Mittwoch, 20. Januar 2021

Boring is the new thrilling


 

Eins dieser Worte, die beim Versuch den Trump-Krebs zu beschreiben, als Wellen durch die Newssender schwappen, ist „insurrection“ (Aufruhr, Aufstand).

 Zuvor war es beispielsweise „flabbergasting“.

Nach vier Jahren des blanken Horrors, als outrageous schon lange nicht mehr ausreichte, um die täglich neuen Ungeheuerlichkeiten des Trump-Universums zu beschreiben, wurde endlich der Reset-Button gedrückt.

Nicht nur Trump und seine Taten waren hochgefährlich und abstoßend.

Nein, auch die Beobachter des politischen Geschehens; wir; wurden kontaminiert.

Man oszillierte immer zwischen dem Ärger über die neuesten Entwicklungen und der Gewöhnung an den Wahnsinn.

Man wollte und durfte sich nicht daran gewöhnen, weil das ein Sieg Trumps gewesen wäre, aber man musste sich andererseits an dem Trumpschen Kampf gegen Wahrheit und Moral gewöhnen, weil man sonst gar nicht weiterleben konnte.

Der eigentliche Frust der vier Jahre (eigentlich fünft Jahre, wenn man den Wahlkampf 2016/2016 dazu zählt) bestand darin hilflos zugucken zu müssen, wie all die Verbrecher, dreisten Lügner, Rassisten, Diebe immer wieder ohne Konsequenzen davon kamen.

Die Trump-Kinder, seine Einflüsterer, die maximal abscheulich heuchelnden GOP-Senatoren, konnten sich offenbar alles erlauben.

Alle paar Tage keimte wieder der Gedanke ‚das geht jetzt aber selbst den Trumpisten zu weit, nun lassen sie ihn fallen‘ und jedes Mal wurde man enttäuscht.

Sie machten alles mit, selbst als Trumps Mob das Kapitol stürmte, den republikanischen Vizepräsidenten Pence hängen wollte und fünf Menschen starben, standen sie weiter zu ihrem Cultleader.

Der Wahnsinn ist auch heute noch sichtbar; die USA haben keinen Verteidigungsminister oder Homeland-Security-Minister, weil die republikanischen Senatoren sich anders als in den letzten 200 Jahren weigerten vor der Amtseinführung des Präsidenten die entsprechenden Hearings zu starten.

Die Topminister werden heute nicht bestätigt werden.

Früher hieß es ‚Country Over Party‘, heute haben ausgerechnet die angeblich so patriotischen Republikaner ‚Country‘ aus ihrer Agenda gestrichen und denken ausschließlich an ihre eigenen Pfründe und ihre Partei.

Aber Kamala Harris schwört heute drei neue US-Senatoren ein. Mit Jon Ossoff und Raphael Warnock aus Georgia, sowie Alex Padilla aus Kalifornien als Harris-Nachfolger, ist endlich die destruktive Gridlock-Mehrheit der GOP vorbei. Moscow-Mitch steigt vom Majority-leader zum Minority-leader ab.

Es gibt nun wieder Pressekonferenzen im Weißen Haus, es werden hunderte Mitarbeiter eingeschworen, die keine Hassfanatiker wie Stephen Miller sind.

Die amerikanische Regierung wird wieder funktionstüchtig, weil all die vakanten Stellen aus der Trump-Zeit wieder besetzt werden.

Auch wenn Trump die Transition maximal blockierte,

sich weigerte mit Biden zu sprechen,

ihn natürlich nicht ins Weiße Haus einlud,

die Amtseinführung boykottierte und auch

die miese rassistische Birtherin Melania Trump es nicht über sich brachte die mindestens Höflichkeitsformen aufrecht zu erhalten, indem sie ihre Nachfolgerin als First Lady der Tradition entsprechend ins Weiße Haus einlud,

findet der Machtübergang auf US-Präsident #46 jetzt gerade statt.

Es war ein einstudierter Gag der US-Senatorin Kirsten Gillibrand aus New York, als sie 2019 bei ihrer Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur auf die Frage was sie an ihrem ersten Tag als Präsidentin täte, antwortete „Clorox The Oval Office“.

Heute geschah genau das. Metaphorisch und auch praktisch.

Das epische Pandemie-Versagen der Trump-Pence-Administration führte nicht nur zu 400.000 toten US-Amerikanern, sondern machte das Weiße Haus selbst zum Corona-Hotspot.

Nun wurde alles desinfiziert, Plexiglassperren eingezogen und Maskenpflicht eingeführt.

Trump versagte in so vieler Hinsicht, weil er Politik nicht verstand und hunderte wichtige Posten in der Regierung nie besetzt wurden und Fachleute durch Trump-Brown-Noser ersetzt wurden.

Es war schlicht kein kompetentes Personal vorhanden, um eine Pandemie zu managen.

Es wird dauern, den Zustand zu verbessern, aber immerhin wird die US-Administration wieder arbeitsfähig.

Die Worte „climate-change“ wurden auf Anweisung Trumps von allen US-Regierungswebsites gestrichen. Es durfte noch nicht einmal darüber gesprochen werden, weil nicht sein konnte, woran er nicht glaubte.

Biden wird sofort wieder der WHO und dem Pariser Klima-Abkommen beitreten, es gibt mit John Kerry sogar einen eigenen Klimawandel-Minister.

Wie gut, wie schnell und ob überhaupt Bidens Leute ihre Ziele erreichen, kann noch niemand sagen. Aber das Weiße Haus ist immerhin wieder in der Realität angekommen. Amerikanische Regierungsstellen sind wieder besetzt und ansprechbar.

Vier Jahre gab es de facto keine Politik im Kapitol.

Alle Republikaner beschäftigten sich ausschließlich damit Trumps Willen zu exekutieren und alle Anliegen der Demokraten zu blockieren.

Politische Diskussionen wurden durch Trumptwitter-Astrologie abgelöst. Weltweit war man damit beschäftigt die mentale Tagesverfassung des irren Orangen aus seinen Twitter-Rants abzulesen.

Dieser Irrsinn wird stoppen.

An die von Joe Biden so beschworene „unity“ glaube ich nicht, aber vielleicht gibt es immerhin wieder Politik im eigentlichen Sinne, daß nämlich über Sachthemen diskutiert wird, statt lediglich Kaninchen-artig paralysiert auf die Trump-Schlange zu starren.

Es wird entspannend sein sich nicht mehr täglich davor zu fürchten welchen Irrsinn der US-Präsident wieder entfesselt hat.

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