Helmut Schmidt war ein Ausnahmepolitiker, wie es ihn nur alle paar Hundert Jahre gibt. Er konnte reden, streiten, sich im täglichen parlamentarischen Geschäft durchsetzen; war aber gleichzeitig ein echter Intellektueller; ein Universalgenie, welches mit unglaublicher Disziplin, Populismus widerstand, um das Richtige und Notwendige durchzusetzen, auch wenn es ihm persönlich schadete.
Helmut Kohl und Gerhard Schröder hingegen sind/waren Instinktpolitiker, die ein ziemliches sicheres Gefühl dafür mitbringen, was die Masse will. Kohl nutzte diese Gabe, um möglichst lange an der Macht zu bleiben und schreckte, wie wir inzwischen wissen, vor keiner moralischen uns illegalen Schweinerei zurück. Er log, bestach, dirigierte zigmillionenschwere schwarze Kassen und verfügte auch privat über keinerlei Anstand, wie der Umgang mit seiner ersten Frau und seinen leiblichen Söhnen beweist. Erst kam er, dann die Partei und erst ganz am Ende das Land.
Schröder hingegen nutzte seinen politischen Instinkt nicht nur egoistisch, sondern war (zumindest bis zum Ende seiner Kanzlerschaft) moralisch so gefestigt, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, viele absolut richtige Dinge auch gegen Widerstände durchzusetzen (ökologische Steuerreform, Zwangsarbeiterentschädigung, Homoehe, uvam), opferte schließlich sogar sein Amt, um die als richtig erkannte Agendapolitik zum Wohle der Bürger durchzusetzen.
Mit Angela Merkel kam ein ganz neuer Typ ins Amt; sie verfügt über keinen politischen Instinkt und geht niemals aus Überzeugung oder emotional an Themen heran. Für sie gab es nur eine einzige politische Motivation: Kanzlerin sein. Man wird vermutlich nie erfahren, wie weit ihr Elternhaus, ihre Persönlichkeit, die DDR-Sozialisation, oder bloßer Zufall zu diesem überzeugungslosen und instinktlosen Politikstil führten. Er korreliert aber bemerkenswert mit ihrer völlig fehlenden Menschenkenntnis, die selbst die größten Merkel-Fans bei ihren Personal-Fehlgriffen für Kopfschütteln sorgten. Daß sie völlig unqualifizierte Personen als EU-Kommissare oder Minister nominierte, könnte man noch auf Proporz-Zwänge schieben. Aber wirklich legendär wurden ihre permanenten Fehlgriffe bei den Personalentscheidungen, die sie ganz allein bestimmen konnte: CDU-Generalsekretäre Kanzleramtsminister, Bundespräsidentschaftskandidaten. Sie konnte dennoch 16 Jahre lang Deutschland zu Grunde richten, weil sie intelligent ist. Sie analysierte ihre Tapsigkeit und Instinktlosigkeit korrekt und kompensierte.
Das betraf die Äußerlichkeiten, die sie geschickt anpassen ließ. Das betraf aber insbesondere die politischen Inhalte. Zuletzt war sie 2003 als Oppositionsführerin auf dem berühmten Leipziger Reformparteitag inhaltlich vorangegangen. Es wurde ein Desaster und kostete sie um ein Haar die Kanzlerschaft. Als Merkel tatsächlich ins Kanzleramt einzog, kassierte sie alle Leipziger Versprechungen und ließ stattdessen exzessiv Umfragen erstellen, die ihr zweimal pro Woche exklusiv vorgestellt wurden. Der Urnenpöbel wurde gründlich ausgeforscht und die Kanzlerin propagierte fortan nur noch das, was mehrheitlich gewünscht wurde. Nie wieder setzte sie sich an die Spitze der Bewegung, wenn politische Streithemen aufkamen. Sie ließ die Diskussion so lange laufen, bis sich eine Mehrheitsmeinung herauskristallisierte, die sie dann auch übernahm. Gab es keine eindeutige Präferenz der Wähler, inszenierte sie sich wolkigweich als Vermittlerin und beerdigte in Wahrheit die pressierenden Themen, indem sie auf den St. Nimmerleinstag verschoben wurden. Bis heute fragen sich Journalisten immer wieder „was wohl Merkel davon hält“, aber niemand kennt die Antwort.
Der Erfolg der Methode ist klar: Enorme persönliche Zustimmungswerte, exzellente CDU-Wahlergebnisse, 16 Jahre Kanzlerin. Merkel erkannte aus den Ergebnissen unendlich vieler Umfragen, wie sehr die Deutschen jegliche Reformen und Veränderungen hassen und handelte danach, indem sie Mehltau über das Land breitete.
Das zeigt aber gleichzeitig die große Gefahr der Methode; denn in einer sich rasant verändernden globalisierten Welt einfach zu verharren, führt unweigerlich zum Abstieg, weil alle anderen einen überholen.
Natürlich kann man mit Hilfe von Umfragen seine Politik nach der Mehrheiten ausrichten und so an der Wahlurne Erfolge einfahren.
Leider unterliegen die allermeisten Journalisten und Politiker der Versuchung, die Mehrheitsmeinung auch für das Richtige zu halten. Die Entscheidung scheint schließlich durch den Souverän legitimiert und eine angenommene Schwarmintelligenz werde einzelne extreme Meinungen nivellieren.
Das ist aber bedauerlicherweise großer Blödsinn, wie eindrucksvoll die Umfragedaten zur Energiepolitik zeigen. Hartnäckig hält eine Mehrheit Atomenergie für zukunftsweisend, sieht einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wachstum.
In Umfragen hat jeder eine Meinung, auch wenn er die vorgegebenen Antworten gar nicht begreift. So lehnt die breite Masse gentechnisch veränderte Lebensmittel kategorisch ab, obschon 99% der Befragten gar nicht die Unterschiede von grüner, roter und weißer Gentechnik kennen, nicht wissen was die CRISPR/Cas9-Methode ist. Die Covidioten lehnen mit mRNA gewonnenen Impfseren ab, ohne daß sie den Unterschied zu Vektor- oder proteinbasierten Impfstoffen auch nur ansatzweise verstehen.
Zudem verstärken Umfragen Trends. Wenn 60% der Befragten (fälschlicherweise) annehmen, die Grünen wollten alle Deutschen zum Gendern und Veganismus zwingen, empört das, generiert daher noch mehr Aufmerksamkeit, lässt die Verursacher dieser Hetz-Märchen auf die 60% verweisen und bei der nächsten Umfragen sind es dann 70%, die den (nicht existenten) „Genderzwang“ der Grünen ablehnen.
Der deutsche Michl ist nicht nur veränderungsunwillig, sondern auch noch Konformitäts-affin. Man will nicht zu den Verlierern gehören. Vier Wochen vor der Bundestagswahl wird also weniger auf die steuerpolitischen Konzepte gesehen, die in der CDUCSUAFDP-Variante extrem einseitig die Superreichen beschenken, sondern auf die Umfragetrends. Die Wähler wählen gegen ihre Interessen, weil sie zu den Gewinnern - CDU bei 30% - gehören und nicht den Verlierer – SPD bei 15% - gewählt haben wollen.
Gäbe es gar keine Umfragen, an denen sich Parteien und Politiker orientieren, fiele das Wahlergebnis ganz anders aus.
Zu allem Übel werden auch die Fragen oft subjektiv gestellt und die Ergebnisse entsprechend verzerrend gedeutet. Auf eine der am meisten abgefragten Dinge - Welche drei politischen Themen sind Ihnen momentan persönlich am wichtigsten? – kann ich gar nicht wahrheitsgemäß antworten.
Tatsächlich halte ich Migration für ein extrem wichtiges Thema. Aber darunter verstehen inzwischen fast alle Parteien „Grenzen zu – Ausländer raus“ und loben sich für ein Zurückdrängen der Migranten. Ich lehne das vehement ab und meine, diese xenophobe Politik muss dringend ein Ende haben. Es schadet Deutschlands Image und Deutschlands Wirtschaft. Die Politik der Abschottung ist moralisch verwerflich. Deutschland benötigt dringend einen jährlichen Nettozuzug von 500.000 Menschen, um dem Fachkräftemangel und der Demographie-Katastrophe entgegen zu wirken. Wir benötigen aber auch den kulturellen Input. Also ja, eine Veränderung dieser zutiefst menschenfeindlichen Migrationspolitik ist extrem wichtig.
Kreuze ich aber in so einer Umfrage tatsächlich „Migration“ an, lesen am nächsten Tag Merz und Söder die Ergebnisse und fehlschließen daraus, daß nun noch mehr Menschen einen härteren Asylkurs verlangen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Feedback an Tammox