Sonntag, 16. Februar 2020

Der Neue?

Zugegeben, der Rücktritt von Kardinal Marx hat mich überrascht, weil ich ihn seit beinahe zwei Jahrzehnten als extrem ehrgeizig wahrnehme. Stets trachtete er danach mehr Titel und mehr Funktionen, mehr Macht an sich reißen.
Mit gerade mal 53 Jahren wollte er im Jahr 2008 unbedingt Chef aller deutschen Bischöfe werden und litt schwer an der Wahlniederlage gegen Erzbischof Zollitsch. 2014, inzwischen zum Kardinal aufgestiegen, ließ er sich das Amt nicht mehr nehmen und übernahm stetig neue wichtige Posten in der Kurie, so daß man sich schon vorstellte, er könne wie zuvor die Bayern Ratzinger und Müller in die erste Garde des Vatikans aufrücken.
Aber nun, mit für katholische Verhältnisse jugendlichen 66 Jahren (Ratzi war 79 als er Papst wurde) hat er plötzlich keinen Bock mehr auf eine weitere Amtszeit und wirft mitten im synodalen Reformprozess den Bettel hin. Soll doch ein anderer im März 2020 für sechs Jahre den Vorsitz der deutschen Bischofskonferenz übernehmen.
Ausgerechnet der machtbewußte Hoppla-jetzt komm‘ ich-Kirchenfürst soll so zartbesaitet sein, daß er die Zickereien seiner Brüder im Amte nicht vertrug?

[….] Es ist aber kein Ge­heim­nis, dass Marx als Vor­sit­zen­der der Bi­schofs­kon­fe­renz un­ter sei­nen Mit­brü­dern um­strit­ten ist. Bei den Voll­ver­samm­lun­gen nervt er im­mer wie­der mit her­ri­schem Auf­tre­ten. Er rei­ße al­les an sich, heißt es, kön­ne nicht de­le­gie­ren, sei gleich­zei­tig aber un­or­ga­ni­siert und schlecht vor­be­rei­tet. Öffent­lich pre­sche er mit­un­ter ohne Ab­spra­che vor. One-Man-Show statt Mann­schaft. Mit die­sem Füh­rungs­ver­ständ­nis kommt er selbst in der an­ti­quier­ten ka­tho­li­schen Kir­che nicht mehr an. [….]
(Felix Bohr, SPIEGEL, 15.02.2020)

Die wenigen nicht extrem erzkonservativen deutschen Katholischen Bischöfe sind nun enttäuscht, da sie mit dem inhaltlich flexiblen Marx einen vermeidlichen Fürsprecher verlieren, der das Ohr des Papstes hat.
Marx ist sehr wendig.
So verlangte er nach der Wahl Bergoglios zum neuen Ratzi Bescheidenheit für die katholischen Bischöfe.
Außer natürlich für sich. Er blieb in seinem gigantischen Rokoko-Palais, kaufte sich in Rom für 10 Millionen Euro einen persönlichen Prunkpalast, den „Palazzo Marx“.
So verlangte er nach dem Aufkochen der Missbrauchsskandale unbedingte Offenheit der Bischöfe, volle Transparenz gegenüber den Opfern. Nur eben nicht in seinem eigenen Bereich.

[….] Wäh­rend er die 2018 ver­öf­fent­lich­te Miss­brauchs­stu­die der Bi­schö­fe we­sent­lich mit vor­an­trieb, hält er ei­nen 2010 er­stell­ten Be­richt zu se­xu­el­len Überg­rif­fen in sei­nem Erz­bis­tum für die Öffent­lich­keit un­ter Ver­schluss. [….]
(Felix Bohr, SPIEGEL, 15.02.2020)

Wie es in der gesamten deutschen Presse üblich ist, sorgen sich nun alle, um das Ansehen der katholischen Kirche in Deutschland. Alle stimmen schließlich darin überein der Kirche zu helfen nicht noch mehr Mitglieder zu verlieren, wollen unbedingt ihre Macht erhalten.
Nun eint sie die Furcht vor einem Durchmarsch der Konservativen um Overbeck und Woelki, die bestens mit dem vatikanischen Dunkelkatholiken Gänswein, TVE, Ratzinger und Müller vernetzt sind. Keine Handbreit den Reformern könnte das neue Motto lauten, nachdem auch Franzi mit einem gewaltigen Knall die Tür vor der Frauenordinierung und der Lockerung des Zölibats zuschlug.
Besonders gefürchtet wird die minderbezahnte Perücke aus Köln.
Wie eine mächtige Spinne hockt der Metropolit des Erzbistums Köln mit seinen  Suffraganbistümern Aachen, Essen, Limburg, Münster und Trier in der nach Rom reichsten Kirchenprovinz der Welt und zieht seine Fäden. Sollte Rainer Maria Kardinal Woelki neuer Vorsitzender der DBK werden, schwant den vielen Kirchenfreunden in den Redaktionen Böses: Mehr Austritte, mehr Nähe zur AfD, mehr Homophobie.
Da ich auch glaube ein Chef wie Woelki würde der RKK sehr schaden, hoffe ich natürlich, daß er sich durchsetzt.

Der SPIEGEL aber hebt schnell den angeblich liberalsten katholischen Bischof Deutschlands auf den Schild: Der neue Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer.
Der sei so bescheiden, spräche ein halbes Dutzend Sprachen – mindestens. Habe sich schon im Alter von 19 Jahren der Arbeit im Orden der Herz-Jesu-Pries­ter verschrieben und würde womöglich sogar ernsthaftes Interesse daran zeigen die Kinderfickereien seiner Priester offenzulegen.
Ein netter Bischofskonferenz-Vorsitzender?
Zunächst einmal ist das nicht so abwegig. Die nationalen Episkopate geben sich gern ein wenig moderner und liberaler als das sittenstrenge Rom.
Lehmann und Zollitsch galten durchaus als Widersacher der jeweiligen Päpste.
Aber das gehört auch zur Inszenierung, um ein möglichst breites Spektrum abzudecken.
Die RKK ist eine zentralistische und absolute Diktatur. Die nationalen Konferenz-Chefs können so viele Papiere aufsetzen wie sie wollen; keine der Teilkirchen hat auch nur das kleinste Fünkchen Macht.
Selbst wenn alle 17 deutschen Diözesen einstimmig das Frauenpriestertum fordern, wäre das völlig irrelevant, weil Rom entscheidet.

Die Liberalität Wilmers liest der Spiegel aus einer einzigen Äußerung ab, in der er die Binsenweisheit aussprach, der Missbrauch liege in der DNA der Kirchenstrukturen und seinem Werdegang, aus dem so viel Bescheidenheit und Weltkundigkeit spreche.

    geboren am 9. April 1961 in Schapen (Emsland)
    August 1980 Eintritt in die Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Priester
    1980-1982 Noviziat in Freiburg i.Br.
    1985 Ablegung der Ewigen Profess
    31. Mai 1987 Priesterweihe in Freiburg
    1987-1993: Studium in Rom und Freiburg
    1993-1995 Referendar am Windthorst-Gymnasium in Meppen
    1995-1997 Lehrer für Religion, Geschichte und Politik und sowie Schulseelsorger an der Liebfrauenschule in Vechta
    1997-1998 Lehrer für Deutsch und Geschichte an der Fordham Preparatory School (Jesuit High School) in New York (Bronx)
    1998-2007 Schulleiter des Gymnasium Leoninum Handrup
    2007-2015 Provinzial der Deutschen Ordensprovinz der Herz-Jesu-Priester in Bonn
    2015-2018 Generaloberer der Herz-Jesu-Priester in Rom
    6.4.2018 Ernennung zum 71. Bischof von Hildesheim
    1.9.2018 Weihe zum Bischof und Amtseinführung im Bistum Hildesheim

Ein bißchen wenig für einen angeblichen großen Reformer, der sich nach seinem DNA-Spruch beeilte zu versichern, wie wunderbar er sich mit Kardinal Woelki verstehe und alles gleich viel tiefer hängte:
Ich sehe mich nicht als Revoluzzer, betonte er eilfertig beim erzkonservativen Domradio in Köln.

Selbst wenn Wilmer DBK-Vorsitzender werden sollte und tatsächlich liberaler als andere Bischöfe sein sollte, hätte er keine Macht etwas zu verändern.

Aber es wäre aus meiner Sicht natürlich bedauerlich ein sympathisches Gesicht an der Spitze der deutschen Kirchenfürsten zu haben.
Möge sich also lieber Woelki durchsetzen.