Als Amerikaner, Demokrat, radikaler Anti-Trumper und Polit-Nerd, gucke ich natürlich ohnehin alle vier Jahre intensiv alle vier Tage des Nominierungsparteitages. Aber der zweite Tag, gestern, der im Zeichen der abtrünnigen Republikaner stand, die jetzt für Kamala Harris werben, wäre ohnehin TV-Pflichtprogramm gewesen, weil ich ein Riesenfan der republikanischen Polit-Strategin Ana Navarro bin, die gestern die Ehre hatte, Host des Abends zu sein.
Navarro, wortgewaltige und mit enormen Witz gesegnete TV-Persönlichkeit, ist Trumps Nemesis seit 2015. Sie versuchte ihn mit aller Macht 2016 als GOP-Kandidaten zu verhindern, drohte an, erstmalig nicht zur Wahl zu gehen und entschied sich auf den letzten Metern sogar dazu, Hillary Clinton zu wählen. Während der vier Horror-Jahre des IQ45 intensivierte sie ihren Kampf und verkündete 2020 voller Stolz und Überzeugung, Joe Biden zu wählen. Sie ist 2024 immer noch eingetragene Republikanerin, hat aber keine Gemeinsamkeiten mehr mit dem orangen Gaga-Kult, zu dem ihre Partei mutierte.
In der US-amerikanischen Politik gibt es immer vereinzelte Abtrünnige, die temporär für die andere Partei werben.
Dieses Jahr sind es aber mehr denn je. Fast alle Mitglieder aus dem Trump-Kabinett 2017-2021 sprechen sich gegen ihn aus, sogar sein so treuer Vize Mike Pence wendet sich ab.
[….] Man darf davon ausgehen, dass Stephanie Grisham die Familie Trump gut kennt. Sie war von 2017 bis 2019 Pressesprecherin der ehemaligen First Lady Melania Trump. Dann war sie Sprecherin von Donald Trump; und arbeitete anschließend wieder für Melania. Auf der Bühne in Chicago sagt Grisham gerade, dass sie Trump früher glühend unterstützt habe. Aber: »Ich habe ihn gesehen, wenn die Kameras ausgeschaltet waren«, so Grisham weiter. »Hinter verschlossenen Türen verhöhnt Trump seine Anhänger.« Er habe kein Einfühlungsvermögen, keine Moral und keine Treue zur Wahrheit. Jetzt unterstütze sie Kamala Harris, sagt Grisham. »Sie respektiert das amerikanische Volk.« […..]
Es ist offenkundig: Jeder, der den privaten, echten Trump hinter den Kulissen erlebte, ist hochgradig schockiert über seine Borniertheit. Der ehemalige US-Sicherheitsberater General H.R. McMaster warnt in seinem Buch »At War With Ourselves« eindringlich vor seinem ehemaligen Chef.
[….] »Putin, ein rücksichtsloser ehemaliger KGB-Mann, bediente Trumps Ego und seine Unsicherheiten mit Schmeicheleien«, schreibt McMaster in seinem Buch. »Putin hatte Trump als ›eine ganz herausragende Person, talentiert, ohne jeden Zweifel‹ beschrieben, und Trump hatte seine Anfälligkeit für diese Herangehensweise, seine Vorliebe für starke Männer und seinen Glauben, dass er allein eine gute Beziehung zu Putin aufbauen könne, offenbart.« Der Einfluss des Kremlchefs auf Trump sei geradezu hypnotisch gewesen.
Mehr zum Thema[….] Nach seinem ersten Treffen mit Putin während des G20-Gipfels in Hamburg prahlte Trump, man habe sich »sehr gut verstanden«. Eingangs des gemeinsamen Gesprächs hatte der Kremlchef bereits sein Entzücken darüber ausgedrückt, den Republikaner persönlich zu treffen. McMaster schreibt nun, er habe Trump damals vor Putin gewarnt: »Herr Präsident, er ist der beste Lügner der Welt.« Der General habe zudem Putins Zuversicht angedeutet, mit »Trump ›spielen‹ zu können und zu bekommen, was er wollte: Die Aufhebung der Sanktionen und den Abzug der USA aus Syrien und Afghanistan, indem er Trump mit zweideutigen Versprechungen einer ›besseren Beziehung‹ manipulierte«. Trump sei wegen McMasters negativer Einstellung jedoch ungeduldig geworden.
Ihm sei es wichtig gewesen, seine Meinung dennoch kundzutun, so McMaster. Trump habe von ihm Rat gewollt, aber auch Bewunderung, sagte er im Gespräch mit CBS Sunday Morning . »Ihm gefällt die Bewunderung sehr. In vielerlei Hinsicht ist er geradezu süchtig nach Bewunderung, von seiner politischen Basis, von den Menschen um ihn herum.« In autoritären Führungspersönlichkeiten wie Putin sehe Trump die Fähigkeiten, die Leute auch in ihm sehen sollen, so der ehemalige Sicherheitsberater. [….]
Bis in die letzten Tage der Trump-Amtszeit konnte man sich nicht vorstellen, daß der bis zur absoluten Selbstaufgabe loyale Mike Pence von seinem orangen Idol abrücken würde, aber als er aufgehängt werden sollte, wurde es selbst ihm zu viel.
Am DNC-Tag 2 erinnerte der Abgeordnete Raskin eindrücklich an die Vorkommnisse.
[….] “Remember what the mob chanted as they stormed the Capitol and injured our officers? ‘Hang Mike Pence.’ Someone should have told Donald Trump that the president’s job under Article 2 of the Constitution is to take care that the laws are faithfully executed, not that the vice president is executed.” [….]
Meines Erachtens hat das politische System der USA mehr Schwächen, als Stärken. Der auf Einzelpersönlichkeiten zugeschnittene Geld-intensive Kampf im Mehrheitswahlrecht, scheint mir dem deutschen Parteiensystem klar unterlegen.
Aber es bringt exzellenter Redner hervor, die offenkundig in Debattierclubs und im Ringen um die Wahlkreise geschliffen werden.
Auf dem DNC erlebt man eine Vielzahl phantastischer Redner. Kaum einer versagt am Mikrofon; alle bieten hohen Unterhaltungswert. Meist ist man enttäuscht, wenn ihre Redebeiträge enden, weil man ihnen gern länger zugehört hätte.
Kein Vergleich zu den öden deutschen Parteitagen, auf denen mitreißende Redner absolute Mangelware sind.
Die Texanerin Jasmine Crockett, Abgeordnete aus dem County Dallas South im Kapitol, ist ein gutes Beispiel. Die 43-Jährige wurde 2023 erstmals in das Repräsentantenhaus gewählt und kann mühelos eine Halle mit Zehntausenden Zuschauern unterhalten.
Es kommt Freude auf.
[….] Als Hillary Clinton in Chicago an der Reihe ist Harris ihren Segen zu geben, spricht sie von einem „neuen Kapitel in der amerikanischen Geschichte“, von etwas, „auf das wir so lange hingearbeitet, von dem wir so lange geträumt haben“, „von einer Zukunft, wo es keine gläserne Decke für unsere Träume gibt“.
Sie träumt noch immer von einer Präsidentin im Weißen Haus. Und sie träumt nicht alleine. Der trunkene Kamala-Rausch der Demokraten – keine und keiner der scharfen Harris-Kritiker.innen will hier in Chicago mit nüchternen Worten stören – wirkt ansteckend. Je nach Umfrage führt Harris auf nationaler Ebene im Moment mit 3 bis 6 Prozent vor dem republikanischen Kandidaten Donald Trump. Wer im November vorne liegen wird, ist damit nicht gesagt. Blaue (Farbe der Demokraten) und rote (Republikaner) Linien laufen in Grafiken, die die Ergebnisse von Wahlumfragen abbilden, noch relativ parallel. Aber es ist denkbar. Bei Joe Biden war das anders. [….]
Raskin oder Crockett sind nur die Fußsoldaten. Die Demokraten verfügen mit Michelle Obama, Bill Clinton und Barack Obama aber auch noch über Weltklasse-Redner.
[….] Das Publikum skandiert: »Do something! Do something! Do something!« Viele sind zu Tränen gerührt, filmen auf ihren Handys mit, andere machen sich handschriftliche Notizen, als würden sie einer Hohepriesterin zuhören. Michelle Obamas Rede hat in der Tat die Kadenz einer Predigt, und viele antworten ihr mit »Yeah«, wie in einer Baptistenkirche. Man kann verstehen, warum die Republikaner lange Angst hatten, dass sie – und nicht Harris – als Kandidatin an Bidens Stelle treten könnte. Auch bei Ihrem Mann spürt man, dass er immer noch der beste Redner seiner Partei ist, wenn nicht der ganzen USA. Seine Mischung aus Humor, Spitzen und Kritik, der gospelartige Singsang, sein Tremolo und die amüsiert-indignierte Mimik, eine Hand in der Hosentasche. Für Trump zum Beispiel hat er – wie auch seine Frau – nur Verachtung übrig: Es wäre fatal, wenn das Land das Chaos der ersten Trump-Amtszeit erneut durchleben müsste. »Trump ist wie ein Nachbar, der seinen Laubbläser 24 Stunden am Tag laufen lässt«, sagt Obama. Also einfach nur nervig. […..]
Aber selbst Obama konnte sich einen ganz besonderen Tiefschlag gegen DonOLD nicht verkneifen.
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