Als der Corona-Mist vor einem Jahr los ging, noch kein Heilmittel, kein Schnelltest und erst recht keine Impfung in Aussicht stand, gab es angesichts der Horrorbilder aus Italien nur eine Handlungs-Option:
Mit allen Mitteln die Verbreitung der Pandemie stoppen. Das hieß natürlich, die Quantität der Mensch-Mensch-Kontakte drastisch herunterfahren.
Sehr schnell wurde beobachtet, wie extrem die Sterberate vom Alter der Infizierten abhing. Die über 80-Jährigen starben wie die Fliegen und so war es für jeden einsichtig, daß Altenpflege-Einrichtungen abgeriegelt werden mussten. Senioren mussten strikt isoliert werden.
Als rechtlicher Betreuer einer dementen Person stellte ich die Maßnahme nicht in Frage. Sicherheit ging vor.
Natürlich ärgerten mich die dummerhaft-lapidaren Anregungen aus dem Spahn-Ministerium, nach denen man auf Videotelefonate ausweichen könne.
Das kann nur jemand empfehlen, der noch nie eine Demenzstation gesehen hat. Natürlich fehlt den meisten Dementen und Alzheimer-Patienten nicht nur das technische Knowhow, sondern auch die Abstraktionsfähigkeit. Wenn ich dort auf den Handybildschirm auftauche und von einer Betreuerin dem Patienten vor die Nase gehalten werde, erkennt er mich bestenfalls und hält das für ein Foto. Er versteht aber nicht, daß ich hier vor ihm erscheine und rede, während ich aber gleichzeitig gar nicht da bin und mich weit weg aufhalte.
Wir gewöhnten uns aber an den neuen Alltag, hielten Abstand, bestellten fürchterlich viel online und trugen nach den ersten Monaten der Engpässe immer ein Fläschchen Sterillium in der Jackentasche und eine FFP2-Maske auf der Nase.
So lange aus dem Pflegeheim ausgesperrt zu sein, wurde aber zu einer riesigen Belastung. Egal, ob man Angehöriger, einzige Kontaktperson oder Generalbevollmächtigter war. Keine Ausnahmen.
Natürlich brachte ich immer mal wieder Geschenke kontaktlos vorbei.
Vorher anrufen, ‚ich stehe vor der Tür und stelle hier etwas ab‘, zurück zum Auto gehen und aus der Ferne zugucken, wie ein Pfleger die Sachen an sich nahm.
Einmal konnte ich einen dieser Geschenkübergabetermine nicht einhalten und bat eine gemeinsame Freundin, die in einem Obstladen arbeitet, für mich zum Pflegeheim zu fahren. Blumenläden waren geschlossen, aber Obstläden, die auch Blumen verkauften, offen.
Meine Freundin fuhr also mit einem großen Blumenstrauß los und erzählte mir anschließend freudestrahlend, sie wäre gleich reingelassen worden, durfte hoch in das Zimmer gehen und habe sich sehr nett mit der von mir betreuten Person unterhalten. Sie hätte sich so sehr über Besuch gefreut nach all den Monaten.
Ich dachte, sie erzählt Märchen. Wieso wird sie, als völlig Fremde problemlos raufgelassen, während ich als zuständiger Mensch alle Register gezogen hatte und stets scheiterte?
Des Rätsels Lösung: Sie war mit dem Firmenwagen, der einen Obstkorb auf dem Dach als Krone trägt gekommen und galt daher nicht als „Besuch“, sondern als „Dienstleisterin“.
Dienstleister hatten aber immer Zutritt, weil sie notwendig sind.
Rechtlich verstehe ich das: Die Politik war gezwungen zu handeln, musste also strikte Grenzen des Zugangs zu Altenheimen aufstellen. Da man die Pfleger, Köche, Reinigungsleute, Ärzte logischerweise nicht aussperren kann, traf es die privaten Besucher.
Epidemiologisch war die Regelung aber in der Phase vor den Tests und Impfungen grober Unfug. Die Gefährlichkeit einer Besuchsperson hing schließlich von der Anzahl ihrer Kontakte ab.
Demnach war ich maximal ungefährlich, weil ich Single bin, keine öffentlichen Verkehrsmittel nutze und ohnehin zu Hause arbeite.
Ich traf ohnehin nie einen Menschen.
Meine Freundin hingegen, hatte als Verkäuferin in einem sehr stark frequentierten Obstladen jeden Tag hunderte direkte Kontakte mit Fremden.
Sie wäre also diejenige gewesen, die man am allerwenigsten zu nicht geimpften über 90-Jährigen lassen sollte.
Aber sie durfte rein. Ich musste draußen bleiben. Dienstleisterin vs Privatbesuch.
Hätte ich ein Bein in der Aluhutszene gehabt, würde Covidioten-Telegrammeldungen lesen oder hätte eine Neigung zum Wutbürgertum, wäre dies der Zeitpunkt gewesen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Festzustellen, daß „die da oben nur Unsinn machen“. Hätte vielleicht aus Trotz fürderhin gar keine Corona-Regeln mehr akzeptiert.
Glücklicherweise bin ich aber habituell Naturwissenschaftler und habe nicht die allergeringste Neigung zu Metaphysik, Schwurbelei, Religion, Verschwörungstheorien, Esoterik und Extremismus.
Quantität schlägt Qualität.
Politiker müssen dafür sorgen die absolute Zahl der Kontakte zu reduzieren. Es wäre wünschenswert, wenn dies nur durch perfekt durchdachte und praktikable Methoden geschieht. So etwas zu erwarten ist aber aus vielen Gründen illusorisch.
Daher geht es nicht in erster Linie um die Logik und Qualität der Abstandsmaßnahmen, sondern darum das Gesamtkontaktgeschehen quantitativ runter zu regeln. Es ist unterm Strich sinnvoller 1000 verschiedenen Menschen ein Treffen mit lediglich 2 Fremden zu verbieten, als zwei Menschen zu stoppen, die jeweils 100 andere küssen.
Trotz der Apps, der Desinfektion und den Impfungen, bleibt es angesichts der deutlich ansteckenderen verschiedenen Mutanten notwendig Kontakte zu reduzieren, um die Wellen zu brechen.
Die Alten sind geimpft und sterben nicht mehr an Covid19, aber nun liegen bald 5.000 mittelalte Patienten auf den Intensivstationen und kämpfen um ihr Leben.
Immer mehr Krankenhäuser müssen andere Operationen aufschieben. Hamburg nimmt jeden Tag Corona-Infizierte aus anderen Bundesländern auf, weil es dort keine Beatmungsplätze mehr gibt.
In den letzten Tagen musste ich mehrfach eine Arbeit abbrechen, um pünktlich vor 21.00 Uhr der Hamburger Ausgangssperre zu Hause zu sein.
Ich bin überfällig, in den Supermarkt zu gehen, weil ich das gewohnheitsmäßig spätabends tue.
Und es nervt mich. Statt um 23.00 Uhr einzukaufen, wenn da kaum noch Betrieb ist, man bequem Abstand halten kann, muss ich um 20.30 spätestens nach Hause und das Grocery Shopping auf den nächsten Tag verschieben – zu einer Uhrzeit, wenn es schon voll ist und sich alle aneinander drängen. Statt Ladenschließung um 21.00 Uhr wäre es meines Erachtens sinnvoller die Öffnungszeiten auf 24/7 auszudehnen, so daß sich die Kunden mehr verlaufen können.
Aber, und es gibt ein großes Aber: Der strenge Hamburger Weg der allgemeinen Ausgangssperre ab 21.00 ohne Ausnahmen für Hunde und Jogger funktioniert.
Der habilitierte Labormediziner Peter Tschentscher, zurzeit Hamburgs Regierungschef, lag also richtig.
In Hamburg sinken die Infektionszahlen besser als in den Bundesländern, die lockern.
[….] Noch in dieser Woche soll die Pflicht zur Notbremse kommen: In Hamburg ist zu sehen, wie schnell die Infektionskurve abflachen könnte – vor allem die Ausgangssperre ist wohl effektiver als gedacht. [….]
(Julia Köppe, SPON, 19.04.2021)
Es ist also weniger relevant, ob ich jede einzelne Regel als sinnvoll erachte.
Wichtig ist vielmehr, die beschlossenen Maßnahmen konsequent zu befolgen und nicht immer aus der Reihe zu tanzen, wenn Einzelfälle absurd erscheinen.
[….] Die Entwicklung in Hamburg: Endlich mal ein Lichtblick.
Denn in der Hansestadt sind die Corona-Infektionszahlen seit Tagen rückläufig. Wurden vor einer Woche am 14. April noch 479 Corona-Infektionen bestätigt, sank die Zahl stetig bis auf 227 Neuinfektionen am Dienstag. Zwar sind am Mittwoch mit 400 erneut viele Infektionen gemeldet worden, dennoch sank die Sieben-Tage-Inzidenz im Vorwochenvergleich konstant weiter und lag zuletzt bei 130,3. Auch deutschlandweit gehen die Zahlen der Neuinfizierten herunter. Doch Hamburg verzeichnet den stärksten Rückgang der Inzidenz – um 6,5 Prozent. [….] Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) führt die positive Entwicklung in der Hansestadt auf die bestehende Ausgangssperre zurück: „Als wir die Ausgangssperre hier angekündigt haben, hatten wir eine Inzidenz von über 160. Wir sind das einzige Bundesland, dass seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich zurückgeht auf heute 134.“ Wenn man sich die zeitliche Korrelation ansehe, sei dies die naheliegendste Begründung, so Grote. […..]
Also Querdenker, bitte sofort aufhören bei Aluhutmärschen Superspreader-Events anzuzetteln, sondern lieber das tun, was „die da oben“ wollen.
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