Als meine Mutter
wieder in Deutschland lebte, hatte sie immer Heimweh nach New York und stellte
sich durchaus vor irgendwann wieder in Amerika zu leben.
Es liegt scheinbar
auch in den Genen meiner Familie; alle meine Verwandten sind nicht Orts-treu
und haben sich heute auf die verschiedenen Kontinente verstreut.
Ich habe keine
Erklärung dafür, weshalb ich als einziger aus dem Rahmen fiel und nie plante in
einem anderen Land zu leben.
Vielleicht eine stille
Revolte gegen den allgemeinen Reisewahn und den Anspruch auf Mehrsprachigkeit
meiner Verwandten?
Nachdem ich 1987 eine
Riese durch einige Warschauer-Pakt-Staaten unternahm, hoffte meine Mutter, der
Funke wäre endlich auch mich übergesprungen, weil ich wenigstens nach dem Abitur
nicht nach Mallorca oder an die Algarve flog, sondern mir etwas eher Untypisches
ansah.
‚Vielleicht kommt der
Junge nun doch auf den Geschmack und geht zumindest mal für ein Jahr nach
Amerika‘ hoffte sie. Vergeblich.
Mein amerikanischer
Pass wurde mir allerdings sehr bewußt. Hatte ich während meiner Schulzeit noch
gedacht großes Glück zu haben, weil ich mich nicht mit einer
Wehrdienstverweigerung rumplagen musste, den Zivildienst auslassen konnte, fand
ich mich beim Versuch mich an der Universität einzuschreiben in einer ganz
lästigen Realität wieder:
Mein recht guter NC war wertlos; ich hatte mich an das „Akademische Auslandsamt“
zu wenden. Für „Bildungsinländer aus dem nichteuropäischen Ausland gibt es pro
Fachbereich genau einen Studienplatz für den Bestqualifizierten. Wartesemester
werden nicht anerkannt. Ein Wechsel des Studienfachs war grundsätzlich ausgeschlossen
für Ausländer.
Ich musste beim akademischen
Auslandsamt vorstellig werden und meine Deutschkenntnisse bei einem Diktat
beweisen.
Deutsches Abitur mit
Deutsch-Leistungskurs und Deutsch als Muttersprache waren für das Amt kein
ausreichender Hinweis auf meine Sprachfähigkeiten.
Das musste erst mal
überprüft werden.
Es gab offenbar einen
besseren Bewerber als mich. Kein Studium in Deutschland lautete das Urteil der
Uni für mich.
Als das Semester drei
oder vier Wochen lief, bekam ich einen überraschenden Brief vom akademischen
Auslandsamt; im Nachrückverfahren wäre mir doch ein Platz zugeteilt worden; ich
solle mich sofort bei den Chemischen Instituten einfinden. Offensichtlich hatte
der- oder diejenige vor mir schon wieder aufgegeben.
Noch viel lästiger
wurden allerdings die kalten Nächte vor der damaligen Ausländerbehörde im
Hamburger Bieber-Haus direkt bei den Junkies und Nutten vom Hauptbahnhof.
Dort musste ich eine
Aufenthaltsgenehmigung beantragen und sie alle fünf Jahre in einen neuen Pass
eintragen lassen. Ich scheiterte allerdings schon daran nur eine Wartenummer zu
ziehen. Dafür musste man sich um zwei oder drei Uhr nachts anstellen und hoffen
noch früh genug zu sein, um bei der Öffnung um 7.00 Uhr in einem riesigen
Gedrängel eine Marke zu ergattern.
Nach meiner ersten
Eis-Nacht gab ich auf, weil das Gemuse zu aggressiv und rabiat war. Die wenigen
Marken waren ohnehin nach drei Minuten weg und ich stand außer Reichweite.
Ich erinnere mich
nicht mehr genau wie oft ich wiederkommen musste, staunte aber, daß die
Abteilungen im Bieberhaus nicht etwa nach Nationen, sondern alphabetisch
geordnet waren.
Die Sachbearbeiter
konnten sich also nicht auf bestimmte Länder und Sprachen spezialisieren,
sondern behandelten jeden so, als ob er deutsch konnte und wurden einfach immer
lauter, wenn der oder die Angesprochene nicht verstand.
Eine orientalische
Dame vor mir war in Tränen ausgebrochen, weil der zuständige Beamte sie in der
irrigen Annahme ihre Deutschkenntnisse verbesserten sich linear mit seiner
Phonstärke so laut anschrie.
Ich war ein
außergewöhnlicher Fall, weil ichsämtliche Fragenbogen selbstständig in Deutsch
ausfüllen konnte und außerdem bei meinen vorherigen nicht erfolgreichen
Bieber-Haus-Besuchen schon ergründet hatte, welche Papiere ich vorzulegen hatte
und dieselben vollständig dabei hatte.
Nun sollte es wohl nur
noch eine Formsache sein, erlaubte ich mir zu hoffen.
Tatsächlich erwischten
mich dann gleich die ersten beiden Fragen des brüllenden Beamten so kalt, daß ich
nur faseln und stammeln konnte. „Was wollen Sie eigentlich hier in Deutschland?
Können Sie etwa nicht zu Hause studieren?“
Wie mir erst später klar
wurde, brachten mich diese Fragen deshalb so ins Schleudern, weil ich sie mir
noch nie gestellt hatte.
Wieso ist man da wo
man ist und nicht woanders? Aber ich wollte doch Naturwissenschaftler und nicht
Philosoph werden.
Von da an blickte ich
immer sorgenvoll auf das Ablaufdatum des Passes, der alle fünf Jahre im
US-Generalkonsulat für ein paar hundert Dollar neu ausgestellt werden musste
und auch eine erneute Bieber-Haus-Prozedur erforderte.
Es nützte nichts sich
Tricks zu merken, da die Regeln kontinuierlich verändert wurden und ich alle
fünf Jahre bei einem anderen Amt zu erscheinen hatte.
Während in den 1980ern
und 1990ern wenigstens die Besuche im US-Generalkonsulat recht angenehm waren,
weil die US-Beamten grundsätzlich höfliche und freundliche Menschen mit einem
lockeren Umgangston sind, änderte sich nach dem 11.09.2001 auch das. Die diplomatischen
US-Vertretungen wurden zu Festungen ausgebaut, so daß es zum Spießrutenlauf
wurde auch nur bis zum Eingangstor zu kommen. Die berühmte
US-Service-Mentalität ist ebenfalls vorbei; das Hamburger Generalkonsulat
stellt gar keine US-Papiere mehr aus. Dafür hat man nun in die Botschaft nach
Berlin zu kommen.
Die Stärke des
US-Reisepasses war in meiner Jugend noch überragend; insbesondere im Vergleich
mit dem Deutsche. Da schwang in vielen Ländern noch der Holocaust und Zweite
Weltkrieg mit.
Der Arton Capital Passport Index misst, in
wie viele Länder man ohne Visum reisen darf.
Aber die USA machen
sich zunehmend international unbeliebt. Heute ist der deutsche Pass mit 166
visumfreien Einreise-Ländern nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (167) der
Zweitstärkste der Welt, der US-Pass liegt auf Platz 14 und trotz recht
unkomplizierter Einreise in viele Ländern, sollte man nicht mehr mit Jubel rechnen,
wenn man sich als US-Amerikaner in Afrika oder der arabische und muslimischen
Welt aufhält.
Vor zwei Jahren ging
in meine übliche Bankfiliale und wollte ein Mietkautionskonto eröffnen.
Es ging um genau 1.000
Euro, die ich auf ein Unterkonto einzahlen wollte.
Das ginge aber nur
noch mit Termin hieß es – „weil Sie kein Deutscher sind“.
Termine könne ich
online beantragen.
Ich tat wie mir
geheißen, tippte mein Anliegen in das Kontaktformular und wurde in eine ganz
andere Filiale bestellt.
Die Deutschen können
auch „Servicewürste“; Banken erst Recht. Warum zur Filiale nebenan, wenn man
auch zwei Kilometer weiter fahren kann?
Da würden die
komplizierten Fälle konzentriert.
1.000,- auf einem
Sperrkonto hinterlegen sollte ein „schwerer Fall“ sein?
Ja, denn ich müsste meinen Aufenthaltsstatus, meine US-Social-Security-Number
und insbesondere die i-tan-Number von der IRS, der amerikanischen Finanzbehörde
vorlegen.
Neue Regeln. FACTA werde nun streng ausgelegt;
jeder Bank, die dagegen verstoße, indem sie einen US-Amerikaner als Kunden
akzeptiere, drohten schwere Sanktionen in den USA.
FACTA, oder wie eine
eine befreundete Anwältin in Ohio nennt: „A pain In the Ass“.
[…..] Das ist die Abkürzung für „Foreign Account Tax Compliance Act“. Dieses
Nationalgesetz wurde 2010 ins Leben gerufen. Das Gesetz verpflichtet alle
amerikanischen Bürger sowie alle Nicht-US-Finanzinstitute, alle Konten, für die
eine US-Person eine Vollmacht hat, der amerikanischen Behörde zu melden. Dies
sind eigene Konten, Konten, für die eine Person bevollmächtigt ist,
Anlagekonten, Renten- oder Pensionskonten und eventuelle sonstige Finanzkonten.
Der Hintergrund dieses Gesetzes ist es, ausländische Besitztümer im Rahmen von
Steuerhinterziehungen, Geldwäsche, Terrorismusbekämpfung und Finanzierung von
Terrorismus aufzuspüren. Außerdem hat der IRS ein neues Formular mit dem Namen „Form 8938 –
Statement of Specified Foreign Financial Assets“ entwickelt. Ab dem
Veranlagungszeitraum 2011 muss jede(r) Amerikaner(in) dieses Formular zur
jährlichen Steuererklärung hinzufügen, wenn die Grenzwerte (über $ 200.000 zum
31. Dezember oder über $ 300.000 als höchster Saldo im Laufe des Veranlagungszeitraums)
erreicht wurden. Schließlich hat FATCA die Bußgelder erhöht und gelten die Amerikaner als
etwas verdächtig, deren Konten nicht bei einem amerikanischen Finanzinstitut
geführt werden. Diese Berichtsanforderungen sind eine Ergänzung der für alle US-Personen
geltenden Forderung zur Meldung von nicht-amerikanischen Finanzkonten an das US
Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN). Die Meldung erfolgt durch
Formular 114 „Foreign Bank Account Report“ (auch FBAR genannt). […..]
(Rubes Tax
Service)
Im Alter von über
einem halben Jahrhundert werde ich auf einmal verpflichtet meine
Steuererklärungen auch in der USA abzugeben und bin de facto ausgeschlossen von
allen Serviceleistungen deutscher Banken.
Ich darf zwar mein
bestehendes Girokonto weiter führen, kann aber kein weiteres Konto eröffnen,
keine Aktie kaufen, keine internationalen Überweisungen tätigen.
International agierende
Banken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank könnten das zwar theoretisch,
wenn sie alle FACTA-Auflagen erfüllen. Aber dann müssten sie sich um alle US-Formulare
kümmern und in den USA haften. Das tut natürlich keine Bank; schon gar nicht
für ein 1.000-Euro-Mietkautionskonto.
Die europäischen
Banken schließen also in ihren Ländern lebende US-Amerikaner wie mich als
Kunden aus.
Die Commerzbank riet
mir mich bei der Schweizer UBS zu erkundigen; die hätten schließlich eine
Filiale in Hamburg.
[…..] Exklusive Beratung für
vermögende Privatpersonen und Familien. Vermögenden Privatpersonen bieten
wir in Deutschland eine erstklassige Vermögensverwaltung und Anlageberatung
sowie maßgeschneiderte Lösungen, die auf Ihre persönlichen Ziele und
Bedürfnisse zugeschnitten sind. […..]
(UBS Investmentbank)
Ob ich mit 1.000 Euro
als „vermögende Privatperson“ durchginge?
Ich rief an und erfuhr, daß sie tatsächlich auch US-amerikanische Kunden
nähmen, aber nur in der Schweiz. Ich müsste also persönlich mit meinem Geld
nach Zürich reisen.
Inzwischen kam ich
nicht mehr um den Gebrauch des Mode-Neologismus „kafkaesk“ herum.
In die Schweiz fliegen
für ein Mietkautionskonto?
Da ich aber keine
US-Social Security-Nummer und schon gar keine iTan-Registrierung bei der IRS
habe, blieb mir nur noch der eine Ausweg: Weg mit dem US-Pass und Deutscher
werden.
Es es eigenartig;
obschon ich keinen Funken patriotische oder nationale Gefühle für irgendein
Land in mir habe, fällt es doch ein bißchen schwer eine Staatsbürgerschaft
aufzugeben. Es liegt weniger an einer persönlichen Verbindung zu dem kleinen
blauen Heftchen, sondern mehr an den 50 Jahren Erfahrungen mit deutschen
Ämtern, die mich immer auf „DU gehörst nicht zu uns, Du bist anders, was willst
Du hier?“ reduzierten.
Ich erinnerte mich an
die hochvernünftigen Pläne der rotgrünen Bundesregierung von 1998 zur Modernisierung
des Staatsbürgerschaftsrechtes, die an Angela Merkel scheiterten. Roland Koch
hatte den Hessischen Landtagswahlkampf im Januar 1999 zu einem Referendum über
die Doppelstaatsbürgerschaft aufgeblasen, ließ im ganzen Land Unterschriftenlisten
auslegen, um „gegen Ausländer zu unterschreiben“ – CDU-Generalin Merkel immer
mitten drin und hocherfreut.
Noch-CDU-Chef Schäuble wetterte
im Bundestag in selbst für seine Verhältnisse nicht gekannter Bosheit die doppelte
Staatsbürgerschaft wäre eine Form von Schizophrenie.
„Wo kann man hier
gegen Ausländer unterschreiben?“ hieß es an Merkels hessischen Wahlkampfständen
und außerdem sollte ich schizophren sein, weil meine Eltern eine binationale
Ehe bildeten?
Die doppelte
Staatsbürgerschaft kam nie. Nur ein Optionsmodell für unter 25-Jährige.
Ich durfte kein
Deutscher sein, weil nach deutschem Recht nur das VÄTERLICHE Blut relevant ist.
Eine deutsche Mutter,
ein deutscher Geburtsort – alles irrelevant.
Mit dem Aufstieg der
AfD verstärkte sich der xenophobe Kurs der Bundesregierung; immer wieder
wettern deutsche Regierungsmitglieder gegen die Doppelstaatsbürgerschaft mit
der klaren Botschaft „die wollen wir nicht!“ Ganz Deutscher, oder gar nicht.
Die USA verspielten in den letzten Jahren alle meine
Sympathien, aber in
Deutschland fühle ich mich extrem ungewollt und abgewiesen.
Aber ohne Bankkonto
geht es auch nicht.
Also beschloss ich,
mich von dem US-Pass zu trennen.
Es war unerwartet
schwierig den Antrag überhaupt zu stellen, weil alle genannten Adressen aus dem
Olaf-Scholz-Einladungsbrief von vor acht Jahren ungültig waren. Emailadresse
abgeschaltet, Telefon nicht erreichbar und schließlich kam auch meine ausgedruckte
Version als „unzustellbar“ zurück.
Die Behörde für
Inneres und Sport in Hamburg-Hamm ist zuständig; wie schon erwähnt, wurde mein
Anliegen vom Mai 2019 im August 2020 beantwortet – mit einer nahezu endlosen
Liste der vorzulegenden Papiere.
Am Ende ein
erstaunlicher Satz:
Nun also doch
Doppelstaatsbürgerschaft?
Jackpot, dachte ich und rief meine Bank an. Darf ich wieder ein Konto eröffnen,
wenn ich AUCH Deutscher bin?
Die Antwort war ein
klares NEIN. Es reicht nicht AUCH Deutscher zu sein, um FACTA zu umgehen; ich
muss NUR Deutscher sein.
Es blieb also wie ich
dachte; der US-Pass musste weg.
Aber auf die Idee
kamen schon zu viele im Ausland lebende US-Amerikaner. Daher baute die
Trump-Regierung hohe Hürden auf.
[….] Zum Verzicht auf die
amerikanische Staatsangehörigkeit müssen zuvor 5 Jahre lang amerikanische
Steuererklärungen eingereicht und in den 6 Vorjahren muss die FBAR Pflicht
erfüllt worden sein. Deshalb genügt auch die Befolgung des Streamlined Foreign
Offshore Verfahrens noch nicht einmal hierfür. Der IRS möchte nämlich
feststellen, ob kein steuerliches Motiv bei diesem Schritt eine Rolle spielt.
Danach können Sie einen Termin beim amerikanischen Konsulat in Frankfurt
vereinbaren, um zu verzichten: Renunciations & Relinquishments. Zur
Bearbeitung dieses Antrags verlangt das Konsulat eine Gebühr in Höhe von $
2.350, welche beim Konsulat bezahlt werden muss. Für den Veranlagungszeitraum, in dem auf die amerikanische
Staatsangehörigkeit verzichtet wird, muss bis zum Zeitpunkt der Aufgabe noch
eine Steuererklärung (1040) und/oder FBAR abgegeben werden. Es muss
gleichzeitig ein Formular (8854) ausgefüllt werden in dem Sie die Steuererklärungen
der letzten 5 Jahre und alle Ihre Besitztümer angeben. Sollten die
Steuererklärungen nicht eingereicht worden sein, kann es vorkommen, dass der
Pass einbehalten wird, aber dass der IRS die Person noch nicht aus der
amerikanischen Steuerpflicht entlässt. […..]
(Rubes Tax)
Es erinnert mich ein
wenig an die DDR-Republikflucht-Gesetze.
2.350 Dollar Strafe,
um den US-Pass loszuwerden, sind das kleinere Problem.
Aber ich habe noch nie
eine Steuererklärung in den USA bei der IRS abgegeben.
Mein deutscher
Steuerberater kann und darf das nicht.
Also muss ich einen
amerikanischen Steuerberater beauftragen, ihn bezahlen und mindestens sechs
Jahre lang Steuererklärungen dort abgeben und dort zusätzlich Steuern bezahlen,
bevor ich überhaupt dran denken kann den amerikanischen Pass los zu werden.
Offensichtlich ist das
auch der Hintergrund für die Gewährung des Doppelpasses in meinem Fall – aus der
US-Staatsbürgerschaft kommt man; ähnlich wie aus der Iranischen; fast gar nicht
heraus.
Aber der deutsche
Einbürgerungsprozess ist ohnehin noch langwierig. Wer weiß schon, ob ich dort
in weniger als sechs Jahren zum Zuge komme?