Vielleicht habe ich auch schon einen inneren Tiktok-Algorithmus in meinem Hirn, der meine Gedanken stets um die empörendsten und negativsten Entwicklungen mäandern lässt. Daran herrscht wahrlich kein Mangel, wenn man zu einem beliebigen Zeitpunkt durch die aktuellen News scrollt.
Ich bin schon so destruktiv, daß gute Nachrichten für mich in schlechten Nachrichten für andere bestehen: Rechtsextreme, die Wahlen verlieren, Rekord-Kirchenaustrittszahlen, abstürzende US-Wirtschaftsdaten und, auch wenn ich keine Namen nennen will, einige spektakuläre plötzliche Todesfälle wären mir durchaus wollkommen. Aber ich bin schließlich auch ein Ketzer, der ewig in der Hölle schmoren wird; was will man da erwarten?
Als gute Nachricht, empfand ich gestern auch die schlechte Nachricht für Saskia Eskens Karriereplanung. Endlich hat die Jammer-Kampagne, die bösen SPD-Männer gehen nur so schlecht mit mir um, weil ich eine Frau bin, ein Ende.
[….] Saskia Esken kandidiert nicht mehr als SPD-Vorsitzende. Sie sagte am Abend exklusiv dem ARD-Hauptstadtstudio, es sei für sie an der Zeit, der SPD Raum für Erneuerung zu geben. [….] Sie wolle insbesondere für junge Frauen in der SPD Platz machen. "Das ist ein Weg, den ich für mich so im Laufe der letzten Tage und Wochen entwickelt habe." Esken kündigte aber an, ihr Mandat im Bundestag, in dem sie seit 2013 sitzt, zu behalten.
Auf die Frage, ob sie sich angesichts der Kritik der vergangenen Wochen ungerecht behandelt fühle, sagte Esken: "Ich glaube, dass Frauen in der Politik insgesamt anders beurteilt werden und auch härter und kritischer betrachtet werden als Männer." Frauen müssten "in einem hohen Maße männlich geprägten Rollenklischees" genügen. "Da müssen wir uns als Frauen auch dagegen verwahren." [….] Seit 2019 ist Esken Parteichefin. Sie gehört damit zu den am längsten amtierenden SPD-Vorsitzenden. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur Kurt Schumacher, Willy Brandt und Sigmar Gabriel länger im Amt. [….] In den vergangenen Wochen hatte es parteiintern teils heftige Kritik an Esken gegeben, die in ihrem Wahlkreis Calw als Direktkandidatin nur 12,9 Prozent der Erststimme geholt hatte. [….] (Tagesschau, 11.05.2025)
Es ärgert mich, wie Esken die Frauen-Karte spielt. Natürlich trifft es zweifelsfrei zu; Frauen werden immer noch in Gesellschaft, Kirche, Wirtschaft und Politik strukturell benachteiligt. Weltweit wird Leo XIV. als neuen Chef von 1,4 Milliarden Katholiken zugejubelt. Dabei wäre der einzig richtige Umgang mit einem Verein, der so systematisch und apodiktisch Frauen ausschließt, seine vollständige Ächtung.
Eskens nur noch homöopathisch messbare Beliebtheit hat aber nichts mit ihrer Weiblichkeit zu tun, sondern mit ihrem unangenehmen Charakter und ihrer mangelhaften Eignung. Wer persönlich mit ihr zusammenarbeiten muss, mag sie nicht und bei öffentlichen Auftritten wirkt sie auf Wähler abschreckend wie Fußpilz und Mundfäule zusammen. Gerecht oder ungerecht, Frau oder Mann: Damit ist frau als Parteichefin ungeeignet.
Nach dieser guten schlechten Nachricht über Esken, trudeln nun aber sogar zwei gute gute Nachrichten von der SPD ein. Bärbel Bas wird die neue Esken und Tim Klüssendorf wird neuer Miersch. Ich bin großer Klüssendorf-Fan.
Oder das Lübecker Nordlicht Tim Klüssendorf (*1991), der für die SPD im Bundestag sitzt.
[….] Nach meinem Abitur 2011 an der Ernestinenschule am Koberg und meinem Bundesfreiwilligendienst beim Lübecker Jugendring von 2011 bis 2012 bin ich zum Studium nach Hamburg gependelt. An der Universität Hamburg habe ich zunächst (2012 bis 2015) einen Bachelorabschluss in Volkswirtschaftslehre und anschließend (2015 bis 2018) einen Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Meine inhaltlichen Schwerpunkte im Studium waren vor allem Mikroökonomie, Verhaltensökonomie, Unternehmensführung, Medien und Marketing. [….]
Vor einem dreiviertel Jahr versuchte ich bereits, ihn zum Chef hochzuschreiben.
(….) Notwendig ist ein personeller Neustart, der bedauerlicherweise ausgerechnet bei den noch am meisten lösungsorientierten Grünen anfing. Esken, Klingbeil und Mützenich müssten auch in Rente gehen. Kühnert soll in den Parteivorsitz aufrücken und die Rest-Linken (Reichinnek, Korte, Gürpinar, Pau, Renner) endlich in die SPD aufnehmen. Die neue Bundestagsfraktionsführung sollte aus Jan Dieren, Metin Hakverdi, Tim Klüssendorf (als Vorsitzendem), Helge Lindh, Robin Mesarosch, Rasha Nasr und Gülistan Yüksel bestehen. (…)
(Probleme, Verursacher, Blockierer, Abhilfe, 27.09.2024)
Wie man sieht; Prognosen sind schwierig, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen. Ich wußte im September nichts vom Ampel-Aus, nichts von Kühnerts Ausscheiden aus der Politik und nichts vom enormen Comeback der Linken.
Aber wenigstens bekomme ich ein bißchen was.
[….] Für SPD-pur-Positionen ist ab sofort Tim Klüssendorf zuständig. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD ist erst seit 2021 Bundestagsabgeordneter. Er arbeitete für die Fraktion ein Konzept zur gerechteren Besteuerung von großen Vermögen aus und warb früh, unter anderem in der taz, dafür, sehr Reiche stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Auf dem Bundesparteitag im Dezember 2023 überraschte er mit dem Antrag für eine Vermögensabgabe im Leitantrag. Die Delegierten stimmten dafür, obwohl die Führung um Klingbeil und den damaligen Generalsekretär Kevin Kühnert alle Register gezogen hatte, um dies zu verhindern.
„Das hat mir damals schon imponiert, dass jemand in seiner ersten Legislatur sagt, ich habe hier mitzureden“, blickte Klingbeil am Montag zurück. Und wandte bei Klüssendorf jenen Kniff an, mit dem er auch schon Kühnert diszipliniert hatte: Statt ihn kleinzumachen, beförderte er den Rebellen in die Hausleitung.
Ganz unerfahren ist Klüssendorf nicht: Als Mitarbeiter des Lübecker Oberbürgermeisters modernisierte er die Rathausverwaltung mit 4.000 Mitarbeitenden. Ab sofort ist Klüssendorf Chef der SPD-Parteizentrale mit 200 Mitarbeitern, die einer bei der Bundestagswahl schwer gedemütigten Partei mit rund 360.000 Mitgliedern neuen Schwung verleihen soll. Der Lübecker bekannte, er habe „einen riesigen Respekt vor dieser Aufgabe“, an die er mit Demut und Selbstbewusstsein gehe. [….]
Klüssendorf wird jetzt als der smarte Linke, der neue Kühnert geframt.
Das Bild erscheint mir etwas schief. Für mich besticht er insbesondere durch Unaufgeregtheit und ökonomische Fachkompetenz. Er ist das Gegenmodell zu den Voodoo-Ökonomen der CDU, die frei von der Realität, frei von Fachkenntnis, frei von Wahrheit Lobbyinteresse bedienen.
(….) Aber zurück zur CDU, die mit einer Klage ihrem Schuldenbremse-Fetisch frönte und damit gleichzeitig die Deutsche Ökonomie in den Abgrund stieß.
Seither piesackt sie die Ampel mit immer kostenintensiveren Ausgabenwünschen, will aber gleichzeitig weniger einnehmen (Steuersenkungen) und keinesfalls Schulden aufnehmen.
Voodoo-economics nach dem Beispiel der Schildbürger. Tim Klüssendorf rechnete aus, wie Merzens Mannen allein in den letzten fünf Wochen 90,5 Milliarden Euro Mehrausgaben verlangten.
Tim Klüssendorf (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die Meinungen in dieser Debatte sind ausgetauscht.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Du sprichst jetzt einfach nur zur Erbschaftsteuer!)
– Ich wollte nicht zur Erbschaftsteuer reden, diesmal nicht, Herr Steiniger. – Der Kollege Schrodi hat auf die verfassungsrechtlichen Bedingungen hingewiesen. Ich glaube, wir sind hier gar nicht so weit auseinander. Das muss man jetzt auch nicht künstlich aufbauschen. Es ist nett, dass Sie den Antrag geschrieben haben, aber nötig gewesen wäre er aus meiner Sicht nicht. Was man aber einmal zum Thema machen könnte – jetzt komme ich nicht zur Erbschaftsteuer, sondern zu anderen steuerpolitischen Vorschlägen –, sind die steuerpolitischen Ideen der Union, die sich in eine Reihe von Anträgen einfügen, die wir im Finanzausschuss und auch hier zu beraten haben. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, sie aufzulisten. Ich rede jetzt nicht über die Anträge, die in den letzten zweieinhalb Jahren hier im Plenum von Ihnen eingebracht worden sind, sondern nur über die letzten fünf Wochen.
Ich fange an mit dem Wirtschaftswendepapier vom 10. April 2024, in dem Sie unter anderem auch die Senkung der Steuern für im Unternehmen verbleibende Gewinne fordern: 14 Milliarden Euro. Natürlich fordern Sie auch die Senkung der Stromsteuer auf ein dauerhaft europäisches Minimum: 8 Milliarden Euro. Jetzt sind wir schon bei 22 Milliarden Euro.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Das sind keine 8!)
Sie fordern auch die Halbierung der Netzentgelte: 5,5 Milliarden Euro. Dann sind wir schon bei 27,5 Milliarden Euro. Letzter Punkt in dem Papier ist die Begrenzung der Sozialabgaben auf 40 Prozent des Arbeitslohns. Man weiß nicht genau, wie Sie das kompensieren wollen, ob aus Steuergeldern oder durch Leistungskürzungen. Nehmen wir an, Sie wollen das aus Steuergeldern kompensieren, dann sind das nochmal 15 Milliarden Euro. Dann wären wir schon bei 42,5 Milliarden Euro. Natürlich haben Sie sich nicht lumpen lassen und zwei Wochen später noch die echte Wirtschaftswende gefordert, nicht nur eine Wirtschaftswende, sondern die echte Wirtschaftswende. Dort haben Sie final die Streichung des Solidaritätszuschlages vorgesehen: 13 Milliarden Euro. Nun sind wir schon bei 55,5 Milliarden Euro.
Zwei Wochen später wurde das aber noch durch den Bundesparteitag getoppt, auf dem Sie die Senkung der Einkommensteuer, die Tarifverschiebung nach rechts beschlossen haben: 35 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, ob jemand mitgerechnet hat: 90,5 Milliarden Euro in fünf Wochen. Was ich jetzt vernachlässigt habe, ist, dass Sie auch die Beschlusslage herbeigeführt haben, dass der Anteil der Länder und Kommunen an den Gemeinschaftssteuern erhöht werden soll. Sprich: Der Bund bekommt weniger, Länder und Kommunen bekommen mehr. Das ist nicht beziffert, deswegen schwierig, zu berechnen. Sie wollen auch mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben und eine Stärkung der Sicherheitsbehörden und der Justiz. Ich frage mich eigentlich, wie Sie Steuerpolitik betreiben. Ist das hier Schrotflintenschießen? Ist das „Wünsch dir was“? Gucken Sie sich den Wunschzettel einmal an! Was soll daraus eigentlich werden? Ich weiß nicht, ob Sie die Regierungsfähigkeit hier komplett verloren haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie müssen das Wachstum gegenrechnen!)
Mit dem Kompensationsvorschlag Bürgergeld wird das Ganze nicht zu machen sein. Wenn ich mir allein die Differenz zwischen Hartz IV und Bürgergeld anschaue, dann sind das 5 Milliarden Euro.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Kalkulieren Sie doch mal das Wachstum hoch!)
Davon kann man nicht einmal die Hälfte, noch nicht einmal ein Viertel, noch nicht einmal ein Zehntel dessen bezahlen, was Sie hier vorgeschlagen haben. Die richtigen Ideen wären – deswegen trage ich sie der Vollständigkeit halber einmal kurz vor –, endlich die Schuldenbremse zu reformieren, die uns so sehr bremst,
(Beifall bei der SPD)
die unseren Wohlstand zurückhält, endlich die höchsten Erbschaften und Vermögen ordentlich zu besteuern, wovor Sie sich drücken, und die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener ordentlich zu besteuern. Das stand erst in Ihrem Programm, jetzt steht es nicht mehr drin. Sie waren eigentlich einmal auf dem richtigen Pfad. Jetzt ist nur noch „Wünsch dir was“. Damit wird es nichts. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Bundestagsrede Klüssendorf, 16.05.2024)
Recht hat er, der junge Sozi. (…)
(Schwarzgelbe Voodoo-Finanzvorstellungen, 29.05.2024)
Exakt einen Monat später wissen wir es sicher: Klüssendorf lag richtig, Merz plapperte Unsinn.
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