Der aus Süddeutschland stammende Politikwissenschaftler Prof. Thomas Biebricher forscht und lehrt an der der Copenhagen Business School (CBS) und gilt als Koryphäe für den deutschen Konservatismus.
Seine letzten Buchtitel lauten: „Soziale Marktwirtschaft und Ordoliberalismus“ (2020), „Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus“ (2019), „Die politische Theorie des Neoliberalismus“ (2021).
Biebricher sieht die CDU/CSU derzeit in einer gewaltigen Krise und gibt im SPIEGEL-Interview mit Susanne Beyer interessante Denkanstöße dazu.
Nur eins versteht er nicht; wieso profitiert die SPD nicht von dem totalen CDU-Chaos und der sagenhaften Unfähigkeit der Unions-Minister?
[….] Es trägt zur Brisanz der Situation bei, dass die Union sehr ermüdet wirkt und in den Augen der Wählerinnen und Wähler an Attraktivität eingebüßt hat, ohne dass irgendjemand anders sich klar als Alternative herauskristallisiert: Ich kann es nicht genau sagen, warum die SPD so gar nicht von der Schwäche der Union profitiert, denn sie macht ja seit Jahren gute Regierungsarbeit. [….]
Ich könnte vielleicht weiterhelfen: Der deutsche Urnenpöbel ist unrettbar strukturkonservativ und verzeiht der CDU/CSU die hundertfache Skandal-Quantität, für die er die SPD auf Jahrzehnte ächten würde.
„Der Wähler“ zeigt sich gerade wieder von seiner allerdümmsten Seite.
Auf das totale CDUCSU-Chaos, die feste Umklammerung der CDU durch die erzkonservativen Grünen, die fassungslos machende Unverantwortlichkeit des Nichtstuns reagiert er wie folgt:
[….] Vom Personalgerangel in der Union können die anderen Parteien aber bislang offenbar kaum profitieren. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, würden derzeit 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler CDU oder CSU ihre Stimme geben. Das bedeutet eine leichte Verbesserung zu den Ergebnissen Ende März, als die Union zwischenzeitlich nur noch bei 27 Prozent lag und infolge der Maskenaffäre und mehrerer Abgeordneten-Rücktritte beinahe täglich neue Negativschlagzeilen machte.
Die SPD rutscht von zuletzt 16, zeitweise sogar 17 Prozent wieder tiefer in den Umfragekeller auf nunmehr 14 Prozent. Zweitstärkste Kraft würden der Erhebung zufolge weiter klar die Grünen mit 23 Prozent. Bei ihnen hat sich das Ergebnis ebenso wie bei AfD, FDP und Linken nicht oder nur minimal verändert. […..]
Was man von den konservativen Parteien erwarten kann, zeigte heute das Bundesverfassungsgericht klar:
Die CDUCSU- und die FDP-Bundestagsfraktionen klagten gegen den RRG-Mietendeckel in Berlin und bekamen Recht. Der Deckel ist ab sofort hinfällig; Hunderttausende Mieter müssen deftige Nachzahlungen fürchten, Immobilienspekulanten jubeln.
[….] Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hat, haben am Donnerstagabend mehrere tausend Menschen gegen das Urteil und für eine Veränderung in der Wohnungspolitik protestiert. Nach Tagesspiegel-Schätzung versammelten sich zum Auftakt rund 10.000 Menschen. Die Polizei sprach zunächst von einer Teilnehmer:innenzahl im unteren vierstelligen Bereich, der Veranstalter von 15.000 Teilnehmer:innen. [….]
Dabei musste sich das BVG gar nicht mit den Berliner Details befassen; im Gegenteil, politisch ist noch Luft für einen viel strengeren Mietendeckel.
Das Problem ist aber das existierende Bundesgesetz, die Groko-Mietpreisbremse, die von der CDUCSU extrem verwässert wurde.
Die SPD kämpfte hart dafür viel mehr für die Mieter zu erreichen, konnte sich aber selbstverständlich nicht vollständig durchsetzen, weil der Urnenpöbel sie mit 20% zur sehr viel kleineren Groko-Partei gemacht hat. Lieber wollte der Urnenpöbel einen größeren Einfluss der CDU und CSU.
Als Hamburg 2011 die Grün-Schwarze Landesregierung loswurde – mit den Grünen war der soziale Wohnungsbau in der Hansestadt komplett aufgegeben worden, es wurde keine einzige Sozialwohnung mehr gebaut – konnte in der SPD-Alleinregierung von 2011-2015 sofort ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm gestartet werden. Scholz ließ jährlich 10.000 Wohnungen bauen – das sind pro Kopf mehr Wohnungen als in jedem anderen Bundesland.
Das ist aber das einzige, das Länder tun können. Der Bundesbauminister heißt Seehofer und lässt nicht nur gar nicht bauen, kümmert sich überhaupt nicht um günstigen Wohnraum, sondern agiert durch das wässrige Mietpreisbremsen-Bundesgesetz noch viel perfider: Damit blockiert er nämlich jede Einflussnahme der SPD-geführten Bundesländer auf die Mieten.
Bundesrecht schlägt Landesrecht.
Die CDU und CSU steht fest an der Seite der Immobilienspekulanten und ist daher auch glücklich über den kräftigen Tritt des BVG in die Magengrube von Millionen Mietern: Nun können sie von Immobilienhaien wieder richtig ausgenommen werden.
[…..] Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte das Ende des Mietendeckels, der "der völlig falsche Weg" gewesen sei. "Er hat für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt. Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen." [….]
[…..] „Ich war erleichtert heute, dass das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel verworfen hat“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in einer Pressekonferenz. Die Entscheidung sei ganz wichtig gewesen, weil der Eindruck entstanden sei, dass mit diesem Mietendeckel der Staat immer mehr und immer stärker in die privatwirtschaftliche Gestaltungsfreiheit eingreife. „Wir alle wollen, dass es bezahlbaren Wohnraum gibt. Das geht aber nicht durch Deckelung“, so Altmaier weiter. [….]
(BZ, 15.04.2021)
Traditionell stehen CDU, CSU und FDP fest an der Seite der Immobilienspekulanten. Sie waren es, die in Bund und Ländern (Berlin! Diepgen!) Millionen im Staatsbesitz befindliche Wohnungen an Konzerne wie Vonovia vertickten.
Wir wissen auch genau, wieso sich CDU/CSU so für die Immobilienmilliardäre einsetzen.
[….] Lobbyismus: Immobilienwirtschaft ist größter CDU-Spender [….] Die Immobilienwirtschaft hat im Jahr 2020 mehr als 1,25 Millionen Euro an die CDU gespendet. [….] Demnach kommen fast 80 Prozent der veröffentlichten Parteispenden an die CDU inzwischen von Bau- und Immobilienunternehmern. Erstmals machten sie den größten Anteil aus. Zu den Einnahmen zählen mehrere Großspenden von Bauunternehmern und Immobilienhändlern zwischen 70.000 Euro und 800.000 Euro. Die Berechnungen lagen dem SPIEGEL vorab vor. Seit 2000 hätten die Unionsparteien 5,4 Millionen Euro aus diesem Sektor erhalten, so die Linksfraktion. [….]
Der Urnenpöbel hat es in der Hand. Er kann sich für den Kanzlerkandidaten entscheiden, der Scholz heißt, der als Bürgermeister Myriaden Wohnungen bauen ließ, dessen Partei sich wirklich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt.
Oder er kann auf Laschet/Söder setzen, die den Mietendeckel blockieren, sozialen Wohnungsbau stoppten und als Lobbyhuren der Immobilienwirtschaft passende Gesetze für Spekulanten machen.
Der Urnenpöbel möchte offenbar lieber letzteres und macht in allen Umfragen die CDUCSU doppelt so stark wie die SPD. Bei der Forschungsgruppe Wahlen legte die CDU heute kräftig auf 31% zu, die SPD liegt bei 14%.
Also nicht jammern, wenn man keine Wohnung findet und die Mieten durch die Decke gehen. Der Urnenpöbel hat es in der Hand und will es so!
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