Donnerstag, 17. Dezember 2015

Parteirealitäten.

Politkommentatoren kann man auch nichts rechtmachen.

Vor einer Woche beim SPD-Bundesparteitag gab es die bekannte 74,3%-Klatsche für Parteichef Gabriel.
Der Mann mit dem legendären Instinkt für Stimmungen hatte die Stimmung in seinem eigenen Laden so katastrophal falsch eingeschätzt, daß er beinahe wie einst Henning Voscherau oder Jens Böhrnsen hingeworfen hätte.

Gabriel kurz vor Rücktritt. Nach Tagesspiegel-Informationen soll SPD-Chef Sigmar Gabriel kurz vor der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses über seinen Rücktritt nachgedacht haben. Teile der SPD-Spitze, wie Manuela Schwesig, Thomas Oppermann und Frank-Walter Steinmeier, sollen ihn aber noch überzeugt haben, weiter zu machen.

In der Analyse war man sich schnell einig und ich schließe mich den gängigen Theorien an:
Es war taktisch dumm kurz vor der Wahl die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann anzugreifen, nachdem diese die Bedenken vieler in der Partei angesprochen hatte.
Aber vor allem sind eine Menge Leute sauer, weil sie viele von Gabriels Alleingängen nicht nachvollziehen können: Griechenlandbashing, Pro-TTIP, Maas bei der Vorratsdatenspeicherung in den Rücken gefallen, Waffenexporte, Auftritt bei Pegida.
Natürlich ist die SPD der viel kleinere Koalitionspartner in der GroKo und muß daher eine Menge Kröten schlucken. Aber dann könnte man wenigstens sagen, daß man aus Koalitionsräson einiges abzunicken hat, das man in einer Alleinregierung anders entschieden hätte.
Gabriel scheint aber aus Überzeugung oft auf Merkelkurs zu gehen.

Nach dem Parteitag senkten die Kommentatoren die Daumen. Alle waren sich einig; so könne eine Partei, die eine Bundestagswahl gewinnen wolle nicht mit ihrem Spitzenmann umgehen. Es sei Todessehnsucht die einzige Chance auf ein gutes Ergebnis ohne Not selbst zu beschädigen. Wer den einzig möglichen Spitzenkandidaten derart schwäche, müsse sich nicht wundern, daß die SPD nicht aus dem 25%-Knick käme. So hätte niemand in der Partei gewonnen.
Nun sei Gabriel neben der Kanzlerin noch mehr geschrumpft.

Man kann das so sehen.
Eine große Partei muss wissen, daß Uneinigkeit immer als Schwäche ausgelegt wird.
Nichts verabscheut der Urnenpöbel so sehr wie Streit in der Politik.
Man wählt immer die Harmonie und möchte, daß sich alle Delegierten freudig bei den Händen fassen und gemeinsam den Chef unterstützen.
Ja, alle die gegen Gabriel stimmten, müssen vorher gewußt haben, daß es ein verheerendes Signal an die Wähler sein würde, wenn über ein Viertel der eigenen Leute nicht für ihren eigenen Chef stimmen wollen.
Wenn schon SPD-Mitglieder und Delegierte nicht für Gabriel stimmen, wer sollte es dann an der Wahlurne tun?

Man kann es auch anders sehen und die vielen Nein-Stimmen als Schuss vor den Bug betrachten. Der Ärger mußte sich Luft machen; vielleicht könnte Gabriel dadurch daran erinnert werden immer nur soweit wie unbedingt notwendig auf die Union zuzugehen und es sollte doch auch Wähler geben, die es schätzen, daß in der SPD nicht alles abgenickt wird, daß man sich durchaus noch gegen Waffenexporte und Kriegsbeteiligungen einsetze.

Transportiert wurde in den großen Medien aber nur erstere Sichtweise. Man schüttelte kollektiv den Kopf ob des „Selbstmordgens“ der SPD. Sie sei offenbar ins Verlieren verliebt und stimme Albigs Überlegungen auf einen eigenen Kanzlerkandidaten zu verzichten offenbar zu.
Eine Partei mit über 25% Quertreiben sei eigentlich nicht regierungsfähig; jedenfalls nicht Kanzler-tauglich.

Wenige Tage später fand der CDU-Parteitag statt.
Alles wartete gespannt auf den Zoff. Wie würde sich Merkel an Seehofer für ihre Demütigung auf dem CSU-Parteitag rächen?
Gelänge es der JU, der Mittelstandsvereinigung und den Konservativen um Wolfgang Bosbach die Kanzlerin so weidwund zu schießen, daß sie einknicke und doch die heißersehnten Asylobergrenzen postulieren würde?
Sei gar die „Ära Merkel“ am Ende? Verlöre sie die Kontrolle über die Partei?

Auch das waren allesamt falsche Fragen und Fehlprognosen.
Horst Seehofer schnurrte wie ein Kätzchen, Merkel schrieb nicht das Wort „Flüchtlingsobergrenze“ in die Abstimmungstexte und wurde am Ende frenetisch mit zehnminütigem Applaus gefeiert.

Merkel schaffte also das, was Gabriel nicht gelungen war und was an der SPD so heftig kritisiert wurde.
Sie brachte ihre Kritiker zum Schweigen und versammelte die CDU komplett geschlossen hinter sich.
All diejenigen, die sich in den Talkshows so aufgespielt hatte – de Maizière, und Bosbach z.B. – waren eingeknickt und trauten sich nicht mehr ihren Mund aufzumachen.
Die CDU bot also das perfekte Bild eines devoten Kanzlerwahlvereins, der zu allem „Ja“ sagt.


Das aber passte den meisten Kommentatoren nun auch wieder nicht.
Nun wurde fast genauso heftig die Geschlossenheit der CDU kritisiert, wie vorher die SPD dafür nicht geschlossen zu sein.


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