Jeder deutsche Bundespolitiker, der etwas auf sich
hält übt so lange das Wort „Evaluationsprozess“ auszusprechen, bis es ihm in
jedem zweiten Satz flüssig über die Lippen kommt.
Wer von Evaluierung spricht, erweckt den Eindruck sich
im Dschungel der Zuständigkeiten auszukennen und zudem das Fach „politische
Theorie“ belegt zu haben.
Mit so einem schönen Begriff im Wortschatz klingen
selbst unterbelichtete Blitzbirnen wie Alexander Dobrindt fast intelligent.
Der Zungenbrecher „Evaluationsprozess“ wirkt zudem
latent ehrfurchteinflößend und erstickt damit die Frage danach, was das
eigentlich bedeutet im Keim.
„Evaluationsprozess“ ist für substanzlose Schlausprech-Minister des Schlages „Foto-Uschi“
fast so gut geeignet wie „Subsidiaritätsprinzip.“
Evaluation oder Evaluierung (aus lateinisch valere
„stark, wert sein“) bedeutet im politischen Sinne einfach nur, daß man
beispielsweise ein Gesetz auf seine Wirksamkeit überprüft.
Viele Steuern und Verordnungen sollen ein bestimmtes
Verhalten der Bürger fördern.
Das ist manchmal stark unterkomplex wie bei der
Herdprämie, die angeblich nur eine „Gerechtigkeitslücke“ schließen sollte,
indem auch Eltern, die ihre Kinder nicht in eine KITA bringen staatliche
Leistungen kassieren können.
Es erforderte allerdings nur wenige Hirnzellen zu
prophezeien, daß dieses Projekt eine Bauchlandung sein würde. Für wohlsituierte
Akademikerfamilien ist die Herdprämie zu gering, um ein Anreiz zu sein, während
die Armen und Doofen reihenweise ihre Brut bei der Kita abmelden, um sie von
jeder frühkindlicher Bildung fernzuhalten.
Manchmal weiß man auch nicht genau, wie sich eine
Regelung auswirkt.
Geht durch die Einführung von Karenztagen der
Krankenstand signifikant zurück?
Führen Lockerungen beim Kündigungsschutz tatsächlich
dazu, daß die Arbeitgeber deutlich mehr Stellen schaffen?
Gehen durch die allgemeinen Mindestlohn Arbeitsplätze
verloren, oder aber ermöglicht er mehr Firmen konkurrenzfähig zu sein und kurbelt
durch die ansteigende Nachfrage die Wirtschaft an?
Sind Gesetzesvorhaben extrem komplex – man denke an
Peer Steinbrücks gigantische Konjunkturpakete I und II oder die Hartz-Reformen –
streitet man sich vorher und nachher darüber, ob die Maßnahmen sinnvoll waren.
Eine genaue Evaluierung ist in diesen Fällen dringend
geboten und partielle Nachbesserungen (oder im Politsprech: „Nachjustierungen“)
sind keine Schande!
Steinbrücks Konjunkturpakete, also die klassisch Keynesianische
Nachfragebelebung mit Abwrackprämie und ähnlichen würde übrigens heute kein
Menschen mit Verstand mehr ablehnen.
Zu offensichtlich ist der Erfolg dieser SPD-Politik,
die interessanterweise von einer Kanzlerin mitgetragen wurde, die als
Krisenrezept für alle anderen EU-Staaten genau das Gegenteil empfiehlt: Statt
staatliches Geld in die Konjunktur zu pumpen, will Merkel, daß staatliche
Gelder abgezogen werden. Kürzen, sparen, schrumpfen lautet ihr offensichtlich
fehlschlagendes Austeritätsmantra.
Die große Mehrheit der Experten sieht auch die Hartz-Gesetze
als Erfolgsgeschichte. Für ganz Linke ist es allerdings zu einer Religion
geworden Hartz IV zu verdammen.
Dabei gibt es keinen Grund für eine dieser Extrempositionen
zu entscheiden.
Die guten Seiten der Hartz-Gesetze sollte man ausbauen
und die offensichtlichen Ungerechtigkeiten und überflüssigen Komplikationen
abschaffen.
Hartz ist so groß und gewaltig, daß es kontinuierlich
evaluiert und nachjustiert werden muß.
So ein „Evaluationsprozess“ kann einen erheblichen
empirischen Beobachtungsaufwand bedeuten.
Mit einem Blick in die Zeitung ist das nicht getan –
daher ist eine echte Evaluations-Branche entstanden.
Die deutsche DeGEval - Gesellschaft für Evaluation - hat zahlreiche
methodische und sektorale Arbeitskreise. Sie hat Standards, Empfehlungen und
Handreichungen zur Planung und Durchführung von Evaluationen herausgegeben.
Ihre Mitglieder stammen überwiegend aus Deutschland und Österreich.
Im internationalen Bereich haben Organisationen wie UN, EU, OECD, IWF, GIZ
etc. eigene Evaluations-Abteilungen, welche jeweils neben der Bearbeitung
konkreter Fragestellungen auch allgemeine Standards und Methoden sammeln,
entwickeln und aufbereiten.
(Wikipedia)
Der technische Cousin des „Evaluationsprozesses“ heißt
„Technologiefolgenabschätzung“ und ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft.
Daß es irgendwelche Folgen haben könnte, wenn man beim
Goldschürfen die Flüsse mit Zyanidlauge vergiftet, Wälder abhackt, Tierarten
ausrottet oder aber überall auf der Welt Kohle und Öl verbrennt, fiel der
Gattung Homo Sapiens über Jahrhunderte nicht ein.
Aber auch im Jahr 2014 stolpern wir immer noch
erstaunlich naiv in neue Techniken wie Fracking oder genetisch manipuliertes Saatgut,
ohne uns vorher über Risiken oder Chancen Gedanken zu machen.
Das Paradebeispiel ist die Nutzung der Kernspaltung
zur Stromgewinnung.
Obwohl bis heute niemand auf diesem Planeten
irgendeine Idee hat, was man mit dem supertoxischen und karzinogenen
Strahlenmüll in den nächsten paar Myriaden Jahren passieren soll, produzieren
wir fleißig weiter Atommüll.
Als ich vor endloser Zeit meine
Nuklearchemie-Vorlesungen begann und der Professor uns zu bestimmten
Zerfallsarten erklärte, wie krebserregend das auf Menschen wirkt, fragte ich
ihn, wieso man da eigentlich so genaue auf Menschen bezogene Daten hätte;
üblicherweise würde so etwas doch eher mit Tieren versucht.
Es gibt aber genaue Datensätze aus Palästina in den
1960er Jahren.
Damals war es üblich Kindern mit Kopfläusen eine Radiumstrahlenquelle auf die Birne zu halten.
Zur Sicherheit auch gleich seiner ganzen Schulklasse. Dann fielen anschließend
alle Haare aus und man ersparte sich das lästige Rasieren.
20 Jahren später konnte man dann wissenschaftlich
auswerten wie schnell sich Hirntumore entwickelten. Unschätzbare Informationen
für Wissenschaftler.
Es fasziniert mich bis heute, daß niemand schon damals
auf die Idee kam, daß solche Radioaktivität irgendwie ungesund sein könnte –
immerhin war der sofort einsetzende Haarausfall doch ein auch für Laien
deutliches Zeichen.
Menschen….
Ich träume davon „Evaluationsprozesse“, bzw „Technologiefolgenabschätzung“
auch für andere Wissenschaften zu entdecken.
Kein Religionsunterricht in der Schule dürfte ohne
Folgenanalyse stattfinden.
Welche Auswirkungen soziologischer, kultureller und
medizinischer Art hat das Ausbreiten von Religion?
Man erinnere sich nur an die Ausbreitung von Seuchen,
die von dem Kampf der Kirchen wider die Hygiene begünstigt wurden.
Auto Dafés, Pogrome, Kreuzzüge,
Missionierungsfeldzüge, Inquisition, Hexenverbrennung, Wissenschaftszensur, Unterdrückung
der Naturwissenschaft – all das sind enorme Einflüsse der Religion.
Vermutlich hätten wir schon seit hundert Jahren den
Mars besiedelt, wenn die Menschheit zumindest in Europa nicht tausend Jahre
durch die Kirchen Wissenschaft behindert und weitgehend verboten hätte.
Wie sollten sich auch erkenntnistheoretische Neugier
und Forschergeist entwickeln, wenn man immer gleich auf den Scheiterhaufen kam,
sobald man eine Entdeckung gemacht hatte?
Es wäre doch schön belastbares Zahlenmaterial darüber
zu haben wie viele Menschenleben, Seuchen, Kriege und Genozide durch Religionen
verursacht wurden.
Hier ist Evaluierung dringend geboten.
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