckt gedrehten Verkaufsgespräch hat ein Pflegedienst dem Magazin fünf Patienten zum Preis von 250.000 Euro zum Kauf angeboten.
Die dazu gehörenden Pflegeteams können auch übernommen werden. Der Inhaber des Dienstes betonte, dass derzeit keiner der zu verkaufenden Patienten „im Sterben“ liege. REPORT MAINZ hat die Recherchen den Gesundheitspolitikern Karl Lauterbach (SPD) und dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), vorgelegt. "Solche Vorgänge waren mir bislang nicht bekannt", sagte Lauterbach im Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin.  Auch Wolfgang Zöller kommt zu einer ähnlichen Einschätzung:  "Da wird Ethik und Monetik wohl verwechselt.“ Für ihn ist ein solcher Verkauf "unethisch" und "unmoralisch".
Die Oberärztin Simone Rosseau von der Berliner Charité sieht durch solche Geschäfte  eine große Gefahr für beatmete Intensivpatienten. "In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die Patienten nicht die Behandlung bekommen, die sie eigentlich bedürfen, weil sie dann nicht mehr so viel Geld einbringen. Das wäre der Fall, wenn ein Patient nicht von der Beatmung entwöhnt wird", sagte Rosseau gegenüber dem ARD Politikmagazin. Auf Nachfrage, ob Patienten daher teilweise länger krank blieben, als sie müssten, antwortete sie: "Sie werden länger beatmet als sie müssten, oder wenn sie an Patienten denken, bei denen vielleicht ein Sterbeprozess begonnen hat, die in ihrer letzten Lebensphase sind, kann auch heißen, am Leben halten um jeden Preis, weil ein Beatmungspatient Geld bringen muss". Zahlen darüber, wie viele  Intensivpflegepatienten/Beatmungspatienten es im häuslichen Bereich gibt, liegen den Krankenkassen nicht vor, erklärt der GKV Spitzenverband auf REPORT MAINZ Nachfrage.

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