Die deutschen Bellizisten, denen die Bundesregierung gar nicht genug Waffen nach Kiew schicken kann, die sich einen NATO-Einsatz wünschen, weil sie glauben Putins Persönlichkeit so gut analysiert zu haben, um zu wissen, daß er bei einer drastischen Machtdemonstration des westlichen Militärs, tief beeindruckt von unserer Entschlossenheit die Segel streichen würde und auf gar keinen Fall irrational gekränkt reagieren würde, stützen sich auf Argument:
David Ukraine werde gegen Goliath Russland gewinnen, weil Putins Armee völlig demotiviert sei, gar nicht wisse, was sie da verloren habe und von den Verlusten frustriert wäre. Selenskyjs Männer hingegen kämpften mit vollster Überzeugung, um ihre Familien zu retten. Wären bis an die Haarspitzen durch ihren Nationalismus motiviert, hätten auch gar keine andere Wahl, da Putin sie bei einem Sieg alle umbringen würde.
All das klingt aus einem warmen sicheren westdeutschen Wohnzimmer plausibel.
Überprüfen kann man es aber nicht.
Sind Putin und Kyrill so von der Großmachtphantasie „der
ganzen Rus“ besessen, daß sie unbedingt die Länder Ukraine, Kasachstan,
Moldawien, Belarus zusammenfügen wollen? Wenn das aber so ist, der
Kreml-Herrscher die Ukrainer als zu Russland gehörendes Brudervolk ansieht;
wieso sollte er dann alle umbringen wollen?
Wollen die Ukrainer alle kämpfen und ziehen mit fliegenden Fahnen freiwillig in die Schlacht? Oder hat es eher etwas damit zu tun, daß sie müssen, weil ihre Präsident alle Männer zwischen 18 und 60 dazu verpflichtet?
Bis mindestens Ende August gilt in der Ukraine das Kriegsrecht. Demonstrationen sind verboten, das Militär verfügt über enorm erweiterte Rechte, Soldaten dürfen Menschen erschießen.
Es gibt keine seriösen repräsentativen Meinungsumfragen zur Kriegsunterstützung in Russland. Sicher ist aber die allgegenwärtige Pro-Putin-Propaganda, die Unterdrückung der Kriegs-kritischen Stimmen in Russland. Eine hohe Zustimmung für Putins Kurs ist daher sehr wahrscheinlich.
[….] Im April 2022 sprachen sich nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine rund 82 Prozent der Russen für das Handeln des russischen Präsidenten Wladimir Putin aus. Der Beliebtheitsgrad Putins hatte in den letzten Monaten vor den Kampfhandlungen zugenommen und schnellte ungeachtet der westlichen Sanktionen, der russischen Repressionen gegen die Meinungsfreiheit und der Teuerung von Lebensmitteln auf diesen hohen Wert. Während des COVID-19-Lockdowns im Frühjahr 2020 war Putins Beliebtheitswert gesunken, bevor er im Spätsommer desselben Jahres wieder anstieg. [….]
Auch wenn die Werte mit Vorsicht zu genießen sind, so sind sie doch exorbitant höher als die Zustimmungsraten der Regierungschefs Johnson, Scholz oder Biden in ihren jeweiligen Ländern. In Deutschland lebende oppositionelle Russen bestätigen mit ihren Kontakten ebenso die hohe Putin-Zustimmung, wie in Russland lebende westliche Auslandskorrespondenten.
Ich bin daher außerordentlich skeptisch gegenüber der Annahme, die russische Armee würde bald wegen ihrer völligen Demotivierung zum Stehen kommen oder der Hoffnung, es könne eine Art Putsch gegen Putin geben.
Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn sich auf wundersame Weise ein neuer Kremlherrscher fände, der die Armee aus der Ukraine abzöge und demokratische Prinzipien einführte. Allein, mir fehlt der Glaube.
Bei der Erörterung der Motivation der beiden Armeen wird die Tatsache, daß nur auf ukrainischem Gebiet gekämpft wird, stets so interpretiert, daß die Ukrainer mir viel mehr Verve kämpften, weil es um ihre Heimat ginge, während die Russen gar keine Gefühle für die Gebiete hätten.
Ich meine, das läßt sich auch umgekehrt deuten: Da es die Ukraine ist, die total zerstört wird und nicht Russland, haben Ukrainische Familien eine größere Sehnsucht danach den Krieg zu beenden. Es werden schließlich ihre Häuser zerstört, ihre Kinder und Frauen ermordet. Die Angehörigen der russischen Soldaten sind weit im Osten in Sicherheit. Werden die Ukrainer das wirklich so lange durchhalten, wie die Russen?
[….] Auch bei Kiews Truppen sinkt teilweise die Moral – erste Soldaten desertieren
Präsident Selenskyj berichtet von etwa 100 getöteten Soldaten täglich. Glaubt man den Ukrainern im Donbass, ließen sich einige davon verhindern. [….] Wie die „Washington Post“ berichtet, ist die Stimmung bei einzelnen Einheiten der Ukrainer sogar so schlecht, dass sie desertieren. Das russische Militär soll im derzeitigen Hauptkampfgebiet des russischen Angriffskriegs in der Ukraine um Sjewjerodonezk demnach so übermächtig sein, dass die Ukrainer dort auf Gegenoffensiven verzichten könnten. Denn, so beschreibt es ein Kommandeur: „Die Russen wissen ohnehin schon, wo wir sind. Und wenn ein ukrainischer Tank von außerhalb schießt, wissen sie danach auch seine Position.“ [….]
Ich war noch nie im Krieg und behaupte auch nicht, mir genau vorstellen zu können, wie das ist.
Aber zu gewinnen, dürfte durchaus motivierender sein, als von einer Übermacht massakriert zu werden.
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