Wie sollten Regierungsparteien in dieser Multikrisensituation nach 16 Jahren Merkel-Schlaf fehlerlos agieren? Ich behaupte, das ist schlicht unmöglich und sehe den unter massiven Druck stehenden Ampelanern einiges nach.
Im Moment sind die Grünen die großen Buhmänner, die in Berlin und Bremen bei den Landtagswahlen brutal abgestraft wurden.
Die Partei droht gerade in Generalverschiss zu geraten, während sich die reformunwilligen Bräsigbürger durchaus mit der Blockadehaltung der FDP anfreunden. Heizungsumbau verschieben, Verbrennerverbot erst am St. Nimmerleinstag, weiter Benzin tanken, Atomkraftwerke mit Putins Uran weiterbruzzeln lassen. Es könne doch irgendwie so weitergehen, wie bisher und für die offenkundig anstehenden Gigaprobleme finden sich bestimmt irgendwann „technologische Lösungen“, die es wie von Zauberhand ermöglichen, daß der deutsche Michl rein gar nichts an seinem Verhalten ändern muss.
Diese bequeme Aussicht, immer im ewigen Wohlstand weiterwurschteln zu können, wird auch deshalb so gern vom Urnenpöbel adaptiert, weil sich ein Schuldiger für all die Zumutungen der Zukunft gefunden hat.
Es sind nämlich nicht unumstößliche Fakten - Erderwärmung, Putin-Abhängigkeit, Endlichkeit der fossilen Energieverschmutzung, Umweltschutz – die den Umstieg auf erneuerbare Energien erfordern, sondern die bösen Grünen.
So sieht es jedenfalls eine inzwischen breite Koalition aus Aluhüten, rechten Medien, David Berger, AfD, Verschwörungstheoretikern, Gloria von Thurn und Taxis, Springer, BILD, FDP, CDU und CSU.
Sich einzugestehen, daß „Omas Häuschen“ die letzten 100 Jahre unverantwortlich, ungedämmt mit billigen extrem umweltschädlichen Öl beheizt wurde und man nie darüber nachdachte, welche gewaltige Menge CO2 dadurch erzeugt wurde, oder welche diktatorischen Kriegstreiber man mit dem Ölkauf finanzierte, ist unangenehm. Viel angenehmer ist es, sich von Julian Reichelt erklären zu lassen, man habe immer alles richtig gemacht, dürfe auch gern so weitermachen, weil es nur die fanatischen Grünen mit ihrer irren Ideologie wären, die einem die doofen teuren Wärmepumpen andrehen wollten.
Bitte diese Reportage von Nils Altland unbedingt ansehen!
Die bei Tucker Carlson abgeguckten Lügen und das antigrüne Hetzen des Julian Reichelt sind das eine.
Fast noch schlimmer: Ähnlich wie CNN auf Donald Trump reinfällt und ihm wie 2016 den roten Teppich mit freier Werbezeit ausrollt, kennen auch CDU/CSU/FDP-Politiker keine Scham. Sie treten regelmäßig bei Reichelt auf und verschaffen seinen zutiefst verstörenden Verschwörungstheorien Aufmerksamkeit.
Das rechtspopulistisch-antiwoke Narrativ funktioniert auch deswegen so gut, weil es dem geneigten Zuhörer das schlechte Gewissen nimmt: Man hat sich doch gar nicht wie eine Umweltpest benommen, muss sich nicht für den 400PS-SUV und die vielen Mallorca-Flüge schämen, weil das alles nur eine grüne Hoax war.
Reichelts neues Medienfirma ROME wird nicht nur von CDU-Größen besucht, sondern auch mutmaßlich vom erzkonservativen CDU-Mitglied und Multimilliardär Frank Gotthardt finanziert.
[….] Die Welt ist düster durch die Augen von Julian Reichelt. "Linke Ideologen" und "grüne Sozialisten" bedrohen das Land. Sie wollen Weihnachten zerstören. Sie wollen Deutschland ins soziale Elend stürzen. Ganz zu schweigen von der Kriminalität. Und den Migranten. Gibt es die Demokratie in Deutschland noch? Man könnte es mit der Angst zu tun bekommen.
Nach seinem Ende als Chefredakteur der "Bild" wegen seines Umgangs mit Frauen tobt Reichelt sich in sozialen Netzwerken aus. Die Videos, die er und sein Team für YouTube produzieren, sind eine Dauerwerbesendung gegen Rot und Grün und ein Trommelfeuer auf die CDU, nach rechts zu rücken. "In die Mitte, zur Mehrheit", nennt Reichelt das. Themen, die angeblich nur die AfD behandele, müssten dort angesiedelt werden, "wo Menschen jahrzehntelang gewählt haben". Es gibt in der CDU Leute, bei denen er damit offene Türen einrennt.
Über die Finanzierung und weitere Pläne seines YouTube-Projekts ist wenig bekannt, dabei verschlingt das inzwischen gut 30-köpfige Team jeden Monat Unsummen. Werbe- oder Abo-Einnahmen hat es nicht. Unterstützung kam und kommt aber von reichen und konservativen Unternehmern mit besten Verbindungen in die Partei, die nach rechts gerückt werden soll. [….]
Der Unternehmer ist Frank Gotthardt, 72, ein Mann mit eindrucksvoller Lebensleistung. Als Gründer der CompuGroup hat er ein Milliardenvermögen erwirtschaftet. [….] Gotthardt hat sich auch einen großen Fuhrpark wertvoller Oldtimer gekauft, den Eishockey-Club Kölner Haie und regionale TV-Sender. Doch das Medienengagement war unbefriedigend für einen Mann, der keine halben Sachen macht. [….] Ende 2021 gründete der Ex-"Bild"-Chef in Koblenz bei Gotthardts Notar ein Unternehmen, das Grundlage der YouTube-Offensive wurde: die Rome Medien GmbH. In Gotthardts Restaurant trafen sich der Milliardär und der Journalist dann, t-online machte die Verbindung exklusiv öffentlich. [….]
Welcher Geist bei Reichelt herrscht, zeigte bereits Anja Reschke in diesem Beitrag mustergültig. Reichelts neues rechtes Geflecht versuchte natürlich die Ausstrahlung zu stoppen, aber der NDR schaltete den „Reschke Fernsehen“ Beitrag wieder frei.
Der CDUCSUAfD-Höhenflug und Grüne Niedergang wird befeuert, weil auch jenseits der rechtspopulistischen Medien, CDU und CSU den Fakten völlig entkoppelt, auf die Grünen eindreschen.
[….] Kein Fleisch für Kinder, und Pony reiten dürfen sie auch nicht mehr: CSU-Chef Markus Söder wirft den Grünen permanent vor, das Land mit Verboten überziehen zu wollen. [….] Wieso müssen "irgendwelche verhungerten grünen Funktionäre" entscheiden, was Kinder essen dürfen, fragt sich Söder öffentlich. Dass die Grünen den Verzehr von Fleisch- und Wurstwaren untersagen wollen, ist seit der missglückten Erfindung des "Veggie Day" ein Klassiker unter den Verbotsdebatten. Söder skizziert in diesem Kontext das Horrorszenario von einem Land, in dem die Menschen zum Frühstück Tofu-Weißwürste werden essen müssen, die Kinder ohne "Pausenbrot-Check" gar nicht mehr das Schulgebäude betreten dürfen, und wenn es überhaupt noch irgendwo Fleisch gibt, dann allenfalls Insektenburger.
"Jeder soll essen, was er will", findet Söder. Im Umkehrschluss steckt die Behauptung, dass man das nicht mehr darf. Wobei der CSU-Chef hier gerne und offenbar mutwillig fleischlose Angebote mit Fleischverboten gleichsetzt.
Die Stadt München dementierte dieser Tage eine Aussage Söders, wonach in Münchner Kitas nach dem Willen der Grünen kein Fleisch, keine Wurst und kein Fisch mehr serviert würden. Dem städtischem Bildungsreferat zufolge werden Fleisch und Wurst aber weiterhin "zwei bis maximal vier Mal je 20 Verpflegungstage" angeboten, entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Das neue Verpflegungsprogramm enthalte einen höheren Bio-Anteil, mehr vegetarische Gerichte sowie den Verzicht auf Tiefkühlfisch, weil dieser meistens in Form von Fischstäbchen serviert wurde.
Luftballons: [….] Ponyreiten: [….] Mama sagen: [….] Sombreros tragen:
Offenbar gehört es zu Söders Verbotstaktik, wahre Geschichten aus dem Kontext zu reißen und sie mehr oder weniger subtil der Ampel anzulasten. [….] (SZ, 13.05.2023)
Die Grünen haben es offenkundig nicht verstanden, ein Mittel gegen den Diffamierungs- und Lügen-Tsunami der rechten Medien und Parteien zu finden.
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