Sonntag, 14. Oktober 2018

Blaue Augen in Bayern


Die heutige Landtagswahl in Bayern zeigt vor allem eins sehr klar, nämlich wie sehr die unablässigen Vorwahlumfragen die spätere Analyse beeinflussen.

Wären wir nicht alle jeden Tag mit neuen Erwartungsdaten gefüttert worden, hätten nur das letzte Landtagswahlergebnis gekannt und dann das gesehen, würde der Alpenstaat beben.


Die seit einem halben Jahrhundert allmächtige CSU bei nur noch 37,3%, die SPD zerschmettert auf dem fünften Platz bei 9,6% hinter doppelt so starken Grünen (17,8%), Rotwelsch-Aiwanger (11,5%) und den Nazis (10,6%).

Blick zurück auf den 28. September 2008, als die CSU bei der Landtagswahl 43,7% bekam. Das kostete blitzschnell sowohl Ministerpräsident Beckstein als auch Parteichef Huber den Kopf.

Heute ist Herr Söder aber bei 37% sachlich und gelassen, richtet den Blick nach vorn.

1997 trat in Hamburg Bürgermeister Voscherau unmittelbar nach der Veröffentlichung der 18-Uhr-Prognose zurück, weil er die 36,2% für seine SPD als Misstrauensvotum interpretierte. So könne er nicht weitermachen.

Heute sagen Frau Kohnen und Frau Nahles bei 9 Komma Prozent, man habe ja geschlossen gekämpft und werde nun mal analysieren.

Wer aber seit Monaten auf Umfragen starrt und diese immer wieder für Realität hält – und den Fehler mache ich selbstverständlich auch – passt seine Erwartungen an alles an.

So hatte ich heute die aktuelle Stärke der CSU-Fraktion – nämlich eine satte absolute Mehrheit, 101 von 180 Sitzen – gar nicht auf der Rechnung, sondern den erfreulichen CSU-Trend, der deutlich unter 35% lag. Zuletzt waren 32,Komma-Werte vom SPIEGEL und der Augsburger Allgemeinen durch CIVEY verbreitet worden. ARD und ZDF jubelten die Grünen auf 19% hoch.

Da spinnt man ganz automatisch den Trend weiter in die Richtung, die man gern hätte.
Um 17.59 Uhr saß ich jubelbereit mit Herzklopfen vor der Glotze, ausnahmsweise mal optimistisch und hoffte auf eine CSU, die bei 32% läge – bei einer Fehlertoleranz von 2-3 Prozentpunkten, könnte das mit viel Glück auch ein 29,komma-Ergebnis werden, bei dem Söders und Seehofers Kopf abgeschlagen worden wären. Die Grünen könnten die 20%-Grenze knacken und eine Regierungskoalition jenseits der CSU anführen, während eine zwar zerrupfte SPD, immerhin FW und AfD hinter sich gelassen hätte (genau das haben nämlich Infratest-dimap und Forschungsgruppe Wahlen letzte Woche prognostiziert).

Aber ganz so doll ist es ja nicht geworden. Im Gegenteil.
Die CSU kommt mit 37-38 Prozent sogar deutlich besser weg als erwartet, die Grünen sind nicht ganz so stark wie gedacht.

Im Gegensatz zu den Worthülsen der Parteigeneräle in der Berliner Runde ist das Ergebnis recht klar und einfach zu analysieren:


1.) abschreckende Wirkung der Groko-Querelen
2.) unbeliebter Söder
3.) frische Grünen-Kandidaten
4.) langweilige, kaum wahrnehmbare SPD-Kandidatin
5.) der xenophob-obstruktive CSU-Kurs gegen Merkel hat genau wie vorhergesagt ihre Anhänger gespalten: Knapp 200.000 ehemalige CSU-Wähler machten rüber zur AfD, weil sie lieber gleich das Original wollten und weitere knapp 200.000 wechselten zu den Grünen, weil ihnen die ausländerfeindliche Rhetorik der CSU viel zu extrem war.


6.) Trotz chaotischer, programmloser und zerstrittener AfD kam die Partei locker über 10%, da Seehofer ihr ununterbrochen Wahlgeschenke bereitete. Wegen Rückführungsabkommen, die drei bis sieben Menschen pro Land betreffen, ließ er die Bundesregierung wanken und erklärte hob den AfD-Wahlslogan „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ auf den Schild, zu einer Zeit als die Zuwandererzahlen so niedrig waren, wie seit vielen Jahren nicht.
7.) Die enorme Strukturstärke der CSU und das sehr gute Wetter halfen der CSU gerade angesichts des drohenden Desasters die Wahlbeteiligung drastisch zu erhöhen, 200.000 ehemalige Nichtwähler bei der CSU ihr Kreuz machen zu lassen und somit die Katastrophe deutlich abzumildern.


8.) Sahra Wagenknechts erbärmliches Heranwanzen an die AfD schadete ihrer Partei genauso wie der CSU. Sowas wollen linke Wähler nicht hören. Die Linke verreckte deutlich unter der 5%-Hürde, während die Grünen den gesamten linken Protest einsammelten.


Die wichtigsten und erstaunlichsten Ergebnisse von heute sind die blauen Augen der C-Größen.

Markus Söder gelingt es sich als völlig unschuldig darzustellen, ohne jemand anders allzu deutlich den Schwarzen Peter zuzuschieben. Immer wieder betont er, erst sechs Monate im Amt zu sein, den klaren Regierungsauftrag zu haben.
Zudem bleibt ihm erspart sich mit den verhassten Grünen oder gar zwei Parteien an einen Tisch setzen zu müssen. Er geht in eine bequeme Zweier-Koalition und hat den Luxus sich den Koalitionspartner aussuchen zu könne. Damit kann er Bewerber gegeneinander ausspielen und hat später gegenüber einer nörgelnden CSU alles, das in der Regierung nicht rund läuft dem Koalitionspartner in die Schuhe schieben zu können.

[….] Die CSU hat eine historische Niederlage erlitten, doch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat in dieser schwärzesten Stunde der Partei geradezu unverschämtes Glück. Jeder andere müsste an seiner Stelle sofort zurücktreten. Er aber kann sich trotz zweistelliger Verluste halten und wird eine Koalitionsregierung anführen. Mitte November muss gemäß Bayerischer Verfassung ein Ministerpräsident gewählt werden. Der Zeitplan ist so eng, dass für grundlegende Personal- und Strategiedebatten kaum Zeit bleibt. Auch das dürfte Söder nützen. [….]

Die zweite „Gewinnerin“ ist Angela Merkel, die Ende des Jahres zur CDU-Chefin wiedergewählt werden will und sich nicht innerparteilich das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen will.

Heute Morgen hieß es noch überall, sie befände sich in einer Lose-Lose-Situation.

Würde die CSU brutal auf 29,30,31 Prozent abgestraft, würde womöglich in der Opposition landen, würden die CSU-Bundestagsabgeordneten und die CSU-Bundesminister Amok laufen und ihrer Flüchtlingspolitik die Schuld in die Schuhe schieben. Sie würden dann vermutlich die Kanzlerin aus Wut stürzen.
Was könnte ihnen ihrer Bundesregierungsbeteiligung auch sonst noch nützen, wenn sie in Bayern opponieren, weil sie zuvor als zu rückgratlos wahrgenommen wären?

Hätte die CSU andererseits triumphiert, viel besser als erwartet abgeschnitten, bekäme Horst Seehofer Oberwasser, würde sie im Kabinett noch mehr piesacken und seine Obstruktions-Methode bestätigt sehen. Die Rechten in der CDU um Spahn und Pawel Ziemiak würden viel lauter schreien und womöglich den Angriff beim CDU-Wahlparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Hamburg zum Angriff blasen.

37,4% für die CSU sind aber haargenau der Mittelwert, bei dem Merkel all die Kabale womöglich erspart bleiben.
Die CSU wird im Koalitionsausschuss nicht völlig hysterisch, sondern eher kleinlauter werden. Über kurz oder lang wird sie aber den ausgedienten Seehofer auswechseln, an dem dann aber die Zeit verbeigerauscht sein wird, weil sich die CSUler nun um seinen Rivalen Söder scharen.
Ihm wird vermutlich die Macht fehlen die von ihm so sehr gehasste Merkel mit in den Abgrund zu reißen, wenn er stürzt.

Nicht nur ein blaues Auge, sondern arg verprügelt sind Frau Nahles, Frau Kohnen und der heute auch wieder extrem unglücklich in vagen Sprechblasen agierende General Klingbeil.
Dieser hatte in allen Interviews ernsthaft erklärt es wäre nun zu früh für konkrete Folgen, man müsse das Ergebnis, das ja erst ganz frisch sei, erst analysieren. Wie erbärmlich. Als ob man das nicht hätte kommen sehen können wie die SPD abstürzt. Platz 5 in bundesweiten Umfragen wird schon länger vorhergesagt. Und genauso kam es heute auch in Bayern.
Darüber haben Klingbeil und Nahles vorher noch nie nachgedacht?

Einen Satz, den ich heute in jedem zweiten Kommentar gehört habe, der also nicht sehr originell ist, will ich hier wiederholen, weil er nun mal richtig ist:
Frau Nahles‘ Strategie, 2018 mit dem Eintritt in die Groko durch seriöse Sacharbeit der SPD-Minister zu überzeugen und verlorenes Wählervertrauen zurück zu holen, kann man getrost als auf ganzer Linie gescheitert ansehen.
Dabei ist es ebenso Konsens, daß Barley, Giffey, Maas und Scholz tatsächlich sehr gute Sacharbeit leisten. Über Maas freue ich mich jeden Tag. Wenn ich mir einen CSU-Trampel in der Rolle vorstelle, ist das schon allein ein Grund genug, diese Groko zu unterstützen. Sogar der unglückliche Herr Heil setzt konsequent Verbesserungen für die Geringverdiener und Rentner um.
Das ist ein Glück für Deutschlands Bürger, aber Pech für Nahles. Denn wenn es an debakulierenden Minister läge könnte sie diese austauschen.
Sie, die Außendarstellung, das WBH sind die Probleme.
Nahles hat Recht mit ihrem heutigen Statement, daß Merkels mangelnde Führungsstärke und die daraus folgende Eskalation im CDU-CSU-Streit heute allen Groko-Parteien geschadet habe. Großes Pech für die SPD in Mithaftung genommen zu werden.
Aber gleichzeitig beweist Nahles auch damit wieder was sie nicht kann und nicht versteht.
Wenn die SPD nach einem 9,6%-Ergebnis erklärt die CDU-Chefin habe Schuld, ist das ein Fall für Comedy-Shows.

Zwei winzige Joker hat Frau Nahles noch:

Angesichts der bundesweit prognostizierten 15% - und das könnte nach dem Tag heute noch weiter nach unten gehen – gibt es niemand in der SPD, der ihren Job haben will. Wer würde sich das freiwillig antun?

Am 28.10.2018 könnte Schäfer-Gümbel in Hessen bei einer besonderen Verkettung äußerst glücklicher Umstände etwas Ähnliches gelingen wie Söder: Nämlich nach miesen Vorzeichen anschließend als Ministerpräsident zu regieren.

RRG ist dort, anders als in Bayern vorstellbar. Die aktuellste Umfrage der konservativen FAZ prognostiziert 23% SPD, 18% Grüne und 8% Linke. Das wäre eine Sitzmehrheit gegen die CDU und AfD.
Gewänne die SPD in dieser schlimmen Lage tatsächlich ein Bundesland aus den Klauen der CDU, könnte Nahles das als Trendwende verkaufen und der SPD mehr Macht und mehr Selbstbewußtsein einhauen.

Auch das WBH wäre gestärkt, weil man dort schon länger Natascha Kohnens sachlichen Wahlkampfstil, der auf alle Angriffe verzichtete, kritisiert hatte, sich in Bayern nicht sehr stark engagierte und stattdessen auf Wiesbaden und TSG blickte.

Die folgenden Wochen wird also weiterhin das politische Mikado-Prinzip für die Groko in Berlin gelten.
Käme es in Hessen aber zu einem ähnlichen Arschtritt wie heute und würden die bundesweiten Umfragen weiter fallen, halte ich ein Ende der Groko für möglich.
Dann muss Kevin Kühnert ran.
Die SPD wird dann lange in der Opposition sitzen und alle Gering-Verdiener, armen Rentner und Grundsicherungsempfänger werden mittelfristig deutlich schlechter dastehen, wenn eine wie auch immer geartete AfD-FDP-CDU-CSU-Kooperation über sie entscheidet.