Sonntag, 29. Juni 2025

Das Ding muss einen Namen haben

Ob bei der Zeitungslektüre, im privaten Smalltalk oder auf Social Media; täglich muss man Donald Trump irgendwie benennen und findet keine passenden Termini, die hinreichend die eigene Abscheu und die Gefährlichkeit des Subjekts treffen.

Ich erinnere mich noch an einen Termin, den ich mittags am 09.11.2016 hatte. Natürlich war ich völlig übernächtigt, weil ich 14 Stunden lang nonstop an der CNN-Wahlberichterstattung geklebt hatte. Dann trafen wir auf einen Hamburger Bilderbuch-Notar; schlank, sonor, zurückhaltend, weiße Haare, Nadelstreifen-Maßanzug, der berichtete, am Abend zuvor um Mitternacht, im sicheren Glauben, Hillary Clinton werde nächste US-Präsidentin, ins Bett gegangen zu sein und morgens mit „this orange monster“ aufgewacht sei. Eine drastische Ausdrucksweise! Im Wahlkampf hatte man allerlei Ungeheuerlichkeiten gehört, aber so über einen „president elect“ zu sprechen? Monster? Ich war geschockt.

Seither sind bekanntlich in den USA alle jemals geltenden Grenzen des Geschmacks und Anstands gefallen. „Oranges Monster“ gilt im Jahr 2025 eher als euphemistische Beschreibung. Das politische US-Koordinatensystem aus zwei Parteien, die sich in „checks and ballances“ üben, kollabierte ebenso, wie die Gewaltenteilung. Judikative und Legislative haben sich devot der kriminellen Exekutive unterworfen.

Pressefreiheit wird abgewickelt; die US-Verfassung vom obersten Verfassungshüter niedergetrampelt. Die altehrwürdige Republikanische Partei existiert nicht mehr; sie wurde durch eine zentralistischen MAGA-Kult substituiert, der Nepotismus und Korruption frenetisch bejubelt.

Wie soll man also den Mann im Zentrum des Bösen nennen? Felon? Rapist? Pumpkin-tits? Taco? Inzwischen erscheint alles als viel zu lau.

Taco-Tits ist immerhin der mächtigste Mann der Welt, der auf anderen Kontinenten Bomben regnen lässt, den Klimaschutz zu Nichte macht und eine globale Rezession einläutet.

Im Land, das zwei Weltkriege anzettelte und mit Adolf Hitler das böseste Individuum der Welt zum Führer erkor, gilt „Faschist“ als böseste Beschimpfung.

Man nennt einen Regierungschef nicht leichtfertig „Faschist“ und bemüht dazu vorher Experten. Deren Urteil ist allerdings mittlerweile eindeutig, wie der renommierte australische Historiker Christopher Clark in einem Essay für die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung rekapituliert.

[….]  Um darauf zurückzukommen, wie man Trump einordnet: Die Kategorie, die von kritischen Kommentatoren am häufigsten gezogen wird, ist die des Faschismus. Der Yale-Philosoph Jason Stanley, der kürzlich aus den USA nach Toronto gezogen ist, sagt: „Ja, natürlich. Trump ist ein Faschist, seine Bewegung ist faschistisch.“ Marci Shore, Historikerin für politische Ideengeschichte, die mit ihrem Mann Timothy Snyder ebenfalls die USA verlassen hat, um eine Professur in Toronto anzutreten, meint: „Die Lehre aus 1933 ist, dass man lieber früher als später aussteigt.“

Robert Paxton, Koryphäe der Faschismus-Forscher der älteren Generation, war anfangs skeptisch, aber nach reiflicher Überlegung kommt er nun zu ähnlichen Schlüssen. In einem viel diskutierten Artikel hat der französische Journalist und Übersetzer Olivier Mannoni auf rhetorische Parallelen zwischen Trump und Hitler hingewiesen und festgestellt, dass beide ihre Feinde diffamieren, einen „inkohärenten, repetitiven und aggressiven“ Stil pflegen, Verachtung für Bildung zum Ausdruck bringen und rationale Argumente ablehnen. Eine Umfrage vom Oktober 2024 ergab, dass 49 Prozent der registrierten US-Wähler Trump als Faschisten betrachten. Der Vergleich hat inzwischen sogar eine eigene Wikipedia-Seite.

Und doch gibt es nach wie vor Gründe, die Analogie infrage zu stellen. Nicht nur, dass es Unterschiede zwischen der Trump-Bewegung und den klassischen Faschismen der Dreißiger gibt, oder dass der Faschismus-Begriff eine derart massive Inflation erfahren hat, dass er nicht mehr als adäquates Unterscheidungsmerkmal dient. Vielmehr ist es so, dass die Bezeichnung „Faschist“, auch wenn sie starke Emotionen auslöst, unser Denken verengt und in eine potenziell ahistorische Teleologie lenkt. [….]

(Christopher Clark, 27.06.2025)

Die Parallelen zum ultimativ Bösen – Hitler – sind offensichtlich. Aber es gibt auch erhebliche Unterschiede. Trump ist dümmer als Hitler, deutlich sprunghafter und außerdem zieht mit ihm eine bisher nie dagewesene Vulgarität in die Politik ein. Der Mann handelt und spricht nicht nur drastisch-exkrementell, sondern gestaltet auch seine öffentlichen Auftritte zur Freude seiner 80 Millionen Fans gossenartig.

Trump = Hitler + Vulgarität. Bezeichnenderweise scharen sich insbesondere gläubige Christen um den vulgären Proleten ohne Manieren.

[….]  Ich selbst stehe noch immer unter dem Schock der Pressekonferenz, die am 11. Februar im Oval Office abgehalten wurde. [….] Was mich viel mehr interessierte als der Inhalt der Veranstaltung, war ihr Format. [….] Musk schien sich nicht auf die Konferenz vorbereitet zu haben, seine Präsentation grenzte an Inkohärenz. Er trug keinen Anzug, wie sonst alle Anwesenden, einschließlich Trump selbst, sondern Sakko zu Jeans und Kappe. Noch seltsamer war, dass er seinen vierjährigen Sohn mitgebracht hatte, der X Æ A-Xii heißt. Die Verstöße gegen das Protokoll endeten damit jedoch nicht. Nachdem er den Journalisten von Trump als „ein Individuum mit hohem IQ“ vorgestellt worden war, störte Lil X, wie er in Musks Umfeld genannt wird, kontinuierlich den Ablauf. Unter anderem holte er sich eine Menge Popel aus der Nase und schmierte sie – zu Trumps unverhohlenem Entsetzen – an die Ecke des Resolute Desk. Dann sprach Lil X den Präsidenten direkt an und sagte in theatralischem Flüsterton: „Ich werde dir den Mund stopfen“. Und: „Du musst weggehen.“ [….] Interessant ist aber auch die Art und Weise, wie diese drei Personen sich in dem symbolträchtigen Raum aufhielten. Musk ließ seine Kappe während des gesamten Treffens an, außer, wenn er sich den Schweiß von der Stirn wischen musste. Seine Bewegungen waren unbeholfen, er nahm keinen Blickkontakt mit den Journalisten auf, die auf der anderen Seite kauerten. [….]  Mich verstörte vor allem die radikale Informalität der X-Musk-Trump-Darbietung. Sie hatte etwas Obszönes. Die Veranstaltung war so öffentlich, wie eine Veranstaltung nur sein kann: eine Pressekonferenz in dem Raum, der für die meisten Amerikaner mehr als jeder andere die Autorität des Präsidentenamtes verkörpert. Und hier waren diese beiden Dudes mit einem Kleinkind, die sich benahmen, als wären sie zu Hause. [….] Die Pressekonferenz am 11. Februar [….] deutete auf den Zusammenbruch des Amtes als öffentliche Institution hin – oder vielmehr auf den Zusammenbruch seines öffentlichen Charakters. Der Auftritt im Oval Office aber war und ist typisch dafür, wie Trump und sein Team Interaktionen mit der Öffentlichkeit handhaben. Die Konvention, dass Regierungsmitglieder die Würde ihres Amtes verkörpern sollten, dass sie dies in Sprache, Manieren und Körperhaltung zum Ausdruck bringen sollten, gilt nicht mehr.  [….]

(Christopher Clark, 27.06.2025)

Clark weist aber ausdrücklich daraufhin, wie sehr die Frage nach der Beschreibung am Problem vorbeigeht. Was wir viel dringender brauchen, ist eine Erklärung des Trumpismus. Wie konnte es dazu kommen?

[….] Um ihn zu erklären, müssen wir uns die Geschichte der Spaltung innerhalb der amerikanischen Elite ansehen, und zwar zwischen der sogenannten Brahmin Left und der Merchant Right. Diese Spaltung in der politischen Orientierung ist relativ neu; sie hilft, den Hass zu verstehen, den Trump und andere wie er für die US-Eliteuniversitäten empfinden, und auch die Tatsache, dass er gegen sie vorgehen kann, ohne eine Revolte aus eigenen Kreisen zu fürchten. Die erstaunlich junge Geschichte der sozialen Medien müsste auch eine Rolle spielen.

Wir benötigen zudem eine Geschichte der politischen Nachwirkungen der globalen Finanzkrise und der Corona-Epidemie. Eine Geschichte, wie die Linke in den USA in ihrem Krieg um Pronomen ihre Verankerung in den unteren Einkommensschichten preisgab. Wir brauchen eine Geschichte des Niedergangs der progressiven Besteuerung. Wir müssen verstehen, wie die Saläre der Vorstandsvorsitzenden seit den Achtzigern in die Höhe geschossen sind, während die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der unteren 50 Prozent sich kaum verändert haben. Wir brauchen eine Geschichte, die zeigt, inwiefern Trumps Erfolg auf dem Scheitern eines technokratischen Managementstils beruht, und warum seine Art, die Menschen anzusprechen, die uns so anwidert, bei ihnen so gut ankommt. Was sind die Bedürfnisse, die Begierden, die er anspricht? Woher kommt dieser Durst nach Führergestalten? Und wir brauchen eine Geschichte der neuen Männlichkeit: Warum treten zum Beispiel so viele rechtsbewegte junge Männer in den USA der russisch-orthodoxen Kirche bei? Woher kommen der Frauenhass, das Selbstmitleid und die Ressentiments der jungen Männer?  [….]

(Christopher Clark, 27.06.2025)

Die Vulgarität und verbale Einfältigkeit greift auch auf Europa über. Wir sehen es exemplarisch an Friedrich Merz, der immer wieder mit widerlicher Gossensprache und Lügen auffällt – auch zur Freude der deutschen Wähler; die CDU steigt in den Umfragen.

Der Bundeskanzler gibt jedes Ethos auf, verabschiedet sich von internationaler Rechtsstaatlichkeit, ignoriert deutsche Gerichte und wird verbal ausfällig.

[….] Wir haben persönlich einen guten Draht zueinander gefunden. Nach unserem ersten Treffen hat er mir eine SMS geschickt, in der er dies zum Ausdruck brachte. Trump hatte offensichtlich das Gefühl, dass die Chemie zwischen uns stimmt und wir gut miteinander reden können. [….]

(Fritze Merz, SZ-Interview, 27.06.2025)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Feedback an Tammox