Im März erschien bei Spiegel Online ein Interview mit dem bayerischen Publizisten
Georg Seeßlen, 68.
Er nimmt
sich die neokonservativen Philosophen Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk vor,
die von höherer intellektueller Warte aus das Geschäft der AfD betreiben:
Ausländer raus; es sind einfach zu viele; um Europa zu retten, müssen wir die Grenzen
zu machen.
Ich
hingegen glaube immer noch, daß das steinreiche Deutschland, welches von den
Weltkrisen profitiert, moralisch verpflichtet ist die Grenzen für die
Heimatvertrieben zu öffnen. Abgesehen vom humanitären Aspekt wird Deutschland
davon auch finanziell, ökonomisch und kulturell profitieren.
Frisches
Blut tut gut.
Wieso
konnte das kleinere, zerstörte, ruinierte und völlig verarmte Deutschland der
zweiten Hälfte der 1940er Jahre 12-14 Millionen Heimatvertriebene aufnehmen?
Wieso sollten wir 70 Jahre später mit unvergleichlich viel mehr Mitteln und
Möglichkeiten schon daran scheitern ein Zehntel der Menschen aufzunehmen?
Der
Grund ist tatsächlich unser enormer Reichtum. Wer viel hat, mag nichts teilen,
gibt nichts ab.
Ich
halte das wirklich für eine tiefe Einsicht. Den Sachsen geht es verglichen mit
den Jahrzehnten zuvor materiell so gut, daß sie nicht mehr mitfühlen können wie
es ist nichts zu haben.
[….] Europa ist keine Oase von Frieden und
Freiheit, von Gastfreundschaft und Solidarität, sondern nur das Trugbild davon.
Genauso wenig gibt es eine abendländische Wertegemeinschaft, die durch Grenzen
definiert würde und durch die Neuankömmlinge etwas zu verlieren hätte. Die
Angst vieler Europäer richtet sich darauf, dass sie selbst erkennen müssten,
dass sie in einer Fata Morgana leben. Eine sehr unangenehme Wahrheit, die uns
"die Fremden" da zumuten, ohne es zu wollen. Dabei sollte es eine
demokratische Selbstverständlichkeit sein, Menschen aufzunehmen, die aus
elenden Verhältnissen kommen. Die Probleme wären durchaus zu überblicken und zu
bewältigen. [….] Die sozialen
Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und in den einzelnen Ländern nehmen
zu. Das wird der EU auf lange Sicht schaden und sie vielleicht zerstören. Indem
man Europa in eine Festung verwandelt, verstärkt man diesen inneren
Zerfallsprozess. Seine Ursache sind nicht die Flüchtlinge. Die sind nur der
willkommene Brandbeschleuniger von sozialen Konflikten, die vorher schon da
waren.
[….] Die Angst vor Veränderungen ist
weitverbreitet. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass Angst der richtige
Begriff ist. Man will nichts abgeben.
[….]
Wir alle
sind gewöhnt in einer Weltwirtschaftsordnung zu leben, in der wir reichen
Industriestaaten kontinuierlich doppelt so viel Geld aus der dritten Welt
abziehen, wie wir umgekehrt in die ärmsten Staaten transferieren.
Wer
beständig auf Kosten anderer immer reicher wird, hat Interesse daran diesen
Zustand zu konservieren, sich also abzuschotten.
Ein Land, das für in
selbstverschuldete Schräglage geratene Banken auf Kosten der Steuerzahler in
kürzester Frist dreistellige Milliardenbeträge bereitstellen kann, muss für
ohne eigenes Verschulden in Not geratene Kommunen auch einen jedenfalls
zweistelligen Milliardenbetrag aufwenden können.
[….] In dieser Welt, in der heute fast die
Hälfte des globalen Reichtums in den Händen von weniger als einem Prozent der
Weltbevölkerung liegt, in der im kapitalistischen Süd-Nord-Transfer für jeden
Dollar, der in Richtung Dritte Welt fließt, zwei Dollar in die Gegenrichtung zurückfließen
– in dieser Welt gibt es nicht eine weltweite ›Flüchtlingskrise‹, sondern eine
Weltkrise, die Fluchtbewegungen erzeugt.
[….]
In den gleichen 25 Jahren sind auf dem
Weg nach Europa und Deutschland mindestens 30.000 Flüchtlinge allein im Mittelmeer
umgekommen. Vor der deutschen Vereinigung sind Flüchtlinge an der
deutsch-deutschen Grenze gestorben, heute sterben Flüchtlinge in Massen vor den
Grenzen der „Festung Europa“. [….]
(Prof. Dr. Klaus J. Bade, ehemaliger
Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und
Migration, 03.10.2015)
Ältere
Deutsche erinnern sich noch zumindest an die Geschichten ihrer Eltern wie es
war in der Nachkriegszeit zu hungern, wie primitiv man lebte. Wie dankbar man
für jede Kleinigkeit war.
Die Teens
und Twens von heute scheinen oft auch keine Empathie für echte materielle und
physische Not aufbringen zu können.
Es liegt
einfach außerhalb ihrer Vorstellungskraft.
Ich
glaube immer noch fest daran, daß wir Deutschen (wenn ich das als Amerikaner
sagen darf) viel besser fahren, wenn wir großzügig sind, tolerant auf andere
Kulturen reagieren und viel abgeben.
Leider
gibt es außer Seeßlen, Bade und den Engagierten von Organisationen wie „ProAsyl“
kaum noch eine Repräsentanz für diese Meinung..
Und es
ist extrem unschön zu akzeptieren, mit solchen Ansichten inzwischen offenbar zu
einer extremen Minderheit geworden zu sein, wenn sogar die LINKE von
„Missbrauch des Gastrechts“ (Wagenknecht) faselt und die Grünen mit der CDU für
Abschiebungen plädieren; wenn die SPD akzeptiert Myriaden Familien auseinander
zu reißen und Kinder in seelische Not zu treiben, weil der „Familiennachzug“
womöglich mehr Flüchtlinge nach Deutschland bringen könnte.
Seeßlens
Satz „man will nichts abgeben“ steht also für ein parteiübergreifendes
politisches Programm und das Empfinden der Mehrheit der Bürger gegenüber
verzweifelten Bürgerkriegsflüchtlingen.
Der Satz
„man will nichts abgeben“ gilt aber auch im kleinsten Maßstab, wie ich heute
der Hamburger Morgenpost entnehmen konnte.
Die Mopo
widmet sich der nunmehr alljährlichen Litanei über die vielen Bettler in der
Hamburger Innenstadt.
Wo
kommen die bloß alle her, ausgerechnet zu Weihnachten?
Die
Hamburger Morgenpost startete natürlich auch eine Straßenumfrage (das wirkt
authentisch und ist immer die billigste Art eine Zeitung zu füllen. Da schickt
man kurz den Azubi vor die Tür und muß keine Journalisten bezahlen).
Repräsentativ
sind diese O-Töne sicher nicht, aber es ist schon auffällig, daß die Jüngsten am wenigstens bereit sind,
einem Bedürftigen etwas zu spenden.
Eine aufgebrezelte
18-Jährige kann „echt nicht einsehen“ Bettlern etwas zu geben – für die gäbe es
ja schon genügend staatliche Hilfe.
Ist das
nicht nur „Masche“?
Organisieren
nicht Banden diese Bettlerinvasion?
Kommen
die nicht alle aus Osteuropa?
Jedes
Jahr dasselbe Gejammer.
Sie sitzen an fast
allen großen Einkaufsstraßen in der City: Bettler mit ihren Hunden. Neben den
süßen Vierbeinern haben sie auch Pappschilder dabei, mit denen sie um Spenden
für sich und ihre Tiere bittet. Auffällig: Auf allen Pappen steht derselbe
Satz! Ist der Hunde-Trick die neue Masche der Bettel-Touristen?
Vor zwei Jahren gab es
auffällig viele Bettler mit Krücken in Hamburg. Jetzt sind es die Männer mit
den Hunden. In anderen Städten bevölkern Musiker oder junge Mütter die
Fußgängerzonen.
„Das Prinzip der
Bettler aus Südosteuropa ist es, Aufmerksamkeit zu erregen und Mitleid auf sich zu ziehen“, erzählt ein
Streetworker der MOPO. Das Problem der organisierten Bettelei: „Sobald über die
Machenschaften berichtet wird, müssen sie sich ein neues Geschäftsmodell
überlegen.“
Und wenn
sie nicht zu Bettelbanden gehören, dann findet man eben die Ausrede „Alkoholismus“,
um nichts zu geben.
Warum
jemand ein paar Euro zustecken, wenn er sie ohnehin nur versäuft?
Homo
homini lupus.
Wie soll
man da nicht zum Misanthropen werden, wenn man in der steinreichen Stadt
Hamburg Teenager im Gucci-Dress selbstzufrieden in die Kamera grinsen sieht,
daß man nie einem Bettler etwas gebe.
„Man
will nichts abgeben.“
Es ist
doch völlig irrelevant woher die um Geld bittenden Obdachlosen kommen. Wer
den ganzen Tag in der Kälte am Jungfernstieg auf dem Boden sitzt und
bettelt, befindet sich offensichtlich in einer vergleichsweise sehr elenden
Situation.
In
Relation dazu habe es die schicken 18-Jährigen, die mit ihrem Café Latte durch
die Innenstadt spazieren verdammt gut.
Ich
würde eigentlich erwarten, daß es den Leuten wenigstens peinlich ist, wenn sie
der Mopo erzählen einem Obdachlosen
nie etwas zu geben.
Aber
nein, diese Gören tun das mit Verve und Überzeugung.
Und das Alkohol-Argument.
Kein Geld für Säufer, weil die saufen? Also hilft man ihnen, wenn man ihnen
lieber nichts gibt?
Wie
bequem.
Für
einen richtigen Alki auf der Straße ist der Beschaffungsdruck purer Stress. Und
nach jahrzehntelanger Obdachlosigkeit und Sucht und Krankheit nimmt das ohnehin
ein ganz böses Ende. Da hilft es nicht auch noch auf Entzug zu sein.
Deswegen
gebe ich richtig abgewrackten Typen manchmal auch einen Geldschein. Ich kann
ihm ohnehin nicht wirklich helfen, aber so leistet er sich ein paar Flaschen richtigen Schnaps für sich,
um sich abzuschießen; um 48 Stunden sein Elend zu vergessen.
Welcher
auf deutschen Edelmeilen zum Weihnachtseinkauf flanierende Bürger hat nicht
genug Geld, um auch mal zehn oder 20 Euro springen zu lassen?
„Man
will nichts abgeben.“
Aber
weil man das nicht gern zugibt, tut man so, als ob Obdachlose ohnehin mit
Geld vom Staat überschüttet würden und man selber auch nichts abzugeben hätte.
Genau,
die Deutschen gehen bekanntlich alle schon am Bettelstab, weil wir dauernd so
viel abgeben.
Letzte Woche
am Hamburger Jungfernstieg bemerkte ich schon die ersten Anzeichen. Die
Auslagen in den Geschäften alle leer, die Passanten wirkten verhungert und man
sieht am Neuen Wall auch nur noch Eselkarren stehen!
Cartier
verkauft nur noch Plastikschmuck und bei Armani hängen Jutesäcke statt Anzüge.
Nein,
wir können wirklich nichts abgeben.