Bücher können aber auch über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende aktuell bleiben und immer wieder neue Generationen faszinieren.
Emily Brontës „Wuthering Heights“ erschien 1847 und ist ein so erstaunlich moderner Roman, daß er immer wieder verfilmt wird und immer neue lesende Teenager in seinen Bann zieht.
Manche große Autoren, die auch Generationen nach ihrem Tod weiterwirken, verwendeten eine zeitgemäße Sprache, die uns durch Exotik fasziniert, aber auch ein Weltbild zeigt, welches nach heutigen Maßstäben als zutiefst rassistisch gilt und nur noch von Rechtsradikalen verwendet wird.
Beispiele sind Mark Twain (1835-1910), Margaret Mitchell oder JRR Tolkien. Ihre Bücher sind voller Rassismus.
Es wäre aber idiotisch, Margaret Mitchell (1900-1949) als Rassistin zu bezeichnen. „Gone with the wind“ spielt 1860 und wurde 1935 geschrieben. Mitchell selbst war für ihre Zeit eine moderne Frau, die sich für schwarze Bürgerrechte engagierte.
Wären Twain oder Mitchell heute noch lebendig, würden sie sicherlich keine Begriffe wie „Neger“ privat verwenden.
Ich halte die nachträgliche Änderung ihrer Wortwahl, um sie heutigen Sprachgewohnheiten anzupassen, für aberwitzig, da es sich um Zeitdokumente handelt und von mündigen Lesern erwartet werden kann, den historischen Kontext einzuordnen.
Unsere Vorstellung von „Menschenrechten“ unterliegt einem stetigen Wandel. Das ist die Stärke des „evolutionären Humanismus“. Dessen muss man sich bei allen alten Texten bewußt sein. Das deutsche Grundgesetz von 1949 verträgt sich mit einer rechtlichen Schlechterstellung der Frau, Prügelstrafen für Kinder, straffreier Vergewaltigung in der Ehe und der Kriminalisierung von homosexueller Liebe.
Die Verfassung der USA stammt vom 17. September 1787. Wahlrecht für Frauen oder gar Schwarze ist dort genauso wenig vorgesehen, wie die Legalisierung gemischtrassiger Ehen. Daß die „Founding Fathers“ Rassisten und Sklavenhalter waren, disqualifiziert sie nicht in toto für heute, da sich zu ihren Lebenszeiten noch kein allgemeines Unrechtsbewußtsein wider die Sklaverei entwickelt hatte.
Noch in den 1930er und 1940er Jahren gingen die Hamburger ganz selbstverständlich zu Carl Hagenbecks „Völkerschauen“ und kamen gar nicht auf die Idee, es könnte Unrecht sein, Menschen anderer Ethnien als „Wilde“ im Tierpark auszustellen.
Die Zeiten des alten Carl Hagenbeck, der kontinuierlich neue Wildtiere und Menschen in Afrika einfangen ließ, um sie in seinem Hamburger Zoo vorzuführen, sind vorbei.
Es ist keine Hundert Jahre her, daß man hier bei mir vor der Tür in Hamburg entrechtete Menschen in Käfige sperrte und anglotze.
Gerne wurden „Schau-Neger“ auf
Jahrmärkten gezeigt. Carl Hagenbeck ließ für seinen Zoo in
Hamburg allerlei „wilde Afrikaner“ einfangen und zeigte sie den höchst
interessierten Hanseaten in seiner „Völkerschau“.
Den christlichen Besuchern kam es gar nicht in den Sinn, daß es irgendwie
unmoralisch sein könnte, neben Löwen und Antilopen auch Hottentotten und Zulus
in Käfigen zu zeigen.
Die Körperlichkeit der vielen afrikanischen Völkerschauen in Deutschland
faszinierte insbesondere die Frauen in Deutschland - hatten sie doch in der
Regel noch nie nackte Männer gesehen.
Blütezeit der Völkerschauen in Europa war zwischen 1870 und 1940. Allein in
Deutschland wurden in dieser Zeit über 300 außereuropäische Menschengruppen
vorgeführt. Teilweise lebten in diesen „anthropologisch-zoologischen
Ausstellungen“ gleichzeitig über 100 Menschen.
(Wiki)
Tatsächlich konnten die in Hamburg gefangenen Afrikaner noch von Glück reden.
Es war nämlich durchaus auch üblich „Neger“ aus praktischen Erwägungen
auszustopfen oder des einfacheren Transports halber nur ihre Köpfe
auszustellen.
Noch heute lagern in den Kellern der Berliner Charité kistenweise getrocknete
Köpfe von Menschen aus allen Gegenden Afrikas.
Es wäre unsinnig, alle Idee der „Founding Fathers“ zu verwerfen, weil sie Kinder ihrer Zeit waren. Man darf aber auch nicht vergessen und verschweigen, daß sie Sklaverei-Befürworter waren. Daher sind ihre Lehren heute nicht mehr als absolut anzusehen.
Natürlich ist es genau deswegen schwachsinnig, wie die US-Bundesverfassungsrichterin Amy Vivian Coney Barrett (*1972) auf Textualismus als und Originalismus zu bestehen und die US-Verfassung auch im Jahr 2023 derart wörtlich auszulegen, daß buchstäblich jeder Irre in den USA nach Belieben automatische Schnellfeuerwaffen mit sich herumtragen darf.
Der berühmt berüchtigte Zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (Second Amendment to the United States Constitution) garantiert als Teil der Bill of Rights, den Besitz und das Tragen von Waffen. Er wurde aber 1791 verabschiedet, als noch niemand ahnte, was eine AR15 ist und welche massenmordigen Konsequenzen diese Waffen auf das Volk haben.
Wie bei Twain oder Mitchell, muss unbedingt der historische Kontext mitgedacht werden, wenn man den Text heute liest. Die juristisch-wörtliche Auslegung verbietet sich dabei automatisch. Das weiß eigentlich auch Coney Barrett, denn nach den Regeln vom 17. September 1787 dürfte sie als Frau weder wählen, noch studieren; Richterin oder gar oberste Verfassungsrichterin werden.
Das ist das Problem bei Konservativen und alten Texten; sie betreiben „Cherrypicking“; suchen sich also immer die Stellen einer alten Schrift heraus, die ihnen zufällig in ihre erzkonservative Agenda passt, die sie wiederrum damit untermauern, der Text aus dem diese Regeln stammten, wäre sakrosankt.
Solche Konservativen sind extreme Heuchler, weil sie gleichzeitig, die Teile des Werks, dessen wörtlichen Text man nicht ignorieren dürfe, die nicht in ihre Agenda passen, ignorieren.
Noch viel problematischer wird die spezifisch konservative Exegese bei wesentlich älteren Texten. Bücher wie Torah, Tanach, Bibel, Koran und Talmud.
Dabei handelt es sich offenkundig um faszinierende Bücher, da sie immer noch gedruckt und gelesen werden. Aber sie enthalten allesamt Regeln einer primitiven, antihumanistischen, grausamen Hirtenkultur, die mit der UN-Menschenrechtskonvention beim besten Willen nicht vereinbar ist. Sklaverei, drastische Ungleichheit der Menschen, brutale Todestrafen, Misogynie, Homophobie.
Dazu kommen beispielsweise in der antihumanistischen Bibel jede Menge schlicht unsinnige, das komplett aus der Zeit gefallene Vorschriften, wie der Bann von Tattoos, dem Verzehr von Schalentieren oder der Herstellung von Mischgewebe.
[……] Wäre die Bibel ein aktuelles Buch, das heute erstmals veröffentlicht würde, müssten sich Autor und Verleger mit aller Wahrscheinlichkeit wegen Verletzung der Rassismusnorm verantworten. Die Verantwortlichen müssten mit einer Verurteilung rechnen. Das „heilige Buch“ enthält zahlreiche Aufforderungen zu Völkermorden. Rassistische Aussagen werden aber vor allem gegen die Juden gemacht. [….] Picken wir ein paar Beispiele heraus und beginnen mit Paulus. [siehe oben] (1 Thess. 2; 14-16). Mindestens in diesem Aspekt ist die Bibel prophetisch: Auch 2000 Jahre später wirkt der Fluch noch immer nach.
Die Unreinen und Ungläubigen aus dem Judentum werden an anderer Stelle so charakterisiert: „Denn es gibt viele Ungehorsame, Schwätzer und Schwindler, besonders unter denen, die aus dem Judentum kommen. Diese Menschen muss man zum Schweigen bringen, denn aus übler Gewinnsucht zerstören sie ganze Familien mit ihren falschen Lehren … Für die Reinen ist alles rein, für die Unreinen und Ungläubigen aber ist nichts rein, sogar ihr Denken und Gewissen sind unrein. Sie beteuern, Gott zu kennen, durch ihr Tun aber verleugnen sie ihn; es sind abscheuliche und unbelehrbare Menschen, die zu nichts Gutem taugen.“ (Tit. 1; 10-16). […..]
Bibel und Koran lesen: Ja, gern!
Aktuelle Gesetzgebung nach ihnen ausrichten: Keinesfalls!
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