Kaum eine Berufsgruppe schlägt sich mit einem derart schlechten Image rum, wie „die“ Politiker.
Abgesehen davon, daß Pauschalurteile immer ungerecht sind und die schlechten, eigennützigen oder korrupten Politiker einfach auffälliger als die vielen hart Arbeitenden sind, leidet diese Berufskaste darunter, immer für alles verantwortlich gemacht werden, das mies läuft. Während sie umgekehrt nie einen Achtungsbonus für das bekommen, das gut läuft in der Infrastruktur oder der täglichen Versorgung.
Wer in die Politik geht, verfügt im Durchschnitt über eine deutlich höhere Allgemeinbildung als Otto Normalbürger, engagiert sich mehr ehrenamtlich und zeigt Interesse am Wohlergehen der Menschen. Myriaden Posten in der Kommunalpolitik können mangels Interesses der Bürger nicht vergeben werden. Das liegt nicht daran, daß diese Jobs so attraktiv sind und üppig bezahlt werden – sonst fänden sich genügend Bewerber. Auch die größten Politverächter wissen, daß man sich mit einem Platz im Ladratsamt oder als Gemeindekämmerer unglaublich viel Arbeit aufhalst, jeder Ärger bei einem abgeladen wird und man zudem auch noch ehrenamtlich unterwegs ist.
98% der Deutschen sind nicht Mitglied einer Partei und 99,9% tun sich nicht den Tort an, politisch zu arbeiten. Bei einem 80-Millionen-Volk bilden zwei Prozent zahlende Parteimitglieder immer noch einen deutlich ausreichenden Personenpool, um die Parlamente zu besetzen. Das Problem ist nur, unter den ein bis zwei Prozent Parteimitgliedern - das sind immerhin noch rund eine Million Menschen - die paar Hundert heraus zu filtern, die im Bundestag sitzen.
Da kommen die anderen 98% der Deutschen ins Spiel, die weniger gebildet, weniger interessiert und weniger qualifiziert sind. Sie bekommen bei Wahlen Personen zur Direktwahl und Parteilisten zu Auswahl vorgelegt und entscheiden dann so, daß beispielsweise 16 Jahre am Stück die bräsige Merkel im Kanzleramt sitzt, daß Typen wie Scheuer, Spahn und Karliczek Minister werden.
Das zeigt; schon bei einer Bundestagswahl verlagert man die Entscheidungsgewalt aus der Gruppe von einer Millionen halbwegs Interessierten und Informierten, in die größere und doofere Gruppe, die intellektuell mit einer solchen Wahl überfordert ist. Sie haben keinerlei politische Qualifikation, verstehen das aber aufgrund eines übergeordneten internationalen Dunning-Krueger-Effekts nicht nur nicht, sondern halten sich selbst aufgrund ihres „gesunden Menschenverstandes“ sogar für besser qualifiziert, als Profipolitiker.
Das ist nichts anderes, als eine besonders idiotisch völkisch verbrämte Null-Aussage.
"Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat."
- Albert Einstein
Die Volksvertreter müssen natürlich irgendwie den Willen des Souveräns abbilden; das kann man durch als allgemeine Wahlen bestimmen, wenn ich auch gewisse Modifizierungen am Wahlrecht, um die Doofheit etwas auszufiltern dringend empfehlen würde. Das wäre durch einige simple Maßnahmen möglich.
Man könnte die Demokratie um eine Demarchie (=Losverfahren) nach David van Reybrouck ergänzen, oder gemäß Jason Brennan eine Epistokratie (=Herrschaft der Wissenden) einführen.
(….) Brennans Lösung ist, sehr vereinfacht in meinen Worten ausgedrückt, daß man bei der Stimmenabgabe ein Multiple-Choice-Kompetenztest ausfüllen muß.
Je nach Ergebnis werden die Stimmen gewichtet. Wer alle Fragen korrekt beantworten kann, bekommt vielleicht drei Stimmen, während die Stimme des Blödmanns, der nichts über Parteien weiß nur mit 50% gewichtet wird.
Das ist ein Modell, über das ich schon seit Jahren nachdenke. Es erscheint mir praktisch kompatibel, weil so ein Multiple-choice-Test so viele Fragen haben könnte, daß man ihn nicht ohne weiteres auswendig lernen kann.
Es könnten 100 allgemeine politische Fragen erstellt werden, von denen jeder Wähler nach dem Zufallsprinzip bei der Stimmenabgabe 10 beantworten muß. Solche Tests sind leicht von Computern auszuwerten und würden keine großen Auszählungsprobleme mit sich bringen.
Jede Stimme könnte dann mit der Anzahl der richtigen Antworten multipliziert werden, so daß je nach Wissensstand zwischen Null und zehn Stimmen ins Wahlergebnis eingehen. (….)
(Auswege aus der Demokratie, 09.04.2017)
Die schlechteste Methode, Entscheidungen zu treffen, ist die Verlagerung vom Plenum der Volksvertreter zu den Nächstdümmeren, ihren Wählern.
Plebiszite sind ganz schlecht. In dem Fall bekommen nicht nur mehr Dumme die Möglichkeit das Ergebnis zu beeinflussen, sondern die Dümmsten sind durch den Dunning-Krueger-Effekt auch noch überproportional laut und generieren anders als die Dorftrottel (village idiots) früherer Generationen, durch die Algorithmen der Social-Media-Konzerne, auch extrem überproportional viel Aufmerksamkeit. Die riesige Mehrheit der vernünftigen Geimpften kommt in den Klugtelefonen kaum vor. Aber eine kleine Minderheit der Verblödeten diktiert die Nachrichtenlage.
Das Original-Boston ist nicht die berühmte 700.000-Einwohnerstadt in Massachusetts, sondern ein kleiner 35.000-Seelenort in der englischen Grafschaft Lincolnshire, an der Nordsee. Gegründet im Jahr 650, wurde sie über Jahrhunderte zu der nach London zweitwichtigsten britischen Handelsstadt.
Die rumreichen Zeiten sind aber lange vorbei. Viel Geld haben die britischen Bostoner nicht. Die Bauern betreiben Landwirtschaft und ließen bis vor wenigen Jahren ihre Felder von osteuropäischen Billig-Arbeitern bestellen.
Der aktuelle SPIEGEL stellt die ortsansässige Blumenhändlerin Mandy Bedford vor, die es irgendwie nicht mochte, so viele Ausländer im Ort arbeiten zu sehen. Sie wollte es britischer und votierte daher für den Brexit. Ihre BLUMEN bekommt sie aber nahezu zu 100% aus Holland. Nun ist der Brexit seit einem Jahr Realität und ihr Arbeitstag wurde - ÜBERRASCHUNG - teurer und komplizierter, weil nun fast alle Waren, die sie verkauft, aus dem Zoll-Ausland kommen.
[…..] Fragt man [Mandy Bedford], was der Brexit für sie verändert hat, schnauft sie und sagt: »Alles.« Sie weiß noch, dass sie selbst vor fünfeinhalb Jahren für den EU-Austritt gestimmt hat. Aber sie weiß nicht mehr so genau, warum. »Das ist so lange her, ich glaube, es ging irgendwie darum, unsere eigenen Regeln zu bestimmen.« Als er dann kam, der Brexit, prasselten plötzlich lauter neue Regeln auf Bedford und ihren Mann nieder, die seit 30 Jahren im Geschäft sind. […..] Für ihre Blumen, die sie großenteils aus Holland importieren, mussten sie über Nacht beginnen, endlose Formulare auszufüllen. Wegen der Kontrollen verzögerte sich die Lieferung mal einen, mal mehrere Tage. Manchmal warteten sie auch vergeblich. »Niemand hat uns je davor gewarnt«, sagt Bedford. […..] Weil alles schlagartig teurer und zeitaufwendiger wurde, mussten auch die Bostoner Blumenhändler ihre Preise erhöhen. Bis auf die Gelben Narzissen, »die wachsen auf englischem Boden«, wurde hier am Stand alles mindestens zehn Prozent teurer. »Das klingt nicht nach viel«, sagt Bedford, »aber schauen Sie sich um, das ist kein reicher Ort. Boston ist nicht das, was es einmal war.« […..]
Wer neoliberal-angelsächsisch denkend annimmt, ein „small business owner“ mit Jahrzehnte-langer Erfahrung, könnte wenigstens sie Basics seiner eigenen Branche beurteilen, wird wieder einmal eines Besseren belehrt.
Nein, die Bedfords betreiben ein Geschäft, das nahezu vollständig von frischen Waren aus der EU abhängt, kamen aber nicht auf die Idee, daß ein EU-Austritt irgendwie ungünstig sein könnte. Die Brexit-Volksabstimmung ist ein Musterbeispiel für die Diktatur der Inkompetenz.
Schwachsinnige, wie die "normalen Bürger", darf man eben bei so grundsätzlichen Dingen, nicht vorher fragen.
Die Beschränktheit des Volkes wächst bizarrerweise bei vollständigem Informationszugang (durch freies Internet) auch noch, weil eine Mehrheit der Menschen durch das fehlende Gatekeeping bei der Informationsflut hoffnungslos überfordert ist und Halt in Hass, Verschwörungstheorien und simplen Lösungen sucht.
Hinzu kommt auch noch das fatale „Idiocracy“-Prinzip: Die Doofen vermehren sich viel schneller als die Schlauen, die Fehlinformation verbreitet sich als von clickbaiting-affinen Algorithmen in Form von Fake News erheblich schneller, als ein einstündiger Christian Drosten-Vortrag, der wissenschaftlich fundiert ist.
Auf diese Weise mutierten große Teile der US-amerikanischen Q-TrumpliKKKans, die noch vor wenigen Jahren bereit waren, einen geradezu rationalen Menschen wie Mitt Romney zu wählen, zu einer hoch-debilen aggressiven Gaga-Masse, gegen die der 30.000-fache Lügner Donald Trump schon zu seriös wirkt.
[…..] In Phoenix, Arizona, feiert der durchgedrehte Teil einer zunehmend durchgedrehten Partei. Hier wirkt selbst Donald Trump wie die Stimme der Vernunft. Ein Ausflug in die Parallelwelt. […..] Donald Trump Jr. steht in einer Wolke aus Glitzerkonfetti auf einer Bühne. Über die Bildschirmwände hinter ihm flackern Blitze, aus den Lautsprechern lautes Gestampfe. "Wir sind die Frontlinie der Freiheit", ruft Trump Jr. in die Halle. "Yeaaah", kreischen ein paar Tausend Menschen. "Kämpft für euer Land, denn es ist es wert", ruft Trump. "Yeaaah." Dann beginnt ein Sprechchor. "Ju, Äs, Ei", rufen die Leute und klatschen bei jeder Silbe. "Ju, Äs, Ei. Ju, Äs, Ei." […..] Die konservative Studentenorganisation Turning Point USA feiert hier am Wochenende vor Weihnachten ihr "Americafest 2021", eine Mischung aus Konferenz, Party und Messe, bei der allerlei patriotischer Kram angeboten wird. Etwa zehntausend Besucherinnen und Besucher sind aus dem ganzen Land angereist. Auf der Rednerliste stehen praktisch alle Männer und Frauen, die im rechten Lager in Amerika als Idole angehimmelt werden, darunter ein 18-Jähriger, der mit einer AR-15 zwei Menschen erschossen hat. Es ist, um es gleich zu sagen, keine Veranstaltung, die zuversichtlich stimmt. […..] Nach Trump Jr. ist Sarah Palin dran. Die frühere Gouverneurin von Alaska und Vizepräsidentschaftskandidatin des Jahres 2008 ist als Vertreterin der "Bärenmamas" da. So nennen die Republikaner die konservativen Mütter, die in den vergangenen Monaten überall im Land Aufstände gegen Schulbehörden angeführt haben, die angeblich Amerikas Jugend mit marxistischem Teufelszeug wie der Critical Race Theory vergiften wollen. […..] Sarah Palin, fünffache Mutter und siebenfache Großmutter, hat ihre Fähigkeit nicht verloren, Sätze zu beginnen, die nicht immer so enden, dass sich daraus ein Sinn ergibt. Sie redet über Bärinnen: "Yeah, also die Bärenmamas", sagt Palin. "Yeah, eine Mutter stellt sich halt einfach auf die Hinterbeine, um ihre Jungen zu beschützen und die Freiheit für die nächste Generation zu bewahren." Und sie redet über das Virus: "Es geht nicht um das Virus, sondern darum, dass uns die Regierung kontrollieren will", sagt sie. "Es gibt mehr Viren auf der Erde als Sterne im Himmel." Sie werde sich niemals impfen lassen, sagt Palin. "Ich werde diese Impfung nur über meine Leiche bekommen." Die zehntausend Menschen im Saal, von denen etwa drei einen Mundschutz tragen, sind begeistert. […..]
(Hubert Wetzel, SZ, 27.12.2021)
Alle diese Menschen haben das Wahlrecht. Staatsformen, die ihr Heil in plebiszitären Elementen suchen und dieses Amalgam aus Bosheit und Borniertheit, befragen und beteiligen wollen, müssen scheitern.
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