Sonntag, 12. Juli 2015

Geschichtsstunde – Teil I


Manchmal wäre ich gern adelig.
Das würde die Genealogie erheblich vereinfachen, weil schon immer in der Familie aufgeschrieben worden wäre woher man stammt.
Und außerdem finde ich die langen Namen irgendwie sexy.
Ich hätte da gern etwas Extravagantes zu bieten.

Eins meiner Lieblingsbücher, das ich seit Jahrzehnten immer wieder in die Hand nehme ist Brigitte Sokops „Stammtafeln europäischer Herrscherhäuser“ (Böhlau Verlag ISBN 3-205-98096-4).
Das fällt in dieselbe Kategorie wie die „Synchronoptische Weltgeschichte“ oder Hermes Handlexikon „Wer kannte wen?“; also Bücher, die man immer parat liegen haben sollte, so daß man schnell nachschlagen kann, wenn man in Zeitungen, TV etc über irgendwelche historischen Anmerkungen stolpert.

Kürzlich las ich eine Meldung über den 1485 verstorbenen britischen König Richard III.
Auch wenn man kein Historiker ist, weiß man vermutlich aus diversen Fernsehserien über die Tudors (insbesondere Heinrich VIII., 1491-1547) und die Greys (Königin Jane Grey 1553-1554) in etwa um welche Zeit es sich handelt.
Da war viel los. Das Mittelalter ging zu Ende, das Zeitalter der Kolonialisierung begann.  Mein Lieblingspapst Alexander VI. hatte 1494 im Vertrag von Tordesillas mal eben die gesamte Welt und alle ihre Besitztümer zwischen Portugal und Spanien aufgeteilt. Das ist ja das Schöne an den Christen; sie sind so überhaupt nicht anmaßend.

Wie passt nun Richard III. in das Laien-Historikerbild? Man kennt den Namen ja eigentlich nur noch aus Shakespeares Drama, in dem er als abgrundtief böser Krüppel und Schurke dargestellt wird.
Dazu sind Sokops Herrschertafeln so schön.


Heinrich VIII., also der Typ, der ständig seine Ehefrauen köpfte, um eine neue zu heiraten, sich mit dem Papst anlegte und deswegen die neue englische Staatsreligion gründete war der Sohn Heinrich VII., der wiederum ein Neffe Richard III. (1452-1485, König ab 1483) war.
Richard war also Henrys Großonkel.

Er war eine gar nicht mal uninteressante Figur, da er der letzte Plantagenet war und mit seinem Tod die sogenannten Rosenkriege zwischen den Häusern York und Lancaster endeten.
Der Begriff „Rosenkriege“ ist dabei sehr euphemistisch gewählt – in Wahrheit bedeutet es erbittertes gegenseitiges Abschlachten über Dekaden.
Kinder, Geschwister, Cousins wurden aus reiner Machtgier ermordet.
Richard III. Vorgänger, sein älterer Bruder König Eduard IV. erwies beispielsweise dem gemeinsamen Bruder George 1478 seine ungeheure Großzügigkeit, indem der sich seine Todesart selbst aussuchen durfte. Er ließ sich in einem Fass Wein ersäufen. Naja, wem’s gefällt.
Richard sollte eigentlich nur Vormund von Eduards IV. 12-Jährigem Sohn Eduard V. sein. Dieser wurde tatsächlich auch im Juni 1483 gekrönt, aber Richard sperrte ihn zusammen mit seinem 9-Jährigen Bruder in den Tower, aus dem sie nie wieder rauskamen.
Richard III. ließ dann fleißig alle Thronrivalen köpfen oder vergiften, bis er allein übrig blieb und schließlich am 06. Juli 1483 selbst gekrönt wurde.
Er mordete dann fröhlich weiter, bis er 1485 von dem späteren Tudor-König Henry VII. auf dem Schlachtfeld gekillt wurde.
Nach Richard war Schluß mit den Kabalen; es kamen die Tudors.

Wie ich jetzt darauf kommen?
Also Richard III. Gebeine wurden 2012 nach gezielten Grabungen in Leicester entdeckt und kürzlich genetisch identifiziert.
Wissenschaft ist cool.
Man konnte noch nach über 500 Jahren nachweise, daß er an Skoliose litt (daher offenbar seine literarische Darstellung als "Krüppel“), in Wales aufgewachsen war, viel Geflügel und Wein konsumiert haben mußte.
Seine Leiche wies Dutzende Knochen-Verletzungen auf; offensichtlich steckte er wirklich mitten im Schlachtgetümmel als er starb.

Das ist für Historiker ja eine interessante neue Möglichkeit: Grabstätten aufbohren, Gewebeproben entnehmen und nach Jahrhunderten durch DNA-Tests überprüfen, wer wirklich wessen Kind war.

Da das Überleben von Monarchinnen davon abhängig war Nachwuchs auszuwerfen, kam es verständlicherweise häufig vor, daß sie bei misserfolgreichem ehelichen Koitus auch mal schnell mit dem Koch oder Zimmerburschen knatterten.
Heute kann man das überprüfen und so fallen gegenwärtigen Monarchen immer riesige Gesteinsbrocken vom Herzen, wenn sie auch mal erfahren, daß sie wirklich die genetischen Nachkommen ihrer königlichen Vorfahren sind.
Bei Richard konnte tatsächlich eine rein maternale genetische Linie zu heute lebenden Nachfahren – 17 Generationen später - nachgewiesen werden.
Paternal klappte es erwartungsgemäß nicht, da seine Vorfahrinnen fleißig fremd gingen und andere Männer in die Thronfolge einkreuzten.

Im März 2015 wurden Richard III. Überreste in der Kathedrale von Leicester in einen Bleisarg gestopft und mit allen Ehren bestattet.


Solche Gelegenheiten lassen sich Pfaffen natürlich nicht entgehen. Zumal Richard III. der vorletzte katholische König Englands war.

Cardinal gives homily during historic ceremony in Leicester on Sunday
Cardinal Vincent Nichols has prayed for the soul of Richard III during a service for the dead king.
[….]  At the service, Cardinal Nichols said that the sprinkling of holy water on the coffin was “a reminder that King Richard, at the beginning of his life, was baptised in the name of the Father, the Son and the Holy Spirit. He was thereby called to live as a follower of Jesus Christ.”
[….]  However, as well as alluding to Richard’s notoriety, most famously for his alleged ordering of the murder of his two nephews, the princes in the Tower, the Cardinal pointed out the king’s great strengths: “Within the depth of his heart, amidst all his fears and ambitions, there surely lay a strong desire to provide his people with stability and improvement. In his two short years as King, he reshaped vital aspects of the legal system, developing the presumption of innocence, the concept of blind justice and the practice of granting bail rather than being held in jail. He established the Court of Requests to give wider access to justice and insisted on the translation into English of all written laws and statutes so that they were readily accessible to all. Nevertheless his reign was marked by unrest and the fatal seepage of loyalty and support.”
He said that Richard was “a man of prayer, a man of an anxious devotion. In a surviving prayer, we hear him pleading with God for the protection of the Archangel Michael and for deliverance from his enemies.” [….]  

So sind sie, die Katholiban.
Immer devot buckelnd vor der Obrigkeit.
Ein wie besessen mordender Mann, den Historiker in Punkto Bosheit in einem Atemzug mit Hitler und Stalin nennen, wird liebevoll bebetet.



Kein Wort der Kritik. Alles gut.



Naja, es war ja auch nur Massenmord und kein Verbrechen, das die RKK wirklich in Rage bringt – wie zB Ehescheidung oder Homosexualität.

Bei Radio Vatikan – „Stimme des Papstes und der Weltkirche“ heißt es dazu:

Vergangenen Montag hat der Erzbischof von Westminster, Kardinal Vincent Nichols, eine Messe für den bereits 1485 verstorbenen König Richard III. in Leicester gefeiert. Hunderte Menschen standen Schlange, um den Sarg des letzten Königs aus dem Haus Plantagenet zu sehen. Dieser Sarg ist bis Donnerstag ausgestellt und wird dann in einer Zeremonie, die vom Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, zelebriert wird, in eine Gruft gebracht.
Im Interview mit Radio Vatikan, sprach Kardinal Nichols davon, dass Richard ein Mann des Gebets gewesen sei. Dies sei auch dadurch bestätigt, dass man ein Gebetbuch bei ihm gefunden habe, in das er Bemerkungen und auch ein eigenes Gebet geschrieben habe. Richard III. war ein katholischer König in einem katholischen Land zu dieser Zeit. Sowohl die katholische als auch die anglikanische Kirche feiern sein Gedenken in dieser Woche.












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