Mittwoch, 9. Juli 2014

Nachtlektüre

Da es in Hamburg nicht abkühlt und es die ganze Nacht warm und extrem schwül war, konnte ich natürlich kein Auge zukriegen und hockte die ganze Zeit vorm Ventilator.
Nicht schlafen zu können ist an sich schon Folter, aber wenn man todmüde ist und sogar Zeit zum Schlafen hätte, aber durch äußere Umstände (Hitze, Lärm, etc) gehindert wird, ist das absolut unkomisch.
Da bleibt nur aus der Not eine Tugend zu machen. Also einen Kaffee kochen und die Zeit nutzen.
Ich habe mir den Spaß gemacht mal ausführlich Artikel aus Zeitungen von links bis rechts zum Thema „deutsche Amerikapolitik“ zu lesen.
Das Verhältnis zu Amerika ist eins der Themen, bei denen bisher die öffentliche Meinung recht stark von der VERöffentlichten Meinung abwich.
Unter den Verlegern gibt es eine enorme Transatlantiker-Übermacht, die schon seit den Studentenunruhen während des Vietnamkriegs hart gegen antiamerikanische Töne aus dem Volk anschreibt.

Nun scheint aber so eine Art turning point erreicht sein, wie ihn auch die fast durchweg neoliberalen Wirtschaftsjournalisten um 2009 erlebten: Ihre bisherige Weltsicht war nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Dabei mußte die Bundeskanzlerin zu nichts gedrängt werden; im Gegenteil, kaum ein deutscher Politiker ist so extrem proamerikanisch wie Angela Merkel. Zu Zeiten des Irakkrieges wandte sie sich entgegen aller Usancen, daß die Opposition die Bundesregierung nicht im Ausland kritisiert, scharf gegen Schröders Anti-Irakkriegskurs und versicherte ihrem geliebten George W. Bush an seiner Seite zu stehen.
Offensichtlich stimmt Merkels persönliches Verhältnis zu Obama keineswegs so gut, wie das zu seinem Vorgänger, aber ihre bedingungslose US-Treue stellte das nie in Abrede. Die dreistesten US-Beleidigungen erträgt sie lächelnd und signalisiert immer wieder gen Washington: „Ich dürft mit mir tun was ihr wollt, ich bin eure treue Dienerin!“
Weniger Rückgrat war nie. Undenkbar, daß ein Helmut Schmidt, der einst US-Botschafter einbestellte und US-Präsident Carter ungeniert seine Meinung aufzwang, so devot vor Washington gebuckelt hätte. Dabei war auch Schmidt ein klarer Transatlantiker, der geschliffenes englisch spricht und nie einen Zweifel an seiner Dankbarkeit aufkommen ließ.

Grundsätzlich kann man die Frage stellen, ob man gegenüber einer sehr viel mächtigeren Nation, die einen demütigt mehr mit beleidigtem Fußaufstampfen oder serviler Arschkriecherei erreicht.
Theoretisch hätte es sein können, daß Obama die Kanzlerin für ihre Duldsamkeit und Unterwürfigkeit belohnt, indem er Deutschland beispielsweise zur fünften Nation (nach Australien, Neuseeland, Canada und Israel) macht, die nicht als feindlich angesehen wird.

Nun erweist aber die Praxis das Gegenteil. Washington ist nicht nur nicht dankbar für die Berliner Untertänigkeit, sondern sieht darin offenbar einen Ansporn weiter gegen Deutschland zu spionieren.

Merkel allein zu Haus, melden nun auch die rechten US-Freunde aus den Springer-Redaktionen.
Obwohl SPRINGER-Journalisten sogar per Satzung dazu gezwungen sind proamerikanisch zu wirken, klingt der heutige Abendblatt-Leitartikel wie aus der taz:

Gebt Snowden jetzt Asyl!
Ja, die USA sind unser Partner. Aber der Spionagefall zeigt: Wir müssen ein Signal setzen
[…] Nach dem völkerrechtlich illegalen Irak-Krieg der Bush-Regierung, den Folterskandalen von Abu Ghraib und Guantánamo haben die NSA-Spionageaffäre und jüngst die Anwerbung eines BND-Mitarbeiters durch die CIA das Ansehen Amerikas auf einen historischen Tiefpunkt sinken lassen.
Die Onlineausgaben großer amerikanischer Medien wie "New York Times", CNN oder ABC News hatten am Dienstag jedoch auf den vorderen Rängen keine Zeile dazu. Das liegt daran, dass die USA unser Gemurre nicht recht ernst nehmen. Der traditionell aufgeblähte Patriotismus in den USA sorgt zudem für eine selektive Wahrnehmung: Dient etwas amerikanischen Interessen, so ist es nicht zu tadeln, auch wenn es moralisch verwerflich sein mag. Es gilt in Washington als selbstverständlich, dass man einen ökonomisch und politisch bedeutenden Staat wie Deutschland – der im Übrigen auch ein wirtschaftlicher Rivale ist – bis ins Detail ausspionieren muss. […] Deutschland muss ganz einfach erwachsen werden, eine pragmatische Partnerschaft ohne Zuckerguss zu den USA entwickeln und ebenfalls eigene Interessen verfolgen. Da nun klar ist, dass die USA nicht bereit sind, Rücksicht auf das Verhältnis zu Deutschland zu nehmen, könnte man durchaus überlegen, ein klares Signal zu setzen, indem man dem NSA-Enthüller Snowden, der ganz erhebliche Verdienste um unser Land erworben hat, Asyl gewährt.

Dabei war während dieser Artikel geschrieben wurde der neuerliche US-Spionagefall in von der Leyens Ministerium noch gar nicht bekannt!

Zum zweiten Mal innerhalb von nur wenigen Tagen durchsuchten Polizisten die Amtsstuben von deutschen Behördenmitarbeitern, die für die US-Geheimdienste spioniert haben sollen.
Auch wenn die Bundesregierung offiziell noch warten will, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, ist ihr mittlerweile klar, dass die US-Dienste in Deutschland weiter im großen Stil Informationen abgreifen - trotz der NSA-Affäre und der Turbulenzen um das abgehörte Kanzlerinnen-Handy.
Der Fall des mutmaßlichen Spions im Wehrressort ist mindestens genau so heikel wie der beim BND. […] Das Ministerium verweigerte am Mittwoch jegliche Stellungnahme. In der Bundespressekonferenz gab ein Sprecher lediglich zu Protokoll, dass man den Fall "sehr ernst" nehme, alles andere müsse nun die Bundesanwaltschaft klären. Im Haus von Ministerin von der Leyen, die regelmäßig über den Fall unterrichtet worden war, gilt allein der Verdacht gegen den Mann als politischer Sprengsatz. […]

Die Amis sind aber nicht nur dreist und verhalten sich illegal; nein sie sind auch noch unprofessionell und erfolglos bei ihren Bemühungen.

Der größte Einzelerfolg der Central Intelligence Agency ist es, dass die Welt sie immer überschätzt hat. Freunde und Feinde Amerikas denken, die CIA wisse alles und könne alles, verkennen aber ihre notorische Inkompetenz. Wenn die Agency Putschisten, Rebellen oder Despoten päppelte, endete es meist in endlosem Chaos. Vor allem aber scheitert die CIA oft an ihrer Kernaufgabe: dem US-Präsidenten die Welt so zu erklären, wie sie wirklich ist. Kein Großereignis der jüngeren Zeit hat sie kommen sehen, weder den Fall der Mauer, noch die Invasion Kuwaits durch Saddam Hussein, noch die Terrorpläne al-Qaidas.
Der jüngste Betriebsunfall ist da eher harmlos: Ein Schreibtischagent beim Bundesnachrichtendienst hat – mutmaßlich – der CIA Unterlagen verkauft und ist aufgeflogen, weil er auch die Russen bedienen wollte. Die CIA ist sich hier doppelt treu geblieben: Erstens waren ihre westdeutschen Büros schon im Kalten Krieg stets von untreuen – sprich: sowjetischen – Agenten unterwandert. Zweitens dürften Aufwand und Ertrag wie immer in keinem Verhältnis stehen: Da die Substanz von BND-Papieren meist mager ist, haben den größten Verlust in diesem Fall vermutlich Amerikas Steuerzahler erlitten.
[….] Immerhin war [Obama] ehrlich: Er hat Angela Merkels Telefon für unberührbar erklärt, mehr aber nicht. Er hat gesagt, er werde sich nicht dafür entschuldigen, dass die USA besser spionierten als andere. In Berlin muss jeder Minister, Fraktionschef oder General davon ausgehen, dass die Amerikaner im Bilde sind. [….] Der einstige US-Geheimdienstchef Richard Helms hat einmal gesagt, die USA seien unfähig, einen Spionagedienst zu organisieren, weil sie sich zu wenig für das interessierten, was auf der Welt passiere. Das Desinteresse der USA an den Deutschen ist viel schlimmer als die Gier der CIA nach wertlosem Papier.

Es ist an der Zeit, daß Angela mit den vollen Hosen endlich die Amerikanische Fehlbarkeit anerkennt und den Unmut aufgreift, der  bis weit hinein in ihre Partei neuerdings klar artikuliert wird.

In Washington hört das allerdings noch niemand.
Welcher Amerikaner kennt überhaupt solch irrelevante Ameisen wie Röttgen, Beck oder Mißfelder, die sich gerade in Washington rumtreiben und unter größtem Desinteresse der US-Medien über CIA-Spione klagen?

Röttgen sagt: er-heb-licher Schaden. Das erzeuge eine "negative Wahrnehmung amerikanischer Politik" in Deutschland. […] "Wir stellen fest, dass bei unseren Gesprächspartnern sehr wenig Problembewusstsein vorhanden ist." Und: "Wir haben keine Informationen und Hinweise darauf erhalten, dass sich die Politik ändert, dass sich die Kommunikation ändert, so dass noch ein weiter Weg zu gehen ist, um den Schaden zu begrenzen." Erneut haben die Deutschen in dieser Woche erfahren müssen, was Dialog für die Amerikaner bedeutet: Ihr dürft reden, wir hören Euch zu, mehr aber auch nicht. Natürlich haben die Abgeordneten aus dem Bundestag nicht erfahren, wer eigentlich die Aufträge zur Anwerbung solcher Spitzel gibt, wer sie steuert, wer am Ende entscheidet.
[…] Marieluise Beck, Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss, meint: Es gebe da eine "Schwingung" in der deutschen Bevölkerung, nach der man den USA nicht zu nah sein sollte. Das nehme zu. Europas Rechtspopulisten würden das auszunutzen suchen und Brücken zu nationalistischen Kreisen im Kreml aufbauen: "Vor diesem Hintergrund ist das, was wir in den letzten Tagen erleben, verheerend." Beck sagt: ver-hee-rend.
Was tun also? US-Agenten ausweisen? Edward Snowden doch einreisen lassen? Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen stoppen? Stefan Liebich, Delegationsmitglied der Linken, möchte etwa die Zusammenarbeit der deutschen Geheimdienste mit den US-Partnern einstellen, solange letztere sich nicht an deutsches Recht halten. Nichts von alledem, sagt hingegen Röttgen: "Vergeltung von Dummheit mit Dummheit" sei ein "irrsinniges Vorgehen". […] Und wenn sich - was recht wahrscheinlich ist - trotz all des Redens und Appellierens nichts ändert an Amerikas Spionagepraxis? "Dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es so ist", sagt Röttgen. […]

Es ist offensichtlich, daß Washington Merkels Epigonenverhalten nicht würdigt, sondern sie nun erst recht nicht ernst nimmt. Es ist Zeit auf den Bush zu klopfen.
Die Kanzlerin wird das aus eigenem Antrieb kaum tun, aber es könnte sein, daß sich jetzt in ihrer eigenen Koalition ein so starker Wunsch Obama ernsthaft zu piesacken manifestiert, daß sie sich dem nicht entziehen kann.

Obama bereitet sich unterdessen doch schon mal auf den Fall vor, daß ein kleines Shit-Windchen aus Berlin rüber fliegt.
Er weiß von nichts.

Am Donnerstag vergangener Woche hat Barack Obama mit Angela Merkel telefoniert, wie so oft unterhielten sich US-Präsident und Kanzlerin über die Ukraine.  […] Die Kanzlerin erwähnte die Spionageaffäre am Telefon offenbar nicht, obwohl sie von den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gewusst haben dürfte; festgenommen hatte man den Verdächtigen schon einen Tag vorher. Der Präsident soll sogar völlig ahnungslos gewesen sein.
Im Gespräch mit der New York Times erklären anonyme Mitarbeiter aus dem Weißen Haus, sie seien verärgert, weil die CIA sie nicht ins Bild gesetzt habe. […] Die Amerikaner sind im Allgemeinen famose Experten für den politischen Brandschutz, und im Weißen Haus sind sie es besonders. Wenn der Präsident in seinem Oval Office sitzt, schirmen ihn unzählige Brandmauern ab vor Funkenschlag und Schwelbränden des Regierungsalltags. Seine Mitarbeiter entscheiden, wann ihn welche Informationen erreichen, und manchmal kann es sinnvoll sein, dass er von schlechteren Nachrichten so spät erfährt wie möglich.
[…] Mittlerweile sind die höchsten Verantwortlichen freilich damit beschäftigt, den neuesten Brandherd im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu löschen. CIA-Direktor John Brennan hat bereits mit dem Kanzleramt telefoniert. Brennan ist so etwas wie ein Experte für Brandvorbeugung. […] Dass Nato-Staaten sich gegenseitig ausspionieren, ist ein schlechter Witz. Ein Militärbündnis kann ohne gegenseitiges Vertrauen nicht richtig funktionieren. Zeit für ein Commitment der Geheimdienstchefs. […]

Welch groteske Vorstellung. Wenn der Chef der Weltmacht Nr. 1 mit der Chefin der Weltmacht Nr. 4 spricht, weiß der eine nicht worum es geht und die zweite traut sich nicht etwas zu sagen!
Stattdessen verkalkulierte sich Merkel durch miserables Timing und Hinauszögern so sehr, daß sie ausgerechnet in China die USA kritisieren mußte und sofort von der Chinesischen Regierung ins Opfer-Boot gezerrt wurde. Gemeinsam leide man unter NSA und CIA, sagte der chinesische Regierungschef neben einer gequält guckenden Merkel.

Kein Wunder, daß Obama und die NATO in Libyen, Syrien, der Ukraine und Pakistan so sagenhaft erfolglos sind wie im Palästina-Konflikt.

Kein Wunder, daß eine diplomatisch und geheimdienstlich professionell arbeitende Politikerklasse in Moskau nur noch abfällig über uns lacht.

1 Kommentar:

  1. Zur netten Frau M. von der CDU hast du Recht, Tammox. Unterwürfiger geht es nicht.

    "Kein Wunder, daß Obama und die NATO in Libyen, Syrien, der Ukraine und Pakistan so sagenhaft erfolglos sind wie im Palästina-Konflikt."

    Mit der Einschätzung, liegst du ein bisschen daneben. Die politischen Ziele der USA sind vorwiegend wirtschaftlicher Natur. Es geht um Waffen und Öl. Und da ist man nicht unbedingt auf Frieden aus.

    Und den Palästina-Konflikt, könnte niemand beenden. Dafür ist zu viel Zündstoff in dem Konflikt. Das geht ja zürück bis auf Moses. Es wird immer offene Rechnungen geben, weil die Reibungsfläche auf dem kleinen Raum, einfach zu groß ist.

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