Mittwoch, 12. Dezember 2018

Krankheitsminister.


Depressionen sind eine sehr gefährliche und ernsthafte Krankheit. Man nimmt an, daß es dabei eine Mortalität von bis zu 15% gibt. 15 von 100 Patienten leiden also so schwer, daß sie den Selbstmord einem weiteren Leiden vorziehen. Damit sind Depressionen tödlicher als diverse Krebsarten.
91 von 100 Menschen überleben Prostatakrebs.
Es gibt bei depressiven Erkrankungen allerdings einen besonders tragischen Aspekt: Sie sind eigentlich fast immer heilbar mit einer Kombination aus Therapien, aber erstens sind diese Therapiemöglichkeiten nicht immer zugänglich, zweitens wird die Krankheit stigmatisiert und drittens reagiert das persönliche Umfeld oft kontraproduktiv und verschlimmert das Leiden noch, indem es nicht ernst genommen wird.
Ich konnte das Anfang des Jahres nach meinem Krankenhausaufenthalt erleben; da war meine Verletzung sehr sichtbar, weil ich durch den vielen Stahl in meinem Flunk kaum gehen konnte und mit diesen Krücken rumkraxelte.
Da erfährt man viel Mitleid. Jeder spricht einen an: Was haben Sie denn gemacht???
Und noch heute höre ich in jedem zweiten Laden Fragen nach meinem Bein.
Dabei war Mitgefühl in diesem Fall für den Heilungsprozess irrelevant. Menschliche Knochen wachsen eben wieder zusammen, wenn sie durch chirurgische Maßnahmen stabilisiert sind.
Das ist wahrlich keine Frage von Leben oder Tod. Aber niemand käme auf die Idee gebrochene Beine als Petitesse zu behandeln oder mit „Reiß dich mal zusammen!“ zu kommentieren. Jeder sieht das automatisch als erhebliche Verletzung an.
Depressionen werden inzwischen lange nicht ehr so stigmatisiert wie vor 30 oder gar 60 Jahren, aber insbesondere Männer schämen sich immer noch für die Diagnose und verheimlichen ihr Leid. Das ist gesellschaftlich aufoktroyierte Scham, für die es keine medizinische oder ethische Rechtfertigung gibt.
Man könnte sich hingegen durchaus für so manchen Beinbruch schämen, den man sich durch eigene Blödheit zugezogen hat.
Menschen auf Krücken wird aber sehr oft Hilfe angeboten und Mitgefühl bedeutet, obwohl diese supportive Haltung des Umfelds viel wichtiger und wesentlicher bei Depressionen wäre.

Ein weiterer Grund für den häufigen Suizid von Depressionspatienten liegt in der Unterversorgung mit Therapiemöglichkeiten.
Komme ich mit gebrochenem Bein in ein Krankenhaus, wird das ganz sicher noch am selben Tag versorgt und sofern eine Operation notwendig ist, wird die auch in den nächsten 24 Stunden stattfinden.
Depressive hingegen müssen oft Monate warten, bis sich ein Psychotherapeut erbarmt. Sie werden über Monate von diesem Gesundheitssystem allein gelassen – unter Inkaufnahme schwerster und vermeidbarer Leiden.

[….] Psychisch kranke Menschen müssen oft monatelang auf eine Therapie warten, das kritisierte die Bundespsychotherapeutenkammer am Dienstag in Berlin und forderte ein Sofortprogramm. Dieses soll möglichst schnell 1500 neue Zulassungen für Psychotherapeuten außerhalb von Großstädten, also in Vororten und auf dem Land schaffen - dort sei der Mangel am größten. Auf lange Sicht fordert die Kammer 7000 neue Zulassungen. "Die Wartezeiten sind definitiv zu lang", sagte der Präsident der Kammer, Dietrich Munz. "Die einzige Lösung dafür ist, die Zahl der Kassensitze aufzustocken. Alle anderen Kapazitäten sind bereits ausgeschöpft." […..]

Im Gegensatz zu der abenteuerlichen Situation bei den Pflegediensten, die einfach keine Mitarbeiter finden, ist die psychotherapeutische Unterversorgung ein reines Versagen der Gesundheitspolitiker. Es gibt ausreichend ausgebildete Therapeuten, die gern arbeiten würden, aber das Gröhe/Spahn-Ministerium und der mächtige Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) schaffen keine Zulassungsmöglichkeiten.

Das passiert eben, wenn Kanzler wie Merkel immer wieder das so wichtige Gesundheitsministerium mit völlig fachfremden Laien besetzt, die entweder irgendwie versorgt werden mussten (Gröhe) oder sich dringend profilieren wollen (Spahn).

Spahn brauchte nur wenige Wochen, um sich als disqualifiziert, herzlos und überfordert herauszustellen.

Nach seinem Scheitern bei der Kampfabstimmung um den CDU-Vorsitz haut der 37-Jährige Rechtsaußen gleich wieder Klopfer raus, um auch dem letzten Menschen zu beweisen, daß er ein Schwätzer ist, der seinen Job nicht kann.

[….] Gesundheitsminister Spahn will psychisch Kranke vor ihrer Therapie künftig von anderen Experten "voruntersuchen" lassen. Dagegen regt sich heftiger Protest.
Mit Petitionen hat Jens Spahn so seine Erfahrungen. Nachdem der CDU-Politiker vor einem Dreivierteljahr kundgetan hatte, dass Hartz IV nicht gleichbedeutend mit Armut sei, verlangten 210.000 Unterzeichner von ihm, selber mal einen Monat lang vom Arbeitslosengeld II zu leben. Spahn weigerte sich, versuchte das Thema mit der Initiatorin bei Kaffee und Kuchen abzumoderieren, trug politische Blessuren davon. Im September verlangten dann 224.000 Menschen von ihm, die Berufssituation von Physiotherapeuten und anderen Heilberuflern zu verbessern. [….] Drei Monate später [….] erwarten ihn schon wieder 130.000 Unterschriften. Diesmal geht es um Psychotherapie. Die Petenten ärgern sich, dass der Minister vor der Behandlung von psychisch Kranken noch eine weitere Hürde einziehen will. Die Patienten hätten sich demnach, bevor sie eine Therapie beginnen können, künftig erst mal von anderen Experten, die sie sich nicht auswählen können, „voruntersuchen“ zu lassen. Erst danach würden sie an ihre eigentlichen Therapeuten weiterleitet. [….]

Das ist also das Rezept der CHRISTLICHEN Politiker: Menschen, die an schweren Krankheiten leiden, wird der Zugang zu Therapie und Heilung systematisch erschwert und verkompliziert.
Auf daß sich nur Privatpatienten und Selbstzahler in den Städten überhaupt noch Hilfe leisten können.
Spahn dringt auf meiner persönlichen Sympathieskala inzwischen bist fast ganz zu Trump herunter.

 [….] Antriebslosigkeit gehört zu den typischen Symptomen einer Depression, die neben Angststörungen die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland ist. Betroffene haben keine Kraft, sich um irgendetwas zu kümmern. Entsprechend schwer fällt es ihnen, sich einen Termin zu ergattern bei jemandem, der helfen könnte. Schaffen sie es doch, bei einem Psychotherapeuten anzurufen, warten sie im Schnitt 20 Wochen bis zum Beginn der Behandlung. Deutschlands Therapeuten sind ausgebucht. Verantwortlich dafür ist eine Gesundheitspolitik, die das Angebot künstlich knapp hält, obwohl die Nachfrage riesengroß ist.
Gesundheitsminister Jens Spahn kennt das Problem und verspricht, es zu lösen, indem er eine neue Vorinstanz einführt. Künftig sollen bestimmte Ärzte vorab feststellen, welcher Patient wie dringend eine Therapie benötigt, bevor diese beginnen kann. Für die Patienten ist das eine weitere Hürde in einem Prozess, der schon jetzt aus Dutzenden Anrufen, monatelangem Warten, mehreren probatorischen Sitzungen, Anträgen, Ablehnungen, Einsprüchen und neuen Anträgen besteht. Dabei bräuchten gerade psychisch Kranke niedrigschwellige Hilfe.
Hinter Spahns Vorstoß steht das Klischee, dass es unter psychisch Kranken genügend Hypochonder gibt, die sich ihr Leiden einbilden und die man daher von den Wartelisten streichen müsse. [….] Die Deckelung der Kassensitze ist ein gesundheitspolitisches Steuerungsinstrument, das ursprünglich Ärzteschwemmen vermeiden sollte. Inzwischen aber wird das Instrument zum Sparen missbraucht. [….]

2 Kommentare:

  1. Eine richtig schöne Therapie kann lange dauern und kostet demzufolge eine Menge Kohle - oft müssen die Patienten auch nach Jahren immer mal wieder neu aufgemöbelt werden. Ein paar Knochen zusammenschweißen kostet dagegen einen Bruchteil. Für Bundeswehrsoldaten, die mit einem Trauma (sieht man auch nicht / auch nicht Mitleid erregend) u.a. aus Afghanistan zurückkehren, ist doch auch keine Betreuung, geschweige denn Geld da. Aber ach - wenn's doch nur DAS wäre - - -

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  2. Das eigentlich Schlimme ist, dass der Staat diese Krankheiten selbst verschuldet. Er sorgt für Leistungsdruck und niedrige Löhne. Er sieht tatenlos zu, wie die Armen immer weiter an den Rand gedrängt werden. Das hat katastrophale Folgen. Kranke Eltern bedeuten kranke Familien. Oft gibt es Suchtproblematiken - die ganze Familie leidet.

    Sie sparen heute ein paar Tausender, um dann in ein paar Jahren Zehntausende für die Folgen dieser Politik auszugeben. Das ist schlecht für den Staat. Für die Betroffenen ist es tragisch. Aber solange man das Wohlergehen einer Gesellschaft ausschließlich über die Arbeitslosen-Statistik und Steuereinnahmen definiert, wird sich daran auch nichts ändern.

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