Mittwoch, 22. November 2017

So kuschelig



Gestern nannte ich in einer SPD-Diskussion die kategorische Groko-Ausschließeritis der Jusos „infantil.“
Es wurde anschließend weniger darum gestritten, ob es Umstände geben könne, die ein Abrücken vom „Nein zur Groko“ notwendig machten, sondern die Jugend-Snowflakes beschwerten sich bitterlich über meine Wortwahl. Es sei verletzend jemand als „infantil“ zu kritisieren, ich solle darüber nachdenken, ob das eine „sozialdemokratische Ausdrucksweise“ sei und im Übrigen möge ich bitte die Jusos mehr respektieren.
Ich brachte noch das Peer Steinbrück-Zitat von den „sozialdemokratischen Heulsusen“ und dann liefen sie offensichtlich weinend weg.
Bill Mahers berühmte Rant über die demokratische political correctness scheint auch in Deutschland zuzutreffen.


Diese Filterblasen scheinen auch auf der linken Seite dazu zu führen, daß wir uns alle stets an den Händen halten sollen und jeden lieb haben.
Nehmt mich da raus.
Ich erwarte von den Politikern, die ich unterstütze keineswegs, daß sie jeden wie Herr Juncker umarmen und abküssen.
Kanzler und Minister und Parteivorstände sollen nicht Inkarnationen des Altruismus und der Bescheidenheit sein, sondern sie sollen sich durchsetzen können.
Ich wünsche mir keine Trumps, die mit aggressiven miesen Methoden alle anderen wegboxen, aber im Mimimi-Modus dazustehen und bei jedem Satz darauf bedacht sein bloß niemand auf die Füße zu treten funktioniert in der echten Welt genauso wenig.
Es ist genauso absurd sich darüber zu wundern, daß Schauspieler das Rampenlicht suchen und in die Medien streben. Das gehört nun einmal zu den Grundvoraussetzungen für ihren Beruf. Sie müssen es mögen fotografiert und angeglotzt zu werden, im Rampenlicht zu stehen, sich zu exponieren und exhibitionieren.
Das sind Eigenschaften, die ich in meinem persönlichen Freundeskreis nicht gerade sympathisch finde, aber darunter befinden sich auch keine Weltklasse-Bühnenstars.
Politiker brauchen ebenfalls eher unsympathische Charaktermerkmale. Ellenbogenmentalität, Netzwerken, Schmeicheln, berechnend mit Menschen umgehen.
Das legendäre Trio Brandt, Wehner und Schmidt bestand aus charakterlich völlig unterschiedlichen Alphatieren, die sich gegenseitig in Schach hielten und phasenweise sogar verachteten.
Aber sie respektierten einander, verließen sich auf einander. Helmut Schmidt trat zwar in seinen vielen posthum veröffentlichten Briefen gegenüber Willy Brandt erstaunlich devot und ehrerbietend auf, weil sein Bundeskanzler-Vorgänger eine besondere moralische Ikone war. Aber ansonsten war er mit einem derartig robusten Selbstbewußtsein ausgestattet, daß er nicht weinend zu Mami lief, wenn unter Sozialdemokraten böse Worte über ihn fielen.
Bei Merkel und Schröder ist es ähnlich; die sind schwer umzuwerfen und verfallen nicht in Depressionen, wenn untere Parteichargen sie kritisieren, weil sie von sich selbst überzeugt sind.
Irgendwie bähbäh, wenn man so wenig selbstkritisch ist, aber als Kanzler ist diese Stabilität vermutlich notwendig, um nicht dauernd den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Helmut Kohl war deswegen ein schlechter Kanzler, weil seine demonstrativ zur Schau gestellte joviale Selbstzufriedenheit nur Fassade war.
Er litt wie gar fürchterlich darunter von Intellektuellen nicht anerkannt zu werden, über Jahre von maßgeblichen Journalisten nur als tumbe Birne aus der Provinz verspottet zu werden.
Er sehnte sich verzweifelt nach Anerkennung und reagierte bösartig, wenn ihm diese verweigert wurde. Trump nicht unähnlich, nahm er Respektlosigkeiten persönlich, war zutiefst davon ergriffen, sann auf Rache und agierte außerordentlich nachtragend.
Merkel oder Schmidt oder Schröder sind nicht auf diese Weise empfänglich für Beleidigungen und daher auch nicht Getriebene ihrer Emotionen.
Das sind für Kanzler positive Eigenschaften.
Man verwechsele das nicht mit Sensibilität oder Streitlust. Hierin unterschieden sich die drei Genannten nämlich erheblich.
Schröder und Schmidt konnten echte Raufbolde sein und sich voller Enthusiasmus einer Sache verschreiben.
Merkel hingegen zeigt gar keine Gefühle, gar kein Temperament.

Unsichere Politiker, die wie Guido Westerwelle stets zwischen beleidigen und beleidigt sein oszillieren, sind viel problematischer, da sie von Sachpolitik abgelenkt erratisch agieren.
Christian Lindner, der FDP-Eskapist, ist ein Getriebener seiner Vergangenheit.
Voller Rachedurst und Sucht nach Anerkennung und Bewunderung, die ein Helmut Schmidt nie nötig gehabt hätte, weil er sich selbst fabelhaft fand, gibt Lindner derzeit in Berlin den Hobby-Trump-Kohl.
Er hasst Merkel und die Grünen wie die Pest, kann sich über diese Gefühle nicht hinwegsetzen.

[…..] Auch Lindner ist ein Vertreter der liberalen Lesart, dass es vor allem die Kanzlerin war, die den Koalitionspartner FDP so schrumpfte, dass er 2013 aus dem Bundestag flog. In jener Nacht, so berichtete Lindner später, habe er geweint. Im Fernsehen habe er Merkel am Wahlabend sagen hören, sie bedauere das Ausscheiden der Liberalen, aber in der Parteizentrale der CDU, im Konrad-Adenauer-Haus grölten ihre Leute den Toten-Hosen-Hit: "Tage wie diese". Seither schleppt die FDP ein Trauma mit sich herum. Ein Merkel-Trauma. [….] Lindner hatte Spaß daran, Merkel und der CDU ein ums andere Mal eins auszuwischen - dass jeder der möglichen Koalitionäre das Finanzministerium haben dürfe, nur Merkels CDU nicht, gehörte zu einer dieser Episoden im Gegeneinander. Als die Sondierungen schon fortgeschritten waren, als sich abzeichnete, dass Merkel mit den grünen Spitzenleuten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir gut auskam, warf Lindner den Grünen vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik ein Konjunkturprogramm für die AfD zu betreiben.
Die Grünen waren schon immer Lindners Lieblingsgegner. Früher holte er in Reden gerne einen Zettel aus seinem Sakko, auf dem er alle möglichen Projekte und Erfindungen aufgelistet hatte, die es angeblich nie gegeben hätte, wenn die Grünen sich mit ihrem Widerstand dagegen durchgesetzt hätten. Computer zum Beispiel. Aber Lindners größtes Problem heißt Merkel. [….] Lindner soll immer wieder mal recht aggressiv aufgetreten sein, nicht laut, aber bissig, mit scharfen Bemerkungen gegen andere Verhandler. Jede Annäherung zwischen Grünen und der Union war ihm suspekt. […..]

Als derjenige, der immer wegläuft, wenn es ernst wird, haftet auch etwas Neroeskes an ihm.
So großartig er sich in den Medien inszeniert, so wichtig ist es für seine Eitelkeit auch von allen anderen als der große Zampano anerkannt zu werden.

[….]  Ein Mann hat einen Traum. Er will Emmanuel Macron sein oder wenigstens Sebastian Kurz. Er ist aber nur Christian Lindner.
Nein, man soll den Einfluss von Personen auf politische Vorgänge nicht überbewerten. Wenn aber in einem sehr kleinen Kreis von Parteioberen entscheidende Gespräche geführt werden, und die Vertreter einer Partei sind beide narzisstisch veranlagte Rollenspieler, dann hat dies Auswirkungen. Der eine, Wolfgang Kubicki, ist als Held der Talkshows hinlänglich bekannt. Der andere, Lindner, inszeniert die Flucht aus der Verantwortung gerne als mutigen Opfergang. So hat er es 2011 gemacht, als er, damals FDP-Generalsekretär, seinem Chef Philipp Rösler die Brocken hinwarf; so hat er es in der Nacht zum Montag wieder getan. [….]

Ich bin so altmodisch. So gefühllos.

Diese Psycho-Politiker wie Westerwelle, Lindner, Lafontaine, Seehofer und Trump, die getrieben davon sind ihre Eitelkeit zu befriedigen und ihre Destruktivität auszuleben, halte ich für völlig ungeeignet als Regierungsmitglieder.

Aber genauso wenig gefallen mir die Kuschelpolitiker des Typs Juso2017, die zwischen den Zeilen nach Beleidigungen fahnden und stets political correcntess einfordern, statt verbal zurück zu hauen und sich trotzdem inhaltlich auseinander zu setzen.
Ich lehne Koalitionsmetaphern wie „Bett“, „Ehe“, „Wunschpartner“ oder „Liebesheirat“ ab. Das ist ein verkehrter Konnotationsbereich. Regierungspartner müssen sich nicht lieben, sich herzen und küssen. Sie sollen sich nicht am Kabinettstisch gegenseitig die Zehennägel lackieren, sondern zusammen arbeiten. Das kann man sogar ohne sich zu mögen.

Daher ist mir die übertriebene Kuscheligkeit zwischen CSU und Grünen höchst suspekt.
Das führt zu Enttäuschungen auf persönlicher Ebene und ist für mich eher ekelig.
Die Szene, die sich nach Kubickis und Lindners Schmoll-Show Sonntagnacht abspielten, erinnern eher an ein Aschram oder eine Fummelparty, als an seriöse Politik.

[….] Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht wie erschüttert da, in sich versunken, er hält sich das Kinn, als könne er es nicht fassen. Seine Parteifreundin Claudia Roth sieht wütend aus, sie nimmt erst Kretschmann in den Arm, dann Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der die Umarmung so herzlich erwidert, als seien Unionisten und Grüne immer beste Freunde gewesen.
Überhaupt bricht in dieser Nacht bei den Zurückgelassenen eine nie gekannte schwarz-grüne Harmonie aus. Grünen-Chef Cem Özdemir stößt mit Thomas Strobl an, dem baden-württembergischen CDU-Innenminister. Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck, dessen Gesichtsfarbe nach nächtelangem Sondieren nicht gesund aussieht, bietet CDU-Generalsekretär Peter Tauber an, ihm ein Bier zu holen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier steuert mit ausgestreckter Hand auf Claudia Roth zu. Tage und Nächte hat die Grüne versucht, beim Konfliktthema Flucht Lösungen zu finden. Vergebens. "Liebe Frau Roth, Sie waren großartig!", ruft Altmaier und reicht ihr die Hand über den Tisch. Roth kämpft jetzt gegen die Tränen. […..]
(Sueddeutsche Zeitung, Seite 3, 21.11.2017)

Ich gehöre zur Minderheit der Menschen, die Claudia Roth wirklich mögen und immer verteidigen, aber Rudelbumsen mit de Maizière und Altmaier?
Too much information!


Und wie geht das weiter?
Am Ende gibt es nur noch einerseits eine große Kuschelfraktion aus Linken, SPD, Grünen, CDU und CSU und auf der anderen Seite die beiden inhaltlich kaum unterscheidbaren Harter-Hund-Parteien AfD und FDP, die nach dem Vorbild von FPÖ und ÖVP alles „Linksgrünversiffte“ in die Opposition verdrängen?

4 Kommentare:

  1. Unabhängig von dem Scheitern der Sondierung ist die Glaubwürdigkeit der SPD kaputt. Vor der Wahl: Super Arbeit in der GroKo! Nach der Wahl: Nie wieder!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Genau das Argument haue ich seit Tagen den Sozen in den FB-Gruppen rein, die ihren Helden Schulz für dessen Standhaftigkeit feiern.

      Ich zitiere mal kurz aus einer Gruppe von Vorgestern:


      Rainer: „Wie war das noch?
      Lieber nicht regieren als falsch regieren?“


      TAMMOX: „Also ich mache mir im Gegensatz zui Dir keine FDP-Sprüche zu eigen und außerdem müssen wir ja nicht falsch regieren.
      Schulz hat sich da heute auch ständig selbst widersprochen, indem er betonte, die SPD habe "aus unserer Sicht 2013-2017 sehr gute Arbeit geleistet" und dann aber schloss, daß wir das keinesfalls wieder tun wollen.
      Also was nun? Haben die SPD-Minister Gutes geleistet und etwas für das Volk und die SPD-Wähler erreicht?
      Wenn ja, dann spricht einiges dafür das weiter zu tun.
      Oder haben wir 2013-2017 ganz schlechte Arbeit geleistet, so daß sich das nicht wiederholen darf? Ist es das was der Parteichef meint?
      Dann sollte aber lieber nicht Nahles die Fraktion führen, wenn die so schlecht war als Ministerin.“

      ZITAT ENDE


      Schulz muss jetzt verbissen um seine Glaubwürdigkeit kämpfen, weil das das einzige ist, was er noch hat.
      Er ist eben ein extrem tölpelhafter Taktiker ohne jede Weitsicht.
      Wäre er nicht in diese Hauruck-Ausschließeritis verfallen ohne vorher nachzudenken, säße er auch nicht in dem Loch, das er sich selbst gegraben hat.

      Self inflicted wounds nennt man das bei Trump.

      Die SPD-Linken feiern Schulz jetzt dafür, daß er zu seinem Wort steht.
      Ich würde lieber jemand feiern, bei dem das ohnehin nicht in Frage steht und der weitsichtig und strategisch genug gehandelt hätte, um gar nicht in so eine selten blöde Lage wie jetzt zu kommen.
      Schulz hat sich in eine No-Win-Situation manövriert, weil er nicht klug genug war das kommen zu sehen, was ich schon am Wahlabend vor zwei Monaten detailliert aufschrieb.

      „Vor der Wahl: Super Arbeit in der GroKo! Nach der Wahl: Nie wieder!“

      Klar, daß ihm diese offensichtliche Paradoxie auf die Füße fällt.
      Zumal er noch am 24.09. abends in der Berliner Runde großspurig prophezeite wie schlecht für Deutschland Jamaika werden würde und damit jedem auf die Nase band, daß die SPD lieber Deutschland vier Jahre leiden sieht, weil ihm das Wohl der Partei wichtiger ist.

      Das ist einfach pure Blödheit sich öffentlich selbst so in die Scheiße zu reiten.

      Schulz hat nun schon so viele Kardinalfehler angerichtet, daß ich mir gar nicht vorstellen möchte wie die SPD wohl 2021 aussieht, wenn Schulz bis dahin Vorsitzender bleibt. Der tölpelt uns noch auf 5% runter.
      Und ich will auch nicht mehr hören, wie ein 61-Jähriger, der seit 20 Jahren in der Parteiführung ist, mit Unerfahrenheit entschuldigt wird.
      Wenn er jetzt noch nicht führen kann, hat er das auch nicht mit 81 oder mit 101 gelernt.

      LGT

      Löschen
    2. So wie das kommuniziert wurde, war das "Nie wieder!" eine Entscheidung der gesamten Führung der SPD. Wenn man stattdessen einfach Business as usual gemacht hätte, wäre das wohl auch ein Fehler gewesen. Man hätte sich vielleicht hinstellen können und sachlich das Für und Wieder erklären und dann auf die CDU zeigen, die ohnehin Jamaika präferiert. Da hätte man dann sagen können, dass man dem Wunsch der CDU nicht im Wege stehen würde. Aber dann hätte die FDP den Part des Verweigerers übernommen. Lindner war am Wahlabend geradezu schockiert, dass die SPD nun der FDP den schwarzen Peter zugeschoben hatte.

      Er sah die FDP schon in der Opposition weiter im Aufwind. Denn es ist leicht, sich vor eine Kamera zu stellen und die Arbeit der Regierung zu kritisieren. Das ist ein Gesicht der Demokratie. Die Regierung sieht immer schlecht aus und verliert. Darum funktioniert auch das Ping-Pong zweier großer Parteien weltweit seit so vielen Jahren. Die Wähler haben schließlich recht mit ihrem Gefühl, dass sie von der Politik nicht vertreten werden. Egal wer regiert, er bekommt den Frust ab. Die CDU war stets so schlau, sich dafür einen Sündenbock zu suchen.

      Löschen
  2. Merkel tut deswegen ja auch bei allen politischen Streitereien auch gern os, also ob SIE damit gar nichts zu tun hätte.
    Das hilft ihr bei Wahlen sehr, wei lder harmoniesüchtige Urnenpöbel keine Politiker mag, die anecken oder mit Streit auffallen.

    AntwortenLöschen

Feedback an Tammox