Samstag, 30. September 2023

Die Trollrealität

Sahra Sarrazins Angriffe auf die Grünen - „Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten Russland vom Zaun gebrochen“ – basiert zwar, ebenso wie die xenophobe Merz-Dental-Hetze, lediglich auf Lügen, fällt aber dennoch auf bemerkenswert fruchtbaren Boden, weil konservative Politiker, AfD, FW, Springer und das Heer der Internet-Verschwörungstheoretiker, große Teile des Wahlvolks in die faktenferne Fiktivwelt St. Blödistan gebombt haben.



Deutschland rutscht nicht in die Rezession und hat große Probleme mit der Umstellung auf erneuerbare Energien, weil der Wirtschaftsminister und Vizekanzler ein Grüner ist, sondern weil Habeck nun 16 Jahre konservative Fehlleistungen ausbaden muss.

Es waren CDU und CSU und FDP, die den unter der rotgrünen Schröder-Fischer-Regierung eingeschlagenen Weg zu Russland-unabhängiger sauberer Energie verließen, die Förderung für Windkraft und Solarenergie stoppten, den Leitungsausbau verhinderten und jede Nord/Süd-Stromtrasse blockierten.

Nun sitzen sie da, die Bayern, die in Form ihrer CSU-Ministerpräsidenten regelmäßig zum Putin-Arschküssen nach Moskau reisten, vollständig auf russisches Erdgas setzten.

In Norddeutschland wird mehr sauberer regenerativer Strom produziert, als man verbrauchen kann, aber er kommt nicht in Bayern an, weil genau die Parteien, die nun von zwei Dritteln der Bayern gewählt werden (CSU/AfD/FW), in der Energiepolitik alles falsch machen, das man nur falsch machen kann.

Dank der CSU/CDU-Blockade gibt es nun in Süddeutschland weder eigene Windräder, noch die Möglichkeit norddeutschen Windstrom in den Süden zu leiten.

Sahra Sarrazins und Söders Angriffe auf die Grünen verfangen deswegen bei den Wählern, weil die zu verblödet sind, um die Schuldigen an der Energiemisere richtig zuzuordnen.

Das sieht im Moment nicht schön aus für die Russland-Sanktionen, wenn man auf die generellen Wirtschaftsdaten guckt.

Bestätigt das nicht Sahra Sarrazins geätzte Aussage, die gegen Russland verhängten Sanktionen schadeten uns viel mehr als Russland?

1.)

[…..] Die deutsche Wirtschaft stagnierte im zweiten Quartal 2023, nach einem Rückgang des realen BIP um 0,1 Prozent im ersten Quartal. In beiden Quartalen war das Wachstum deutlich schwächer als zuvor erwartet. Die Reallohnverluste belasteten den privaten Konsum in der ersten Jahreshälfte 2023 weiter. Zusätzlich führte die schwache Dynamik der Auslandsnachfrage zu gedämpften Exporten. Der öffentliche Verbrauch ging im ersten Quartal zurück, was auf das schrittweise Auslaufen der COVID-19-bezogenen Ausgaben zurückzuführen ist. Im Gegensatz dazu stützte eine Erholung der Investitionen nach einem schwachen letzten Quartal 2022 das Wachstum.  Die Wirtschaft in Deutschland im Jahr 2023 nun voraussichtlich um 0,4 Prozent schrumpfen. Dies ist eine Abwärtskorrektur im Vergleich zu dem in der Frühjahrsprognose prognostizierten Wachstum von 0,2 Prozent. Ein schwaches Gesamtergebnis für den Konsum und ein Rückgang der Bauinvestitionen werden sich den Prognosen zufolge negativ auf das Wachstum auswirken, obwohl es durch einen Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen unterstützt wird. Während die schwache Auslandsnachfrage die Exporte drückt, dürften die Nettoexporte aufgrund der sinkenden Importe positiv zum Wachstum beitragen.  [….]

(EU Kommission, 11.09.2023)

2.)

[….] Vor mehr als 18 Monaten hat der Ukraine-Krieg begonnen. Je länger der Krieg dauert, desto mehr werden auch die Sanktionen gegen Russland angezogen. Statt das flächenmäßig größte Land der Erde damit in die Knie zu zwingen, zeigt sich tatsächlich offenbar eine andere Wirkung: Die russische Wirtschaft hat sich auf die veränderten Rahmenbedingungen eingestellt und befindet sich sogar auf einem Wachstumspfad. Währenddessen ist in Deutschland die Konjunktur eingebrochen, das Land in eine Rezession gerutscht. [….] Die Entwicklung der Russischen Föderation bietet dahingehend eine Art Kontrastprogramm: Nach Einschätzung von Finanzminister Anton Siluanow wächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2023 „deutlich stärker“ als zuletzt angenommen. In einem TV-Interview (via Interfax) in Russland habe der Ökonom erklärt: „Wir erwarten in diesem Jahr eine Erholung der Wirtschaft um 2,5 Prozent, vielleicht auch mehr.“   [….]

(FR, 31.08.2023)

Aber warum ist das so?

Das liegt beispielsweise daran, daß durch die katastrophale Politik der Merz-Söder-Parteien, die deutsche Energieversorgung Jahrzehnte zurückhängt und wir immer noch Putins Krieg direkt finanzieren, indem wir bei ihm einkaufen.

[…..] Europa ist der Kunde, den sich Putin wünscht

Im großen Stil importieren europäische Staaten Flüssigerdgas aus Russland, das unter anderem auch in Deutschland landet. […..] In Belgiens […..]  Zeebrügg e[…..] wird der Brennstoff gehandelt, gespeichert, verladen und weiter verschifft, und er fließt hinein in Europas Gasnetz, wo er am Ende in Heizkellern, Glasbrennereien und Kraftwerken verbrennt. Auch Deutschland bezieht Erdgas aus Belgien - also indirekt auch aus Russland. An wenigen Orten kann man den Widerspruch so gut erkennen, in dem sich Europa befindet: Eigentlich wollen die EU-Staaten Russland als Kriegstreiber schaden, beziehen aber wohlwollend teure LNG-Importe und nehmen hin, dass Russland auch mit diesem Geld seinen Krieg finanziert. […..] Heruntergekühlt auf bis zu minus 164 Grad Celsius gelangt das Flüssigerdgas über Orte wie Zeebrügge, Rotterdam oder Montoir-de-Bretagne in die EU. Während die Nord-Stream-Röhren gesprengt sind und auch durch die Sojus-Pipeline nichts mehr in Sachsen ankommt, strömt das Gas weiter durch die Ukraine und die Türkei in Länder wie Ungarn, die Slowakei und Österreich, wo man entweder nicht auf die Energie aus Sibirien verzichten will oder auf einen Mangel an Alternativen verweist. […..] Gut 50 Milliarden Euro haben europäische Firmen im ersten Kriegsjahr für Gasimporte nach Moskau überwiesen, etwa 20 Milliarden Euro werden es im zweiten sein, schätzen Experten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.  […..]

(SZ, 29.09.2023)

16 Jahre CDU im Kanzleramt bedeutete unter anderem auch, nur die Blöden und in Deutschland als völlig untauglich Erwiesenen, in die Top-Positionen nach Brüssel zu schicken: Oettinger und Von der Leyen.

Zukunftsnegierende CDU-Energie-Dinosaurier, die sich mit osteuropäischen faschistoiden Putin-Fans ins Bett legen. Die europafeindlichen Töne aus der CDUCSU-Bundestagsfraktion „Man spricht wieder deutsch in Brüssel“ und die katastrophale Austeritätspolitik des CDU-Finanzministers Schäuble haben die EU nachhaltig destabilisiert. Gemeinsames Vorgehen in Russland- und Migrationspolitik ist fast unmöglich.

Ganz anders als Brandt, Schmidt, Schröder und Fischer, spielten die intellektuell eher schlichten Kohl und Merkel international keine Rolle, wurden in den Hauptstädten der Welt nicht respektiert, brachten die Weltgemeinschaft in keiner Hinsicht voran. Undenkbar, daß die CDU-Ex-Kanzler als global geachtete Elder Statesmen internationale Impulse gäben, Lehrstühle und wichtige Positionen, wie das „interaction Council“ besetzten.

Prof. Spektor*, „einer der klügsten Köpfe Südamerikas“ klärt uns darüber auf, wie solidarisch der globale Süden nach 16 Jahren  Merkel noch mit deutschen Russland-Problemen umgeht.

[….] Die Länder hier tun auch gar nicht so, als wäre das anders. Sie sagen: So heuchlerisch wie der Westen ist, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als selbst heuchlerisch zu sein. Ich teile diese Ansicht nicht. Doch nach dem Beginn des Ukrainekriegs gab es in Europa große Empörung darüber, dass sich der Globale Süden nicht eindeutig auf die Seite der »good guys« schlug. Das Argument des Südens lautet: Die Welt ist nicht nur schwarz oder weiß. Wir verstehen, dass Putin eine Osterweiterung der Nato fürchtet. Wir verstehen, dass er der Ukraine den Beitritt zur Europäischen Union verwehren will. All das ist unmoralisch, aber wir verstehen das. […..] Dass Scholz herkam und das brasilianische Volk über das Grauen dieses verbrecherischen Krieges belehrte, provozierte hier Fragen: Was ist eigentlich die deutsche Politik im Jemenkonflikt? Was im Syrienkonflikt? Diese Reaktion mag zynisch sein, aber sie steht für die Forderung: Erzählt uns nicht, dass erst dieser europäische Krieg die Grundfesten der internationalen Ordnung zerstört. […..] Und wenn Sie sich in Brasília umhören, wird man ihnen sagen, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Russlands Verhalten und der Invasion eines Landes ohne die Zustimmung der Vereinten Nationen gibt. […..] Ermitteln wir denn gegen George W. Bush? Wollen wir ihn nach Den Haag bringen? Wir sind nun einmal im Reich des Zynismus. Es gibt in der internationalen Politik keinen einheitlichen moralischen Standard.  […..] Schon der »Krieg gegen den Terror« hat die Schwellenländer gelehrt, dass man in dieser Frage dem Beispiel Nordkoreas folgen sollte. Der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi beging so gesehen einen Fehler, als er 2003 sein Programm für Massenvernichtungswaffen aufgab. Wer das tut, wird bestraft. Wer wie Nordkorea daran festhält, wird belohnt und in Ruhe gelassen. Kann man es in einer Welt, in der selbst eine militärische Konfrontation zwischen den Großmächten denkbar wird, den Eliten in Südkorea verdenken, dass sie über den Bau eigener Atomwaffen nachdenken? […..]

(Spiegel-Interview, 26.08.2023)

Auf Deutschland und die EU kann man sich nicht verlassen. Das wissen Putin und die Welt.

Habecks Schuld ist das aber nicht.

*Der Politologe Matias Spektor, 46, ist in Argentinien geboren, hat in Brasília studiert, in Oxford promoviert und zuletzt an der US-Universität Princeton gelehrt. Er ist Gründer des Zentrums für Internationale Beziehungen an der Fundação Getúlio Vargas in São Paulo und forscht seit Jahren über das Verhältnis zwischen dem globalen Norden und Süden. Kürzlich hat er mit einem Aufsatz in der Zeitschrift »Foreign Affairs« Aufsehen erregt. Der Westen, schreibt er darin, verstehe nicht, warum sich die Länder des Südens nicht zwischen den großen Machtblöcken festlegen wollen.

Freitag, 29. September 2023

Außenpolitische Willkür.

Konservative Christen mögen keine Ausländer. Sie kennen keine Gastfreundschaft und können ihre generelle Ablehnung von Migranten wunderbar mit Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus verbinden.

Damit das nicht ganz so unsympathisch wirkt, engagieren sie sich gern bei „Kirchen in Not“ und beklagen die angebliche „Christenverfolgung“, die ihren frommen Glaubensbrüdern überall in der Welt drohe.

Migrantenschreck und Waffenlobbyist Volker Kauder ist so ein Beispiel eines besonders perfiden CDU-Rechtsaußen, der als Hecker&Koch-Exporthelfer das Elend in Krisengebieten erst richtig anstachelt, dann nationalistisch tönt  - „man spricht in Brüssel wieder deutsch!“ – und gleichzeitig tränenrührig um die verfolgten Christen in der Welt besorgt ist.

Wenn diese „verfolgten Christen“ zufällig wie die Ukrainer weiß und europäisch sind, kann Brüssel tatsächlich freundlich sein.

Die EU-Staaten beschlossen just eine Verlängerung der Sonderregelungen für vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine bis März 2025, mit denen sie, verglichen mit gewöhnlichen Migranten, mit gewöhnlichen Kriegsflüchtlingen, deutlich bessergestellt sind.

In zentralafrikanischen Staaten wie den beiden Kongos, Gabun, Äquatorialguinea, Angola oder Kamerun leben zwar auch weit überwiegend Christen, hauptsächlich Römisch-Katholische, und es herrscht auch Bürgerkrieg, aber die daher fliehenden christlichen Glaubensbrüder wollen die Kauders in Europa nicht, wie die Ukrainer, großzügig aufnehmen. Der Grund ist offensichtlich: Die Nächstenliebe und die Besorgnis für die verfolgten Christen weltweit, ist nur vorgeschobener Bullshit, um Rassismus zu tarnen. Kein noch so frommer islamophober Christenfreund aus der CDU, will verfolgte Christen aus dem Bürgerkrieg in Eritrea oder dem Sudan aufnehmen, weil sie eine viel zu dunkle Hautfarbe haben, um von Kauder gemocht zu werden.

An dieser Stelle ein Blick auf den Kaukasus-Staat Armenien, der mit knapp 30.000 Km2 ungefähr so groß ist wie Belgien, Albanien oder Brandenburg. Die knapp drei Millionen Armenier leben eingequetscht zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei. Nahezu alle Armenier, >96% sind Christen. Die christliche Identität der Armenier spielt eine überragende Rolle, weil Armenien im Jahr 301 (sic) das erste Land der Erde war, welches das Christentum zur Staatsreligion erhob und weil es heute fast völlig von islamischen Staaten umzingelt ist.

 In Deutschland interessiert sich fast niemand für die einst unter osmanischer Kontrolle stehende, ehemalige Sowjetrepublik. Man kennt nur aus Kreuzworträtseln die Hauptstadt Jerewan und weiß von dem türkischen Völkermord, dem Armenozid von 1915/1916, an rund einer Million Armeniern, weil sich Recep Tayyip Erdoğan ganz fürchterlich aufregt, wenn jemand den Völkermord „Völkermord“ nennt.

Gerade fliehen 50.000 bis 100.000 in der Enklave Bergkarabach lebende Armenier, nachdem das zu 90% von Muslimen bevölkerte Aserbaidschan handstreichartig die von Armeniern bewohnte Gebiete eroberte.

[….] Flucht aus Bergkarabach - für immer [….] Zehntausende Armenier auf der Flucht aus Bergkarabach - im Grenzort Goris bekommen sie erste Unterstützung. Sie sind gezeichnet von der überstürzten und mühseligen Fahrt. Nun muss eine langfristige Lösung für sie gefunden werden.

Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht erreichen Menschen aus Bergkarabach den zentralen Platz in der Kleinstadt Goris unweit der Grenze zu Aserbaidschan. Sie haben 30 bis 40 Stunden Fahrt durch den Latschin-Korridor hinter sich, der die Enklave mit Armenien verbindet. Aus ihren Häusern und Wohnungen konnten sie nur mitnehmen, was in Kofferräume und auf Autodächer oder in die Transportfächer von Bussen passt.   Einiges wird auf Lastwagen, Baggern und Traktoren transportiert, die die Armenier vor den aserbaidschanischen Truppen retten wollten. Seitdem diese am 19. September nach Bergkarabach vorgedrungen waren, war den meisten klar, dass sie ihre Heimat wohl für immer verlassen müssen. Mehr als 70.000 sind bereits angekommen.

Noch benommen von der Fahrt steigen Frauen, Kinder, Alte von Lkw-Ladeflächen herunter, Freiwillige in rot-blauen Westen helfen ihnen, bieten ihnen Wasser an. Andere kommen in Pkw an, bepackt mit Koffern, Decken, Kissen, Haushaltsgegenständen und Spielzeug, das ihre Besitzer gerade noch mitnehmen konnten. [….] Die selbsternannte Republik Bergkarabach, aus der die Armenier geflüchtet sind, hat praktisch aufgehört zu existieren, auch wenn sie nach Ankündigung der Führung der Enklave formell erst im neuen Jahr aufgelöst werden soll.  […..]

(Tagesschau, 29.09.2023)

Was da gerade im Südkaukasus passiert, ist tatsächlich so eine Art „Christenverfolgung“. Ein Fall von „Kirche in Not“, denn die die Armenische Apostolische Staatskirche wird aus Bergkarabach verschwinden.

Wann, wenn nicht jetzt, sollten also die deutschen Bischöfe und die Politiker der Partei mit dem „C im Namen“ „Christenverfolgung! Kirche in Not!“ schreien und großzügig die Aufnahme der fliehenden armenischen Christen anbieten?

Deutschland wäre dazu in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, den Armeniern beizustehen, da der große Verbündete und Ermöglicher des türkischen Armenozids das deutsche Kaiserreich war, welches vor gut hundert Jahren schon ungerührt zusah, als osmanische Muslime eine Million armenische Christen abschlachteten.

Deutschland wäre dazu in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, da es natürlich auch die deutschen Waffenlieferungen sind, welche die traditionelle Armenische Schutzmacht Russland zur Passivität verdammen. Putins Truppen gucken erstaunlicherweise nur dabei zu und rühren nicht einen Finger, während unter ihren Augen Aserbaidschan Tatsachen schafft.

Putin macht also im Kaukasus gerade das, was Deutschland, was Baerbock und Hofreiter, so dringend von ihm verlangen: Keinesfalls mit Militär die russischen Außengrenzen überschreiten und Kriege führen.

Nur daß die deutsche Politik dabei radikal inkonsequent und konfus ist – in Armenien und Aserbaidschan hätten wir gerne ein Verhalten Russlands, das wir in der Ukraine strikt ablehnen.

Die armenischen Christen müssen es ausbaden, daß wir im Moment mehr an Erdgas vom muslimischen Diktator Alijew als an den Menschenrechten der Christen in Armenien interessiert sind.

[…..] EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die so gern von Geopolitik spricht, hat im Juli 2022 eine hässliche Erdgas-Shoppingtour nach Baku unternommen: In höchsten Tönen lobte sie Baku  als »verlässlicheren, vertrauenswürdigeren Partner« im Vergleich zu Russland. Von Frieden mit Armenien war keine Rede. Zwei Monate später rückten Bakus Truppen auf armenisches Territorium vor. […..]

(Christian Esch, SPON, 28.09.2023)

Annalena Baerbocks wertegeleitete und feministische Außenpolitik, die gern auf großer Bühne anderen Ländern oberlehrerhafte Ratschläge erteilt, kneift, wenn es kompliziert wird. Um Armenien machten Baerbock, wie auch die gesamte EU, stets einen großen Bogen, kniff alle Augen, inklusive Hühneraugen, zu und ignorierte jede Moral, jedes Gebot des Anstandes gegenüber die vertriebenen Armeniern.

Ein ehemaliger Bürgermeister Hamburgs wundert sich.

[….] Und wieder müssen Armenier fliehen, und Russland muss Schutz gewähren. Aserbaidschan aber ist mit dem Westen und der NATO verbandelt , der Westen hätte sich also energisch humanitär einmischen können. Warum taten wir es nicht? War uns die strategische Bedeutung Aserbaidschans wichtiger? [….] Selbstbestimmung, oder auch Autonomie, ist ein Menschenrecht. Es ist der Ursprung jeder demokratischen Bewegung und die Kraft, die auch den Kolonialismus zu Fall brachte. Wir verlangen Selbstbestimmung für die koptischen Christen in Ägypten oder die Frauen in Iran, für die Ukrainer gegenüber Putin oder die Uiguren in der Volksrepublik China. Auf diesem Selbstbestimmungsrecht beharren auch die christlichen Armenier in Bergkarabach. Nun werden sie vertrieben, und die internationale Presse kommentiert „wie die Untätigkeit des Westens Aserbaidschan dazu ermutigt.“ Ich finde es beschämend, dass unsere Regierung in der ganzen  Welt herumreist und anderen Völkern Moral predigt, wir aber für die armenischen Christen in Aserbaidschan nur Worte des Mitleids haben. Was ist denn das für eine Außenpolitik! […..]

(Klaus von Dohnanyi, 29.09.2023)

Donnerstag, 28. September 2023

Naive Hoffnungen

Fritze Merz neueste Lügenaktion aus dem AfD-Kramkasten ist so wenig überraschend, wie das Amen in der Kirche und fügt sich nahtlos in eine ganze Kaskade rechtsextremer Ausfälle des Ober-Christunionisten ein.

[….]  Wie verwahrlost die Debatte über den Umgang mit geflüchteten Menschen unter dem Eindruck steigender Zugangszahlen und nahender Landtagswahlen in Deutschland geworden ist, zeigen die unsäglichen Äußerungen des Friedrich Merz. Wieder einmal spielt der CDU-Vorsitzende ganz bewusst die Schutzsuchenden gegen den Rest der Bevölkerung in Deutschland aus. Jetzt sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber angeblich nicht nur an der Wohnungsnot und dem Mangel an Kita-Plätzen schuld, sondern auch daran, dass „deutsche Bürger“ in Zahnarztpraxen keine Termine bekommen. Das ist ein dermaßen gefährlicher Unfug, dass es einem fast die Sprache verschlägt. […]

(Pitt von Bebenburg, FR, 28.09.2023)

Diesmal ist der Fall sehr klar; Merz hetzt nicht nur, sondern er plappert 1:1 die Hetze des AfD-Abgeordneten Martin Sichert vom 23. September nach und er lügt wie gedruckt. Das ist die CHRISTEN-Union des Jahres 2023: Mit perfiden Lügen Menschen gegen Menschen aufhetzen, um möglichst viel Unfrieden zu säen.

Selbst seiner CDU war die plumpe Hetze ihres Chefs zunächst so peinlich, daß sie die entsprechenden Aussagen aus dem Merz-Interview herausschnitt.

Dabei ging die CDU aber; wieder einmal; so dilettantisch vor, daß es sofort auffiel und sie sich erneut korrigieren musste.

Es passt ins Bild dieser, auf rechten Abwegen, von Panne zu Panne irrlichternden Merz-CDU.

[….] Der »Welt«-Philosoph Robin Alexander prägte einst einen legendären Satz über die deutsche Sozialdemokratie. »Die CDU und die CSU rühren einen Topf an mit übel riechendem Zeug – und dann kommt die SPD und stülpt ihn sich über.« [….]

Inzwischen hat sich die Lage dramatisch geändert, denn der Topf mit dem übel riechenden Zeug findet zuletzt immer häufiger den Kopf der CDU. [….] Vor 13 Tagen brachten die Christdemokraten im thüringischen Landtag ein Gesetz zur Senkung der Grunderwerbsteuer ein. Die CDU setzte es auch durch, allerdings nur, weil neben der FDP auch die AfD geschlossen zustimmte. Eine solch informelle Kooperation warf zumindest die Frage auf, wie es die CDU wirklich mit der AfD hält. Sagen wir es so: Für eine Partei, die nicht den Eindruck erwecken will, vor allem mit eigenen Problemen beschäftigt zu sein, war die Episode nicht allzu glücklich. Ein paar Tage später präsentierte die CDU-Führung dann ein neues Logo und eine neue Parteifarbe. Motto: neues Logo, neues Glück. Es kam dann anders. Auf der Slapstick-Skala erhielt die Aktion jedenfalls zehn von zehn, volle Punktzahl. Statt des Berliner Reichstags schmückte die Kuppel des Präsidentenpalastes von Tiflis den dazugehörigen Imagefilm. Die (absichtlich?) vergessene Angela Merkel musste, nach Protesten, schnell noch über Nacht in den Film montiert werden. Sebastian Kurz bemerkte süffisant (und nicht ganz zu Unrecht), dass man die neue Farbe wohl bei ihm geklaut habe. [….]  Und kaum ist die Aufregung über das Logo verebbt, sind die Christdemokraten aus Thüringen zurück im Rampenlicht. Bald wollen sie ein weiteres Gesetz in den Landtag bringen, bei dem die Hilfe der AfD gewiss sein dürfte. Diesmal geht es nicht um eine technische finanzpolitische Angelegenheit, sondern um Kulturkampf pur. Das sogenannte »Korrekte-Sprache-Gesetz« soll verbieten, dass an Thüringer Schulen und in der Verwaltung gegendert wird. [….]

(Markus Feldenkirchen, SPON, 28.09.2023)

Wäre die CDU eine seriöse Partei mit Anspruch auf die Kanzlerschaft, müßte sie ihren Doppelvorsitzenden Merz längst kaltgestellt haben. Dieser peinliche Mann disqualifiziert sich jeden Tag auf’s Neue.

[….] Es ist eine Rhetorik, wie man sie von der AfD kennt: Die gegen uns, Ausländer gegen Deutsche. Keine Differenzierung, nur plumpe Zuspitzung. Friedrich Merz, der einmal mit dem Versprechen angetreten ist, die CDU zur integrierenden Volkspartei der Mitte zu machen, hat wieder mal einen rausgehauen. [….] Die Sätze von Merz sind eine maßlose und aufwiegelnde Übertreibung. Und sie reihen sich ein in eine Kette von Merz-Aussagen, etwa zum "Sozialtourismus", zu den "kleinen Paschas", zum Umgang mit der AfD in den Kommunen oder zur CDU als "Alternative für Deutschland mit Substanz".

[….] Die politische Stimmung ist bereits gefährlich aufgeheizt. In den Umfragen liegt die AfD schon in vier Bundesländern über der 30-Prozent-Marke. Wer in so einer Situation bei einem derart sensiblen Thema seine Worte nicht zu wägen weiß, ist ein Sicherheitsrisiko. [….] Die enormen Probleme in der Migrationspolitik müssen angesprochen werden. Schönfärberei, die in Teilen der Ampel immer noch betrieben wird, hilft da nicht weiter. Wer aber über ein derart sensibles Thema derart aufwiegelnd spricht, wie Merz jetzt schon wieder, ist für die Kanzlerkandidatur ungeeignet. [….]

(Robert Roßmann, SZ, 28.09.2023)

Sicher, in den USA ginge das; dort hat sich eine gesamte konservative Regierungspartei, schon seit Jahren völlig von Fakten und Anstand verabschiedet.

Aber Deutschland ist viel mehr in internationale Verpflichtungen eingebunden, funktioniert meistens als Mitglied einer EU-Institution.  Wie sollte das eigentlich funktionieren unter einem Kanzler Merz, der nicht nur intellektuell minderbemittelt ist und fortwährend lügt, sondern auch sein Mundwerk nicht unter Kontrolle hat und ständig rechtspopulistische Lügen in die Welt bläst?

[….]  CDU-Chef Friedrich Merz hat sich mal wieder in einer Talkshow blamiert. [….] Hinter Merzs Statement steckt ein weiterer Versuch der Diskursverschiebung nach Rechts, der die Tür für die AfD weit aufmacht. Denn eine Lösung für das scheinbare Problem bietet auch Merz nicht an. Man kann nicht einfach Leute abschieben, nur weil es Herrn Merz gerade so gefällt. [….] Und schon im September 2022 verbreitete Friedrich Merz das hetzerische NPD(!)-Schlagwort von Flüchtlingen als „Sozialtouristen“. [….] Blickt man also nur auf die Menschen, die sich um Asyl in Deutschland beworben haben, abgelehnt wurden und nun ausreisepflichtig sind, sinkt die Zahl, wiederum laut Bundesinnenministerium […], auf 13.784. Das sind noch 4,6% der von Merz ausgedachten 300.000. [….] [….] Merz hat keine Antwort. Deswegen werden seine Aussagen immer polemischer, deswegen treibt die Union den politischen Diskurs in Deutschland immer mehr in rechtspopulistische Gewässer. Und das, obwohl die Zahl der Abschiebungen schon auf einem Höchststand ist. Darum verbreitet er komplett unsinnige Zahlen wie angeblich 300.000 Migrant:innen, die alle nach Deutschland kommen um sich die Zähne machen lassen. Offensichtlich ist das kompletter Unsinn, [….] Wem dieser Diskussionsstil dagegen hilft, das ist die AfD. Merz eröffnet das diskursive Spielfeld, auf dem die AfD am besten spielen kann. [….]

(Frederik Mallon; Sep 28, 2023)

Der Mann ist ein hoffnungsloser Fall und Wiederholungstäter. Er wird sich nicht bessern. Die CDU hat gegenwärtig 371.000 Mitglieder; Durchschnittsalter 61 Jahre.

Was die selbstproklamierten „christlichen Werte“ bedeuten, erkennt man sehr schön daran, daß weniger als einer von 100.000 widersprechen, wenn der Chef immer wieder gegen Menschen in Not hetzt und brutalen Nächstenhass befeuert.

Gegenstimmen kommen stets nur von drei Herren, die ihre Parteikarriere hinter sich haben; Ex-General Polenz, Ex-MP Hans und Ex-Vorstandsmitglied Friedmann.

Die ehemaligen Vorsitzenden Merkel, Kramp-Karrenbauer und Laschet; allesamt engagierte Christen, blamieren sich durch zustimmendes Schweigen zum AfD-Kurs des Vorsitzenden.

Daher, lieber Lorenz Meyer, geht diese Hoffnung ins Leere.

Daher, liebes CDU-Mitglied Heinrich Strößenreuther, bleibt es nur ein Oxymoron der Hilflosigkeit, auf „anständige Mitglieder“ zu bauen.

Wenn Sie nach Anstand suchen, sind Sie in der falschen Partei!

[….] Der Grüne Julian Pahlke forderte die Unionsfraktion auf, sich angesichts von Merz' „Rassismus“ einen neuen Vorsitzenden zu wählen und wieder christliche Werte zu vertreten.

„Sie jagen doch jeden Tag eine neue migrationspolitische Sau durchs Dorf“, so Helge Lindh (SPD), in Richtung Merz. Merz mutiere selber gerade zu einem Rechtspopulisten. Politik habe mit Verantwortung und nicht mit „Verhetzung und Verdummung“ zu tun, wie es die Union gerade betreibe. [….] Konstantin von Notz, [….] zitierte zunächst den Text des christliches Blogs feinschwarz.net, dessen Betreiber sich laut von Notz auch im Umfeld der CDU engagieren. Die Führungsspitze der CDU lasse sich demnach „von populistischer Rhetorik und Agenda-Setting der Neuen Rechten leiten, indem etwa klar besetzte Begriffe [...] aus diesem Milieu für christdemokratische Politik übernommen werden und dadurch die Gefahr einer Normalisierung dieser verwerflichen Positionen besteht.“ [….] Friedrich Merz' Aussagen vom Vortag zu Asylsuchenden seien „objektiv falsch und menschlich niederträchtig“, urteilt der Grünen-Politiker. Die Äußerungen seien „auf dem Niveau eines russischen Troll-Accounts“ und dem Fraktionsführer einer demokratischen Partei unwürdig. [….] Parteiinterne Kämpfe und die Auseinandersetzung mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik dürfe nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Vor allem würden solche Aussagen in der Sache überhaupt nicht weiterhelfen. „Fake-News“ und „Populismus“ seien destruktiv, so von Notz. Das Ganze sei nur eine „Simulation von Politik“, zog der Grüne weiter vom Leder.  [….]

(KSA, 28.09.2023)

Angesichts dieser CDU, steht jeder Anständige zu SPD und Grünen.

[….] "Menschlich niederträchtig" sei CDU-Chef Friedrich Merz, schimpfte etwa ein Redner der Grünen. Merz schütte populistisch "Öl ins Feuer", sagte ein Redner der SPD, er "zündelt schon wieder" eine Rednerin der Grünen. [….] Das war eine Tonalität, die man bei diesem Thema von Armin Laschet, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Angela Merkel - den früheren CDU-Chefs - nie gehört hatte. [….] Olaf Scholz bezog sich zwar nicht ausdrücklich auf Merz, aber die Anspielung war deutlich: "Mein klares Ziel sind Lösungen, die unser Land voranbringen - am besten gelingt uns das gemeinsam. Mit heißer Luft und Populismus wird nur die Stimmung im Land aufgeheizt."  [….]

(SZ, 28. September 2023)


 

Mittwoch, 27. September 2023

Deutsche Bellizisten

Ein echtes Problem an der Ukraine-Strategie der NATO-Staaten ist nach wie vor das Nicht-formulieren-Können eines gemeinsamen Ziels.

Das macht es Rechts-, Links- und Querpopulisten so leicht. Sie können Scholz, Biden, Hofreiter, Kiesewetter oder Strack-Zimmermann allerlei sinistere Motive unterstellen, die man gar nicht so leicht wegargumentieren kann, weil sich die Damen und Herren nie auf ein Szenario geeinigt haben, wie idealerweise der Krieg enden sollte. Es gibt nur vieles, das man nicht will:

·        Putin soll nicht mit Gebietsgewinnen für seine Aggression belohnt werden.

·        Zehntausende Ukrainische Opfer sollen nicht umsonst gestorben sein.

·        Der „Fall Ukraine“ soll nicht als Blaupause für andere Diktatoren dienen, also beispielsweise keinesfalls Xi dazu ermutigen, Taiwan zu überfallen.

·        International anerkannte Grenzen dürfen nicht zur Disposition stehen.

Klar, die vier Punkte würde ich auch unterzeichnen. Aber es läßt sich schlecht argumentieren, wenn man bloß weiß, was man alles nicht will.

Wie soll es denn realistischerweise ausgehen?

Ein Szenario, ganz ohne russische Gebietsgewinne, setzt einen vollständigen militärischen Sieg der Ukraine voraus. Das ist aber nahezu unvorstellbar, da Russland eine Atom-Supermacht ist, die per Definition nur um den Preis der atomaren Vernichtung allen Lebens auf der Erde, zu schlagen ist.

Es sei denn, Putin wandelt sich überraschend zum Friedensengel und sagt seinem russischen Volk:

 „Hoppla, da ist mir ein kleiner Fehler unterlaufen, der leider ein paar Hunderttausend Russen das Leben gekostet hat und die Wirtschaft ruiniert hat. Es war auch alles umsonst. Dafür bekommt Ihr rein gar nichts. Russland ist auf ganzer Linie Verlierer und die Ukraine lacht uns zusammen mit der gesamten Weltgemeinschaft aus. Macht ja nichts, Schwamm drüber.“              
          

Die Wahrscheinlichkeit für so eine Ansprache dürfte nahezu Null Prozent betragen.

Eher greift Putin dann doch zu ABC-Waffen, um sein Gesicht zu wahren.

Aber selbst wenn Putin devot einknickte, würde das wohl seinen Kopf kosten und damit die Welt vor noch viel größere Probleme stellen.

Dann übernimmt möglicherweise ein zweiter Jewgeni Prigoschin den Kreml und ist im Zweifelsfall noch unberechenbarer und brutaler.

Da es keinen natürlichen Putin-Nachfolger gibt, wäre es im Falle einer totalen Niederlage in der Ukraine auch vorstellbar, daß Russland, wie so viele andere Nationen, politisch zerfällt, sich lauter Regionen unter der Führung irrer Warlords für unabhängig erklären, die dann aber alle unantastbar wären, weil jeder von ihnen Atomwaffen hätte. Das wäre der maximale Alptraum für die westlichen Geostrategen, wenn ein Dutzend Partial-Diktatoren um die Vorherrschaft kämpfen und die Welt damit erpressen können, dem Iran oder afrikanischen Diktatoren taktische Atomwaffen zu verkaufen.

Ich halte es für möglich, daß Strategen „des Westens“ daher eher auf einen langen Ermüdungskrieg zwischen der Ukraine und Russland setzen. Bis beide Seiten in zehn oder 20 Jahren dermaßen ruiniert und entvölkert sind, daß man mit einer kleinen Blauhelmtruppe den Konflikt einfrieren kann.

Das ist freilich eine so inhumane Strategie, daß man sich nicht offen dazu bekennen kann, da sie womöglich Millionen Todesopfer fordert.

Außerdem birgt sie das Risiko, daß bei veränderten politischen Vorzeichen in den Hauptunterstützerländern der Ukraine – nämlich der USA und Deutschland – die Waffenlieferungen nach Kiew eingestellt werden. Dann könnte Putin gewinnen und Peking das „Go“ bekommen, Taiwan platt zu machen.

Dazu muss nur Trump in einem Jahr die US-Wahlen gewinnen.

Es ist ein Problem in Deutschland, daß diejenigen, die auf die Strategielosigkeit des Westens verweisen und gern wüssten, welche Lösung es für die Ukraine geben könnte, was die NATO eigentlich anstrebt; keine seriöse politische Vertretung haben, sondern nur die Auswahl zwischen Waffenlieferungs-Fans einerseits  - Baerbock/Hofreiter- und Putin-Fans andererseits  - Wagenknecht/Schwarzer/Höcke – haben.

Da ich selbstverständlich auch keine praktikable Lösung anbieten kann, wäre es etwas schal, beide genannten Positionen als gleichermaßen amoralisch zu verwerfen.

Aber schlau ist das nicht, wie die Menschen, der Westen, wie Europa sich verhalten.

Sorge bereiten mir außerdem die abschreckende Wirkung der lautesten deutschen Polit-Protagonisten auf eine ohnehin schon wackelnde demokratische Kultur.

Freundliche Akademiker, die seit Jahrzehnten Grün wählten, in Mutlangen und Wackersdorf protestierten und ihre Freizeit bei der Flüchtlingshilfe verbringen, haben keine politische Heimat mehr, wenn sie Hofreiter im Panzerwahn wettern sehen, sind entsetzt von Baerbocks Auftreten.

Und was sollen eigentliche moderate Konservative des Sorte Polenz/Friedmann noch wählen, wenn Roderich Kiesewetter (*1963), Oberst a. D. der Bundeswehr, Militärexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes, sowie Obmann der CDU/CSU-Fraktion und stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss, dem Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung und dem Unterausschuss Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung, folgendes sagt:

[….] „Drohnenangriffe auf Moskau mit sehr geringen Auswirkungen sind auch deshalb nötig, weil sie die russische Bevölkerung trotz der Fehlinfos über den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine informieren.“  [….]

(R. Kiesewetter, 30.07.2023)

Das empfiehlt als die CHRISTLICHE Union als Kommunikationsmethode gegenüber der russischen Zivilbevölkerung?

Interessanterweise wurde zwar über diese Äußerungen des CDU in vielen Medien berichtet, aber es gab fast keine Kritik. So weit sind wir offenbar.

Dienstag, 26. September 2023

Auswanderung, die Mutter aller Probleme

Jens Spahn, CDU-Rechtsaußen mit ausgeprägten Hang, die Hand aufzuhalten und private Vermögenswerte zu schaffen, bewundert einen Politiker über alle Maßen: Sich selbst! Daher hielt er sich für den natürlich nächsten Regierungschef nach Angela Merkel. Oder zumindest für die ganz große Nummer nach Übergangskanzler Laschet. Dafür knüpfte er bereits enge private Kontakte mit dem US-amerikanischen Faschisten und Radikal-Trumpianer Richard Grenell, sowieso dem zutiefst korrupten Österreichischem Kanzler Kurz. 

Aus dem Bundeskanzler Spahn-Plan wurde unter anderem deshalb nichts, weil er als Minister so katastrophal beim Corona-Management versagte und für dubiose Maskendeals und Immobilienkredite berühmt wurde. Spahns Plan B war es, wenigstens zum Parteiführer aufzusteigen. Daraus wurde unter anderem deshalb nichts, weil er als Menschen innerhalb der CDU ungefähr so bleibt wie Fußpilz ist und auf Parteitagen abgestraft wird.

In Ermangelung von Regierungsposten und Parteiämtern, sitzt Spahn nun vorzugsweise in Talkshows und hetzt in klassischer AfD-Man darf-ja-nichts-mehr-sagen-Attitüde gegen Ausländer.

Damit schließt sich der Kreis; man wird wieder an seine ersten Ministertage erinnert, als er den katastrophalen Pflegekräftemangel durch gezielte Anwerbungen aus dem Ausland ausgleichen wollte und – wie bei allen seinen politischen Vorhaben – selbstverständlich auch ganzer Linie scheiterte.

(….) Vor vier Jahren versprach Jens Spahn 13.000 neue Pflegekräfte einzustellen. Er scheiterte auf ganzer Linie, weil er nicht verstand, daß der Pflegeberuf nicht attraktiv ist, wenn man alle Trümpfe den schwerreichen Krankenhausbetreibern zuschiebt, die Chefärzte und Pharma-Vertreter Porsche Targa fahren lässt und den Krankenschwestern Mehrarbeit und Lohnverzicht beschert.

(….) Und eins muss man sagen, Spahn schafft was weg (Merkel): Ein gutes Jahr nach seiner Ankündigung bundesweit 13.000 zusätzliche Pfleger einzustellen (gebraucht werden mindestens 50.000 Zusätzliche), hat er bundesweit schon fast 300 Neueinstellungen geschafft! Yippie, wenn das in dem Tempo weitergeht, sind die 13.000 Stellen in etwa 43 Jahren, also 2062 besetzt. Die 50.000 benötigten Kräfte wären dann im Jahr 2186 einsatzbereit. (….)

(Geld oder berufliches Ansehen, 31.08.2019)

Es ist wenig überraschend; die Pandemie und die damit verbundene extreme Zusatzbelastung macht den Job noch unattraktiver. An die Zehntausend Pflegekräfte kündigten inzwischen.

[….] Seit Beginn der Coronapandemie hat Deutschland offenbar tausende Pflegekräfte verloren. Der Rückgang betreffe Krankenhäuser ebenso wie die Altenpflege, berichteten die Zeitungen der Funke Mediengruppe heute unter Berufung auf bislang unveröffentlichte Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA), die die Linken-Bundestagsfraktion anfragte.  Demnach ging die Zahl der Beschäftigten in der Pflege zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 um mehr als 9.000 zurück – dies entspreche einem Rückgang um 0,5 Prozent. Insgesamt waren demnach in Deutschland zuletzt rund 1,8 Millionen Menschen in der Pflege tätig. Vor der Pandemie seien die Be­schäf­tigtenzahlen in der Pflegebranche dagegen leicht gestiegen. Besonders von dem jüngsten Rückgang betroffen war dem Bericht zufolge die Krankenpflege in den Kli­niken. Das Minus bei den Beschäftigtenzahlen lag demnach in der ersten Hochphase der Coronakrise bei 5.124. In der Altenpflege sei die Zahl der Beschäftigten im Zeitraum von Anfang April bis Ende Juli um 3.885 zurückgegangen – in der Summe 9.009 Pflegekräfte weniger. [….]

(Ärzteblatt, 09.03.2021)  (….)

(Krankenpflege kapitalistisch, 10.09.2021)

Spahns Nachfolger im Amt, Karl Lauterbach, wendet ein ganz neues Konzept an, das CDU-Gesundheitspolitikern unbekannt ist: Kompetenz.

Aber auch in Zusammenarbeit mit dem Kollegen Hubertus Heil, kann er kaum noch ändern, was Spahn in den Talkshows, gemeinsam mit den Parteichefs Merz und Söder anrichtet: Deutschland gilt insgesamt als so xenophob, ungastlich und garstig, daß kaum noch einer freiwillig hierherkommen will, um in der Pflege zu arbeiten.

[…..] Deutsche Manager und Minister reisen derzeit weit, um nach Fachkräften zu fahnden. Der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft hofft auf Busfahrer aus Afrika. Kliniken fahnden in Vietnam oder im Kosovo. Und Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, warb in Brasilien, Ghana und Indien um Fachkräfte für Germany.

Ihr Erfolg ist überschaubar. Nur ein Beispiel: Trotz aller Anstrengung konnte die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr gerade einmal 656 Pflegekräfte aus dem Ausland vermitteln. Nötig wären Zehntausende. Und die Pflege ist nur eine Branche von vielen, die vergebens auf Experten aus der ganzen Welt hoffen.  […..]

(SPIEGEL Nr.37. 09.09.2023)

Daß fast niemand mehr herkommen will, liegt zum einen daran, daß man als Pfleger beispielsweise in den USA das Dreifache verdient, nur ein Drittel der Patienten versorgen muss und auch noch für seinen Arbeit geachtet  wird.

Schlimmer ist aber, was ausländische Arbeitskräfte berichten, die schon einmal in Deutschland gearbeitet haben und das Fazit ziehen: BLOSS WEG HIER.

Misstrauen, Unfreundlichkeit, Hass und Missgunst sind insbesondere ein Problem in den ehemaligen DDR-Bundesländern.

Aber es ist schlimmer, denn auch in aufgeklärteren West-Bundesländern, wo man durchaus Arbeitsmigranten haben möchte, sind die Strukturen und Behörden so mies aufgestellt, daß sie die Arbeitswilligen gleich wieder vertreiben.

(….) Christiane Krämer, die Leiterin des  Seniorenzentrums Martha-Maria in Stuttgart kriegt alle Krisen. Sie schämt sich öffentlich für ihr Land und ihre Stadt, weil alle zwei Wochen eine Fachkraft aufhöre zu arbeiten, nur weil die Ausländerbehörde nicht hinterherkommt, die richtigen Fiktionsbescheinigungen zu erteilen und somit den Aufenthaltsgenehmigung erlischt.

[…..]  Im Seniorenzentrum Martha-Maria arbeiten 170 Pflegerinnen und Pfleger, rund 60 Prozent kommen aus Drittstaaten, aus Madagaskar, aus Syrien, aus Thailand. "Wir brauchen diese Leute dingend", sagt Krämer. Und am Ende sei es doch so: Wenn weniger Pflegekräfte arbeiten dürfen, müssen die verbliebenen mehr leisten. Das bedeutet: mehr Stress, mehr Krankheitsfälle, mehr Burn-outs. Die ganze Situation sei, vorsichtig formuliert, nicht gerade Werbung für den Standort Deutschland. Das werde sich herumsprechen. "Wir müssen um jede gute Fachkraft kämpfen, wir holen sie ins Land - und dann behandeln wir sie so."  […..]

(Max Ferstl, 27.07.2023)

Die Stuttgarter Ausländerbehörde ist telefonisch und per Email nicht zu erreichen. In ihrer Not stellen sich ausgebildete Pfleger, die fest in einem Stuttgarter Pflegeheim angestellt sind, immer wieder im Morgengrauen mit einem Klappstuhl vor die Ausländerbehörde, warten viele Stunden, nur mit der vagen Hoffnung, überhaupt eine der begehrten Wartenummern zu ergattern.

[…..] [Der aus Madagaskar stammende, ausgebildete und fest angestellte Pfleger] Edmond weiß inzwischen ziemlich genau, wie es in der Schlange so läuft. Erst wartet man stundenlang, Profis erkennt man an den Klappstühlen. Wenn er es bis zum Türsteher schafft, weist ihn dieser mit dem freundlichen Hinweis ab, dass er für die Änderung des Arbeitgebers und seines Status einen Termin braucht. Nur: Wenn er in der Ausländerbehörde anruft, um einen Termin zu vereinbaren wie auf der Internetseite gefordert, hebt keiner ab. Wenn er eine E-Mail schreibt, bekommt er keine Antwort. "Was soll ich tun?", fragt er, und wie er so in der Schlange steht und von seinen Versuchen erzählt, mit den deutschen Behörden in Kontakt zu treten, die Tür zum Ausländeramt im Blick, muss man kurz an Kafkas Schloss denken. Das Ziel so nah, und doch unerreichbar.

Der Sprecher der Stadt schreibt: "Die Darstellungen treffen zu. Leider."

Edmond sagt, dass er gerne wüsste, wie sich die Stadt das vorstellt. Wie soll er ohne Gehalt seine Miete bezahlen, 1200 Euro für sich und seine Frau? Wovon sollen sie leben? […..]

(Max Ferstl, 27.07.2023)

Ich kann und will keine Erklärungen mehr dafür finden, weswegen in einem so reichen Land wie Deutschland und ausdrücklich in so einer besonders reichen Gegend, wie Stuttgart, diese extreme politische Unfähigkeit grassiert.  (…)

(Stuttgart, 27.07.2023)

Wenn man der AfD, der FDP, den FW, der CDU, SPRINGER, der BILD, der CSU zuhört, könnte man meinen, Deutschlands Hauptproblem wäre, viel zu viele Menschen, die nach Deutschland kommen wollen. Das stimmt nicht nur NICHT, sondern das diametrale Gegenteil ist der Fall: Die Mutter aller Probleme ist die Abwanderung aus Deutschland. Jedes Jahr gehen eine Million gut Qualifizierte: Migranten und Deutsche gleichermaßen, die nicht hier bleiben wollen, weil es zu scheiße ist. 

Danke Merz, Söder und Spahn; Eurer rechtsradikales Gerede schadet der deutschen Wirtschaft massiv. 15% der in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; die Lindners Kassen füllen und den Sozialstaat finanzieren, sind Ausländer. Ausländer, die dringend gebraucht werden und die immer intensiver darüber nachdenken, wieder weg zu gehen.

[…..] Weil das Warten auf ein Visum sie verschreckt.

Weil die Miete in deutschen Metropolen hoch und der Empfang durch die neuen Nachbarn kühl sein könnte.

Das ist es jedenfalls, was Rückkehrer erzählen, wenn sie in Spanien, Indien oder auf den Philippinen von ihrer Zeit in Deutschland berichten – was Deutschlands Ruf im Ausland formt. Und das Problem quasi verdoppelt. Schlimm genug, dass es vergleichsweise wenig Experten ins Land zieht. Schlimmer ist, dass jährlich mehr als eine Million Menschen es wieder verlassen.

Die Zahl belegt, dass Deutschland – und womöglich die Deutschen – nicht überall als offen und lebenswert empfunden werden. Vor allem aber sagt sie viel aus über die wirtschaftliche Zukunft.

Weil Deutschland altert, gehen dem Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2035 an die sieben Millionen potenzielle Erwerbstätige verloren. Damit könnte der Wohlstand schrumpfen. Um das Land am Laufen zu halten und es zu verändern, um Windräder zu bauen und Wärmepumpen anzuschließen, um neue Medikamente zu entwickeln und Chipfabriken zu betreiben, um Kinder zu fördern und Senioren zu pflegen, braucht es: Menschen.  […..] Ein Viertel der Befragten verließ Deutschland aus beruflichen Gründen wieder, weil etwa Berufsabschlüsse nicht anerkannt wurden. Ein weiteres Viertel aus aufenthaltsrechtlichen Gründen. Fast der Hälfte fiel es nach der Ankunft schwer, sich ohne Hilfe zurechtzufinden. Tatsächlich sind die bürokratischen Hemmnisse so hoch, dass selbst deutsche Heimkehrer sich schwertun, für ihre Kinder einen passenden Schulplatz zu organisieren. Besonders bedenklich: 51 Prozent der Befragten gaben an, wegen ihrer ethnischen Herkunft oder aus anderen Gründen diskriminiert worden zu sein – auch in Behörden oder im Arbeitsleben. Einzelne Zuwanderer berichteten, dass ihnen wegen ihrer Nationalität der Zutritt zu Bars verweigert wurde. »Solche Diskriminierungserfahrungen wurden insbesondere von Interviewten benannt, die in Ostdeutschland gelebt oder sich dort aufgehalten hatten«, heißt es in der Studie. Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erkennt inzwischen gar »Standortnachteile« für den Osten.  […..]

(SPIEGEL Nr.37. 09.09.2023)

Kaum zu glauben, Deutschland leidet unter einem massiven EMIGRATIONSPROBLEM, eine Million Menschen jährlich empfinden die Arbeits- und Lebensbedingungen als so feindlich, daß sie ihre Koffer packen und eine ganz große rechts-liberale-rechtsextreme-populistische Koalition überbietet sich mit Ideen, wie man noch schneller, noch mehr Menschen aus Deutschland vertreiben kann.

Dabei ist der Fachkräftemangel bereits jetzt die ganz große ökonomische Wachstumsbremse, die Deutschland international zurückwirft.

Eine Fachkraft, die in Deutschland gearbeitet hat, aber aus Gram als Arbeitsmigrant in eine andere Nation wechselt, staunt im Rückblick, nicht schlecht.
Zum Beispiel die Mexikanische Finanzexpertin Patricia Salinas, die nach unfreundlichen vier Jahren in Hamburg nach Dubai weiterzog.

[…..] Eine Freundin ist ein Jahr vor mir nach Dubai gezogen. ›Nach einer Woche dort brauchst du meine Hilfe nicht mehr‹, hatte sie gesagt. Und das stimmt.

Ich kann selbst kaum glauben, wie einfach mir die Ankunft gemacht wurde. Visum, Einwohnerausweis, Bankkonto – in weniger als zwei Wochen sind alle Formalitäten erledigt. Für die Kontoeröffnung kam ein Bankmitarbeiter zu mir ins Büro, der Immobilienmakler hat mich für die Wohnungsbesichtigungen abgeholt und wieder zurückgefahren. Von der Post wurde ich freundlich gefragt, wann mir die Zustellung passen würde.

Jeder hier spricht Englisch. Wenn ich in Deutschland Probleme mit meinem Internetzugang hatte oder die Waschmaschine repariert werden musste, brauchte ich einen Dolmetscher. Mein Deutsch ist immer noch auf Anfängerniveau.

Drei Monate lang hatte ich versucht, einen Behördentermin zu bekommen, um eine Ausnahmeregelung für meine Blue Card zu beantragen. Mit ihr kann ich in der EU arbeiten. Ich hätte sie gern behalten. Der Plan war ursprünglich, dass ich in drei Jahren aus Dubai nach Hamburg zurückkehre.

Denn als ich persönlich im Amt erschien, um die Verlängerung zu beantragen und ich die Dame bat, langsam zu sprechen, schnauzte sie mich an: ›Wenn Sie in Deutschland leben, müssen Sie Deutsch sprechen.‹ Da fühlte ich mich sehr diskriminiert. Als Finanzchefin für Lateinamerika musste ich in Hamburg den ganzen Tag Spanisch, Portugiesisch und Englisch sprechen. Ich hatte keine Möglichkeit, mein Deutsch anzuwenden.

Die deutsche Blue Card wurde mir inzwischen ohne stichhaltige Argumente entzogen, aber ich will aus Dubai auch gar nicht mehr weg. […..]

(SPIEGEL Nr.37. 09.09.2023)

Montag, 25. September 2023

Quot erat expectandum – Teil III

Als aufmerksamer Medienbeobachter, Zeitungsleser, der kein ungewaschener Wutbürger ist, trainiert man sich die Überraschung über gewisse immer wiederkehrende Themen ab.

Rassistische Lügen der US-Republikaner, rechtsradikales Blinken der C-Parteien, sexuelle Übergriffe von katholischen Geistlichen auf Schutzbefohlene sind einfach zu häufig. Zu alltäglich, um jedes Mal wieder die Neurotransmitter in den eigenen Hirnsynapsen abzufeuern.

Andererseits sind die Taten an sich so übel und verwerflich, daß man seine Missbilligung irgendwie kanalisieren muss. Dafür hat der liebe G*tt Zynismus, Ironie und Sarkasmus erfunden. Und Memes.

Es ist notwendig, sich die Wut zu bewahren, weil die genannten Ekel-Organisation nicht nur im luftleeren Raum agieren, sondern kontinuierlich Opfer produzieren.

Die Kirche konnte und kann nur deswegen Hunderttausende Kinder und Pubertierende quälen und vergewaltigen, ohne dafür aus dem Verkehr gezogen zu werden, oder wenigstens finanziell zu bluten, weil ein breiter Gewöhnungsprozess eingesetzt hat. Die christliche Unwertegemeinschaft ist indolent gegenüber den Opfern und tolerant gegenüber den Tätern geworden.

Kinder vergewaltigen? Na und? Ist doch kein Grund, denjenigen, die das ermöglichen keine Denkmäler zu setzen und sie fürstlich zu bezahlen.

Stichwort Hengsbach-Affäre.

Da kann Ruhrbischof Overbeck, der schon vor zehn Jahren mit derartig abfälligen homophoben Sprüchen in Talkshows saß, daß er sogar den rechtsradikalen Erz-Dunkelkatholiken David Berger aus der Kirche trieb, herzlich lachen.

Wir, die gesamte Gesellschaft, jeder, der nicht aus der Kirche ausgetreten ist; jeder, der nicht jeden Tag vor einer Kirche demonstriert; jeder, der nicht jeden Tag seine Parlamentsabgeordneten mit Anfragen nach staatlichen Untersuchungen des Kirchensexsumpfes überschüttet, hat Mitschuld.

Wir sind gegenüber den von Priestern vergewaltigten Opfern genauso abgestumpft, wie gegenüber den in der Ägäis ertrinkenden Kleinkindern aus Syrien. Wir reagieren sowohl auf die Täter in Soutanen, als auch auf die FRONTEX-Pushbacks nur mit Milde.

Wenn eine Organisation, die im großen Maßstab Kinder verprügelt, psychisch quält und sexuell missbraucht, keine Lust hat, später Entschädigungen oder Schmerzengeld zu bezahlen, stört es uns nicht. Das überlassen wir achselzuckend den Tätern selbst, was sie bereit sind zu zahlen. Wir halten sie nämlich für moralische Instanzen – nachdem sie 2.000 Jahre mit einer weltweit einmaligen Kriminalgeschichte eindrucksvoll bewiesen, eben gerade nicht als Moral-Vorbild zu taugen.

[….] Eva Behring hat zweimal Geld bekommen von der katholischen Kirche, und zweimal war es für sie ein schmerzender Schlag. Einmal bekam sie 3000 Euro, später 2000 Euro. Zusammen 5000 Euro für das, was ein katholischer Pfarrer ihr als Kind angetan hat und worunter sie seither leidet. Sie ist keine Ausnahme. Viele Betroffene von Missbrauch fühlen sich durch die "Anerkennung des Leids" ein weiteres Mal verletzt und gedemütigt - durch die geringen Summen und das Verfahren selbst.

[….] Ein aus Sicht vieler Betroffener nach wie vor unbefriedigend gelöstes Thema ist aber der Umgang mit den sogenannten Anerkennungsleistungen - also freiwilligen Entschädigungszahlungen für erlittenes Leid. Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz fordert jetzt eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. [….] Im Jahr 2016 stellt Eva Behring den ersten Antrag auf "Anerkennung des Leids", wie es offiziell heißt. Sie füllt einen Fragebogen aus, in akkurater Handschrift schildert sie die Taten und was sie mit dem Kind und später der erwachsenen Frau gemacht haben. Sie leidet seither, wird psychisch krank, kann über Monate nicht arbeiten. [….] Die zuständige Stelle bei der Deutschen Bischofskonferenz empfiehlt die Zahlung von 3000 Euro, das Bistum überweist ihr die Summe, vom Generalvikar ihres Bistums erhält sie 2017 ein kühles, formales Schreiben. Es ist das erste Mal, dass eine Zahlung der Kirche sie trifft wie ein Schlag. 3000 Euro für lebenslanges Leid? [….] Das hat sich allerdings in diesem Juni geändert: Da verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300 000 Euro an den ehemaligen Ministranten Georg Menne. [….] Allein: Eine Zivilklage ist anstrengend und kostet viel Geld, Betroffene müssen sich offenbaren, vor Gericht aussagen und sich unter Umständen langwierigen Begutachtungen unterziehen, wie jener Mann, der derzeit vor dem Landgericht Traunstein das Erzbistum München verklagt. [….]

(SZ, 24.09.2023)

So ist das eben, wenn man sich den Moralvorstellungen einer primitiven Hirtenkultur von vor 2.000 Jahren aussetzt. Da wird man diskriminiert und misshandelt.

Auf die Solidarität der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts kann man nicht bauen. Uns ist es egal. Kirchen dürfen ihre Mitglieder misshandeln. Nicht nur die Katholische Kirche; sondern alle Christen-Vereine sind mies; entziehen sich Antidiskriminierungsregeln und dem Arbeitsrecht.

[…..] Wie schwer es queeren Menschen weiterhin in einer der freien evangelischen Gemeinden gehen muss, wird klar, wenn man sich die aktuelle Diskussion in deren Dachorganisation anschaut. Am Samstag trifft sich der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) zu seiner Bundestagung und will dort eine homophobe Ausrichtung bekräftigen. Laut einem internen Entwurf zu den künftigen Leitlinien der Gemeinden, der der taz vorliegt, heißt es in einer Empfehlung der Bundesleitung: „Homosexuelle Partnerschaften finden aus biblischer Sicht keine Zustimmung.“ Weder Traugottesdienste noch Segnungen sollen möglich sein, ebenso wenig die Rolle als Gemeindeleitung oder als Pastor oder Pastorin.

Mehr noch: Homosexuellen Menschen wird empfohlen, auf Sexualität zu verzichten. So heißt es in Punkt 4 des Leitlinien-Entwurfs: „Aufgrund des biblischen Leitbildes der Ehe von Mann und Frau ergibt sich die Herausforderung, auf sexuelle Gemeinschaft mit Menschen gleichen Geschlechts zu verzichten […]. Eine zölibatäre Lebensform kann allerdings nur mit einer individuellen Bejahung gelebt werden.“  [….]

(taz, 22.09.2023)