Es ist die eine Frage jeder US-Talkshow, die auch nur entfernt mit Präsidentschaftswahlen zu tun hat: Ist er/sie in der Lage, sofortige qualifizierte Entscheidungen zu treffen, wenn er/sie nachts um drei Uhr geweckt wird?
Sie zielt auf die körperliche und mentale Fitness eines Kandidaten ab. Außerdem dreht sie sich um die Allgemeinbildung, weswegen US-Präsidentschaftskandidaten bei Debatten und TV-Hearings gern wie Schuljungen im schnellen Themenwechsel zu politischen Fragen rund um die Welt abgefragt werden.
Dahinter steht die Vorstellung der USA, als einziger Supermacht, als Global Cop, als God’s own country. Man ist die eine auserwählte Nation, besser als alle anderen und daher auch für alles zuständig. Der US-Präsident fungiert zudem als Oberbefehlshaber der mächtigsten Armee der Welt, hat ständig den berühmten Atomkoffer in Griffweite.
Da kann man sich nicht wie Belgien oder Guyana zurück lehnen, wenn es irgendwo auf dem Planeten kracht.
Die Amerikaner müssen diese Aspekte vor ihrer Wahlentscheidung bedenken.
Finden die Journalisten und politischen pundits.
Aber wie sollen Wähler solche Qualifikationen bewerten, wenn sie selbst viel zu dumm sind, um die Antworten beurteilen zu können?
Im Jahr 2000 wählen sie GWB statt Gore und 2016 Trump statt Clinton.
Sie zogen jeweils einen absoluten Vollidioten ohne Erfahrung und Bildung, einem Kandidaten vor, an dessen umfassender Qualifikation keinerlei Zweifel bestand. In beiden Fällen entwickelte es sich zu genau dem teuren und tödlichen Desaster für die Nation und die Welt, das man erwarten durfte.
Die Amtszeiten der letzten beiden republikanischen Präsidenten sind insofern vergleichbar, daß sowohl GWB, als auch Trump mental unterentwickelt und politisch borniert agierten. Beide sind zudem sadistisch veranlagt, begeisterten sich für Todesstrafe, Folter und das Einsperren von Menschen in Käfigen.
GWB stammt aber aus einer politischen Dynastie und zog mit jeder Menge republikanischen Fachleuten ins Weiße Haus. Er konnte durchaus früh ins Bett gehen und monatelang tatenlos auf seiner Farm in Texas chillen, weil das GOP-Establishment am Ruder saß. Als er von 9/11 vollkommen überrascht wurde, kniete er sich allerdings hinein. Arbeitete viel, macht das Thema „Krieg gegen den Terror“ zu seiner globalen Mission. Blöderweise waren seine Top-Leute allesamt fanatische Interventionisten ohne irgendeine Moral: Rumsfeld, Cheney, Rice. Daher wurden die Weichen völlig falsch gestellt, der Nahe Osten und Afghanistan entflammt, die schlimmste internationale Finanzkrise seit 70 Jahren angezettelt. Acht Jahre GWB endeten in so einem Desaster, daß ich wirklich davon überzeigt war, niemals einen schlechteren US-Präsidenten zu erleben.
Heute weiß ich es besser. Denn GWB erhielt wenigstens das System, agierte weitgehend verfassungstreu. Er übergab sein Amt höflich und vorschriftsmäßig an seinen Nachfolger. Er soll sich regelmäßig mit Bill Clinton austauschen und versteht sich ausgesprochen gut mit Michelle Obama.
Trump hingegen verachtet die US-Verfassung und sieht sich selbst als natürlichen Herrscher auf Lebenszeit, der weit über den Gesetzen schwebt.
Auch er stolperte ahnungslos ins Amt, aber das erwies sich angesichts seiner toxischen Persönlichkeit als Glück. Einerseits ist Trump stinkend faul, spielte meistens Golf und arbeitete nur etwa zwei Stunden pro Tag, wenn er überhaupt in Washington war. Die meiste Zeit verbrachte er mit Junkfood-fressen und TV glotzen. Zudem telefonierte er leidenschaftlich gern mit Speichelleckern, die ihn lobten.
Er war viel zu borniert, um zu begreifen, was er mit seiner Machtfülle anfangen könnte. Andererseits waren durch sein Desinteresse noch genügend Topberater mit Restverstand im Weißen Haus, die ihm seine abstrusesten Ideen ausreden konnten, wenn er wieder einmal mit Ketchup-Flaschen um sich werfend, wutentbrannt forderte, Hurrikans mit Atombomben aufzuhalten, Grönland zu kaufen oder Corona mit Injektionen von Bleichmittel und Glühbirnen-Zäpfchen zu bekämpfen.
Es spricht Bände, daß 40 von 44 republikanischen Trump-Ministern und Top-Beamten des Weißen Hauses erklären, dieser Irre dürfe nie mehr Präsident werden.
Die Mannschaft hinter dem Amtsinhaber bildet den entscheidenden Faktor. Die entsetzt von FOX- und CNN-Starmoderator Chris Wallace nach dem Biden-Desaster vom 27.06.2024 gestellte Frage lautete, wie verwirrt Biden wohl erst wäre, wenn er um drei Uhr nachts geweckt, ad hoc eine Krieg-oder-Frieden-Frage beantworten solle, wenn er schon nach einer Woche intensiver Vorbereitung so peinlich plappere?
Ich glaube, er hat Recht. Viele Amerikaner stellen sich diese Frage.
Ich glaube aber, er hat Unrecht mit der inhaltlichen Relevanz der Frage.
Denn das Weiße Haus ist kein Ort, an dem mit Einbruch der Dunkelheit alle schlafen gehen und alles vom einsamen Präsidenten abhängt.
Das heutige Weiße Haus verfügt über 132 Räume, in denen der Executive Office of the President of the United States (EOP) mit 28 Unterabteilungen ständig besetzt ist. Etwa 400 Menschen sind stets anwesend, die wiederum mit allen anderen US-Diensten, Behörden und Ministerien verbunden sind. Auch dort ist immer jemand im Dienst.
Auf der Gehaltsliste des Weißen Hauses stehen über 3.600 Namen in Vollbeschäftigung. Darunter über 100, die direkt im Haupthaus beschäftigt sind, um dem Präsidenten und seiner Familie das Leben zu erleichtern.
Es wird niemals vorkommen, daß jemand mit einem dramatischen Notfall nachts um drei im Weißen Haus anruft, dort ein einsamer schlaftrunkener Joe Biden rangeht und nicht weiß, was er tun soll.
Deswegen habe ich auch keinerlei Bedenken, ob der Handlungsfähigkeit eines möglicherweise senilen Präsidenten Biden in seiner zweiten Amtszeit.
Sollte er vollkommen dement und damit gefährlich werden, wirft ihn sein Kabinett nach dem Twenty-fifth (25. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten) raus. Solange es aber nur Aussetzer und Vergesslichkeit sind, mischt er sich eben weniger ein und lässt seine Mannschaft agieren, die durch die hervorragenden Wirtschaftsdaten und die Vielzahl umgesetzter Reformen in der ersten Amtszeit zeigten, wie fähig sie sind.
Für Trump ließe sich das nicht sagen. Im Gegenteil. Der Mann war nachhaltig frustriert, eben nicht von treu ergebenen Leibeigenen, wie ein absolutistischer Herrscher Verbrechen begehen zu können.
Daß sein Vizepräsident Pence am 06.01.2021 verfassungstreu handelte, hält Trump für Hochverrat, für den er gehängt werden müsse.
Die 40 Topmitarbeiter, die vom Januar 2017 bis Januar 2021 Trumps gefährlichen Wahnsinn partiell aufhielten, gäbe es bei einer zweiten Präsidentschaft nicht mehr.
Dafür steht das diabolisch-perfide Projekt 25, bei dem fanatische Trump-Jünger detailliert ausgearbeitet haben, wie die Reste der amerikanischen Demokratie und Verfassung geschliffen würden, Gegner ausgemerzt und eine totalitäre Hass-Herrschaft errichtet wird.
Deswegen darf Trump nie das Weiße Haus von innen wiedersehen.
Und deswegen spielt Bidens Alter und sein greises Agieren so eine große Rolle. Nicht, weil ich mir Sorgen mache, ob er eine zweite Amtszeit überhaupt schafft, sondern einzig und allein, weil er dadurch Urnengift wird und Trumps Wahlsieg erheblich wahrscheinlicher macht.
Biden mag es ungerecht finden und es ist ungerecht; aber es ist auch eine Tatsache: US-Medien kennen nur noch ein Thema: Seine Gebrechlichkeit.
[….] Trump kann lügen, wie und wo er will, die US-Medien haben nur noch ein Thema: die neuesten Versprecher von Joe Biden. [….] Donald wer? Manchmal kommt er gar nicht erst vor – weil Präsident Joe Biden in allen US-Medien in einer Weise in den Blickpunkt gerückt ist, die sich so vor Kurzem kaum jemand hätte vorstellen können. Seit seinem katastrophalen Auftritt in der Präsidentschaftsdebatte vor knapp zwei Wochen beim Sender CNN steht Biden inmitten eines medialen Gewitters, und ein Ende ist bis auf Weiteres nicht abzusehen. Auch wenn Biden inzwischen zum Angriff übergangen ist, seine Kritiker bei MSNBC aufforderte, doch gegen ihn zu kandidieren. Sein Auftritt bei der TV-Debatte war so missraten, dass bereits vor Ende der Live-Übertragung die Frage im öffentlichen Raum stand, ob der 81 Jahre alte Biden über die geistige Fitness verfügt, weiterhin einen Wahlkampf gegen Donald Trump zu betreiben. Und, fast noch wichtiger: Ob er nach den Wahlen im November im Falle eines zunehmend unwahrscheinlichen Wahlsieges in der Lage wäre, weitere vier Jahre als Commander-in-Chief den USA zu dienen.
Bei einem halbwegs normalen Verlauf der Debatte hätten die Zeitungen in den Tagen danach ausführliche Berichte ihrer Faktenchecker an prominenter Stelle veröffentlicht. Daniel Dale von CNN rückt bei solchen Gelegenheiten stets in den Fokus, ebenso Glenn Kessler von der Washington Post. Die New York Times hatte vor der Debatte angekündigt, gleich zwei Handvoll Faktenchecker anzusetzen. Deren Artikel wurden auch veröffentlicht, aber unter ferner liefen. Das bestimmende Thema war ein anderes.
Trump hatte wie immer das Blaue vom Himmel heruntergelogen und sämtliche Wolken dazu. Er erzählte Unsinn der Preisklasse, dass die Demokraten Babys auch nach der Geburt noch abtreiben beziehungsweise töten wollten. Einfacher war eine TV-Debatte selten zu gewinnen. [….] keine 24 Stunden nach Bidens Auftritt veröffentlichte die Times einen Text des Editorial Board, also einen namentlich nicht gekennzeichneten Artikel, der die Ansicht der Mehrheit der Meinungsredaktion des Blattes wiedergibt. Biden müsse zur Seite treten, hieß es darin. Unter normalen Umständen hätten sich ein, zwei Kolumnisten zu dem Thema geäußert. Dass sich nun das Editorial Board so schnell positionierte, war äußerst ungewöhnlich.
Weitere als liberal geltende Medien zogen nach. Im Magazin The New Yorker schrieb der sehr einflussreiche Chefredakteur David Remnick, Biden solle nicht noch einmal antreten. Im ebenfalls liberalen Magazin The Atlantic meldete sich gleich eine Handvoll Autorinnen und Autoren zu Wort, die alle in verschiedenen Worten das Gleiche sagten: It’s all over now, Joe. [….]
(Christian Zaschke, 09.07.2024)
Selbstverständlich ist Trumps Charakter, seine tiefsitzende Kriminalität viel gefährlicher für einen US-Präsidenten, als Bidens Tatterigkeit.
Allein, weder Biden, noch sein Wahlkampfteam sind in der Lage, das für die Demokraten so verheerende Narrativ zu ändern. Das ist brandgefährlich und zugleich erschreckend, wie wenig die Realität im engsten Biden-Kreis zur Kenntnis genommen wird.
Denn weltweit gibt es kein anderes Thema mehr.
[……] Es ist eine verrückte Welt, in der es Nachrichtenwert hat, dass der US-Präsident eine Rede ohne Fehler hält. Es ist die Welt, mit der sich das Verteidigungsbündnis Nato im Jahr ihres 75-jährigen Bestehens auseinandersetzen muss. Der 81-jährige Joe Biden zieht schwer angeschlagen in den Wahlkampf, die Wahrscheinlichkeit scheint einigermaßen hoch, dass sein 78-jähriger Gegner Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Der hat damit gedroht, die Nato zu demontieren und ihr derzeit wichtigstes Engagement, die Hilfe für die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland, einzustellen.
Nun hat es Joe Biden geschafft, mit einer fehlerfrei vorgetragenen Rede die Bedenkenträger zumindest für den Tag der Nato-Feier ein klein wenig zu beruhigen. Nüchtern berichtete der Vertreter der Hauptstadtkorrespondenten: „Er redete mit einer kräftigen Stimme, keine Stolperer, von einem Teleprompter.“ Eine der am besten gehaltenen Reden der jüngeren Vergangenheit sei es gewesen, hielt David Sanger von der New York Times fest, der Biden als Vertreter aller Print-Reporter während des ganzen Gipfeltags begleitete.
Jeder seiner Auftritte wird derzeit so genau beobachtet wie jener vom Dienstag im Mellon-Auditorium in Washington, wo vor 75 Jahren die Nato-Gründungsakte unterzeichnet worden war. Dort wirkte Biden wie ein anderer Mensch als jener, der vor eineinhalb Wochen in Atlanta in der TV-Debatte gegen Donald Trump mehrmals den Gesprächsfaden verloren hatte. [….]
Noch einmal: Bidens steifer Gang, seine Versprecher, seine eingefrorene Mimik spielen keine direkte Rolle für die NATO.
Die Gefahr ist aber, daß alle nur darauf achten und damit Trump umso wahrscheinlicher nächster US-Oberbefehlshaber wird.
Neun demokratische Kongressabgeordnete, ein demokratischer US-Senator, die 84-Jährige Nancy Pelosi und sogar George Clooney haben es erkannt; sie fordern Biden zum Rückzug auf.
Eine dramatische Entwicklung, denn indem sie sich so kurz vor der Wahl gegen den eigenen Kandidaten stellen, liefern sie in dem verzweifelten Versuch, ihr Land und ihre Partei zu retten, ausgerechnet Trumps Extremisten Munition. Genüßlich verbreiten diese, selbst Bidens eigene Leute glaubten nicht mehr an ihn.
Ein grausames Dilemma, denn es nicht zu wagen, indem man Trump nicht diese Munition liefert, könnte es noch schlimmer kommen, indem Biden bleibt und die Wahl verliert.
Es ist Joe Biden selbst, der durch seinen Starrsinn seine eigene Leute in diese schreckliche Lage bringt.
Ein unverzeihliches Verhalten.
[….] Zuerst sah es so aus, als könne sich der US-Präsident auf dem Nato-Gipfel vom Trubel um seine Kandidatur erholen. Dann ruft George Clooney ihn zum Rückzug auf, dasselbe tut erstmals ein demokratischer Senator [….] Dann setzte sich Nancy Pelosi ins Fernsehen, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses. In der Sendung „Morning Joe“ bei MSNBC, wo Biden noch am Montag versuchte, die Diskussionen über ihn zu beenden, sagte nun Pelosi sinngemäß, Biden solle sich das mit der Kandidatur noch einmal überlegen.
„Es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob er kandidiert“, sagte sie und fügte hinzu: „Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu treffen. Die Zeit wird knapp.“ Dabei hatte Biden genau das die vergangenen Tage immer wieder getan und gesagt, er werde nicht weichen und sich dem Duell mit Trump im November stellen. Vom Moderator darauf hingewiesen, wich Pelosi aus. Stattdessen schob sie nach: „Er wird geliebt, er wird respektiert, und die Menschen wollen, dass er diese Entscheidung trifft.“ Sie bat die Demokraten einzig, ihre Kritik nicht mehr öffentlich zu äußern, solange Joe Biden noch mit seinen Gästen am Nato-Gipfel beschäftigt sei.
Rückt Pelosi also vom Präsidenten ab? In einem Gespräch mit CBS News schob sie später nach, einige ihrer Worte seien fehlinterpretiert worden. Sie betonte, dass sie nie gesagt habe, Biden solle seine Entscheidung noch einmal überdenken. Ein Sprecher von Pelosi bekräftigte in einer Erklärung: „Pelosi unterstützt jede Entscheidung Präsident Bidens voll und ganz.“
[….] Für den US-Präsidenten steigt nun der Druck, am Donnerstag eine perfekte Pressekonferenz zum Ende des Nato-Gipfels abzuhalten. Den Fragen der Medien stellt er sich deutlich seltener als frühere Präsidenten, der Termin vom Donnerstag ist seine erste Solo-Pressekonferenz in diesem Jahr, einem Wahljahr.
Pelosi ist nicht die einzige Demokratin, die die Debatte um Bidens Kandidatur am Köcheln hält. Am Mittwoch rief Peter Welch als erster Senator den Präsidenten offiziell zum Rückzug auf. Der Vertreter des Bundesstaates Vermont schrieb in der Washington Post, Biden solle zum „Wohle des Landes“ darauf verzichten, noch einmal anzutreten.
[….] In einem großen Meinungstext in der New York Times ruft Schauspieler George Clooney den Präsidenten dazu auf, sich aus dem Rennen zurückzuziehen. Eine Schlacht, die Biden nicht gewinnen könne, sei der Kampf gegen die Zeit, schreibt er da. Erfolgsregisseur und Produzent Rob Reiner („Harry und Sally“) schloss sich Clooney an und schrieb: „Die Demokratie steht vor einer existenziellen Bedrohung. Wir brauchen jemand Jüngeren, der zurückschlägt. Joe Biden muss Platz machen.“
Stimmen aus Hollywood haben bei den Demokraten durchaus Gewicht – erst vor wenigen Wochen hatte Clooney gemeinsam mit anderen Stars wie Julia Roberts Spenden für Bidens Wahlkampf gesammelt. [….]
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