Dienstag, 31. Dezember 2024

Schildbürgerstreiche in Hamburg

Während ich über vier Jahre mit dem Ausländeramt in Hamburger verhandelte, weil ich nach über einem halben Jahrhundert in Deutschland, als in Deutschland, von einer deutschen Mutter in eine deutsche Familie Geborener, einen roten Pass haben wollte, lief mein US-Pass ab. Verdammt, ich hatte gehofft, rechtzeitig den deutschen Pass zu bekommen, um mich nicht mehr mit den inzwischen aus Hamburg weggezogenen US-Konsulatsdiensten um einen neuen US-Pass und, noch viel schlimmer, um eine neue unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bei den deutschen Behörden bemühen zu müssen. Schließlich hatte das passenderweise bei der Behörde für Inneres UND SPORT angesiedelte Einbürgerungsamt, bereits jede erdenkliche Information und Dokumentation von mir erhalten. Der totale finanzielle und persönliche Striptease. Nicht, daß die Deutschen sich da einen neuen Landsmann in ihre Mitte holen, der jemals einen Cent Sozialleistungen bezogen hat, jemals einen Strafzettel bekam und nicht vollständig finanziell abgesichert ist.

Da war allerhand zu klären; beispielsweise die Hamburger Adresse meiner Mutter vor 75 Jahren! Es gilt immer noch alle einwanderungswilligen Migranten abzuwehren.

(…..) Meinen Antrag auf Einbürgerung stellte ich Anfang 2019. Alle geforderten Unterlagen konnte ich problemlos liefern. Ich wurde nie straffällig, habe nie Sozialleistungen bezogen, lebe ich gesicherten finanziellen Verhältnissen.  Allein, die Einbürgerungsbehörde arbeitet kaum an meinem Fall.
Die letzte Mitteilung vom Amt für Migration Hamburg erhielt ich am 04.10.2021. Um über meinen Einbürgerungsantrag „abschließend zu entscheiden“ müsse geklärt werden, wo meine Mutter am 01.01.1950 (sic!) wohnhaft gewesen wäre. (…)

(Tiefsitzende europäische Xenophobie Teil II, 30.11.2022)

Mein Bruder, in der gleichen staatsbürgerrechtlichen Situation, hatte sich damals das jahrelange Theater mit dem Einbürgerungsamt erspart, musste aber natürlich auch den US-Pass erneuern, sich regelmäßig um Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bemühen. 2022 lief es aber gut für ihn, da er einen systemrelevanten Beruf ausübt und für „die richtigen Ausländer“ inzwischen das „Hamburg Welcome Center for Professionals“ gegründet worden war. Dort bekam er schnell einen Termin, musste im Amt nicht warten und – ganz neu: Die Mitarbeiter waren extrem freundlich und angenehm! Ausgestattet mit den entsprechenden Papieren seines Arbeitgebers hatte er im Nu seine neue Aufenthaltsgenehmigung.

[….] Wir bieten Dienstleistungen im Bereich des Aufenthalts- und Melderechts an. Dazu gehören:

·        Erteilung, Verlängerung und Übertragung von Aufenthaltstiteln

·        An- und Ummeldung des Wohnsitzes

·        Entgegennahme von Verpflichtungserklärungen nach § 68 Aufenthaltsgesetz

·        Beantragung von Führungszeugnissen  [….]

(HWC)

Unglücklicherweise bin ich systemisch irrelevant, so daß mir dieser Weg nicht offenstand. Schließlich rettete mich das neue Recht auf „Staatsbürgerschaft per Erklärung“, so daß mein Einbürgerungsverfahren nach Jahren doch noch abgekürzt wurde.

Anderenfalls würden sie vermutlich immer noch prüfen und daran knobeln, wie die Schuhgröße meiner Ururoma aus Ostfriesland war, oder nach dem Grundschulzeugnis Ururururgroßvater Wilhelm fahnden.

Immerhin bin ich nun ein erledigter Fall. Ich muss nie wieder in eigener Angelegenheit ins Auslandsamt; zumindest nicht, bis mir eine CDU-AfD-Koalition den deutschen Pass wieder entzieht.

Ich wüßte aber gern, was wohl mit den Bergen von Papieren geschehen ist, die bei meiner Einbürgerung auf dem Tisch lagen. Informationen, die ich von anderen Ämtern – beispielsweise Polizei, Finanzamt und dem Grundbuchamt - mühsam über Jahre zusammengetragen, kopiert und beglaubigen lassen hatte. Informationen, die zwar „der Stadt“ alle bereits vorlagen, aber da die Behörden untereinander in dieser Steinzeitnation nicht vernetzt sind, musste ich sie, wie bei dem Gigathema Grundsteuerbescheid, ausgedruckt bei einer weiteren Behörde einreichen. Die Ausländerbehörde ist ebenfalls noch nicht digitalisiert. Die neugeschaffene Abteilung für die Fälle der Staatsbürgerschaft per Erklärung ist Empfängerin der Aktenberge – (in meinem Fall etwa ein großer Schuhkarton voll), hat aber keine Lagerräume, so daß die freundliche städtische Angestellte mein Leben, inklusive aller Zeugnisse seit der ersten Klasse, einfach auf und unter ihrem Schreibtisch stapelte.

Man kann Einwanderungs- und arbeitswilligen Fachkräften nur wünschen, so wichtig zu sein, direkt an das wesentlich besser organisierte „Welcome Center“ geschickt zu werden.

Dachte ich zumindest.

Aber das Welcome Center, das extra für die DRINGEND BENÖTIGTEN FACHKRÄFTE da ist, funktioniert auch nicht mehr. Man muss mindestens ein halbes Jahr warten bis Emails beantwortet werden, weil auch da DRINGEND FACHKRÄFTE BENÖTIGT werden. Aber der gesamte Bundestagswahlkampf dreht sich darum, wie wir Ausländer LOSWERDEN können und möglichst schnell möglichst viele abschieben!

Wir leben in Schilda!

[…]  Monatelange Wartezeiten im Hamburg Welcome Center

In einer Hamburger Behörde für ausländische Fachkräfte gibt es lange Wartezeiten. Im Durchschnitt warten Ausländerinnen und Ausländer 144 Tage auf einen Termin im Hamburg Welcome Center zur erstmaligen Beantragung eines Aufenthaltstitels oder zur Verlängerung des Titels, wie der Senat nach einer Anfrage der Fraktion der Linken mitteilte. In der für die Aufenthaltstitel zuständigen Abteilung seien derzeit rund 8.100 E-Mails unbearbeitet. Erfahrungsgemäß sei jedoch ein Teil der Anfragen bereits erledigt, teilte der Senat mit. Die Linke fordert den Senat auf, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Welcome Center einzustellen. [….]

(NDR, 31.12.2024)

Wir kennen das schon aus anderen Bundesländern – dringend benötigte Fachkräfte, die deutsch gelernt haben, hochqualifiziert sind und feste Arbeitsverträge in Krankenhäusern oder Pflegeheimen haben, werden trotz aller verzweifelten Bemühungen ihrer Arbeitgeber, wieder aus Deutschland vergrault, weil die Länder schlicht unfähig sind, die Bürokratie zu bewältigen. Selbst das reiche Stuttgart bringt Fachkräfte zum Heulen und resigniert dazu die Flucht aus Deutschland zu ergreifen.

(…..) Christiane Krämer, die Leiterin des  Seniorenzentrums Martha-Maria in Stuttgart kriegt alle Krisen. Sie schämt sich öffentlich für ihr Land und ihre Stadt, weil alle zwei Wochen eine Fachkraft aufhöre zu arbeiten, nur weil die Ausländerbehörde nicht hinterherkommt, die richtigen Fiktionsbescheinigungen zu erteilen und somit den Aufenthaltsgenehmigung erlischt.

[…..]  Im Seniorenzentrum Martha-Maria arbeiten 170 Pflegerinnen und Pfleger, rund 60 Prozent kommen aus Drittstaaten, aus Madagaskar, aus Syrien, aus Thailand. "Wir brauchen diese Leute dingend", sagt Krämer. Und am Ende sei es doch so: Wenn weniger Pflegekräfte arbeiten dürfen, müssen die verbliebenen mehr leisten. Das bedeutet: mehr Stress, mehr Krankheitsfälle, mehr Burn-outs. Die ganze Situation sei, vorsichtig formuliert, nicht gerade Werbung für den Standort Deutschland. Das werde sich herumsprechen. "Wir müssen um jede gute Fachkraft kämpfen, wir holen sie ins Land - und dann behandeln wir sie so."  […..]

(Max Ferstl, 27.07.2023)

Die Stuttgarter Ausländerbehörde ist telefonisch und per Email nicht zu erreichen. In ihrer Not stellen sich ausgebildete Pfleger, die fest in einem Stuttgarter Pflegeheim angestellt sind, immer wieder im Morgengrauen mit einem Klappstuhl vor die Ausländerbehörde, warten viele Stunden, nur mit der vagen Hoffnung, überhaupt eine der begehrten Wartenummern zu ergattern.

[…..] [Der aus Madagaskar stammende, ausgebildete und fest angestellte Pfleger] Edmond weiß inzwischen ziemlich genau, wie es in der Schlange so läuft. Erst wartet man stundenlang, Profis erkennt man an den Klappstühlen. Wenn er es bis zum Türsteher schafft, weist ihn dieser mit dem freundlichen Hinweis ab, dass er für die Änderung des Arbeitgebers und seines Status einen Termin braucht. Nur: Wenn er in der Ausländerbehörde anruft, um einen Termin zu vereinbaren wie auf der Internetseite gefordert, hebt keiner ab. Wenn er eine E-Mail schreibt, bekommt er keine Antwort. "Was soll ich tun?", fragt er, und wie er so in der Schlange steht und von seinen Versuchen erzählt, mit den deutschen Behörden in Kontakt zu treten, die Tür zum Ausländeramt im Blick, muss man kurz an Kafkas Schloss denken. Das Ziel so nah, und doch unerreichbar.

Der Sprecher der Stadt schreibt: "Die Darstellungen treffen zu. Leider."

Edmond sagt, dass er gerne wüsste, wie sich die Stadt das vorstellt. Wie soll er ohne Gehalt seine Miete bezahlen, 1200 Euro für sich und seine Frau? Wovon sollen sie leben? […..]

(Max Ferstl, 27.07.2023)

Ich kann und will keine Erklärungen mehr dafür finden, weswegen in einem so reichen Land wie Deutschland und ausdrücklich in so einer besonders reichen Gegend, wie Stuttgart, diese extreme politische Unfähigkeit grassiert. Als ob der Notstand in der Pflege ein neues Problem wäre!  (….)
(Stuttgart, 27.07.2023)

Der hausgemachte Fachkräftemangel ist einer der Hauptgründe für die deutsche Wirtschaftsschrumpfung und es wird weiter rapide bergab gehen, wenn erst die xenophobe Linnemann-Spahn-Merz-CDU den Ton vorgibt. Dann ist es endgültig vorbei mit jeder Willkommenskultur.

(…..)  Es ist müßig, Branchen aufzuzählen, die unter massiven Fachkräftemangel leiden. Welche Firma hat denn keine Personalprobleme? Seit Jahren diagnostizieren Ökonomen aller Couleur landauf landab eine enorme Wirtschaftsbremse, weil es in allen Unternehmen an Personal fehlt. Restaurants schließen früher, Geschäfte halbieren ihre Öffnungszeiten, Auslandsämter stehen mit Myriaden Emails in Rückstand, können keine Bescheide erteilen, Hinterbliebene warten Jahre auf Testamentseröffnungen, weil die Amtsgerichte personell verwaist sind. Hotels können kein Essen anbieten. Überall müssen die Kapazitäten künstlich gedrosselt werden.

Der einzige Ausweg ist massive Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt. Wir brauchen netto eine halbe Millionen mehr Menschen im Jahr in Deutschland.

Das sind 1,5 Millionen Einwanderer nach Deutschland brutto jedes Jahr, erklärt die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. (….)

(Hausgemachte Problemverschärfung, 09.11.2023)

Mit der deutschen Xenophobie schießen wir uns selbst ins ökonomische Aus.

Montag, 30. Dezember 2024

Antisemitismus, Kirchismus und Konservatismus

Das ist alles nicht so verwunderlich – die C-Parteien gingen nach 1945 aus NSDAP und den klerikalen, sowie konservativen Parteien hervor, die Hitler ins Amt gebracht hatten. Nur die SPD stimmte im Reichstag gegen das „Ermächtigungsgesetz“. Die Kommunisten waren schon verboten, Merzens Vorgänger hoben für Hitler ihre Hand. NSDAP-Größen, wie Hans Globke oder Theodor Oberländer wurden wieder groß unter dem CDU-Vorsitzenden und Kanzler Adenauer. Das NSDAP-Mitglied Kurt-Georg Kiesinger wurde CDU-Vorsitzender und CDU-Bundeskanzler. Das NSDAP-Mitglied Franz Josef Strauß hing als Poster über dem Bett des Teenies Markus Söder und steht nun als Büste in seiner Staatskanzlei.

Selbstverständlich lebt das Gedankengut also in den C-Parteien weiter, obschon sie auch echte Nazi-Gegner zu sich holten.

Aber es gibt zahllose Beispiele -  Steinbach, Jenninger, Hohmann, Czaja, Hüppe – echter Revanchisten, die mit drastischem Antisemitismus auffielen und große Karrieren in der CDU machten.

Auch in der Merz-CDU mangelt es ganz offensichtlich am Willen, sich von den antisemitischen Kräften in der Partei zu trennen.

(….) Aber die CDU fungiert ebenfalls als Resonanzkörper für sekundären Antisemitismus, während ihr Chef gleichzeitig mehr Waffenexporte an Netanyahu verlangt.
Antisemitische Töne kommen insbesondere aus der Ostdeutschen CDU, beispielsweise vom 2021er Bundestagskandidaten Maaßen, der offen Judenhass in seine Aussagen einbaute. Dieser Antisemitismus wurde vom seinerzeitigen Parteichef Laschet demonstrativ toleriert.

Die Kohl- und Merkel-CDU war zumindest noch beschämt und pikiert, wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland Antisemitismus anprangerte.

Die CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Jenninger oder Martin Hohmann verloren nach antisemitisch zu verstehenden Äußerungen ihr Amt, bzw die Parteimitgliedschaft. Der faschistoide Hohmann sitzt seit 2017 daher für die AfD im Bundestag. Immerhin gab die CDU also einen Sitz ab, weil sie keine offensichtlichen Rechtsradikalen unter sich haben wollte.

Diese Nazi-Intoleranz ist aber offenbar kein CDU-Parteikonsens mehr. Annegret Kramp-Karrenbauer scheiterte daran, ihre ostdeutschen Landtagsabgeordneten von der extremistischen Höcke-AfD zu lösen. Ihr Nachfolger Laschet versucht es gar nicht erst, akzeptiert Verschwörungstheoretiker und Antisemiten in seiner Partei. Besorgte bis entsetzte Warnungen des Zentralrates der Juden, ignoriert der erzkatholische Opus-Dei-Freund.

(…..)  Natürlich ist es absolut nicht tabuisiert, israelische Politik oder Politiker zu kritisieren.   Antisemitismus sollte aber ein TABU sein. Inmitten all der von Populisten gezündeten Fake-Tabu-Nebelkerzen, fällt es aber zunehmend schwer sauber zu trennen.  Natürlich bedient der CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen immer wieder bewußt antisemitische Klischees.   Das ist in den letzten Wochen so gründlich von seriösen Recherche-Teams und Medien wie dem SPIEGEL nachgewiesen worden, daß ich das Fass nicht erneut aufmache.

Maaßen ist Antisemit.  Von einem antisemitischen Kandidaten sollte sich die CDU als größte Regierungspartei verabschieden.   Aber auch die Laschet-CDU versagt in dieser Hinsicht, genau wie auch schon die AKK-CDU zum Entsetzen des Zentralrates der Juden mit Antisemitismus flirtete, ohne diese zu verdammen.  Armin Laschet persönlich verteidigt sogar den antisemitischen Rechtsaußen Maaßen. Er will keinen Antisemitismus wahrgenommen haben.  Und das in einer Krisensituation, in der antisemitische Übergriffe zunehmen. (….)

(Laschet-CDU auf Antisemitismus-Kurs, 18.05.2021)

Die selbst für AfD-Verhältnisse besonders völkische und extremistische Thüringer Landesgruppe unter ihrem „Führer Höcke“ erscheint der ebenfalls recht rechtsextremen „Werte-Union“ als passender Koalitionspartner.

Es gab nicht eine einzige Nein-Stimme aus der gesamten CDU-Landtagsfraktion in Thüringen, als sich der Faschist Höcke zum Ministerpräsidenten wählen lassen wollte.(….)

Immer weiter rücken Merz und Linnemann nach Rechtsaußen.

Wie total geschichtsvergessen und erbärmlich die Christdemokraten dabei agieren, zeigt sich nicht etwa nur in der Provinz, sondern gegenwärtig auch mitten in der Hauptstadt.

[….] Was hat sich die CDU dabei nur gedacht? [….] Seit Jahren gibt es in Steglitz Streit um die Umbenennung der Treitschkestraße (erhielt ihren Namen 1906). Sie wurde bereits im September 2022 vom Bezirksparlament beschlossen, bislang aber nicht umgesetzt.

In einem Schreiben an die Anwohner (versandt eine Woche vor Heiligabend) macht die Steglitzer CDU-Abgeordnete Claudia Wein (66) noch einmal unmissverständlich klar, dass die Union die Umbenennung ablehnt.

[….] Treitschke bezeichnet sie lediglich als „einflussreichen Historiker und Publizist des 19. Jahrhunderts“. Dann wird die Verharmlosung noch schlimmer: „Auch wenn seine Ansichten und seine Rolle in der Geschichte umstritten sind, stellt die Benennung dieser Straße ein historisches Dokument dar.“

Treitschke schrieb 1879 einen Aufsatz unter dem Motto „Unsere Ansichten“ voller antijüdischer Aussagen. In dem Text fällt auch der berüchtigte Satz: „Die Juden sind unser Unglück“. Der wurde später zur Parole des Nazi-Hetzblattes „Der Stürmer“.  [….]

(BZ, 30.12.2024)

Das Vorgehen der Hauptstadt-CDU fällt in eine Zeit, in der antisemitische Übergriffe einen neuen Höchststand erreicht haben. Allein in der ersten Jahreshälfte 2024 kam es in Berlin zu 1.383 antisemitischen Vorfällen und die CDU setzt sich für den Verfasser der Parole „Juden sind unser Unglück“ ein.

[….] Das muss man sich erstmal trauen: Die CDU Steglitz verschickt Briefe an die Anwohner der vor einer Umbenennung stehenden „Treitschkestraße“, in dem sie den Antisemiten Heinrich von Treitschke verharmlost. Verfasserin ist ausgerechnet Claudia Wein, die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

In ihrem Brief behauptet Wein, Treitschkes „Ansichten“ und seine „Rolle in der Geschichte“ seien „umstritten“. Diese Behauptung ist eine ziemliche Frechheit.

Tatsächlich ist sich die Wissenschaft längst einig, dass Heinrich von Treitschke glühender Antisemit sowie Rassist war und entscheidend daran mitwirkte, den Judenhass im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts salonfähig zu machen. Diese Tatsachen können auch gar nicht bestritten werden. Zu eindeutig und zahlreich sind seine belegten antisemitischen Äußerungen und Forderungen. [….] Die CDU Steglitz weiß sehr genau um die Taten von Treitschkes, denn die Frage der Straßenumbenennung wird seit Jahrzehnten im Bezirk verhandelt. Claudia Wein saß für die CDU im dortigen Kulturausschuss, als über das Thema gesprochen wurde. [….] Der Judenhass von Heinrich von Treitschke war so massiv und offenkundig, dass sich schon zu seinen Lebzeiten etliche Kollegen von ihm distanzierten. Antisemitismus hielt der Mann für eine „natürliche Reaktion des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element“. Er klagte über den “Juden, der seine Nachbarn wuchernd auskauft” sowie über das „unbillige Übergewicht des Judentums in der Tagespresse“. [….] Von Treitschke unterstellte den Juden „Terrorismus einer rührigen Minderzahl“ und attackierte besonders die „Ostjuden“. Er behauptete: „Über unsere Ostgrenze (…) dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen.“ [….] Christhard Hoffmann fasst es zusammen: „Mehr als jeder andere hat Treitschke denn auch dazu beigetragen, die antisemitische Ideologie in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen und mit seiner ,wissenschaftlichen’ Reputation zu rechtfertigen.”

[….] Und das Bekenntnis „Gegen jeden Antisemitismus!“ bedeutet, Judenhass auch dann als solchen zu benennen, wenn der Täter kein Islamist ist, sondern Heinrich heißt.  [….]

(Tagesspiegel, 30.12.2024)

Man möchte Linnemann und Merz „SCHÄMT IHR EUCH DENN GAR NICHT?“ zurufen, aber das ist ein albern-emotionaler Impuls. Daß diese Leute keinerlei Schamgefühl bei der Verwendung faschistischen Gedankenguts haben, dürfte wohl inzwischen jedem klar sein. Der Urnenpöbel mag das scheinbar.

Sonntag, 29. Dezember 2024

Gerade noch rechtzeitig.

Seine beiden Amtsnachfolger Ronald Reagan (1911–2004) und George H. Bush (1924–2018) wurden ebenfalls sehr alt, starben aber lange vor ihm – dem ältesten Ex-US-Präsidenten aller Zeiten: James Earl „Jimmy“ Carter Jr. (* 1. Oktober 1924 in Plains, Georgia; † 29. Dezember 2024 ebenda).

Der sehr fromme, liberale und zutiefst bescheidene 39. Präsident der USA war ganz sicher sympathisch und in jeder charakterlichen Hinsicht das diametrale Gegenteil des 45. und 47. Potus. Er setzte auf friedliche Mittel, Ehrlichkeit und Konsens. Möglicherweise fehlte es ihm am Härte. Bekanntlich war der zeitgleich amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt gar kein Fan der Carter-Administration, weil er sich energischeres Handeln und weniger Zweifel aus Washington gewünscht hätte.

Weltweit sind die Redaktionen auf die Todesnachricht vorbereitet, wenn der einst mächtigste Mann der Welt 100 Jahre alt ist. Sie müssen die Nachrufe und Würdigungen nun nur aus den Schubladen holen; dem will ich jetzt angesichts der ultraaktuellen Todesnachricht nicht vorgreifen.

Aber der allgemeine Tenor dürfte klar sein und aus drei Bausteinen bestehen:

 1.) Über die Maßen sympathische Persönlichkeit mit Bilderbuchfamilie und Vorbild-Ehe.

2.) Schwache Präsidentschaft; nicht wiedergewählt.

3.) Bester Ex-Präsident.

Nun ja. Ob es wirklich so schlecht ist, wenn ein US-Präsident vier Jahre lang auf friedliche Mittel, Konsens, sozialen Ausgleich und Verhandlungen setzt? Carters Nachfolger Reagan gilt als größter US-Präsident seit dem Weltkrieg. Viele

halten ihn sogar für den besten US-Präsidenten aller Zeiten.  Er griff durch und wurde mit überwältigen Ergebnis wiedergewählt. Sein Erbe sind die Reaganomics, die bis heute den Zerfall der US-Infrastruktur, die Verarmung und Verdummung der unteren Einkommenshälfte der Amerikaner bedingen. Er führte den Trickle-Down-Wahnsinn ein, der die Superreichen grotesk superreicher werden ließ. Er grenzte aus – insbesondere Schwule und HIV-Positive. Vor allem aber, setzt Reagan auf das Militär, griff immer wieder andere Länder an, bombardierte, mordete und unterstützte massiv antikommunistische Militärdiktaturen, wie El Salvador, die Myriaden ihrer eigenen Bürger abschlachteten. Reagan ließ das US-Militär im Nicaragua auf Seiten der Contras mitmischen, griff Grenada an, ließ im Libanon, Libyen und dem Iran bombardieren, rüstete den Irak massiv auf und förderte den Iran-Irak-Krieg, der allein auf Seiten der von Reagan so gehassten Iraner, eine Millionen Tote verursachte.

Das ist also das, was die Amerikaner und Historiker als den besten Präsidenten ansehen, während Carter, der es zur Abwechslung mal mit friedlichen Mitteln und Mitgefühl versuchte, als „total gescheitert“ gilt.

Als internationaler Diplomat lief Carter aber, nach seinem Amtsausscheiden, zur Höchstform auf, wurde zum bedeutendsten Friedensaktivisten und schließlich 2002 für sein humanitäres Engagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

Anders als die meisten First Ladys, war seine Frau Rosalynn Carter (* 18. August 1927; † 19. November 2023), mit der er 77 Jahre lang verheiratet war, kein hübsches Modepüppchen, das politisch nichts zu melden hatte, sondern im besten Sinne intellektuell auf Augenhöhe. Er verehrte seine Rosalyn über alle Maßen und nahm sie politisch sehr ernst. Ich habe Jimmy Carter im letzten Jahr nicht persönlich sprechen können, mutmaße aber, daß ihm das Witwer-Dasein nicht gefiel. Seine Familie ließ mitteilen, das Erreichen seines 100. Geburtstages am 01.10.2024 sei ihm weniger wichtiger, aber er wolle unbedingt seine Stimme zur US-Wahl am 05.11.2024 abgeben und dazu beitragen, die erste Frau zur US-Präsidentin zu wählen. Er hielt tatsächlich lange genug durch, um Kamala Harris zu wählen, aber sein Wunsch, sie als Präsidentin gewählt zu sehen, erfüllte sich nicht.

Nicht Präsidentin Harris wird seine Grabrede halten. Stattdessen bricht am 20.01.2025 das absolute Grauen an.

Gerade noch rechtzeitig, bevor Trump als amtierender US-Präsident Einfluss auf die Beerdigung Carters nehmen könnte, reiste Carter heute ab.

Noch mal davon gekommen.

Die lebenden Ex-Präsidenten Clinton, Bush, Obama, sowie der noch amtierende Joe Biden, werden mit Sicherheit zu Carters Ehren erscheinen. Möge der Familie Carter erspart bleiben, daß auch die orange Pest erscheint. Die Hoffnung besteht immerhin, denn Trump kann es nicht ertragen, nicht selbst im Mittelpunkt zu stehen.

Samstag, 28. Dezember 2024

Deutscher Präfaschismus.

Schon seit Teenager-Zeiten beschäftigt mich die Frage, wie 1933-1945 möglich war.

Natürlich fängt man in der eigenen Familie an. Väterlicherseits gab es keine Erkenntnisse zu gewinnen, weil das alles Amerikaner sind, die auf Seiten der Alliierten gegen Hitlerdeutschland kämpften. Mein Opa mütterlicherseits war kurze Zeit im WK-I Soldat, daher Kriegsgegner und für WK-II zu alt. Opa starb fünf Jahre vor meiner Geburt. Aber meine Oma erzählte viel aus dem Alltag, so daß ich als Kind eine ausführlichen Eindruck des Grauens bekam. Sie gehörte nicht zu einer Opfer-Gruppe, viele Familienmitglieder überlebten. Aber zwei Söhne meiner Oma und ihr Bruder gingen „verloren“. Ein Onkel wurde 1944, am Tag seiner Ankunft, in Russland gefangen genommen, bevor er einen Schuss abgeben konnte, lebte bis mindestens 1955 und verschwand für immer. Sein ältester Bruder krepierte schon als Säugling am Ende des ersten Weltkrieges, weil keine Medikamente zu bekommen waren. Mein Großonkel war Funker in einem Flugzeug und wurde über Frankreich abgeschossen.

Meine Oma tat mir so furchtbar Leid, aber sie war, wie so viele Frauen ihrer Generation tough und hatte sich notgedrungen das Überleben antrainiert. Im hohen Alter, war es ihr ein Trost zu wissen, daß ihre beiden verlorenen Kinder und ihr Bruder, wenigstens nicht selbst morden mussten und umkamen, bevor sie womöglich gezwungen gewesen wären, einen anderen Menschen zu erschießen. Das war „Glück“. Leider war ich noch nicht einmal 14 Jahre alt, als meine Oma starb und somit war meine Augenzeugen-Verbindung abgerissen, bevor ich erwachsen wurde und die richtigen Fragen stellte. Meine Mutter war das Küken der Familie, hatte die Nazi-Zeit als Mädchen erlebt und war enorm an Zeitgeschichte interessiert. Sie konnte mir viel erklären, war aber eben nicht selbst erwachsen, bevor Hitler demokratisch an die Macht gewählt wurde. In den folgenden Jahrzehnten ging ich dieser Frage intensiv nach, las Regal-weise Bücher zu dem Thema, befragte jeden, der alt genug war. Die Antworten schienen widersprüchlich zu sein: Man konnte von den Verbrechen gar nichts wissen – man wußte genug, um zu wissen, daß man nicht mehr wissen wollte – man wußte durchaus, was sich tat – man wußte und stimmte auch zu, weil man beispielsweise von den „Arisierungen“ profitierte.

Das betrifft auch die Fragen, ob man während des Naziregimes Widerstand leisten konnte: „Nein, wer sich widersetzte, wurde erschossen“, lautet die eine Überzeugung. Andererseits gibt es Berichte (beispielsweise vom gut erforschten Hamburger Polizeibataillon 101) über diejenigen, die zu Juden-Massenerschießungen abkommandiert wurden. Einige ganz wenige weigerten sich mit Hinweis auf ihr Gewissen und wurde ohne irgendeine Strafe wieder von der Aufgabe freigestellt. Die allermeisten Polizisten weigerten sich aber nicht.

Also, was stimmt denn nun? Die Antwort ist: Alles. Es war eben kein homogenes Regime. Was der eine Nazi-Kommandeur durchgehen ließ, bestrafte sein Kollege im Nachbarort drakonisch.

Irmgard von zur Mühlen befragte 1995 Marion Gräfin Dönhoff (*1909) nach ihrer Flucht aus Ostpreußen und wollte wissen, wie stark dort der der Einfluss der Propaganda war. Was wußten die Leute?

[…..] Die Leute waren furchtbar aufgeregt und hatten keine Ahnung; das war das Merkwürdige. Also nicht nur die Opfer waren, wie auch die Täter waren vollkommen ahnungslos […..]   Ja, Also immer gab es natürlich politisch interessierte Leute, die wussten mindestens seit Stalingrad, dass der Krieg verloren ist und waren sehr skeptisch. Aber die breite Masse des Volkes, vor allem auf dem Lande hatte natürlich keine Ahnung. Die waren eingehüllt durch die Radiopropaganda und die Zeitung, wo alles bestens war. Also der Slogan der damals Umlauf hatte, war der Sieg ist eine Frage des Willens. Also wenn man das wirklich will dann siegt man immer und wenn man das nicht glaubte, war man eben eigentlich ein Verräter. Die Realität kam gar nicht an die Leute heran auf dem Lande. Die hörten eben ihren Rundfunk abends und manche lasen morgens das Blättchen, was da eben erschien und natürlich in allen dasselbe stand und immer hatte der Führer für alles gesorgt. Das was an Kraft fehlte um diese Illusion hin zur Realität werden zu lassen, das wurde durch Agitation ersetzt, durch Propaganda. Wenn man eben Jahre lang einer gewissen Propaganda unterliegt, dann kann man nicht mehr unterscheiden, was ist Realität und was ist von irgendwem zurecht gemacht. [….]

(Marion Dönhoff 1995)

Faszinierend, zur selben Zeit, am selben Ort, nehmen Menschen die Realität völlig anders wahr. Während Marion Dönhoff selbst schon vor 1933 klar erkannte, was Hitler will und später aktiv den ostpreußischen Widerstand gegen das Regime mitorganisierte, lebten mit ihr unter einem Dach erwachsene Leute, die gar nichts davon begriffen.

Bis vor ungefähr zehn, fünfzehn Jahren gruselte ich mich zwar, ob der Rechtsradikalen in Deutschland, verabscheute DVU und NPD, empörte mich über Franz Schönhuber und Jörg Haider und Jean Marie Le Pen. Aber ich hatte keine Angst vor einer Rückkehr des Faschismus in Deutschland. Denn anders als 1933, ging man nicht mehr ahnungslos mit der Gefahr um, sondern war gewarnt. Außerdem schien es dank Internet und freier Presse nicht mehr möglich, die Menschen durch rechtsradikale menschenfeindlichen Propaganda von der Realität zu entfernen und sie durch gezielte Massen-Agitation Unsinn glauben zu lassen. Schließlich war auch noch ein stabiler Parteienstaat da, dessen Vertreter von CDU oder FDP ich zwar gar nicht mochte, die sich aber im Zweifelsfall doch gegen Antisemitismus und Autokratie stellen würden.

Bedauerlicherweise hat sich mein Optimismus inzwischen vollständig zerschlagen.

Social Media und die entsprechenden Algorithmen schieben fast alle Wähler in Info-Blasen, die teilweise keinerlei Berührungspunkte mehr mit der Realität haben. Eine faschistische Partei liegt bundesweit bei 20% und konnte sich in einigen Bundesländern zur stärksten Kraft aufschwingen.

CSU, CDU und FDP halten eben nicht Stand, um die Demokratie zu verteidigen, sondern robben sich ungeniert an die Faschisten heran. Der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat übernimmt teilweise wörtlich AfD-Propaganda, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat. Offen wird mit Menschenhass geworben.

Wir sehen in den USA, wie die Medien – CNN zum Beispiel – vor Trump kriechen und insbesondere die Megareichen – Musk, Bezos, Zuckerberg – nicht widerständig, sondern willig nach Mar a Lago pilgern. Ja, sogar begeistert Millionen für Trumps Amtseinführung für die Sprengung von Verfassung, Demokratie und Pressefreiheit  spenden. Möglich wird es durch eine absolut groteske Medienkonzentration in der Hand einiger weniger Multimilliardäre, die auf ihren weltumspannenden Plattformen ungeniert rechtsradikale antidemokratische Propaganda betreiben.

Ein ähnliches Bild gibt der deutsche Döpfner-Konzern ab, der sich daran berauscht, die Regierung zu sprengen und nun sogar dem reichsten Mann des Planeten Platz einräumt, um für die verfassungsfeindliche faschistische AfD zu werben. 

Ein 400 bis 500 Milliarden schwerer Mann, der vom Chef der einst liberalen Ex-Regierungspartei FDP ohne jede Scham umworben wird.

[….] Wer wissen will, wie viel Macht Elon Musk auch in Deutschland hat, der kann das an diesem Wochenende beobachten. Vorgezogenes Fazit: Viel. In der aktuellen Ausgabe der Welt am Sonntag steht auf der Meinungsseite ein Gastbeitrag von Elon Musk. Eine starke Meinung zu Deutschland hat der Superunternehmer. Er schreibt, Deutschland taumle „am Rande des wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruchs“. Und wiederholt dann ausführlich, was er am 20. Dezember mit einem Satz auf seinem Kurznachrichtendienst X proklamiert hatte: „Nur die AfD kann Deutschland retten.“ Er attestiert der Partei politischen Realismus, eine vernünftige Energie- und Wirtschaftspolitik, den Willen zur Innovation, die Zukunftstauglichkeit, vor allem aber bestreitet er, dass die AfD eine rechtsradikale Partei sei.  […]

(Andrian Kreye, 28.12.2024)

Zu Trumps erster Amtszeit gab es schon gehässige Kommentare und Memes – wer sich wundere, wie der Faschismus 1933 gewinnen konnte, könne das nun in Echtzeit in den USA miterleben.

2024 kippt nun auch Deutschlands selbst zunehmend in den braunen Abgrund.

[….]  Der Tech-Milliardär, Polit-Hau-Drauf und Trump-Buddy Elon Musk sorgt nun auch für einen Eklat in der deutschen Medienlandschaft. Eva Marie Kogel, Chefin der Meinungsredaktion der Zeitung Welt, hat ihren Job hingeschmissen, nachdem das Blatt einen Text von Musk in der Sonntagsausgabe veröffentlicht hat. [….]  

Musks offensive Wahlwerbung für die AfD hatte laut dem Branchenportal medieninsider schon Tage vor der Veröffentlichung zu heftigen Debatten in der Redaktion geführt. Am Samstag verkündete Eva Marie Kogel, Meinungschefin der Welt: „Ich habe immer gerne das Meinungsressort von WELT und WAMS geleitet. Heute ist in der Welt am Sonntag ein Text von Elon Musk erschienen. Ich habe gestern nach Andruck meine Kündigung eingereicht“. Ihr Post erschien wohlgemerkt per Tweet bei X (vormals Twitter), dem Kurznachrichtendienst des Tech-Milliardärs. [….]  


Die auf X vorherrschende rechte Bubble kriegt sich jedoch gar nicht mehr ein. Annabel Schunke, einst selbst Welt-Kolumnistin, ereiferte sich: „Die Welt sollt solchen Journalistendarstellern, die ein Problem mit der Meinungsfreiheit hätten, keine Träne nachweinen.“ Kogel solle doch „bei der TAZ anheuern“.
[….]  

Und Julian Reichelt, Ex-Chef der Bild und heutige Leiter des extrem rechten Mediums Nius, twitterte: „Wenn man als Leiterin Meinung kündigt, weil man andere Meinungen nicht aushält, war man für den Job eher ungeeignet“.
[….]

Und was sagt Ulf Poschardt, bis Jahresende noch Chefredakteur der Welt und danach Herausgeber einer neuen Springer-„Premium“-Marke? Er ergötzt sich auf Twitter wie gewohnt in Sottisen, die vieles offen lassen: „Der größte Witz der Gegenwart: dass die Opportunisten im Rebellengewand durchs Leben laufen“. Wenig später legt er nach und repostet einen Tweet zum Musk-Text. […..]

(Gereon Asmuth, 28.12.2024)




 

Freitag, 27. Dezember 2024

Männer und Merz

Ich muss nun wirklich keine Frau sein, um nachzuvollziehen, daß Friedrich Merz wegen seiner chauvinistisch-misogynen Grundeinstellung absolut unwählbar ist und niemals ins Kanzleramt gelangen darf.

Ich muss aber auch kein Jude zu sein, um ganz sicher niemals einen Antisemiten zu wählen. Ich muss nicht schwul sein, um einem Homophoben meine Stimme zu verweigern. Ich muss nicht schwarz sein, um Rassisten zu verachten

Aber offenbar spielt für viele Menschen die Gruppenzugehörigkeit eine große Rolle, wie wir zuletzt am geschlechterspezifisch extrem unterschiedlichen Wahlverhalten der US-Amerikaner sahen. Daher bin ich der Initiative „Frauen gegen Merz“ ausgesprochen dankbar, explizit die Unwählbarkeit des CDU-Chefs aus weiblicher Perspektive zu betonen.

Es gibt auch Wähler, die Identitätsfragen ablehnen; sich stattdessen um die „harten Themen“ Wirtschaft und Geld sorgen.

Für solche Wähler ist es noch einfacher. Denn Fritze Merz versteht noch nicht einmal simpelste volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Er vertritt mit dem CDU-Wahlprogramm gleichermaßen abstruse, wie einander widersprechende Dinge, die niemals funktionieren werden: gewaltige Steuergeschenke an die Superreichen, Trickle Down, Schuldenbremse, Abwürgen der Nachfrage durch Bürgergeldstopp.


Tatsächlich ist der Merkel-Stillstand Schuld an der deutschen Wachstumsmisere. 16 Jahre CDU im Kanzleramt. Von dieser unsinnig-bräsigen schwäbische Hausfrau-Politik erholt sich keine Industrienation mehr.

Mit dem Ökonomie-Verständnis des Merz würde man Deutschland endgültig den Rest geben. Die klassischen Industriezweige KfZ und Maschinenbau, schwächeln, weil ihre Produkte zu schlecht und zu altbacken für den Weltmarkt werden. Deutschland lebt aber vom Exportüberschuss. Die Binnenkonjunktur wird ob der tumb-neoliberalen Politik immer mehr geschrumpft.

[….]  Die Chinesen [….] verfügen über einen Binnenmarkt mit 1,4 Milliarden Menschen. Ihre Unternehmen können also riesige Mengen direkt vor Ort absetzen – und entsprechend gigantische Werke bauen. Die Chinesen profitieren daher von enormen Skaleneffekten: Je mehr Stücke von einem Produkt hergestellt werden, desto günstiger wird die Ware. Die EU hat hingegen nur 449 Millionen Einwohner – und ist auch noch damit konfrontiert, dass der künftige US-Präsident Donald Trump mit Zollschranken droht. [….] Die Exportaussichten sind also trübe. Trotzdem wäre es übertrieben, in Existenzangst zu verfallen. Denn Deutschland verbucht immer noch Exportüberschüsse, führt also mehr Waren aus, als es importiert. Im ersten Halbjahr 2024 betrug dieses Plus 138,8 Milliarden Euro.

Die Exporte sind nicht verschwunden, schrumpfen aber leicht – was sich sofort bemerkbar macht, weil die gesamte deutsche Wirtschaft darauf ausgerichtet ist, dass die Ausfuhren ständig steigen. Die Binnenwirtschaft wurde vernachlässigt in der Hoffnung, Exporte würden alles richten.

Diese ignorante Attitüde hat einen Namen: Schuldenbremse. Bis heute verstehen FDP und Union nicht, warum Schulden gut sein sollen, wenn sie in Investitionen fließen. Dabei ist es schlicht: Investitionen lassen sich nur durch Kredite finanzieren. Müsste man immer erst sparen, bevor neue Maschinen angeschafft oder neue Produkte entwickelt werden, würde die Nachfrage einbrechen, weil ja gespart wird, sodass sich neue Maschinen gar nicht mehr rechnen.

Eigentlich einfach. Aber diese Zusammenhänge fallen nicht auf, jedenfalls nicht den selbst ernannten Wirtschaftsexperten in FDP und Union, weil es ja die Exportüberschüsse gibt, die die deutsche Wirtschaft am Laufen halten. Dieses Plus bedeutet letztlich, dass das Ausland jene Schulden aufnimmt, die Deutschland meidet. Ohne Kredite wäre es nämlich unmöglich, dass das Ausland ständig mehr in Deutschland einkauft, als wir umgekehrt erwerben. Denn woher sollten die anderen Länder das nötige Geld haben, wenn nicht durch Schulden?

Dieses seltsame Geschäftsmodell kommt nun langsam an sein Ende. Die Exporte schwächeln, und die deutschen Firmen verlieren den technologischen Anschluss. Der aktuelle Wahlkampf wäre eine gute Gelegenheit, um nach Lösungen zu suchen. Stichworte wären: Klimatechnologien, eine bessere Infrastruktur, Forschungsförderung. Diese Programme würden staatliches Geld kosten – doch FDP und Union wollen es lieber verschleudern, um die Wohlhabenden zu beglücken. [….]

(Ulrike Herrmann, 27.12.2024)

Wem Merzens abenteuerliches Ökonomieverständnis und seine vorsintflutlichen gesellschaftspolitischen Ansichten nicht ausreichen, um ihn nicht so wählen, der könnte sich immer noch davon abhalten lassen, daß Merz so ein rechtsradikales Arschloch ist.

[….] Wie sehr Merz gerade strategisch hilflos herumeiert, merkt man an dem Fall #Magdeburg. Da wollte er ja erst nicht die Rassistenkarte spielen, wie man intern hörte. So hatte Merz seine Mannen zur Zurückhaltung in der Kommentierung aufgerufen - wie auch: Der Täter war ja eben ein Sympathisant rechtsradikaler und rechtsextremer Weltbilder. Also genau da, wo #Merz selbst zu Hause ist bzw. gern drin fischt.

Ein paar Tage nach der #Amokfahrt fragt der Kanzlerkandidat der CDU jetzt in absolut gehässiger Wortwahl, wie man „solche Leute“ los werde. Es geht also nicht um innere Sicherheit, wie man meinen möchte - dann hätte man ja nach #Polizei, Haft oder ähnlichem gefragt. Nein, Merz rückt Migration in den Mittelpunkt. Abschiebung. Bei einem Täter, der als Arzt tätig war. Und den die Behörden im #CDU-regierten Sachsen-Anhalt bereits kannten, aber offenbar nicht tätig wurden; für Abschiebungen sind immer noch die Bundesländer zuständig. Mit anderen Worten: Merz fällt seinen eigenen CDU-Leuten in den Rücken.

Man schüttelt sich inzwischen vor der Widerwärtigkeit, mit der Merz an Tag eins nach den Weihnachtstagen den Auftakt in jene Phase des Wahlkampfes einläutet, die ich - bis zum 23.2. und darüber hinaus - als „#Wahlschlacht“ bezeichnen möchte. Diese Schlacht wird das Land nachhaltig zeichnen - und das nicht zum Guten. Meine Prognose: Merz, seine Mannen und Vorfeldorganisationen (MIT, INSM etc.) geraten völlig außer Kontrolle, werden sich an den niedersten Instinkten der Menschen bedienen - nur um Merz‘ Mission #Kanzleramt zu erfüllen. Ihm ist das Land egal.

Die CDU bereitet damit nicht nur ideologisch den Weg für die A*D; sie bereitet ihn auch faktisch: Wenn dann die CDU (mögen wir es alle noch verhindern) in die Regierung käme und dort dann zwischen „Kreise fressen“ und „Versagen vor der Übermacht der Probleme“ taumeln würde, würden die enttäuschten CDUler endgültig zur A*D wechseln. [….]

(Marc Raschke, 27.12.2024)

Die letzten verbliebenen anständigen CDU-Mitglieder wenden sich gruselnd ab und verlassen die reaktionäre Merz-Linnemann-Bande.

[….] Der ehemalige Hamburger CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Kai Voet van Vormizeele (62) ist mit einem Knall bei den Christdemokraten ausgetreten. In einem Schreiben rechnet er nun hart mit seiner ehemaligen Partei ab.

„Nach über 46 Jahren Mitgliedschaft in der Hamburger CDU habe ich mich jetzt zu diesem Schritt entschlossen”, schreibt van Vormizeele auf seiner Facebook-Seite. Von den politischen Leitzielen der liberalen Großstadt-CDU sei nicht mehr viel übrig geblieben, kritisiert er.

Die Hamburger Kandidaten für den Bundestag seien „nicht müde, das Geschäft der ultrakonservativen Kreise zu betreiben”. [….] CDU-Bundeschef Friedrich Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann wirft van Vormizeele vor, eher die „neoliberalen Thesen der FDP” zu vertreten. Dann kommt es noch dicker: Die CDU hasche nach „wohlfeiler öffentlicher Zustimmung”, ihre Verkehrspolitik sei „antiquiert” und sie würde versuchen, sich dem Wählerpotenzial der AfD „anzubiedern”. Die Forderung nach einer Abschaffung des Bürgergelds nennt er „Unkenntnis der Realität unseres Landes oder aber bewussten Populismus”.  [….]

(MoPo, 19.12.2024)

Wir haben nun also ökonomisches Irrlichtern, gesellschaftliche Vorstellungen aus dem Mittelalter und rechtsradikale Umtriebe. Falls das immer noch nicht ausreicht: Dazu kommen noch wissenschaftsantagonistische deftige Lügen zum Klimaschutz und abenteuerliche Phantasien zur Energiepolitik. Es ist abstrus, absurd und aberwitzig, was sich CDU, CSU und AFDP zur Kernkraft zusammenphantasieren.

Auch wegen dieser hanebüchenen Merz-Querschüsse fliehen anständige Mitglieder aus der Partei.

[….]  Heinrich Strößenreuther [….] gehört zu einer besonderen Spezies von Klimaaktivisten; er initiierte mit anderen den Berliner Fahrrad-Volksentscheid und war einer der Gründer von „German Zero“, einem Verein, in dem Expertinnen und Experten an Plänen und Vorgaben für eine klimaneutrale Zukunft arbeiten. Doch für die Gründung der Klima-Union ging Strößenreuther noch einen Schritt weiter: Er trat in die CDU ein. [….] Und aus der tritt er nun wieder aus. „2021 hatte ich den Eindruck, es lohnt sich, in der CDU für mehr Klimapolitik zu werben“, sagt Strößenreuther der Süddeutschen Zeitung. Tatsächlich aber sei es schon mit der Katastrophe im Ahrtal bergab gegangen. Dabei sei gerade das der Augenblick gewesen, mit dem Klimaschutz ernst zu machen. „Inzwischen kann ich die populistische Haltung, die Friedrich Merz und Markus Söder einnehmen, einfach nicht mehr ertragen“, sagt er. So plädiere die Union bei jeder Gelegenheit für  „Technologieoffenheit“, etwa mit Blick auf die Energiepolitik oder die hiesige Autoindustrie mit ihrem Verbrennungsmotor. Die Partei habe „in Größenordnungen“ nicht verstanden, wie sich globale Märkte veränderten, hin zu mehr Klimaschutz, sagt Strößenreuther. „Während der deutschen Wirtschaft die Felle davonschwimmen.

Von der Gründung 2021 bis Anfang 2022 war Strößenreuther selbst Vorsitzender der Klima-Union gewesen. Seinerzeit veranstaltete man noch Energiedialoge mit Friedrich Merz, im Wahlkampf 2021 war der Verein Teil des Klima-Teams von Kanzlerkandidat Armin Laschet. Der Plan schien aufzugehen. Bis heute ziert ein Foto von CSU-Chef Markus Söder die Rubrik „Unterstützer“ im Internet-Auftritt. Im Februar 2022 beerbte der CDU-Abgeordnete und Klimapolitiker Thomas Heilmann Strößenreuther an der Spitze, der Verein war damit endgültig in der Partei angekommen. Doch die Aufbruchstimmung rund ums Klima verebbte, nicht nur in der Union.

[….] Innerhalb der Union habe er mit seinen Botschaften kaum noch durchdringen können, sagt Strößenreuther. „Dann lieber Robert Habeck.“ [….] (SZ, 27.12.2024)

Nein, man kann die CDUCSU einfach nicht wählen, wenn man auch nur rudimentär bei Verstand ist!

Donnerstag, 26. Dezember 2024

Noch mehr nette Evangeliban in Hamburg

Toll, meine Lieblingspfäffin aus der Kirche nebenan, die mich pausenlos aus dem Schlaf bimmelt, ist so verzweifelt, daß sie heute Tiersegnungen anbietet. Mögen doch wenigstens die Einsamen mit ihren Haustieren kommen.

Da die örtliche Pfäffin wirklich besonders unerträglich ist, konnte ich mir einen hämischen, aber dennoch eher harmlosen, Kommentar zu ihrem Weihnachtsposting in meiner Stadtteilgruppe nicht verkneifen. Ihr offenbar einzig verbliebenes Gemeindemitglied, in diesem eher wohlhabenden Stadtteil, attestierte mir daraufhin (in ihrer für Christen so typischen unbeholfenen Rechtschreibung), offenbar „ein Zugereister aus dem Gruselland“ zu sein, während sie eine wahre Angehörige des Edelstadtteils sei.

Ich bin natürlich begeistert, wenn Christen so bereitwillig ihre Xenophobie und die Verachtung von Nächstenliebe bestätigen. Christen eben. Das sind die Leute, die mit überwältigender Mehrheit für den perfiden menschenhassenden Rassisten Trump stimmen.

Um aber das Bild aus Hamburg etwas abzurunden, nun ein Blick auf zwei Stadtteile am anderen Ende der Einkommensskala: Osdorf und Lurup.

Für diejenigen, die Hamburg nicht so gut kennen: Der Stadtteil Osdorf liegt im westlichen Bezirk Altona, etwas oberhalb der Nobelquartiere Blankenese und Nienstedten. Aber weiter vom Elbblick sinkt das Durchschnitteinkommen rapide. 

Vor rund 60 Jahren wurde der inzwischen berüchtigte „Osdorfer Born“ errichtet. Eine der künstlichen Plattenbausiedlungen aus der Zeit, in der alle heute bekannten sozialen und städtebaulichen Fehler auf einmal gemacht wurden. Auf einer Fläche von 0,7 km² leben 11.000 Menschen in bis zu 20-stöckigen deprimierenden Betonburgen zwischen Osdorf und Lurup.

[….] Das Fördergebiet ist ein multidiverses Quartier mit rund 12.500 Einwohnern. Besonders auffallend ist der überdurchschnittlich hohe Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. 53,6% der Bewohnerschaft haben ausländische Wurzeln. Mit jeweils 25% bilden Migranten aus dem türkischsprachigem Raum und der ehemaligen Sowjetunion die größten Migrantengruppen. Die drittgrößte Gruppe wird durch Bewohner mit polnischen Wurzeln vertreten (9,6%).  Die Altersstruktur wird von zwei Altersgruppen dominiert. Einerseits ist es ein sehr junges Gebiet. Knapp 2.750 Bewohner/innen sind unter 18 Jahre alt (22%). Hiervon haben 71,7% einen Migrationshintergrund. Andererseits ist der Anteil über 64-Jährigen Migranten mit 20,8% überdurchschnittlich hoch (Bezirk Altona: 13,3 / Hamburg: 13,2%). Der Anteil an Menschen im Erwerbsalter liegt mit 58% im Vergleich zur Gesamtstadt Hamburg unter dem Durchschnitt. Der Anteil an 30- bis 40-Jährigen ist mit 12% gemessen an der Gebietsbewohnerschaft relativ gering. 12,8% der Bewohner im erwerbsfähigen Alter sind arbeitssuchend (Bezirk Altona: 5,9%). 29,2% beziehen SGB II Leistungen (Bezirk Altona: 9,5%).  [….]

(Lawaetz Stiftung)

Die Christen fassten dort 1972 Fuß und gründeten die Maria-Magdalena-Gemeinde.

Passend zum Baujahr handelt es sich um ein extra scheußliches Bauwerk mit schlechten Vibes. Der nach dem Brand von 1990 neu errichtete Glockenturm macht es nicht besser.

Dem Pastor gefallen die vielen Migranten dort gar nicht und so tickt er offenbar regelmäßig mit drastisch-xenophoben Sprüchen aus.

[….] Er soll Sinti als „Zigeunerpack“ beschimpft haben. Außerdem soll er Afrikanern empfohlen haben, nach Afrika zurückzukehren und „Bananen zu fressen“. Dass der Mann, dem diese rassistischen Beleidigungen vorgeworfen werden, Pastor einer evangelischen Gemeinde im Westen Hamburgs ist, macht die Sache doppelt skandalös.  [….]

(MoPo, 20.12.2024)

Dem ebenfalls in der Gemeinde engagierten Sinti-Verein und seinem Vorsitzenden Christian Rosenberg, bedeutete der Pfaff, er solle wegblieben mit seiner Steinzeitkultur. Ein bißchen unangenehm war das selbst der Evangelischen Nordkirche, die letztes Jahr den Pastor suspendierte und bei der Staatsanwaltschaft meldete.

[….]  Die evangelisch-lutherische Kirche in Norddeutschland hat Strafanzeige gegen einen ihrer eigenen Pastoren erstattet. Bis zur Klärung aller Vorwürfe werde der Pastor seine Amtsgeschäfte ruhen lassen, heißt es. Dieter Schulz, Pressesprecher der Nordkirche, bestätigte gegenüber der MOPO, dass gegen den betreffenden Seelsorger Rassismus-Vorwürfe erhoben werden. [….]

(Mopo, 23.05.2023)

In der chronisch unterbesetzten Hamburger Justiz dauert so eine Prüfung und da die Staatsanwaltschaft nach anderthalb Jahren immer noch prüft, dachte sich Bischöfin Fehrs‘ EKD, „scheiß drauf“; jetzt ist genug Gras über die Sache gewachsen. Und stellte den Rassisten wieder ein.

[….] Auf Antrag des Beschuldigten hat jetzt das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seine vorläufige Dienstenthebung in der Maria-Magdalena-Gemeinde ausgesetzt, wie die Nordkirche am Montag bestätigte. Der Sinti-Verein, der die Vorwürfe gegen den Pastor erhoben hatte, äußerte sich „entsetzt“ über die Entscheidung der EKD.

„Die Nordkirche hätte sich ein anderes Urteil gewünscht“, sie respektiere aber die Entscheidung der Disziplinarkammer des Kirchengerichtes der EKD, sagte der Sprecher der Nordkirche, Dieter Schulz, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er betonte, dass unabhängig von dieser Entscheidung das Disziplinarverfahren gegen den betroffenen Pastor fortgesetzt werde. Für den Fortgang des Verfahrens warte die Nordkirche auf das Ergebnis der Ermittlungen der staatlichen Strafverfolgungsbehörden. Bislang sei „kein Zeitrahmen für einen Abschluss der Ermittlungen“ bekannt, hieß es.

Dass der Geistliche wieder in seiner Gemeinde eingesetzt werden soll, bezeichnet der Sinti-Verein als „Hohn“. Es sei mehr als beschämend, dass sich eine Kirche, die für Nächstenliebe und Respekt gegenüber Menschen stehen soll, mit so einem Verhalten so widerspreche. Dabei habe sich die EKD „in vielen öffentlichen Statements immer dazu verpflichtet gerade auch für unsere Community da zu sein, wenn Antiziganismus betrieben wird“, teilte der Verein mit. Die EKD hat sich bislang nicht dazu geäußert.

„Gerade in der aktuellen Situation unserer Gesellschaft, in dem der Rechtspopulismus enorm zunimmt, setzt die EKD damit ein fürchterliches Signal“, hieß es vom Sinti-Verein. Er will gemeinsam mit der Community, EU-Politikern, anderen Vereinen und Verbänden gegen das Urteil der EKD vorgehen. „So etwas darf nicht umgesetzt werden“, hieß es.  [….]

(WELT, 16.12.2024)