Freitag, 21. März 2014

Wo ist die Klugheit hin?



Früher dachte ich immer, daß „die Erwachsenen“ all das können, womit ich als Kind haderte. Also Rechtschreibung. Und Autofahren. Oder kochen.

Ich weiß nicht mehr wann ich begriff, daß nicht alle Erwachsenen alles können.
Längere Zeit hielt sich aber mein Vorurteil, daß immerhin die Menschen in gewissen Berufen – also zum Beispiel Lehrer oder Ärzte – selbstverständlich diese Grundfertigkeiten beherrschen müßten.

Aber vielleicht gehört das zu den Dingen, die „früher“ auch einfach anders waren, die nämlich schon in der „Volksschule“ eingebläut wurden.
Gestern las ich einige Briefe meines Großvaters aus den 1930er Jahren; recht ausführliche Beschreibungen, die er auf einer Schreibmaschine tippte, weil er ja noch die Generation „Sütterlin“ war und daher eine etwas schwer zu entziffernde Handschrift hatte. Mein Opa war kein gebildeter Mann, sondern Kaufmann, der wie in seiner Generation üblich schon als Teenager arbeiten ging.
Aber in diesen langen Briefen ist nicht ein einziger Rechtschreibfehler. Jedes Komma sitzt perfekt, jede Anrede ist groß geschrieben und jedes „das“ bekommt genau da ein „ß“ wo es hinmuß.

Mir ist immer noch nicht klar, wieso diese Fähigkeiten im 21. Jahrhundert allgemein verloren gehen, obwohl die Menschen doch viel länger in die Schule gehen und viel besseren Zugang zu Kultur und Bildung haben.
Liegt das alles nur an den SMS? Kaum vorstellbar.

Anyway.
Als erwachsener Mann glaube ich, daß Intelligenz und Bildung zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Es überlappt sich allerdings offenbar. Durch eine bildungsbürgerliche Umgebung oder eben ein bildungsfernen Elternhaus kann der IQ um +/- 15% beeinflußt werden.
Wer immer liest und sich kontinuierlich weiter informiert, wird also nicht nur gebildeter, sondern tatsächlich auch klüger.

Klassische Bildung erschien vor Hundert Jahren vielen Deutschen so erstrebenswert, daß einfache Arbeiter, die 14 Stunden und sechs Tage die Woche malochen gingen, dennoch freiwillig auf Abendschulen oder in sozialistischen Bildungsvereinen dazu lernen wollten. Lernen um des Lernens willen. Es galt als erstrebenswertes Ziel in sich.
Lernen war kein Vehikel, um damit Karriere zu machen.
Man legte sich Nietzsches „Also sprach Zarathustra!“ auf den Nachttisch, weil man gerne darin las und es genoss seine eigenen Gedanken zu stimulieren.
Heute legt man die neuen Nietzsche-Ausgaben (gerade sind wieder drei erscheinen) eher auf den Nachttisch, um damit diejenigen zu beeindrucken, denen man unter welchen Umständen auch immer sein Schlafzimmer zeigt.

Bildung verkommt partiell zu einem zweckmäßigen Kleidungsstück.
Der Dr.-Titel bringt eben nicht nur Prestige, sondern auch deutlich mehr Gehalt – bei gleicher Qualifikation.

Weniger erklärlich ist allerdings wie ihnen das so einfach gelingen konnte.
Peter Häberle, Guttenbergs Doktorvater ist ein europaweit hochgeachteter Spitzenjurist, der seinerseits ein halbes Dutzend Ehrendoktortitel verliehen bekam. Mehrere Juristische Institute in aller Welt wurden nach ihm benannt.
Und so einer merkt gar nicht, daß mit KTG jahrelang ein totaler Blender an seinem Tisch saß, der nie selbst eine Zeile geschrieben hatte und nur zusammenkopiertes Material abgab?

Bildung scheint in von Klugheit entkoppelter Form existieren zu können.

Meine naive Vorstellung, daß es einem dummen Menschen gar nicht gelingen kann bis ihn die höchsten Staatsämter aufzusteigen, weil sich über die vielen Jahre doch irgendwann die Spreu vom Weizen trenne, ist angesichts der Minister Friedrich oder Dobrindt ohnehin ab absurdum geführt.

Es gibt andererseits Kluge, die nicht den klassischen Bildungsweg gingen, die keinen bildungsbürgerlichen Hintergrund haben, keine akademische Karriere hinlegten und sich dennoch zweifellos in ihrem Leben eine immense Bildung zulegten. Dazu gehören beispielsweise die Bundeskanzler Schröder, Brandt und Schmidt, oder auch Menschen wie Marcel Reich-Ranicki, die keine Dissertationsschrift verfassten, aber ein gewaltiges Wissen anhäuften.

Eine entscheidende Gemeinsamkeit der vier Genannten ist aber ein persönlicher Grundanstand.
Sie haben sich ihre Klugheit selbst erarbeitet und dachten nie daran, es genüge aufgrund ihrer Herkunft Bildung nur zu simulieren.

Die Dr.-Peinlichkeiten Koch-Mehrin, von und zu Guttenberg und Schavan zeigten insbesondere während ihrer Enttarnung überdeutlich, daß sie eben NICHT klug sind.
 Sie begriffen offenbar ihre Affären gar nicht.
Ihre menschliche Kleinheit erwies sich erst richtig, als sie dümmlich lügend die bittere Realität abstritten und später wie ein beleidigtes Kleinkind auf den ihnen nicht zustehenden Titeln bestanden.
Wissen sie denn nicht, daß sie das letzte bißchen Reputation wegwerfen, wenn sie eingeschnappt ihre Unis verklagen und rumjammern, sie wollten IHREN Titel, den sie selbst verdient hätten, zurück?
Universitäten VERLEIHEN Titel. Die erwirbt man nicht wie beim Kaufmann. Man kann sie übrigens auch nicht zurückgeben.
Diese spezielle Sorte stolpernder Konservativer scheint nach all den Jahren in der Politik noch nicht einmal das kleine Einmaleins der Skandalogie zu beherrschen.
Salamitaktik geht immer nach hinten los und schmollend sein Recht zu verlangen – „das steht mir aber zu!“ – wird nie vom Publikum goutiert werden.

Koch-Mehrin fiel schon gewaltig auf die Nase, als sie versuchte ihren zusammengeschummelten und dann entzogenen Doktor-Titel der Uni Heidelberg zurück zu klagen.
Uli Hoeness landete im Knast, weil er dachte er brauche die Wahrheit gar nicht offenlegen, wenn er nur ein Prozent des Betrugsvolumens zugäbe. Er dachte auch, er könne sich „tätige Reue“ sparen und einfach stur auf all seinen Pöstchen und Privilegien sitzen bleiben.

Und nun Schavan, die ehemalige Bildungs- und Wissenschaftsministerin, die als einfache Abiturientin weiterhin schmollend ihren Professorentitel trägt.
Auch sie ging mit einem unmöglichen Anliegen vor Gericht und erreichte mit der heutigen Abschmetterung ihrer Klage, daß ganz Deutschland den Kopf über sie schüttelt und an ihrem Verstand zweifelt.
Schavan ist nicht nur nicht gebildet, sondern sie ist ganz offensichtlich auch NICHT KLUG.

Annette Schavans Niederlage hätte klarer kaum ausfallen können. All die Argumente ihrer Anwälte wischten die Düsseldorfer Verwaltungsrichter am Donnerstag zur Seite und wiesen ihre Klage ab. Es waren die üblichen Ausreden in Plagiatsfällen: Man habe damals eben anders gearbeitet, es gehe nur um wenige Textstellen – und überhaupt habe sich die Universität nicht an die Feinheiten der Promotionsordnung gehalten. Das Gericht aber konzentrierte sich aufs Wesentliche: Hat sie nun getäuscht oder nicht? Ja. Alles andere sind Nebensächlichkeiten.
Damit hat die frühere Bildungsministerin das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollte, nämlich den Titelentzug als dilettantische Ungerechtigkeit der Universität Düsseldorf zu brandmarken. Die viel gescholtene Hochschule kann jetzt auf ein richterliches Gütesiegel verweisen. […]

Erreicht hat Schavan das, was ihr auch Klein Fritzchen prophezeien konnte: Sie hat sich noch einmal zur bundesweiten Witzfigur gemacht und zu einem Shitstorm eingeladen.

Einige Meldungen des Tages:

Meine Professoren klatschten sich gerade im Sekretariat ab, als es um das Schavan-Urteil ging. Das Leben ist schön.

#Schavan verliert ihren #Doktortitel wegen 60(!) fragwürdigen Stellen in der Diss. Gut so! Wissenschaftliches Arbeiten will gelernt sein...

Frau #Schavan, Herzlichen Glückwunsch, Sie haben wieder Abitur.

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